Oralchirurgie 24.06.2025

Trypanophobie: Wenn Angst vor Spritzen zur Gesundheitsgefahr wird



Die Angst vor Spritzen (Trypanophobie) ist weitverbreitet und kann zu einer ernsthaften medizinischen Problematik werden, wenn notwendige Behandlungen vermieden werden. Dieser Beitrag zeigt aus Sicht einer betroffenen Oralchirurgin auf, wie diese Angst erkannt, verstanden und systematisch behandelt werden kann – mit praktischen Strategien für die ärztliche Praxis.

Trypanophobie: Wenn Angst vor Spritzen zur Gesundheitsgefahr wird

Foto: BurntRedHen – stock.adobe.com

Die Trypanophobie betrifft nach Schätzungen bis zu 10 % der Bevölkerung, quer durch alle Altersgruppen und Bildungsniveaus. Für viele dieser Menschen ist der Gedanke an eine Nadel mit Panik, Kreislaufreaktionen oder sogar Ohnmacht verbunden. Die Konsequenz: essenzielle medizinische Leistungen wie Impfungen, Blutabnahmen oder Zahnarztbesuche werden vermieden, mit potenziell gravierenden gesundheitlichen Folgen.

Perspektive einer Betroffenen und Behandlerin

Als praktizierende Oralchirurgin und ehemalige Oberärztin ist es mir ein persönliches Anliegen, diese Angst ernst zu nehmen. Denn ich selbst litt jahrelang an einer ausgeprägten Spritzenphobie. Ein kaum erklärbarer Zustand, wenn man auf der anderen Seite der Nadel steht. Diese doppelte Perspektive hat mich motiviert, Wege aus der Angst zu finden und sie in meinem Buch zusammenzufassen, das inzwischen tausenden Leser:innen geholfen hat.

Medizinische Relevanz der Spritzenangst

Die Vermeidung medizinischer Maßnahmen aus Angst vor Injektionen birgt Risiken:
• Versäumte Impfungen fördern die Ausbreitung vermeidbarer Infektionskrankheiten.
• Keine Blutuntersuchungen bedeuten entgangene Früherkennung z. B. bei Diabetes, Anämien oder Tumorerkrankungen.
• Zahnärztliche Vernachlässigung kann zu systemischen Folgeerkrankungen wie Endokarditis oder diabetischer Entgleisung führen.

Psychosomatik und Teufelskreis der Vermeidung

Trypanophobie ist selten eine reine „Panik vor Schmerz“. Häufig spielen tieferliegende Kontrollverlustängste, frühkindliche Traumata oder mangelnde Information eine Rolle. Jede vermiedene Situation verstärkt das Sicherheitsbedürfnis, in klassischer Vermeidungskreislauf, der die Phobie chronifiziert.

Interventionen in der ärztlichen Praxis

Das Gute: Es gibt wirkungsvolle Strategien, auch im ambulanten Setting.

Dazu gehören:
• Psychoedukation: Transparente Aufklärung über den Ablauf der Injektion.
• Systematische Desensibilisierung: Schrittweises Heranführen durch z. B. Bilder, Videos oder Simulationsmodelle.
• Achtsamkeitsbasierte Techniken: Atemübungen (z. B. 4-7-8-Atmung), Visualisierung sicherer Orte.
• Sedierungsangebote: Wenn erforderlich, z. B. bei stark beeinträchtigten Patient:innen.
• Therapieempfehlung: Bei chronifizierter Phobie sollte an verhaltenstherapeutisch orientierte Psycholog:innen überwiesen werden.

Fazit für die Praxis

Spritzenangst ist keine Bagatelle, sondern ein reales, oft tabuisiertes Problem mit weitreichenden Folgen. Der offene Umgang damit, kombiniert mit gezielter Intervention, kann nicht nur Angst reduzieren, sondern Gesundheit retten. Ärzt:innen jeder Fachrichtung sind aufgerufen, Symptome ernst zu nehmen, statt sie zu bagatellisieren.

Literatur:
Psenicka, N. Angst vor dem Spritzen verlieren – Wie man die Angst beim Arzt und Zahnarzt loswird, KORDONI Verlag, 2024.

Zur Person


Dr. Nina Psenicka ist Oralchirurgin, Dozentin und High-Performance-Coachin. Sie verbindet medizinisches Fachwissen mit mentalem Training und begleitet Fach- und Führungskräfte hin zu gesunder Leistungsfähigkeit. Mit ihrer Akademie, Vorträgen und Büchern setzt sie auf klare Strategien statt Selbstoptimierungsdruck.

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