Implantologie 16.10.2013

Ästhetik trotz parodontal geschädigtem Gebiss – Sofortimplantation



Ästhetik trotz parodontal geschädigtem Gebiss – Sofortimplantation

Parodontalerkrankungen stellen neben Habits, Systemerkrankungen und Bruxismus die schwierigsten Ausgangssituationen in der oralen Implantologie dar. Neben dem Zahnverlust steht in der Implantologie die Knochenresorption, das verlängerte Saumepithel und der entzündliche Zahnhalteapparat im Vordergrund. Folgender Fall zeigt eine maximale Ästhetik auch im kompromittierten parodontal geschädigten Gebiss mit Sofortimplantation.

Was man in diesem Fall deutlich bemerkt, ist, dass der Knochenverlust vertikal oft massiv ist, dass die Knochendefekte mehrwandig sind und dass die kraterähnliche Knochenresorption die Primärstabilität von Implantaten erschwert. Das Fehlen interdentalen Knochens macht eine aufwendige Augmentation notwendig. Das lange Saumepithel und die fehlende Papille lassen ein ästhetisches Ergebnis als sehr schwierig erscheinen.

Es ist unumstritten, dass eine chronische Parodontitis vorrangig behandelt werden muss. Der Parodontitisbehandlung kommt die Füllungs- und Extraktionstherapie zuvor. Vor allem wenn Langzeiterfolg, Funktionalität und Ästhetik nicht gewährleistet werden können, stellt sich die Frage, welche die beste Behandlungsalternative für den Patienten wäre. Auch die geplante prothetische Versorgung, festsitzend vs. herausnehmbar, ist entscheidend für die Erhaltung oder Extraktion von Zähnen, die fraglich erhaltungswürdig sind.

Klinische und radiologische Untersuchung

Die klinische Untersuchung dieser Patienten zeigte ein parodontal geschädigtes Gebiss. Vor allem die oberen Frontzähne wiesen ein SST von 5–6 mm, Lockerung Grad II–III und BOP von 3–4 auf. Die Funktionalität war beim Kauen und Abbeißen eingeschränkt und ästhetisch nicht zufriedenstellend. Die relativ neuen VMK-Kronen an 11 und 21 waren sehr lang, damit die freiliegenden Wurzeloberflächen bedeckt werden. Die Weichgewebsästhetik war ebenso schlecht und resultierend aus dem Verlust des Zahnhalteapparates und der knöchernen Unterstützung (Abb. 1 und 2).

Auffällig war die Proklination von 12 und der fehlende interproximale Knochen und Zahnhalteapparat zwischen 11 und 12. Die radiologische Untersuchung zeigte nicht erhaltungswürdige Zähne, nämlich 11, 12, 21 und 22. Die Diagnose war generalisierte PA mit vertikalem und horizontalem Knochenverlust, SST von bis zu 6mm und Lockerungen von bis zu Grad II.

Planung

Eine erfolgreiche PA-Therapie resultiert in Rezessionen und freiliegenden Wurzeloberflächen. Der Parodontologe strebt eine Sulkus-Sondierungstiefe von 1–2 mm an. Ästhetisch gesehen bedeutet das vor allem im Frontzahnbereich, dass die Zähne klinisch länger erscheinen. Besonders nach resektiven PA-Therapien werden die Zähne empfindlicher gegen thermische Reize, sie bleiben mobil und verlieren oft an Funktionalität. So bleibt der Patient in der Regel unzufrieden.

Aufwendige chirurgische PA-Therapien sind kostenintensiv. Aufgrund des unvorhersehbaren Langzeiterfolgs und der Ästhetik werden sie oft vom Patienten abgelehnt. Auch in diesem Fall hätte eine chirurgische PA-Therapie niemals ein ästhetisch und funktionell gutes Ergebnis eingebracht. Die Behandler entschieden sich für die chirurgische PA-Therapie der restlichen betroffenen Zähne und für die konservative PA-Therapie der Zähne 11–22. Der Grund dafür war die Sicherstellung einer verbesserten und entzündungsfreien Ausgangssituation. Anschließend wurden die Zähne 12–22 entfernt, an ihrer Stelle wurden Sofortimplantate gesetzt und es wurde einzeitig augmentiert.

Chirurgie

Vor der Extraktion von 12, 22 wurden die Kronen 13 und 23 entfernt, damit im Labor ein festsitzendes Provisorium hergestellt werden kann. Form und Aufstellung der Zähne wurden mit Wax-ups optimiert. Die Zähne 12–22 wurden radiert und die Basis des Provisoriums wurde zu einer Gewebemanipulation in Pontic modelliert (Abb. 3–6).1–4

Als Nächstes erfolgte die Extraktion. Deutlich zu sehen waren die Absorptionen, besonders zwischen 11 und 12. Median ist die Papille knöchern unterstützt. Es wurde ein Volllappen von 13 bis 23 präpariert. Entlastungsschnitte wurden median der Papillen 13 und 23 in der keratinisierten Mukosa gesetzt. An den Knochendefekten wurde einstrahlendes Weichgewebe entfernt, die Alveolenwände wurden kürettiert und die Wundränder deepithelialisiert. Die Papilla median wurde ebenso belassen (Abb. 7–10).

Der horizontale Knochenverlust hielt sich in Grenzen. Massiv war der Knochenverlust vertikal zwischen 11–12 und 21–22. Die Implantate wurden leicht subkrestal gesetzt. Die Behandler entschieden sich für 3,8 mm-Ø-Implantate. Da die bukkale Lamelle ca. 1–1,5 mm dick war, war der Spalt zwischen den Implantaten und der bukkalen Lamelle ca. 1–1,5 mm.5–10

Der interimplantäre Raum sowie der Raum vestibulär der bukkalen Lamelle wurde mit einer Mischung von autologem Knochen, mineralisiertem allogenen Knochen und HA augmentiert. Die Materialien wurden in Schichten appliziert und mit einer Pericardium Membran gedeckt (Abb. 11). Die Anatomie des Oberkiefers war in Bezug auf den Lappenverschluss limitierend. Wegen des sehr kurzen Vestibulums wurde gegen einen plastischen Verschluss entschieden. Über die Membran wurden zwei Lagen Kollagen Tissue Fleece gelegt. Die Stellen über den Implantaten wurden der freien Granulation überlassen (Abb. 12).11,12

Anschließend wurde das Provisorium eingegliedert und der Patient bekam seine Recall-Termine. Drei Wochen postoperativ hatten wir bei der Nahtentfernung eine reizlose Situation. Wir bemerkten vertikal keinerlei Verlust an Höhe und wir betrachteten einen optimalen Wundverschluss (Abb. 13).

Freilegung und prothetische Versorgung

Die Freilegung erfolgte drei Monate postoperativ bei den minimalinvasiven krestalen Schnitten 11–12 und 21–22. Mittels Papilloplastik wurden ebenso minimalinvasiv die Wundränder zwischen 11–12 und 21–22 adaptiert (Abb. 14).

Die Abdrucknahme erfolgte nach weiteren drei Wochen. Die ausgeheilte Situation zeigte optimales Weichgewebe an allen Stellen. Der Verlauf der keratinisierten Gingiva war harmonisch. Über den Implantathälsen war eine Weichgewebshöhe von ungefähr 2–2,5 mm zu beobachten, Voraussetzung für ein gutes Emergenzprofil. Nun konnte man mit Konvexen und Konkaven sowie mit der Gestaltung der Kronen nach apikal problemlos und leicht das Gewebe so manipulieren, dass eine hohe Ästhetik erreicht werden konnte (Abb. 15 und 16).13–16

Die endgültigen Einzelkronen zeigten ein perfektes Ergebnis. Die Papillen und Pseudopapillen füllten den approximalen Raum. Die angedeuteten freiliegenden Wurzeloberflächen sahen natürlich aus. Ein ästhetischer Ausgleich mit rosa Keramik war somit nicht vonnöten (Abb. 17–19).

Diskussion

Wichtig zu entscheiden ist, ob eine kausale PA-Therapie eine Situation langfristig verbessern kann oder ob der Zeitpunkt richtig ist, die Gegebenheiten zu behalten, die noch von Nutzen sein können.

Wenn man also in diesem Fall noch länger gewartet hätte, bestände wahrscheinlich keine Möglichkeit mehr, sofort zu implantieren; man müsste dann zweizeitig vorgehen. Besonders vorteilhaft in diesem Fall war der dicke Biotyp des Patienten. Eine Verdickung der Weichgewebe vestibulär war nicht notwendig. Spannungsprobleme beim Verschluss wären auch bei einem plastischen Verschluss unproblematisch. Dieser Biotyp verhilft in Kombination mit der Sofortimplantation und der leichten subkrestalen Positionierung der Implantate zu einem optimalen Emergenzprofil. Schwierige Weichgewebsplastiken waren zudem nicht notwendig. Folglich konnte die Narbenbildung durch unvorteilhafte Schnitte verhindert werden.17–19 Die klinische Situation und die Darstellung des Knochendefektes in Regio 11–12 machten deutlich, dass ein ästhetischer Kompromiss in dieser Region eingegangen werden musste. Die knöcherne Unterstützung der interimplantären Gingiva ist nicht optimal wiederherzustellen und die Bildung von Pseudopapillen ist nicht vorhersehbar. Trotzdem trägt die Sofortimplantation in dieser Region dazu bei, dass vorhandenes Gewebe erhalten wird. Durch Implantatpositionierung und sekundären Wundverschluss wird die Vermehrung von Weichgewebe gewährleistet.20–22

Das gewählte Implantatsystem trägt Mikrorillen am Implantathals. Krestale Optionen moderner Implantate bieten Möglichkeiten zur Anhaftung von Zahnfleischfasern an deren Oberfläche. In Kombination mit Platform Switching sichern moderne Implantatdesigns bei krestaler oder subkrestaler Positionierung den Erhalt krestalen Knochens, da Knochen auf der Implantatschulter anwächst. Bei suprakrestaler Positionierung schützen solche Designs den krestalen Knochen, indem sie einen engen Gingivaring um den Implantathals bilden.23,24 Bei Knochenaugmentationen ist ein primärer Wundverschluss wichtig. In diesem Fall  war ein plastischer Wundverschluss nicht einsetzbar. Ein Periosteal Pocket Flap oder andere Lappentechniken würden zur Abflachung des Vestibulums führen. Das kurze Vestibulum macht eine Mobilisierung von Schleimhaut aus den Nachbarnregionen schwer und falsch. Rotationslappen von palatinal würden einen Verschluss ermöglichen. Sie sind aber aufwendig, komplikationsreich und waren nicht notwendig. Aus diesen Gründen haben wir uns für die freie Granulation entschieden. Das Tissue Fleece dient dem Schutz der Pericardium Membran. Neben dem Provisorium war der Augmentationsbereich geschützt und das neue Weichgewebe war in Pontic geformt. Dadurch vermehrt sich das Weichgewebe und formt sich zu Pseudopapillen. Wenn man mit einem dünnen Biotyp zu tun hätte, wäre neben der Knochen- auch eine Weichgewebsaugmentation notwendig.25–27

Drei Wochen nach Insertion der Gingivaformer beobachteten wir optimale Weichgewebszustände. Mit so einer Ausgangssituation ist die weitere Gewebemanipulation und Optimierung des Ergebnisses leicht. Der Verlauf der vestibulären Gingiva am 11 und 21 musste ein wenig nach apikal korrigiert werden. Dies geschah leicht, indem die Abutments eine breitere Hohlkehle bekamen und indem sie an der Basis konvex individualisiert wurden. In Regio 12 und 22 musste der Gingivaverlauf nach koronal korrigiert werden. Die Abutments wurden dort schlanker geschliffen, um dem Weichgewebe mehr Platz zu geben.13–15

Die Kombination von Biomaterialien war lang erprobt und in den letzten Jahren gut dokumentiert. Das Protokoll hilft einem, kleinere oder größere Defekte erfolgreich zu augmentieren. Die Ergebnisse sind in diesem Fall vorhersehbar. Neben dem Protokoll und der Art der Biomaterialien ist auch ihre Beschaffenheit wichtig. Je kantiger die Chips sind, desto leichter und stabiler kann ein dreidimensionaler Defekt aufgebaut werden. Die Porosität von allogenen und xenogenen Materialien sowie die Osseoinduktivität autologer Knochen sind gut erforschte Parameter und Voraussetzungen moderner Biomaterialien.28–30

Parodontalerkrankungen sind in der Implantologie limitierend. Oft gibt es allerdings Situationen, in denen unkonventionelle Vorgehensweise gefragt ist. Das setzt aber Biologie-, Chirurgie- und Prothetikkenntnisse voraus. PA-Fälle sind sehr anspruchsvoll und ihre Planung verlangt individuelle Lösungen. Algorithmen können schwer erstellt und angewandt werden. Die richtige Diagnose und Analyse sowie die Auswahl des richtigen Protokolls und der richtigen Materialien sind wichtige Voraussetzungen für ein vorhersehbares Ergebnis. Moderne Implantatdesigns mit krestalen Optionen vereinfachen die Chirurgie und gewährleisten eine durch Weichgewebserhalt langfristige Ästhetik. Im Gegensatz dazu sind ästhetische Misserfolge in dieser Region schwerwiegend und kaum kompromisslos zu reparieren. Aus diesem Grund ergibt sich, dass genaue Planung und genaue Durchführung notwendig sind.

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Autoren: Dr. Nikolaos Papagiannoulis, Dr. Eduard Sandberg, Dr. Marius Steigmann

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