Kieferorthopädie 17.06.2022

KFO-Lückenmanagement bei schwierigen Verankerungssituationen



KFO-Lückenmanagement bei schwierigen Verankerungssituationen

Foto: Dr. Volker Breidenbach

Original-Überschrift: Kieferorthopädisches Lückenmanagement bei schwierigen Verankerungssituationen

Einleitung

Nicht selten kommt es im Rahmen kieferorthopädischer Behandlungen aufgrund fehlender Zähne zu der Notwendigkeit eines Lückenschlusses. Der kieferorthopädische Lückenschluss ist eine Domäne der festsitzenden Behandlungsmittel.

Je nachdem, ob die Lücke dabei reziprok, teilweise oder ausschließlich zu einer Seite geschlossen werden soll, spricht man von einfachen, moderaten oder schwierigen Verankerungssituationen. Im Folgenden werden ausschließlich schwierige Verankerungssituationen betrachtet. Anhand von drei unterschiedlichen klinischen Fallbeispielen möchte der Autor zeigen, wie einerseits Lücken bei herausfordernden Verankerungssituationen geschlossen werden können. Andererseits soll aber auch demonstriert werden, wie eine gewollte temporäre Schaffung von Lücken helfen kann, schwierige Verankerungssituationen zu meistern. 

Fallbeispiel 1 (Abb. 1a–ll) – Lückenschluss mit Miniimplantaten

Eine 15-jährige Patientin stellte sich bei ansonsten unauffälligem Befund mit nicht erhaltungswürdigen Zähnen 16 und 26 vor. Die Bisslage war neutral, der leichte Engstand in der Unterkieferfront sollte unbehandelt bleiben, sodass die Behandlung sich auf den Oberkiefer beschränkte, was wiederum die Verankerungssituation komplizierte.

Aufgrund des Alters und dem damit einhergehenden schulischen Alltag der Teenagerin sollte die Behandlungsapparatur möglichst unauffällig sein. Zu diesem Zweck wurde eine Lingualapparatur (WIN, DW Lingual Systems, Bad Essen, Deutschland) eingebracht. Um den Lückenschluss ausschließlich von distal zu gewährleisten, wurden zur Verankerung vier Miniimplantate (Länge 8 mm, Stärke 1,6 mm, Dual Top, Promedia, Siegen, Deutschland) inseriert.

Nach erfolgter Nivellierung bei Einsatz der üblichen Bogensequenz (14 NiTi, 16 x 22 NiTi, 18 x 25 NiTi) wurde die Mesialisierung mithilfe von Powerchain am reduzierten 18 x 25er Stahlbogen sowie das Finishing unter Einsatz eines 18 x 25er TMA-Bogens durchgeführt. Im Rahmen des kieferorthopädischen Lückenschlusses erfolgte der Spontandurchbruch der Zähne 18 und 28. Zur Retention trug die Patientin für die Dauer eines Jahres eine Tiefziehschiene.

Fallbeispiel 2 (Abb. 2a–qq) – Lückenschluss mittels Herbstscharnier

Der zweite Fall zeigt eine 18-jährige Patientin, die einen oberen Schmalkiefer mit Engstand der Front und Drehständen sowie einen Lingualstand und Platzmangel des Zahns 25 aufwies. Der Zahn 16 war aufgrund des seit längerem fehlenden Zahns 46 elongiert, 47 war nach mesial gekippt. Es fehlte zudem der Zahn 36; 35 stand im Kreuzbiss. Die Bisslage war links neutral, rechts ca. ½ PB distal mit Schwenkung des Unterkiefers nach rechts.

Das FRS wies einen dolichofazialen Wachstumstyp mit neutral-basaler Kieferrelation aus. Röntgenologisch waren alle 8er nachweisbar. Daher wurden der Lückenschluss und die dentoalveoläre Kompensation der Klasse II mit einer Herbst-Apparatur geplant. Diese lässt sich für einen Lückenschluss von distal sehr gut mit einer Lingualapparatur (WIN, DW Lingual Systems) kombinieren.

Die Nivellierungsphase mit 14 NiTi, 16 x 22 NiTi, und 18 x 25 NiTi dauerte etwa acht Monate. Hieran schloss sich die Herbst-Phase (16 x 24 SS) mit einer Dauer von 14 Monaten an. Die Finishing-Phase (18 x 18 TMA) mit Gummizügen dauerte nochmals drei Monate. Außer dem Lückenschluss 36 und 46 sowie der Überstellung von 35 konnte ein alveolärer Teilausgleich des asymmetrischen Distalbisses erreicht werden. Das Behandlungsergebnis wurde mit festsitzenden Retainern und Retentionsplatten stabilisiert.

Fallbeispiel 3 (Abb. 3a–zz und 4a–bb) – Lückenmanagement mit Locatelli-Feder

Der dritte Fall zeigt eine 16½-jährige Patientin mit nicht angelegten Zähnen 12 und 22 bei vollständigem Lückenschluss und einer Mesialbisslage von ca. ¼ PB mit Kopfbiss von Zahn 11 und einer progenen Verzahnung von 13, 21 und 23. Alio loco waren langjährige Kontrollen erfolgt mit dem Ziel einer späteren kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Korrektur. Dies wollte die Patientin unbedingt vermeiden. Zur nicht-chirurgischen Mesialisierung der oberen Dentition wäre im Prinzip eine Verankerung mittels gaumengestützter Miniimplantate denkbar. Auch das wurde von der Patientin abgelehnt. Somit blieb der Weg einer intermediären Lückenöffnung mit sukzessiver Mesialisierung der Seitenzähne. Hierzu eignet sich in besonderer Weise eine Lingualapparatur (WIN, DW Lingual Systems, Bad Essen, Deutschland) in Kombination mit bukkal aufgebrachten Locatelli-Federn, wie in den Abbildungen 3 und 4 gezeigt. Hierbei ist zu beachten, dass die im Oberkiefer eingesetzten Bögen wie bei einem Extraktionsfall seitlich gerade gestaltet werden müssen, damit die Zähne beim späteren Lückenschluss gut am Bogen geführt werden können.

Zunächst erfolgte die Lückenöffnung zwischen erstem und zweitem Prämolaren mit einem komprimierten 14er und einem 16 x 22er NiTi-Bogen in Kombination mit einer bukkal aufgebrachten Locatelli-Feder. Die Lückenöffnung zwischen zweitem Prämolaren und erstem Molaren erfolgte auf einem 18 x 25 NiTi-Bogen, ebenfalls mittels bukkal aufgebrachter Locatelli-Feder und Powerchain, anschließend zwischen erstem und zweitem Molaren auf einem 16 x 24 Stahlbogen mit Extratorque mittels Druckfeder und Powerchain. Die Applikation von Extratorque ist in diesem Falle besonders wichtig, um eine gute Inklination der Oberkieferfront zu erreichen. Zur Vermeidung eines frontal offenen Bisses wurde die Patientin angewiesen, Up-and-down-Elastics zu tragen. Zudem wurde die Patientin gebeten, Klasse III-Gummizüge zu tragen.

Die Gesamtbehandlungszeit bei diesem dritten Fall betrug 22 Monate. Die Retention erfolgte mithilfe eines Positioners.

Fazit

Die vorangegangenen drei Fallbeispiele haben gezeigt, dass mithilfe der Lingualtechnik auch in schwierigen Verankerungssituationen einerseits Lücken zuverlässig geschlossen werden können. Andererseits kann aber auch die temporäre Generierung von Lücken bei Anwendung dieser Behandlungsmethode dazu beitragen, komplexe Verankerungsprobleme zu beherrschen. Qualitativ hochwertige Ergebnisse sind damit auch in schwierigen Verankerungssituationen in akzeptablen Zeiträumen erreichbar.

Dieser Beitrag ist in den KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.

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