Kieferorthopädie 28.02.2011
Anwenderfreundliche Ligaturtechnik
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Mit dem LuZi-Konzept (Fa. denvenio) ist ab sofort ein neues Minischraubensystem erhältlich, deren signifikante Details im Rahmen einer dreiteiligen KN-Artikelserie vorgestellt werden. In Teil 1 widmeten sich die Autoren Holger Zipprich und Prof. Dr. Hans-Christoph Lauer der LuZi-Ligatur, einer einfachen und zuverlässigen Alternative zur herkömmlichen Adhäsivligatur.
Eine skelettale Verankerung mittels Minischrauben bietet eine optimale Ergänzung zu herkömmlichen Therapien. Die Vorteile dieser Verankerungsmethode liegen, bedingt durch das nicht zahngetragene und nicht bewegliche Gegenlager, auf der Hand. Dennoch ist diese Technik nicht für alle Indikationen geeignet. Auch birgt sie Risiken, wie z.B. den Verlust oder das Abkippen der Minischrauben, welche zur Therapieverlängerung oder -änderung führen können. Zudem ist die Zuverlässigkeit, vor allem von Adhäsivligaturen, infrage zu stellen. Insofern liegt das größte Potenzial hinsichtlich der Weiterentwicklung von Minischrauben in der Reduzierung der Verlustraten sowie Vereinfachung der Handhabung und Ligaturtechniken.
Die Möglichkeiten der Ligaturen bei Brackets sind sehr vielseitig und im Laufe der Jahrzehnte immer weiter perfektioniert worden. Ein Optimum in puncto Einfachheit wurde bereits 1935 mit der Einführung der ersten selbstligierenden Brackets (Rassllock) erreicht. Als konventionelle Methoden der Ligatur werden vorwiegend die Drahtligatur, Gummis sowie Gummiketten angewandt.
Bei der skelettalen Verankerung mithilfe von Minischrauben wäre ein selbstligierender Schraubenkopf ebenfalls wünschenswert. Derzeit ist das jedoch, bedingt durch die geringe Bauteilgröße der Schraubenköpfe, nicht möglich. Folglich muss der Anwender auf die konventionellen Ligaturtechniken zurückgreifen. Bei näherer Betrachtung der Schraubenköpfe mit einem Single- oder Kreuzslot fällt allerdings auf, dass die konventionelle Ligatur mit Gummis oder Gummiketten nicht möglich ist bzw. die Ligaturelemente leicht abfallen. Durch die Verwen-dung von Mini-Gummis (ursprünglich für Mini-Brackets entwickelt) wird die Gummiligatur zwar möglich, jedoch ist sie schwieriger anzubringen. So wird nicht selten auf die unkomfortable Drahtligatur zurückgegriffen.
Beim JD-Kopf der Dual-TopTM-Schraube (Singleslot) und bei der neu entwickelten LuZi-Schraube mit Kreuzslot (Fa. denvenio*) ist eine sichere Ligatur mittels Standardgummis oder Standardgummiketten möglich.
Während bei den Ligaturen an Brackets eine möglichst niedrige Friktion zwischen Draht und Bracket im Vordergrund steht, ist es bei der Ligatur von Drähten in Minischraubenköpfen eher das Gegenteil. Hier ist meist eine Fixierung des Drahtes erwünscht. So darf bei bestimmten Indikationen der Draht in Slotrichtung im Schraubenkopf nicht beweglich sein. Um dies zu realisieren, bleibt hier derzeit vorwiegend nur die Adhäsivligatur. Jedoch besteht bei dieser meist das Risiko, dass der Adhäsivverbund zwischen Draht und Schraubenkopf nicht von langer Dauer und oft nicht leicht erkennbar ist (Abb. 1, 2). Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Ganz offensichtliche Faktoren sind die Belastung des Drahtes, die Belastung durch Speisen beim Kauvorgang, das Reinigen der Zähne sowie der Temperaturwechsel durch kalte und heiße Speisen und/oder Getränke. Vor allem Letzteres ist bei der Adhäsivtechnik bei Bracketbefestigung, Füllungen, Inlays etc. ein bekanntes Problem.
Die Ursache für das Versagen eines Adhäsivverbundes, bedingt durch thermische Wechselwirkung, wird meist mit den unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten begründet. Entscheidend ist allerdings noch, ob es an der Grenze zwischen dem Kunststoff und dem zu befestigenden Material überhaupt zu einer Temperaturänderung kommt. Hierbei spielt die Wärmeleitfähigkeit der Materialien eine entscheidende Rolle. Bei der adhäsiven Befestigung von keramischen Werkstoffen hat die isolierende Wirkung der Keramik einen positiven Einfluss auf die Verbundfestigkeit. Bei einem Verbund aus Kunststoff und Metall (z.B. einem KFO-Draht) hat die hohe Wärmeleitfähigkeit schon bei geringen Einwirkzeiten von heißen bzw. kalten Getränken einen negativen Einfluss auf die Verbundfestigkeit.
Adhäsivtechniken werden innerhalb der Zahnmedizin häufig eingesetzt. Beim Verbundsystem Adhäsiv/Zahn wird auf dem Zahnschmelz ein Retentionsmuster erzeugt. Beim Verbund zum Dentin wird durch einen Primer oberflächennah der größte Teil der Hartsubstanz der Dentintubili chemisch entfernt. Übrig bleibt der Kern der Tubili und ein Geflecht aus Kollagenfasern. Das Adhäsiv dringt zum einen in die Tubili ein und bildet zum anderen im Geflecht der Kollagenfasern zusätzlich eine Mikroretention. Ein adhäsiver Verbund zu prothetischen Komponenten wird über eine chemische Bindung zu Siliziumoxidbestandteilen gebildet, z.B. bei Inlays, welche meist aus Siliziumoxid-Basiskeramiken bestehen, oder bei metallischem Zahnersatz durch Silikatisieren und anschließendem Silanisieren. Auch bei der Befestigung von Brackets an Zähnen sind die Flächen der Brackets entsprechend für den Adhäsivverbund vorbereitet, z.B. durch starke Retentionen und Oberflächenbehandlungen (Sandstrahlen, Ätzen, Lasermash etc.).
Das in den Abbildungen 1, 2 gezeigte Versagen der Drahtfixierung hat aus klinischer Sicht einen hohen Stellenwert. Soll die Adhäsivligatur auf ihre Zuverlässigkeit hin getestet werden, muss an erster Stelle die Frage stehen, ob das System überhaupt für die Adhäsivtechnik geeignet ist bzw. das klinische Vorgehen die nötigen Prozessschritte beinhaltet. Üblicherweise werden die Drähte in den Slot eingelegt, das Adhäsiv aufgebracht und mittels UV-Lampe polymerisiert. Mit einem solchen Vorgehen kommt es allerdings nicht zu einem echten Adhäsivverbund, da weder im Titan der Schraube noch in metallischen KFO-Drähten Siliziumoxidbestandteile enthalten sind. Der Kunststoff erzeugt zwar in einem Kreuzslot durch genügend makroskopische Retentionen ein Gesperre zwischen Kunststoff und Schraubenkopf, nicht aber zwischen Kunststoff und Draht. Um einen echten Adhäsivverbund zwischen Kunststoff und Draht zu erzeugen, müsste dieser erst silikatisiert und anschließend silanisiert werden. Der Haftverbund zwischen Draht und Kunststoff basiert somit lediglich auf den sehr geringen Retentionen der glatten Drahtoberfläche sowie der Haftreibung zwischen Kunststoff und Draht, welche durch das Aufschrumpfen des Kunststoffes bei Polymerisierung entsteht.
Insofern wäre es sinnvoller, eine zuverlässigere Technik für die Drahtfixierung einzusetzen. Eine Möglichkeit besteht z.B. durch Biegung eines L’s. Auf diese Weise kann der Draht direkt in den Schraubenkopf eingelegt (Abb. 3) und z.B. mithilfe eines Gummis einligiert werden. Diese Technik kann allerdings nur bei Minischrauben eingesetzt werden, die über einen Kreuzslot verfügen. Zudem ist ein sehr präzises Biegen des Drahtes erforderlich. Bei Schrauben hingegen, die lediglich mit einem Singleslot ausgestattet sind, müssen andere Retentionsformen gebogen werden.
Eine deutliche Vereinfachung der Drahtfixierung in Slotrichtung ohne umständliches Biegen von Retentionsformen wurde von der Firma denvenio entwickelt. Mit einer speziell für diesen Zweck konstruierten Zange (Abb. 4) kann ein 0.220er Draht lokal gequetscht und somit verbreitert werden (Abb. 5). Diese Verbreiterung passt exakt in das Zentrum des Kreuzslots der LuZi-Schraube (Abb. 6), sodass der Draht anschließend mit einem herkömmlichen Gummi einligiert werden kann (Abb. 7). Diese Quetschung kann entweder an einer beliebigen Position des Drahtes erfolgen, um ihn beidseitig für die Therapie zu verwenden, oder endständig (Abb. 5). Diese einfache Technik verhindert durch ein Gesperre der Drahtverbreiterung in der Formausnehmung des Kreuzslots auf simple und zuverlässige Weise das Verschieben des Drahtes im Slot des Minischraubenkopfes.
Die folgend beschriebene In-vitro-Untersuchung soll eine Aussage über den Einfluss von simulierten heißen bzw. kalten Getränken auf die Zuverlässigkeit der Adhäsivligatur geben und diese der Drahtverbreiterung mit der LuZi-Zange gegenüberstellen.
In einen Kunststoffblock (PU-Schaum mit einer Dichte von 650kg/m2, Maße 32mm x 25mm x 10mm) wurden je zwei Schraubenpaare (OrthoEasy®, Fa. FORESTADENT, und LuZi-Schraube, Fa. denvenio) im Abstand von 27mm (bzw. 12mm Abstand zueinander) maschinell in einem exakten Winkel von 90° mit zehn Umdrehungen pro Minute eingedreht.
Die Kreuzslots der beiden gegenüberliegenden Schrauben wurden in der Höhe und Ausrichtung aufeinander angepasst. In den jeweils gegenüberliegenden Kreuzslot wurde ein 0.220er Draht (stainless steel) mit einer angebogenen Öse einligiert.
Bei der LuZi-Schraube wurde mittels LuZi-Zange eine Drahtverbreiterung erstellt und der Draht mithilfe eines Standardgummis einligiert. Zwischen die Drähte beider Schrauben wurde dann eine Feder (handelsübliche Nickel-Titan-Feder, 150g) eingelegt. Nach dem Einspannen des Kunststoffblocks wurde die Feder maschinell durch Ziehen am noch nicht fixierten Draht über eine Correx-Waage (Haag-Streit AG) bis auf eine Kraft von 1N vorgespannt (Abb. 8). In diesem Zustand wurde der im Slot des OrthoEasy®-Kopfes liegende Draht mit Flow TainTM sowie mithilfe einer UV-Lampe einligiert (Abb. 9). Am in Federrichtung liegenden Bereich des Drahtes erfolgte an der Grenze zur Drahtligatur jeweils eine optische Markierung mit ei-nem wasserfesten Stift.
In diesem Zustand wurden zehn Schraubenpaare auf fünf Kunststoffblöcken (Abb. 10)
in einem Thermocycler (Fa. Willytec) thermischen Wechselzyklen von 5°C und 55°C unterzogen. Die Einwirkzeit bei 5°C und 55°C betrug zehn Sekunden und wurde durch eine Abtropfzeit von fünf Sekunden unterbrochen. Begonnen wurde mit der Lagerung im auf 5°C temperierten Bad. Während der Abtropfzeit wurden die optischen Markierungen neben den Ligaturen überprüft. Sobald eine Positionsänderung eines Drahtes, verursacht durch das Versagen der Ligatur und die Federkraft, detektierbar war, wurde für das Schraubenpaar die entsprechende Zyklenzahl notiert.
Die Ergebnisse der In-vitro-Untersuchung sind in Tabelle1 dargstellt. Bei allen Adhäsivligaturen zeigte sich schon bei unter 100 thermischen Zyklen ein Versagen (Abb. 11). Bei acht von zehn Adhäsivligaturen trat das Versagen innerhalb der ersten zehn Zyklen auf. Ein Versagen der Ligatur mittels der Drahtverbreiterung durch die LuZi-Zange konnte nicht festgestellt werden.
Die Nachuntersuchung ergab, dass nach dem Versagen der Adhäsivligatur in nassem Zustand die Friktion zwischen dem Draht und Befestigungskunststoff niedriger als 1N war. Nach dem Austrocknen konnte eine höhere Friktion festgestellt werden. Vier von zehn Drähten ließen sich wieder auf eine Kraft von mindestens 1N vorspannen. Dies verdeutlicht, dass das Wasser sowie der Speichel im Patientenmund als Schmierstoff wirken und der Friktion entgegenwirken.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Adhäsivligatur bezüglich thermischer Wechsel sehr unzuverlässig ist. Die Adhäsivtechnik müsste, wie in anderen Bereichen, besser auf den Einsatz der Minischrauben abgestimmt werden (Silikatisierung & Silanisierung). Die Folgen wären allerdings ein aufwendiges Handling und eine eventuell zu gute Haftung. So könnte eine zu starke Haftung bei Entfernung der Ligatur für andere Ligaturen oder vor Entfernen der Schraube zu Komplikationen führen.
Das Anbringen von Retentionen/Gesperren zwischen den Drähten und Minischrauben stellt hingegen eine deutlich anwenderfreundlichere und sicherere Ligaturtechnik dar. Die Verwendung der LuZi-Zange für die Drahtprägung zeigt bezüglich der Einfachheit in der Anwendung deutliche Vorteile gegenüber dem herkömmlichen Anbringen von Retentionen/Gesperren, wie z.B. das Anbiegen eines L’s. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass im klinischen Einsatz zusätzliche Momente und Kräfte, verursacht durch die Therapien, welche nicht in Drahtrichtung wirken, die Friktion des Drahtes erhöhen können. Die Kräfte und Momente, die durch Speisen beim Kauvorgang oder aufgrund des Reinigens der Zähne auftreten, können das Versagen der Adhäsivligatur eher beschleunigen.
Abschließend kann gesagt werden, dass die LuZi-Ligatur im Vergleich zur Adhäsivligatur eine einfache und zuverlässige Alternative darstellt.
Autoren: Holger Zipprich und Prof. Dr. Hans-Christoph Lauer