Kieferorthopädie 12.12.2011
Interaktives selbstligierendes Hybridsystem
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Zum AAO-Jahreskongress 2010 stellte American Orthodontics das EmpowerTM-System vor, welches zwei Bracketdesigns in einem System vereint. Dr. Dirk J. Wrede aus Herford hat die klinische Alltagstauglichkeit dieses Systems getestet und berichtet in folgendem Beitrag von seinen Erfahrungen.
In den 90er-Jahren entdeckten wir für unsere Praxis die selbstligierenden Brackets (SL). Angespornt durch die ersten positiven Erfahrungen mit dem SPEEDTM-System, begannen wir unsere „selbstligierende Evolution“ und durchliefen in Folge diverse Entwicklungen der Dentalindustrie. In deren Verlauf sammelten wir Erfahrungen mit den Systemen SmartClipTM (3M Unitek), TIME® 2 und 3 (American Orthodontics), Vision LPTM (American Orthodontics), Carrière® SLB (Ortho Organizers; ODS), discovery® SL (Dentaurum), DamonTM (Ormco); In-Ovation® R (DENTSPLY/GAC) und EmpowerTM (American Orthodontics). Im Bereich der zahnfarbenen SL-Brackets arbeiteten wir mit den Syste-men opalTM (Ultradent Products), OysterTM (Gestenco) und ClarityTM SL (3M Unitek) (Abb. 1a–g).
Systemeinteilung und Erfahrungen in unserer Praxis
Systeme mit elastischem Verschlussclip
Der über die Jahre fortlaufende Entwicklungsweg hinsichtlich der verschiedenen, in unserer Praxis eingesetzten Systeme zeigte uns diverse Probleme auf. So stellten wir fest, dass SL-Brackets mit elastischem Bogenarritierungsclip (z.B. SPEED, Empower etc.) – auch aktive Brackets genannt – in ihrer Clipmechanik weniger sensibel gegenüber Zahnstein sind. Dafür sind sie hingegen in der Öffnungstechnik sensibler. Denn bei einem klemmenden Clip kann dieser bei zu starker Öffnungskraft plastisch deformiert werden. Die Folge ist ein schlechterer, reduzierter Schluss des Clips, wodurch der Bogen bei geschlossenem Bracket nicht mehr voll in den Slot gedrückt wird. Im ungünstigsten Fall kann sogar ein Bruch des Clips erfolgen (Abb. 2).
Systeme mit Verschlussklappen
Bei den Verschlussklappensystemen (z.B. Damon, Carrière SLB oder Clarity SL) – auch passive SL-Brackets genannt – hat sich in unserer Praxis ein klemmender Verschlussmechanismus hinsichtlich der Bildung von Zahnstein als sehr nachteilig erwiesen. Bedingt dadurch geht der initiale Vorteil des schnelleren Bogenwechsels und die damit verbundene Reduktion der Stuhlzeit leider verloren. Zudem sind solche Systeme stark techniksensibel. Das heißt, bei einer nicht vollständigen Nivellierung oder einem zu frühen bzw. schnellen Bogenwechsel ist der Clip nicht mehr ganz zu verschließen. Die Arretierung rastet nicht vollständig ein. Das SmartClip-Bracket nimmt hier eine Sonderstellung ein, da es weder einen mechanisch beweglichen Clip noch eine Klappe aufweist. Bei diesem System hat sich im .0220er Slot insbesondere der Wechsel auf einen .0190 x .0250er Stahlbogen als problematisch erwiesen. Häufig war dieser mit starken Druckschmerzen für den Patienten beim Einsetzen des Bogens verbunden. Auch hat sich das von den Autoren vorgeschlagene Aufbeißen auf eine Watterolle beim Wechsel des Bogens nicht als schmerzreduzierend erwiesen. Die Anwendung des speziell
für dieses System konzipierten Hybrid-Bogens führte zwar zu einem verbesserten Einsetzen des Bogens, jedoch erfolgte dieser wiederum zulasten der Torquekontrolle.
Ästhetische SL-Brackets
Im Bereich der ästhetischen Systeme hat sich bei uns das Clarity SL-Bracket durchgesetzt. Zwar weist es die Nachteile des SmartClip auf, jedoch ist die Optik sehr gut, da keine Ligaturen benötigt werden. Auch die metallfarbenen Halteclips werden optisch nicht als störend empfunden.
Ästhetische SL-Kunststoffbrackets
Den Weg der ästhetischen SL-Kunststoffbrackets haben wir in unserer Praxis verlassen. Primäre Gründe hierfür waren die mit zunehmender Behandlungsdauer signifikante optische Verschlechterung. So sammelten sich z.B. unter dem Verschlussdeckel des opal-Brackets Speisereste an, welche deutlich erkennbar durch den Deckel schimmerten. Zudem neigt der Kunststoffclip zu leichteren Brüchen (Oyster, Abb. 3) oder er reißt ganz am Ansatz aus (opal). Hinzu kommt die mit zunehmender Zeit stärkere Verfärbung des Clips (Abb. 4a, b).
Das Empower-System
Resultierend aus diesen Erfahrungen haben sich zunehmend auch SL-Metallbrackets wie Empower oder SPEED in unserer Praxis etabliert, wobei der Fokus mehr und mehr auf dem Empower-System (Abb. 5a–c) liegt. Denn dieses weist gleich mehrere Vorteile auf.
Optionale konventionelle Ligierbarkeit
Von Vorteil hat sich aus unserer Sicht die Kombination aus Vier-Flügel-Bracket und SL-Clip erwiesen, sodass eine zusätzliche Ligierbarkeit möglich ist. Diese erweist sich beispielsweise von Nutzen, wenn der Clip mal brechen sollte oder elastisch deformiert ist. So muss in einem solchen Fall das Bracket nicht ersetzt werden. Vielmehr wird es einfach wie ein konventionelles Vier-Flügel-Bracket mithilfe von Metallligaturen genutzt und ligiert (Abb. 2). Die optionale Ligierbarkeit ist auch von Vorteil bei Fällen mit stark rotierten Zähnen. Denn hier kann mittels Ligatur über den Clip der Bogen zusätzlich gesichert und im Bracketslot fixiert werden. Die Derotationskomponente wird somit erhöht. Der Autor nutzt die Ligierbarkeit auch im Bereich der UK-Frontzähne, wenn Patienten intensiv Klasse II-Gummizüge tragen sollen. So kommt es im UK-Frontzahnbereich friktionsbedingt bei SL-Brackets gelegentlich zum Aussteigen des Bogens aus dem Slot. Werden hingegen von 32 bis 42 Ligaturen eingesetzt, kann dieser Nebeneffekt verhindert werden. Zudem ist die Ligierbarkeit bei Einsatz von gezieltem Einzelzahntorque von Vorteil.
Flexibilität in der Bogenfolge (Beibehaltung des Gewohnten)
Große Veränderungen in der aus der konventionellen Straight-Wire-Technik gewohnten Bogenfolge sind nicht erforderlich.
Beibehaltung des gewohnten Klebeprotokolls
Einer der Hauptvorteile des Empower-Brackets stellt dessen Vier-Flügel-Design dar. Dadurch kann es wie ein konventionelles Bracket geklebt werden, ohne dass eine Umstellung beim Klebeprotokoll erforderlich ist. Lediglich auf Kleberückstände im Bereich der Clipmechanik sollte geachtet werden, da dieser sonst nicht korrekt schließt oder blockiert. Trotz Clipmechanik wirkt das Bracket grazil.
Kombination interaktiv/passiv
Für das Empower-System spricht aus unserer Sicht auch die Kombination interaktiv–passiv. Durch Vorauswahl des entsprechenden Brackets kann z.B. die Friktion beim Lückenschluss reduziert werden. So kann dieser bei Nutzung einer Gleitmechanik besser erfolgen. Gleiches ist – das muss an dieser Stelle auch gesagt werden – aber auch mithilfe eines konventionellen Brackets und einer nicht zu festen Metallligatur erreichbar. Doch hier allerdings auf Kosten einer längeren Stuhlzeit beim Einbinden des Bogens.
Stuhlzeit beim Bogenwechsel
Der Stuhlzeitbedarf für die Bogenwechsel-Termine konnte in unserer Praxis deutlich reduziert werden. Da alle Bogenwechsel bei SL-Systemen bei uns allein durch den Arzt und ohne Stuhlassistenz erfolgen, konnte im Bereich Assistenzpersonal entsprechende Entlastung geschaffen werden.
Nachteile des Empower-Systems
Seltene Clipbrüche
Neben den, wenn auch sehr selten vorkommenden, Clipbrüchen – bei 200 Fällen sind lediglich 2 Clips an Zahn 33 und 14 durch das Ungeschick des Autoren beim Öffnen gebrochen – kam es gelegentlich zu Clipverbiegungen (3 Fälle). Clipbrüche durch den Gegenbiss konnten bisher nicht beobachtet werden.
Sensibilität der Clipmechanik
Nachteil des Empower, aber auch der übrigen Clipbrackets, ist der gelegentlich nicht vollständig geschlossene Clip. Das heißt, der Bogen ist zwar gesichert und wird vom Clip gehalten (Abb. 6). Er liegt jedoch nicht voll auf dem Slotboden, sodass der Clip nicht komplett einrasten kann. Beim Bogenwechsel sollte daher gezielt auf den vollständigen Clipschluss geachtet werden.
Zusammenfassung
Resümierend können wir feststellen, dass durch das Empower-System die Stuhlzeit für den Standardbogenwechsel am Nachmittag verkürzt wurde, wodurch eine Verlagerung im Bereich der Mitarbeiteraufgaben erfolgte. Durch die Ligaturenfreiheit haben wir subjektiv den Eindruck der Vereinfachung im Mundhygienebereich für den Patienten. Eine Umstellung im Bereich Klebetechnik und Bogenfolge ist nicht zwingend notwendig. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist gut. Als große Vorteile sind das Vier-Flügel-Design und die damit verbundene Ligierbarkeit im Bedarfsfall zu nennen. Die Kombination interaktiv – passiv kann von Vorteil sein.