Oralchirurgie 08.03.2023
Narkosekomplikation in der Zahnarztpraxis: Ein Fallbericht
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Zahnmedizinische Eingriffe können mitunter zu einer echten Herausforderung werden - sowohl für Behandler als auch Patient -, hat man es mit Menschen zu tun, die mit Ängsten und Stresszuständen kämpfen. Um diesen Patienten dennoch eine möglichst entspannte Behandlung zu ermöglichen, stehen dem Zahnarzt bzw. Oralchirurgen verschiedene Formen der Betäubung zur Verfügung. Diese aber erfordern ein gutes interdisziplinäres Fachwissen und aufeinander abgestimmt sein. Dr. Frank G. Mathers, Facharzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie vom Kölner Institut für dentale Sedierung (IDS) bespricht im Folgenden einen Patientenfall, der vom vermeintlich regulären Prozedere abwich.
Einleitung
Behandlungen unter Vollnarkose sind ein integraler Bestandteil der ambulanten zahnärztlichen Versorgung. Die meisten Patienten können in alleiniger Lokalanästhesie oder mit einer vom Zahnarzt selbst durchgeführten Sedierung, z. B. mit Lachgas und/oder oralen Benzodiazepinen, erfolgreich behandelt werden. Eine kleinere Gruppe von Patienten ist jedoch non-compliant und benötigt eine Intubationsvollnarkose.1 Die Indikation dazu wird individuell gestellt, aber häufige Diagnosen sind Angststörungen/Zahnbehandlungsphobie, Anästhesieversagen, geistige Behinderung oder Kinder, die nicht in der Lage sind, zu kooperieren.2
Die Durchführung von Vollnarkosen in der Zahnarztpraxis erfordert die enge Kooperation zwischen Zahnarzt, Narkosearzt, Anästhesieschwester und ZFA. Die Verantwortungsbereiche sind zwar formal abgegrenzt, die Übergänge sind aber im klinischen Alltag oft fließend. Ob ein bestehendes System auch unter ungewöhnlichen Belastungen standhält, zeigt sich schnell in Notfallsituationen.
Fallbericht
Frau P. ist eine 17-jährige Patientin, mit einer vom Psychiater diagnostizierten Zahnbehandlungsphobie. Aufgrund einer anstehenden kieferorthopädischen Versorgung müssen alle vier Weisheitszähne chirurgisch entfernt werden. Die beiden Zähne im Oberkiefer sind verlagert und zahnärztlicherseits wird die Indikation zur Vollnarkose gestellt.
Einige Zeit vor dem geplanten Eingriff wird die Patientin von Anästhesisten zum Vorgespräch in der Zahnarztpraxis gesehen. Anamnese und Untersuchung ergeben eine American Society of Anesthesiologists (ASA) 1 Klassifikation, d. h. eine vollkommen gesunde Patientin. Anästhesiologische Besonderheiten werden nicht festgestellt, sodass die Patientin zur Narkose aufgeklärt und ca. zwei Wochen später zur Behandlung einbestellt wird.
Am Eingriffstag ist die Patientin seit acht Stunden nüchtern. Sie wird im Zahnarztstuhl mit Polstern gelagert, an die üblichen Monitore (EKG, RR, SpO2, EtCO2) angeschlossen und die Vollnarkose wird von der Anästhesieschwester intravenös eingeleitet. Die Maskenbeatmung ist ohne Probleme möglich und der erste Versuch zur nasotrachealen Intubation wird unternommen. Dem Anästhesisten gelingt die Visualisierung der Stimmbänder nicht. Das blinde Vorschieben des Endotrachealtubus führt in den Ösophagus. Bei Intubationsschwierigkeiten lautet die erste Regel „Hilfe herbeiholen“, sodass der Zahnarzt und die ZFA vom Anästhesisten zur Hilfe herbeigerufen werden. Die Patientin wird zu einem weiteren Intubationsversuch anders gelagert; der Kopf wird angehoben und rekliniert. Der zweite Intubationsversuch, diesmal orotracheal, gelingt ebenfalls nicht. Die ZFA entlastet die Anästhesieschwester und beobachtet kontinuierlich die Sauerstoffsättigung und kardiovaskuläre Parameter. Sie meldet eine kontinuierliche Sauerstoffsättigung von > 98 Prozent, auch unter den beiden erfolglosen Intubationsversuchen. Zahnarzt und Anästhesist besprechen die weiteren Optionen: Supraglottischer Atemweg (z. B. Larynxmaske, iGel) und Abbruch der Operation oder erneuter Intubationsversuch per Videolaryngoskopie, mit der Option, den Eingriff durchzuführen. Nach kurzer Beratung fällt die Entscheidung auf einen erneuten Intubationsversuch mit Videolaryngoskopie.
Die Maskenbeatmung ist effektiv mit durchgehend stabilen Werten beim Monitoring, sodass der Zahnarzt mit dem Anästhesisten die weitere Beatmung sicherstellt. Die Anästhesieschwester bereitet das Videolaryngoskop vor und die ZFA überwacht das Monitoring. Zur Vertiefung der Narkose spritzt der Anästhesist weitere 100 mg Propofol.
Der Anästhesist und die Anästhesieschwester führen die Videolaryngoskopie erfolgreich durch und die Patientin lässt sich nunmehr problemlos nasotracheal intubieren und beatmen. Zahnarzt und ZFA übernehmen wieder die zahnmedizinische Behandlung und der weitere Narkoseverlauf ist unauffällig. Postoperativ kann die Patientin normal extubiert werden und ein Telefonat einige Tage nach dem Eingriff ergibt keine weiteren Folgen wie Halsschmerzen, Blutungen, Atemprobleme o. Ä. Die Patientin wird über den Sachverhalt aufgeklärt und ein Anästhesiepass wird ausgestellt, um Anästhesisten bei zukünftigen Narkosen zu warnen.
Diskussion
Die schwierige oder nicht mögliche Intubation ist der häufigste Grund für Atemwegstrauma, hypoxische Hirnschäden und Todesfälle in der Anästhesiologie (Tab. 1).3, 4 In den letzten 20 Jahren wurden mehrere Instrumente zum erweiterten Atemwegsmanagement eingeführt. Extraglottische Atemwegshilfen (z. B. Larynxmaske, iGel), die Videolaryngoskopie und die fiberoptische Intubation konnten erheblich dazu beitragen, dass schwerwiegende Folgen bei Intubationsschwierigkeiten deutlich reduziert wurden.5
Es gehört zum Basiswissen des Anästhesisten und der Anästhesiepflegekraft, stets die aktuellen Algorithmen für die schwierige Intubation präsent zu haben (Abb. 1). Ständiges Lernen ist hier erforderlich, denn die Regeln ändern sich kontinuierlich mit jeder neuen Generation an Technik.6 Versagt die konventionelle direkte Laryngoskopie, müssen zurzeit folgende fortgeschrittene Methoden erwogen werden (Abb. 1):
- Videolaryngoskopie (Abb. 2)3
- Extraglottische Atemwegshilfe (Abb. 3)7
- Fiberoptische Intubation8
Die Entscheidung darüber, welche Technik zum Einsatz kommt, ist multifaktoriell. Zum einen spielt die Kompetenz und Vertrautheit des Anästhesisten mit dem jeweiligen Verfahren eine Rolle. Zum anderen ist der Input des Zahnarztes von großer Bedeutung, da Faktoren, die aus der Behandlung selbst erwachsen, ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Im vorliegenden Fall wurde entschieden, die Videolaryngoskopie einzusetzen, da z. B. extraglottische Atemwegshilfen eine Beatmung ermöglicht hätten, dabei aber die zahnärztliche Behandlung im Bereich der dritten Molaren verhindert hätte. Bei dieser Patientin gelang die Zwischenbeatmung mit der Maske problemlos, sodass Zahnarzt und Anästhesist Zeit hatten, sich über das weitere Prozedere zu beraten. Die Entscheidung fiel auf die videolaryngoskopische nasotracheale Intubation, um den Weg für die eigentliche Behandlung offenzuhalten. Hinzu kommt, dass die nasotracheale videoskopische Intubation eine höhere Erfolgsrate zeigt als die orotracheale Intubation, sodass auch aus rein anästhesiologischer Sicht diese Methode Erfolg versprechender erschien.10
Im vorliegenden Fall wurde eine potenziell lebensbedrohliche Situation leitliniengerecht und situationsangepasst gemanagt. Durch Einbringung des Wissens und der Kompetenz von allen Beteiligten, Zahnarzt, ZFA, Anästhesieschwester und Anästhesist, wurde die Behandlung sicher und mit Erfolg abgeschlossen.
Autoren: Dr. Frank G. Mathers, Gabi Walgenbach, Dr. Christian Empt, Michaela Spahn
Die Literaturliste zum Beitrag ist hier aufrufbar.
Dieser Beitrag ist im OJ Oralchirurgie Journal erschienen.