Parodontologie 26.03.2013

Pathogenese der Parodontitis bei rheumatologisch ­erkrankten Patienten



Pathogenese der Parodontitis bei rheumatologisch ­erkrankten Patienten

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In letzter Zeit wurde immer deutlicher, dass eine Assoziation zwischen Parodontitis (PD) und dem Risiko von systemischen Erkrankungen besteht. PD und rheumatologische Erkrankungen wie ­rheumatoide Arthritis (RA) weisen gemeinsame pathogenetische und immunpathologische Aspekte auf. Von Jacqueline Detert*, Nicole Pischon**  und Frank Buttgereit*, Berlin.

80 bis 90 Prozent der Bevölkerung weisen chronische, plaqueassoziierte Entzündungen der Gingiva und des Parodonts auf.1–9 Somit ­gehören diese Entzündungen zu den häufigsten Erkrankungen des Zahnhalteapparates.1–9 Dabei entwickelt sich zunächst eine primär bakteriell verursachte Entzündung des marginalen Parodontiums, die Gingivitis. Einerseits ist die Menge und Virulenz der Mikroorganismen und andererseits der Im­munstatus des Betroffenen Grundlage dafür, ob sich die Gingivitis bis zur parodontalen Destruktion als Parodontitis (PD) weiterentwickelt3, 10, 11

Wichtigste Risikofaktoren
Neben allgemeinen Funktionsunterschieden im angeborenen ­sowie erworbenen Immunsystem zur Abwehr pathogener Bakterien spielen neben der Mundhygiene nach gegenwärtigem Wissensstand noch weitere Risikofaktoren eine Rolle für die Entwicklung einer PD und deren Erscheinungsbild. Als Risikofaktoren wurden Adipositas, Unterschiede in der Ernährungsform als auch alterstypische Ver­änderungen identifiziert, aber auch Stress, Nikotin- und Alkoholabusus, der sozioökonomische Status, eine Reihe genetischer Faktoren (u.a. Polymorphismen, HLA-Gen-Assoziationen) als auch systemische Erkrankungen (u.a. Diabetes mellitus, Osteoporose, Atherosklerose, Myokardinfarkt, Apoplex) identifiziert werden.12, 140, 141 Aber auch Patienten mit einer PD weisen ein erhöhtes Risiko für systemische ­Erkrankungen auf.23 Die „parodontale Medizin“ ­beschäftigt sich mit der Untersuchung dieser Zusammenhänge. In den vergangenen Jahren ist auch eine Assoziation zwischen der PD und rheumatologischen Erkran­kungen (RA, Sjögren-Syndrom) bekannt.

Chronische PD
Entzündliche Parodontalerkrankungen wurden lange Zeit als unspezifische Infektionskrankheit angesehen. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass nicht primär die Quantität bakterieller Plaques,25 sondern qualitative Plaqueveränderungen sowie das Überwuchern von parodontalpathogenen Keimen die Entzündungsreaktion verursachen.26 Insbesondere gram-­negative, anaerobe Bakterien bilden auf der Zahnoberfläche als bakterielle Plaque einen Biofilm,27 wobei derzeit 20 Bakterienspezies bekannt sind, die eine PD auslösen können. Dazu gehören Porphyromonas ­gingivalis, Prevotella intermedia, Tannerella forsythia oder Aggregati­bacter actinomycetemcomitans.28–30 Die Bakterien erhalten mit dieser Biofilmbildung einen Schutz vor immunologischen Abwehrmechanismen des Wirtes als auch vor ­antibiotischen Wirkstoffen33 und Mundhygienemaßnahmen, wodurch deren Pathogenität enorm gesteigert wird.32 Unter Umgehung der Abwehrmechanismen mit Leukotoxinen und immunglobulinspaltende Substanzen32 synthetisieren sie eine Reihe toxischer Substanzen (LPS; Zytokine), und Enzyme (neutrale Phosphatasen, Kollagenasen), die gewebedestruierend wirken34, 35 und die Immunantwort mit der Bildung von verschiedenen Abwehrzellen und Antikörperbildungen provozieren.31–34 Die Unterbrechung des Entzündungskreislaufes mit Progress der PD ist nun abhängig von der ­Immunreaktion des Wirtes und the­rapeutischer Möglichkeiten.



PD und rheumatoide Arthritis (RA)

Die RA weist ähnlich wie die PD als chronisch entzündliche Gelenk­erkrankung einen Verlust von bindegewebigen und mineralisierten Strukturen auf. Klinisch und his­tologisch stellt sich das Bild einer Synovitis als Ausdruck der Akkumulation eines proinflammatorischen Zellinfiltrates dar. Diese wird als Ursache für den Abbau von ­Knochen- und Knorpelgewebe im Gelenk angesehen. Die Ätiologie der RA ist unverändert unklar, wobei auch hier in­dividuelle Faktoren, wie z. B. Alter und Geschlecht, genetische Faktoren (z.B. HLA-Genotyp) als auch Umweltfaktoren (Nikotin- und ­Alkoholkonsum) diskutiert werden.65–67, 90 Bei beiden Erkrankungen scheint die Reaktion auf einen Entzündungsreiz überschießend und möglichweise fehlgesteuert zu sein. Auch für die RA konnten ebenso wie bei der PD hohe Anteile entzündungsfördernder Zytokine (IL-1, IL-6 und TNF-a) nachge­wie­sen werden. Eine PD kann möglicherweise den Verlauf einer RA beeinflussen, aber nicht den Schweregrad der Synovitis.92–94

Periodontale Infektionen und RA
Durch den Nachweis bakterieller anaerobischer DNA und hohem Antikörpertiter gegen Anaerobier im Serum als auch in der Synovialflüssigkeit68–70, 89, 91, 141 und die Behandlungserfolge mit verschiedenen Antibiotika bei RA-Patienten (z. B. Ornidazol, Levofloxacin und Clarithromycin)78–80 werden Infektionen, vor allem orale Infektionen,71–73 immer wieder ursächlich für die Erkrankung diskutiert. ­Dabei wird angenommen, dass ­pathogene Bakterien der Mundhöhle eine chronische Bakteriämie unterhalten und zu einer poten­ziellen Schädigung anderer Organe (Gelenk, Endokard) führen können.74, 75 Vor allem weisen PD-Patienten ein höheres Risiko für eine Bakteriä­mie auf.76 Insbesondere P. gingivalis scheint sowohl in der Entstehung und Progression der PD als auch im Prozess dieser Bakteriämie eine Rol­le zu spielen.77 Das Bakterium kann die Epithelintegrität beeinträchtigen78 und in humane Endothelzellen eindringen als auch die Transkription und die Proteinsynthese beeinflussen.79, 80 Damit ist der systemische Zugang der Bakterien zum Blutkreislauf und anderen ­Organsystemen gewährleistet. Mithilfe der LPS sind sie in der Lage, den Abbau von extrazellulärer Knorpelmatrix in Knorpelexplantatkulturen zu initiieren.81–84 P. gingivalis ist das derzeit einzige bekannte Bakterium, welches die Peptidyl-Arginin-Deiminase (PAD) exprimieren kann und somit einen wichtigen Pathogeni­tätsfaktor der RA darstellt.85–88 Die PAD existiert beim Menschen in fünf Isoformen, wobei die Isoform 4 (PADI4) als die wichtigste für die Autoimmunität gilt. Die PADI4 ­findet sich in vielen Zellen, wie T- und B-Lymphozyten, Neutrophilen, Eosinophilen, Monozyten und natürliche Killer(NK)-Zellen als auch in den Makrophagen der Synovia. Eigentlich ist das PADI4-Enzym inaktiv, aber bei oxidativem Stress oder während der Apoptose gelangt Kalzium in die Zellen und aktiviert dieses Enzym.95 Es kommt zur Citrullinierung von Vimentin, Fibrin, Kollagen und der a-Enolase und somit zur Erhöhung der Antigenität.
Die Citrullinierung ist ein weit verbreitetes Phänomen in der normalen Physiologie und bei der ­Entzündung.87 Daraus entstehende modifizierte Proteine (Anti-Protein-Citrullin-Antikörper; APCA) werden in mehr als 80 Prozent der RA-Patienten gefunden.96, 97 Die PAD von P. gingivalis weist keine vollständige Homologie zur humanen PAD auf,88 aber die Fähigkeit von P. gingivalis, Proteine zu citrulli­nieren, ist einzigartig. Dabei generiert es citrullinierte Wirtspeptide durch proteolytische Spaltung von Arg-X-Peptidbindungen mit Arginin-Gingipainen, worauf die Citrullinierung der carboxy-ter­mi­nalen Arginine durch die bak­te­rielle PAD97 folgt. Diese durch P. gingivalis vermittelte Citrullinierung von Bakterien- und Wirtsproteinen kann somit einen molekularen Mechanismus zur Erzeugung von Antigenen darstellen, der die autoimmune Antwort bei RA triggern könnte.97 Möglicherweise ­fördern parodontale Infektionen mit Pathogenen wie P. gingivalis in Assoziation mit einer genetischen Prädisposition entzündliche Erkrankungen wie die RA bzw. wirken sich immunregulierend auf den RA-Verlauf aus.89, 98



Rheumafaktor bei der PD

Interessanterweise konnte der Rheumafaktor in der Gingiva, der subgingivalen Plaque und im Serum von PD-Patienten nachgewiesen werden, der üblicherweise bei der RA und anderen chronischen Erkrankungen vorhanden ist.99 Dabei lassen sich bei seropositiven PD-Patienten erhöhte IgG- und IgM-Antikörpertiter gegen orale Mikroorganismen nachweisen.100 Des Weiteren zeigte der Rheumafaktor seropositiver Patienten eine Kreuzreaktion mit oralen bakteriellen Epitopen.101 Die P. gingivalis Proteinase als wichtigster Virulenzfaktor für das Wachstum und die Gewebezerstörung ist für die Epitop-Entwicklung in der RF-Fc-Region verantwortlich.102 Der Rheumafaktor hat al­lerdings keinen Einfluss auf die ­parodontale Situation und auf die Mikroorganismen.103

Genetische Assoziation, ­Virulenzfaktoren und PD

  • HLA-DR: Wie bei der RA gibt es Kandidatengene, HLA-DR-Polymorphismen, die möglicherweise mit einer erhöhten wirtsgebundenen erhöhten Anfälligkeit des Immunsystems für eine PD verbunden sind, insbesondere HLA-DR4 codierende DRB1*04-Allele.104 Dabei wurde insbesondere ein Zusammenhang zwischen HLA-DRB1 Shared Epitope (SE) und schwerer PD (chronische/aggressive), stratifiziert nach ethno­geografischer Herkunft gefunden.105 Bei PD-Patienten wurde mit einem Anteil von 42 Prozent häufiger einer der DRB1-Subtypen *0401, *0404, *0405 oder *0408105 nachgewiesen, wobei diese Subtypen auch bei anderen Entzündungskrankheiten (un­ter anderem RA) vorkommen.106 Beim Subtypus HLA-DRB1*0401 kommt es zur CD4+-T-Zellen-Aktivierung, die ihrerseits den Prozess der ACPA-Bildung ini­tiieren,107 wobei Vimentin ein Kan­di­datenprotein für die T-Zell-Er­ken­nung ist.108
  • Protein Tyrosin Phosphatase Gen – PTPN22: Das Gen kodiert die Tyrosin-Phosphatase mit einer wichtigen Funktion in der ­Regulation der T- und B-Zellaktivierung. Insbesondere beim Rauchen, das vor allem für die ACPA-positive RA mitverursachend scheint und einen nachweisbaren Zusammenhang zu HLA-DRB1-Allele – SE zeigt,109 liegt offenbar eine additive Interaktion zu PTPN22 vor.110
  • Terminaler Galaktosemangel des IgG RF: Immunglobuline der Klasse IgG fungieren als Antigene, wobei bei RA-Patienten das IgG anders glykolysiert vorliegt. Bei 60 Prozent fehlt in den Kohlen­hydratgruppen des Fc-Teils die terminale Galaktose im Vergleich zu Gesunden und geht mit einer schlechteren Prognose im Krankheitsverlauf einher.111 Prevotella melaninogenica kann als saccha­rolytisches Bakterium an der Fc-­Region des IgG-Moleküls binden und Galaktose mit seinem Enzym metabolisieren.112 Andererseits gibt es auch Bakterien, die durch Galaktose (Gal) oder Nacetylgalaktosamine (GalNAc), unter anderem Kohlehydrate, gehemmt werden.113 Untersuchungen zeigen, dass hypogalaktosylierte Glykoformen vor allem im Stadium der Gingivitis vorkommen111 und Patienten schwerer PD ebenfalls weniger Galaktose in ihren Zuckerketten enthalten.112 
  • Superantigene und Hitzeschockproteine: Am variablen Teil der beta-Kette des T-Zellrezeptors (TCR) befindet sich die Region V beta (Vb), die als Bindungsstelle für Superantigene identifiziert wurde. Superantigene als hitze­stabile, hydrophile Moleküle sind imstande, TCR und MHC II-Molekül quasi miteinander zu „verkleben“,113 wodurch ein Dauersignal in der T-Zelle ausgelöst wird.114 T-Zellrezeptoren des Vß-Genes (Vß -6, -8,-14, -17) sind bei RA-Patienten häufiger als in der Kontrollgruppe.115, 116 P. intermedia kann ähnlich die Expression von Vß-8 und Vß-17 Gene in CD4(+)-T-Zellen spezifisch stimulieren.117 P. gingivalis und P. intermedia ­steigern die Expression von Vß-6 und Vß-8 (Superantigene bei RA).118

Hitzeschockproteine (HSPs), die die Zelle vor Stress schützen, werden ebenfalls mit der Patho­ge­nese der RA in Verbindung ­ge­bracht119–123 und im Serum als auch der Synovia von RA-Patienten ein hoher Level oraler bakterieller 70 kDa-HSP gefunden.90, 124 P. melaninogenica-HSP und P. in­termedia-HSP wurden ebenfalls im perio­don­talen Erkrankungsprozess nach­gewiesen.126 Allerdings sind Superantigene und HSP nicht spezifisch für orale ­Bakterien.125
Neben diesen genannten Vi­rulenzfaktoren gibt es eine Reihe ­weiterer Enzyme und genetischer Polymorphismen, die sowohl den Entzündungsprozess bei RA und PD unterhalten als auch für den ­Abbau der Interzellularsubstanzen und des kollagenen Stützgerüstes ursächlich sind und im Zusammenhang beider Erkrankungen weiter erforscht werden müssen.

Autoimmunerkrankungen und parodontale Mikrozirkulation
Bei vielen Autoimmunerkrankungen sind mikrovaskuläre Ver­änderungen oft die ersten Verän­derungen im Erkrankungsverlauf. So zeigte sich bei RA-Patienten im Vergleich zu den gesunden ­Probanden kaliberreduzierte und ­elongierte Kapillaren als auch eine erhöhte Anzahl,127 im Gegensatz zu Patienten mit einer progressiven Sklerodermie mit einer reduzierten Kapillaranzahl, einem größeren ­Kapillardurchmesser und einer vermehrten Schlängelung.128 Mit dem Sjögren-Syndrom ist eine Änderung an den Kapillaren und die ­Beschaffenheit der interdentalen Mikrozirkulation in Form von reduzierten Kapillarkalibern mit einer größeren Anzahl an Kapillaren und eine vermehrte Schlängelung der Kapillarschlingen verbunden.129 Eine aktuelle Untersuchung zeigte bei Patienten mit einem systemischen Lupus erythematodes eine vermehrte Kapillardichte.130 Bei den bisher untersuchten Erkrankungen gibt es zu dieser nachweisbaren veränderten Mikrozirku­lation deutliche Zusammenhänge im Auftreten von PD.


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PD und weitere ­Autoimmunerkrankungen

  • Sjögren-Syndrom: Im Verlauf des Sjögren-Syndroms akkumulieren die Patienten sehr schnell bakterielle Zahnplaque aufgrund der abnehmenden Speicheldrüsensekretion.131 Dabei zeigen sich häufig höhere Plaquewerte, Sulkusblutungen, höhere Sondierungstiefen und ein vermehrter Parodontal­index sowie ein damit verbundender erhöhter Attachmentverlust im Vergleich zu gesunden Probanden. Antikörper gegen Streptococcus oralis sind bei Sjögren-Patienten deutlich niedriger, dagegen zeigen sie höhere Antikörpertiter gegen Actinobacillus actinomycetemcomitans und P. gingivalis.132, 133 Auch für Sjögren-Patienten wurde ein erhöhtes Risiko für die ­Entwicklung einer parodontalen Erkrankung (Odds Ratio 5.5) nachgewiesen,134 wobei die gingivale Inflammation beim primären ­Sjögren-Syndrom häufiger vorhanden ist.135 
  • Progressive systemische ­Sklerose (PSS): Bei PSS-Patienten zeigt sich eine mangelhafte gingivale Durchblutung im Bereich der Gingiva, die sowohl in der Ka­pillarmikroskopie als auch durch einen verminderten vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor­nachweis (insbesondere VEGF-A und VEGF-C) dargestellt werden kann. Als PD-Vorstufe zeigen sich häufig entzündliche Infiltrate.136, 137 Als Folge der Xerostomie und Mikrostomie ist bei diesen Pa­tienten mit weiteren entzündlichen Veränderungen und Verlusten des Zahnhalteapparates zu rechnen.166 
  • Spondyloarthritis anky­losans (AS): Die AS gehört zu den bewegungseinschränkenden Erkrankungen, die in der Folge durch eine eingeschränkte Mundhygiene zu einer Plaqueakkumulation und somit zu einer PD führen kann.138, 139

Die vollständige Literaturliste finden Sie hier.

Autoren: Jacqueline Detert*, Nicole Pischon** und Frank Buttgereit*

* Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik m.S. Rheumatologie und Klinische Immunologie
** Charité – Universitätsmedizin Berlin, Centrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Abt. für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie

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