Implantologie 18.11.2013
Zahnerhalt oder Extraktion?
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Endodontische und parodontale Probleme sowie endodontische Komplikationen stellen den Behandler oft vor die schwierige Entscheidung „Zahnerhalt oder Extraktion?“.
Die parodontale Therapie der Wurzelglättung (Root Planing) führt zwangsläufig zu Rezessionen im Zahnfleisch und in Kombination mit einer vorhandenen Lockerung oft sogar zum Verlust eines Zahnes. Die chirurgische Intervention im Sinne einer offenen Kürettage und Lappenbildung erhöht den Erfolg der parodontalen Therapie, kann aber auch in größeren ästhetischen Beeinträchtigungen resultieren. Ähnlich groß ist das Risiko des Zahnverlustes bei wurzelbehandelten Zähnen nach Wurzelspitzenresektion. Vor allem in Kombination mit parodontalen Problemen ist dann nicht nur der Zahn, sondern auch der Knochen gefährdet.1 Alle diese Überlegungen müssen in die Entscheidung einfließen, ob ein Zahn in der ästhetischen Zone erhalten bzw. behandelt werden muss oder eine rechtzeitige Extraktion den Implantationserfolg erhöhen kann.
Mit der Extraktion eines Zahnes in der ästhetischen Zone ist zwar eine vorhandene Entzündung beseitigt, die Behandlungsschwierigkeiten fangen aber jetzt erst an. Zahlreiche Faktoren spielen nun eine wichtige Rolle für den Behandlungserfolg: Die Analyse des Weich- und Hartgewebes, das Implantatsystem, verzögerte Implantation oder Sofortimplantation, der primäre Wundverschluss, die Implantatdimensionen, die Positionierung, die provisorische Versorgung, die prothetische Versorgung und die Gestaltung der Restauration sind zusammen für den Erfolg entscheidend. Einzeln können sie jedoch, wenn nicht optimal umgesetzt, das Endergebnis negativ ausfallen lassen.
Falldarstellung
Die 34-jährige Patientin stellte sich vor etwa zwei Jahren in unserer Implantatsprechstunde vor. Sie klagte über Beschwerden an Zahn 21. Laut Patientin wurde dieser Zahn vor acht Jahren wurzelbehandelt. Drei Jahre nach der Wurzelfüllung wurde die endontologische Behandlung revidiert, zwei Jahre nach der Endo-Revision frakturierte die Krone. Daraufhin wurden ein Wurzelstift gesetzt, eine Aufbaufüllung gelegt und der Zahn überkront.
Nun klagt die Patientin über eine Lockerung des Zahnes und Blutung bei der täglichen Mundhygiene sowie gelegentliches Klopfen an diesem Zahn. Da sie lange mit diesem Zahn zu kämpfen hatte, wünschte sie sich eine endgültige Lösung. Der Allgemeinzustand und der extraorale Befund der Patientin waren unauffällig.
Der klinische Befund ergab eine gelockerte Krone 21, Lockerung Grad I des Zahnes 21 sowie ein BOP Grad 3. Das Restgebiss war konservierend und prothetisch suffizient versorgt. Die SST am Zahn 21 war mit 2–3 mm unauffällig. Die vertikale Perkussion war zur Zeit der Untersuchung negativ (Abb. 1). Radiologisch zeigte sich eine suffiziente Wurzelfüllung. Die Kronenränder waren nicht optimal geformt und die Wurzelstiftlänge und -breite ungenügend (Abb. 1). Es bestand außerdem der Verdacht einer apikalen Aufhellung mesial der Wurzelspitze. Diese ließ sich jedoch mit einem neuen Zahnfilm nicht bestätigen.
Behandlungsziel
Die Erneuerung des Wurzelstiftes inklusive des Aufbaus und der anschließenden Anfertigung einer neuen Krone erschien uns nicht sinnvoll. Die alte Krone war kariös unterminiert und die Versorgung mit einer neuen Krone setzte eine chirurgische Kronenverlängerung voraus, um die biologische Breite22 zu erhalten. Das hätte auch bedeutet, dass der Zahn länger ausgesehen hätte als der Nachbarzahn 11 und somit kein ästhetisch zufriedenstellendes Endergebnis erzielt worden wäre. Im Anbetracht der Lockerung des Zahnes von Grad I und des Wunsches der Patientin nach einer endgültigen Lösung entschieden wir uns für die Extraktion des Zahnes 21 und eine Sofortimplantation, um das Weichgewebe zu stützen und zu erhalten.4,6,9,11,13,16,22 Da die Nachbarzähne gesund und nur mit kleinen Füllungen auf der palatinalen Seite versorgt waren, kam für die Patientin eine konventionelle Brücke nicht infrage. Für uns war der gleiche Grund ausschlaggebend, um der Patientin die Implantation vorzuschlagen.5,6,7,8 Aufgrund der Lokalisation des Problems im ästhetisch hochsensiblen Bereich der Oberkieferfront entschieden wir uns für eine Sofortimplantation mit GBR.25,26 Für die prothetische Versorgung fiel die Entscheidung zugunsten einer VMK-NEM-Krone.
Behandlungsablauf
Professionelle Zahnreinigung
Vor der Extraktion wurde eine professionelle Zahnreinigung durchgeführt, damit die Oralhygiene optimal für die Implantation war. Die Patientin wurde instruiert und motiviert, eine gute Mundhygiene zu betreiben.
Extraktion
Die Extraktion wurde schonend durchgeführt. Da der Zahn schon locker war, war es möglich, den Zahn mit einem Periotom weiter zu mobilisieren und ohne Kraft mit der apikalen Entzündung zu entfernen. Die Extraktion gestaltete sich leicht und führte zu keiner Beschädigung der Alveolenwände (Abb. 1).10,13
Implantation mit GBR
Für die Implantation wurde ein Implantat mit Mikrogewinde am Implantathals gewählt. Mit diesem Implantat erhofften wir uns eine möglichst optimale Knochenadaptation im krestalen Drittel und die Adaptation des Weichgewebes an der Implantatschulter.14–19 Die Extraktionsalveole wurde mit einer PA-Sonde auf Perforationen inspiziert und mit CHX und physiologischer Kochsalzlösung gespült. Danach erfolgte die Implantation. Die letzte Bohrung wurde ohne Kühlung und mit einer Umdrehung von 40/min durchgeführt, um Knochenspäne zu gewinnen.
Die Breite der Lücke betrug 10,5 mm, orovestibulär war die Lücke innerhalb der Alveole 6 mm breit. Die Alveolarenwand war im krestalen Drittel 0,5–1 mm dick (Abb. 2 bis 4).4,9,13 Der verwendete Durchmesser maß 4,6 mm und die Länge 12 mm. Zeitgleich mit der Implantation wurde eine GBR mit Eigenknochen und Cerabone durchgeführt.3,4 Das Implantat wurde weiterhin zu einem Drittel inseriert. Danach wurde Knochenaufbaumaterial mit autologen Knochenspänen in die Alveole gebracht, das Implantat wurde eingedreht und 1,5 mm subkrestal positioniert.23 Anschließend wurde der Einbringpfosten entfernt, auf eine Länge von 2 mm gekürzt und als Deckschraube verwendet (Abb. 7 und 8).
Da das Weichgewebe in Regio 21 leicht entzündet war, entschieden wir uns gegen einen Lappen zum primären Verschluss der Wunde.
Die Extraktionsalveole wurde außen bukkal mit einer Jason-Pericardiummembran ausgekleidet. Die Membran wurde über die Alveole gelegt, palatinal zwischen Lappen und palatinaler Alveolen- wand geklemmt und mit einer 4–0 Supramid horizontalen Matratzennaht fixiert. Auf die Membran wurde eine Schicht Kollagenfleece gelegt und an das Weichgewebe angenäht (5–0 Supramid Knopfnähte; Abb. 5).
Provisorische Versorgung
Die provisorische Versorgung war in diesem Fall sehr wichtig, da wir keine vollständig gedeckte Einheilung hatten. Aus diesem Grund wurde eine Maryland-Brücke mit Pontic angefertigt, um die Papillen zu stützen und das Weichgewebe unterhalb der Brücke zu formen. Die Nahtentfernung erfolgte vier Wochen postoperativ nach dem Setzen der Nähte und ohne das Provisorium zu entfernen (Abb. 6, 7 und 9).
Einheilphase
Während der Einheilphase wurde ein engmaschiges Recall eingehalten. Die Patientin wurde instruiert, eine optimale Mundhygiene zu betreiben und über die Notwendigkeit des engmaschigen Recalls aufgeklärt. Kontrolltermine erfolgten jeweils eine Woche, zwei, drei, vier, acht, zwölf und 16 Wochen postoperativ. Die Einheilphase lief entzündungsfrei ab und die Wunde wurde schnell epithelialisiert (Abb. 6, 7 und 9).
Freilegung
Das Implantat wurde 14 Wochen postoperativ mit einer Stanze freigelegt. Der Schleimhautdeckel war 1 mm dick. Daraus resultierte eine Weichgewebshöhe von 3mm bis zur Implantatschulter. Die Papillen waren vollständig erhalten und die Konturen bukkal so gehalten, dass ein ästhetisch gutes Ergebnis vorauszusehen war (Abb. 10 und 11).
Präprothetische Phase
In dieser Phase entschieden wir uns gegen einen Gingivaformer und für eine provisorische Krone aus Kunststoff, da Einbringpfosten und Abutment die gleiche Dimensionen hatten. Das endgültige Abutment wurde eingeschraubt und mithilfe einer Tiefziehschiene eine Krone in Form der alten Krone angefertigt. Die Krone wurde vorsichtig mit TempBond befestigt. Besonderes Augenmerk lag außerdem auf der Entfernung aller Zementreste (Abb. 12).
Prothetische Phase
Zwei Wochen nach Freilegung wurde das Provisorium entfernt und die neue Krone anprobiert. Die Länge des Abutments betrug 5,5 mm und die des Stumpfes 4,5 mm. Die Hohlkehle lag 1 mm subgingival. Die gesamte Kronenlänge maß 8,5 mm und der Abstand zwischen Approximalkontakt und krestalen Knochen 4 mm (Abb. 13).8,11,18,21,25 Die Patientin war mit dem Endergebnis zufrieden und somit wurde die Krone definitiv eingesetzt. Recalltermine und radiologische Kontrollen eine Woche nach Einsetzen der Prothese sowie sechs, zwölf und 18 Monate postoperativ zeigten eine stabile Situation des umliegenden Hart- und Weichgewebes.
Schlussfolgerung
Heutzutage können wir mit Gewissheit sagen, dass die Osseointegration funktioniert. Wir wissen auch, wie sie funktioniert und wir können GBR mit voraussehbaren Ergebnissen anwenden. Darüber hinaus ist der Behandler gesetzlich verpflichtet, den Patienten über alle Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären, auch im Falle einer Implantation. Da die Implantologie insgesamt mehr und mehr an Gewicht gewinnt, müssen wir uns die Frage stellen, ob chirurgische Maßnahmen zur Erhaltung eines Zahnes durchzuführen sinnvoll ist oder durch eine frühe bzw. rechtzeitige Extraktion die Aussichten auf eine erfolgreiche Implantation maximiert werden können. In dieser Falldarstellung war es die richtige Entscheidung, den Zahn zu entfernen, um Knochenverlust und Narbenbildung zu verhindern, die hinderlich für die Implantation wären. Natürlich ist die Behandlung mit der Osseointegration des Implantates nicht beendet. Viel wichtiger sind die richtige Versorgung des Implantats und die optimale, individuelle Vorgehensweise, um ein umfassendes ästhetisches Ergebnis zu erzielen.
Im ästhetisch sensiblen Bereich der oberen Schneidezähne reichen Tragekomfort und Funktionalität des Zahnersatzes nicht aus, um den Patienten zufriedenzustellen. Vor allem junge und „high-scalope“-Patienten stellen eine Herausforderung für den Chirurgen und den Prothetiker dar. Eine interdisziplinäre Kooperation zwischen Master Clinician, erfahrenem Prothetiker und Zahntechniker sowie die Motivation und Instruktion des Patienten sind in der modernen Zahnheilkunde unabdingbar.
Hier gibt's die vollständige Literaturliste.