Kieferorthopädie 18.08.2014

Individuelle Einzelzahnsteuerung bei lingualen Apparaturen



Individuelle Einzelzahnsteuerung bei lingualen Apparaturen

Ein Beitrag von Dr. Pablo Echarri, Dr. Martín Pedernera und Dr. Miguel A. Perez-Campoy.

Lassen sich Positionierungsfehler bei labialen Brackets durch Biegungen im Behandlungsbogen oder durch ein Umkleben des Brackets relativ einfach kompensieren, so sind diese Fehler bei lingualen Apparaturen nur sehr schwer zu korrigieren. Daher ist das Ziel von lingualen Produktentwicklungen seit jeher gewesen, die Bracketpositionierung und Individualisierung der Bracketbasen von Anfang an so genau wie möglich zu gestalten. Die Genauigkeit sowie die Vielfalt an Einstellungsmöglichkeiten für jeden einzelnen Zahn machen den Accurate Bracket Positioner* zu einem modernen, präzisen und vor allem wirtschaftlichen Partner im lingualen Behandlungsalltag. Andere Positionierungshilfen, die ebenfalls Brackets direkt auf dem Malokklusionsmodell platzieren, wie z. B. TARG, KIS oder Creekmore’s Slot Mashine, erlauben lediglich eine Annäherung bzw. grobe Einstellung der gewünschten Behandlungswerte. Mit dem Accurate Bracket Positioner kann hingegen jeder Wert unabhängig voneinander genau vermessen und eingestellt werden – für jeden einzelnen Zahn individuell. Klebefehler oder ungewünschte Werte sind somit einfach vermeidbar. Anhand eines lingualen Patientenfallbeispiels werden in diesem Artikel die Vorteile der individuellen Einzelzahneinstellung in der Lingualtechnik erläutert. Es wird ebenfalls darauf eingegangen, wie gewohnte labiale Behandlungswerte direkt auf die lingualen Brackets übertragen werden können und die Individualisierung der Bracketbasis am Malokklusionmodell in nur 45 Minuten pro Kiefer erfolgen kann.

Modellvorbereitung

Das Malokklusionsmodell sollte so im Accurate Bracket Positioner platziert werden, dass die Zahnposition der Malokklusion einzeln vermessen werden kann. Die Vermessung der Ausgangswerte erfolgt labial. Die Mechanik des ABP spiegelt diese dreidimensional auf die linguale Seite auf den Bracketslot und ermöglicht gleichzeitig die Modifizierung von Torque, Angulation, In/Out, Rotation, Intrusion und Extrusion auf der lingualen Fläche in präzisen Millimeter- und Gradschritten. Dazu werden auf dem Malokklusionsmodell für jeden zu beklebenden Zahn die Längsachsen eingezeichnet und die Inzisalkanten markiert (Abb. 2, 3). Diese Linien werden benötigt, um Torque und Angulation labial vermessen zu können und gezielt lingual einzustellen. Das Modell wird im ABP mit einer geeigneten Haftmasse fixiert und die okklusale Ebenen mittels einer Wasserwaage horizontal flach ausgerichtet (Abb. 4 bis 6).

Auswahl der Behandlungswerte und Brackets

Aufgrund der individuellen Einstellmöglichkeiten der ABP können die gewohnten bzw. bevorzugten labialen Behandlungswerte, wie z. B. Roth oder MBT, auch für die linguale Behandlung verwendet und für jeden Zahn einzeln eingestellt werden. Die somit vertrauten bukkalen Werte erleichtern die Behandlungsplanung deutlich. Für diesen Fall wurden die lingualen Brackets Evolution® SLT (Fa. adenta GmbH*) und die Roth-Werte ausgewählt.

Einstellung von Torque und Angulation

Im ersten Schritt werden die Eckzähne auf die Roth-Werte -2° Torque und 11° Angulation eingestellt (Abb. 7a, b). Für eine detaillierte Vorgehensweise siehe den Artikel „Der Accurate Bracket Positioner (ABP) – präzise Bracketpositionierung ohne Set-up“.

Durch die größere labial-orale Ausdehnung der Eckzähne entsteht dort somit die dünnste individuelle Basis. Sie dient als Referenz für die individuellen Basen der Frontzähne, die dann entsprechend dicker sind. Dadurch kann ein vorgeformter Bogenradius ohne vertikale Biegungen verwendet werden und lediglich, wenn nötig, ein In-Set zwischen dem Eckzahn und dem ersten Prämolaren sowie zwischen dem zweiten Prämolaren und dem ersten Molaren von Hand eingebogen werden. Für eine Straight-Wire-Behandlung muss demzufolge analog mit dem ersten Molaren begonnen werden. Abbildung 8 zeigt die Einstellung der Angulation durch Neigung des Zahnmodells schematisch. So kann individuell für jeden Zahn die benötigte Achsneigung eingestellt und später in der individuellen Basis gespeichert werden.

Der Torque wird ebenfalls durch Drehen des Zahnmodells um den Bracketslot verändert, indem die Zahnkrone steiler oder flacher gestellt wird. Die einzelne Zahnkrone rotiert somit direkt um den Bracketslot, wie in Abbildung 9 dargestellt. Auch hier wird der individuelle Torque in der Bracketbasis mittels Komposit während der Erstellung der individuellen Bracketbasis festgehalten.

Einstellung von Rotation, Slothöhe und In/Out

Die Unterkante der Höhenlehre bildet mit der Inzisalkante eine Linie und wird somit analog zu einer bukkalen Setzlehre verwendet. Die Rotation des Zahnes wird gemäß der Frontkurvatur der Höhenlehre ausgerichtet (Abb. 10 bis 12). Da der Accurate Bracket Positioner immer den Bracketslot analog eines slotfüllenden Behandlungsbogens als Bezugspunkt und somit Referenzpunkt verwendet, kann das Bracket auch mesiodistal verschoben werden, ohne dabei die Rotation zu beeinflussen, wie in Abbildung 13 vergleichend dargestellt. Beim direkten Kleben ist dies nur schwer zu verhindern. Sollte jedoch eine bestimmte Überkorrektur der Rotation nötig sein, so kann diese mithilfe des ABP in präzisen einzelnen Gradschritten erfolgen, wie Abbildung 14 zeigt. Hierbei wird der Slot um die eigene vertikale Achse rotiert und somit die Rotation direkt im Slot verändert und in der individuellen Bracketbasis umgesetzt ohne andere Werte zu verändern. Ein deutlicher Vorteil dieser Methode ist besonders bei Engständen zu erkennen. Wenn der Platzmangel es erfordert, können die Brackets mesiodistal versetzt früher geklebt werden als zum Beispiel bei der Set-up-Methode. Sie müssen später auch nicht umgeklebt werden, wie z. B. beim direkten Kleben, da die finale Position in der individuellen Bracketbasis bereits berücksichtigt ist.

Für die Einstellung des optimalen In/Out-Wertes wird das linguale Bracket auf dem Brackethalter einligiert und so weit wie möglich an die linguale Fläche herangeführt (Abb. 15a, b und 16). Anhand der eingebauten Messuhren werden das In/Out (Abb. 17) als auch die vertikale Position (Höhe) des Slots für das Kleben der weiteren Brackets notiert. Abbildung 20 zeigt schematisch die Einstellung der Slothöhe. Da der ABP immer den Bracketslot als Referenz verwendet, verändert die vertikale Position des Brackets nicht die anderen Behandlungswerte. Im Gegensatz zu einer manuellen Platzierung des Brackets verändern sich auch die Troquewerte nicht, wie Abbildung 18 zeigt.

Die Torqueveränderung bei manueller Positionierung des Brackets ist in Abbildung 18a dargestellt, während in Abbildung 18b ersichtlich ist, dass der Torque bei der Verwendung des Accurate Bracket Positioners unverändert bleibt. Die Brackets von 3–3 weisen somit die gleiche Höhe auf und folgen dem In/Out analog der labialoralen Ausdehnung des Eckzahnes. Ungewollte Modifikationen aufgrund eines Höhenfehlers sind somit ausgeschlossen.

Erstellen der individuellen Bracketbasen von 3–3

Da nun alle Werte für den ersten Eckzahn eingestellt sind, kann das Bracket mit Komposit auf dem Modell geklebt und die individuelle Basis geformt werden (Abb. 19). Dazu wird der Brackethalter vertikal nach oben gefahren, Klebematerial angebracht, und dann wieder nach unten in die gespeicherte Ausgangssituation platziert. Nach dem Aushärten des Klebers wird der Federclip des Brackets geöffnet und der Brackethalter nach posterior mittels einer der Stellschrauben horizontal herausgefahren. Das Bracket bleibt so sicher am Modell haften.

Für die Frontzähne werden die gleiche Höhe und das gleiche In/Out wie bei den Eckzähnen verwendet. Hier im Oberkiefer wird der Torque analog zu Roth mit 8° und die Angulation mit 9° für die lateralen und 12° Torque und 5° Angulation für die zentralen Inzisivi eingestellt. Wie in den Abbildungen 20 bis 23 erkennbar, wird somit die individuelle Bracketbasis dicker und ein vorgeformter Bogenradius kann verwendet werden.

Erstellen der individuellen Bracketbasen für die Prämolaren und Molaren

Die Prämolarenbrackets werden analog zur Vorgehensweise der Frontzähne platziert. Mittels der eingezeichneten bukkalen Linien und der Torquefühler wird der Torque auf den Prämolarenbrackets im Oberkiefer vermessen und in diesem Fall auf den Wert -7° eingestellt. Die Angulation beträgt hierbei 0° (Abb. 24 bis 26).

Das In/Out wird in Richtung lingual so weit angepasst, sodass das erste Prämolarenbracket so nah wie möglich an der lingualen Zahnfläche geklebt werden kann (Abb. 27). Der nun neue Wert für das In/Out abzüglich des In/Out-Wertes für den Eckzahn ergibt die Strecke für das erste In-Set distal der Eckzähne im Behandlungsbogen. Dieses kann direkt in den Behandlungsbogen mit einer feinen 3-Aderer-Zange horizontal flach eingebogen werden. Die gleiche Vorgehensweise wird ebenfalls bei den Molarenbrackets angewendet, mit der Berücksichtigung des zweiten In-Sets distal der zweiten Prämolaren, falls nötig. In diesem Fall ist es nicht nötig, wie Abbildung 28 zeigt.

Erstellung der Übertragungstechnik

Die Einzelübertragungskäppchen bieten die höchste Übertragungspräzision. Andere Übertragungsmethoden sind jedoch genauso möglich. Die einzelnen Bauteile des SMART CAP Systems (Fa. adenta GmbH*) sind passgenau für die Evolution® SLT Brackets gefertigt und definieren die Bracketposition in Verbindung mit einem Kunststoffkäppchen eindeutig. Da diese starr sind, ist die Bracketposition in Relation zur Zahnfläche verschlüsselt und somit jederzeit passgenau (Abb. 29). Ebenfalls können die einzelnen Käppchen mit einem Silikon zu einem Tray verbunden werden (Abbildung 30 zeigt die okklusale Ansicht eines Ein-Stück-Trays, Abbildung 31 die appikale Sicht auf ein geteiltes Tray). Der Trayaufbau ist dabei so gestaltet, dass der feste Käppchenkunststoff zur Zahnfläche eine verbindliche Abstützung findet. Das Silikon, die zäh elastische Verbindung zum Käppchenkunststoff, gleicht dabei eine eventuelle Stellungsabweichung (Abformtermin – Klebetermin) der Zähne aus. Ein Verdrücken der eigentlichen Bracketposition ist ausgeschlossen. Die mit dem Accurate Bracket Positioner eingestellten Werte können somit sicher in den Mund übertragen werden. Abbildung 32 zeigt die mithilfe des ABP erstellte Lingualapparatur inklusive des ersten Behandlungsbogens.

Fazit

Mit dem Accurate Bracket Positioner können sowohl linguale als auch labiale Brackets direkt auf dem Malokklusionsmodell platziert werden, ohne den Umweg über ein Set-up-Modell nehmen zu müssen oder das Risiko von manuellen Platzierungsfehlern beim direkten Kleben einzugehen. In 30 bis 45 Minuten kann dabei ein kompletter Kiefer von 7–7 lingual beklebt werden. Die Behandlungswerte können schnell, sicher, einfach und präzise gemessen und mit den vertrauten labialen Werten am Malokklusionsmodell eingestellt bzw. individualisiert werden. Im Vergleich zum direkten Kleben sind vertikale und mesiodistale Positionsabweichungen möglich, ohne den Torque oder die Rotation ungewollt zu verändern. Die Behandlung kann somit ohne aufwendige Korrekturbiegungen bzw. Umkleben von Brackets schnell und planbar verlaufen.

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