Parodontologie 20.06.2014

Innovative Verfahren in der konservativen Parodontitistherapie



Innovative Verfahren in der konservativen Parodontitistherapie

Teil 2

In der klinisch kontrollierten mikrobiologischen prospektiven und randomisierten Studie wird die Effektivität eines Behandlungskonzepts zur Dekontamination biofilmbesiedelter Wurzeloberflächen mit niedrigabrasiver Pulverstrahltechnik im Vergleich zum Einsatz der Ultraschalltechnik dargestellt. Der zweite und letzte Teil des Fachbeitrags beschäftigt sich mit den Ergebnissen beider antiinfektiver Therapiemethoden in Form der klinischen und mikrobiologischen Parameter nach drei Monaten (p < 0,05).

Die Zielstellung dieser Studie bestand darin, die klinischen und mikrobiologischen Ergebnisse während der konservativen Parodontitis-/Periimplantitistherapie mit einem niedrigabrasiven subgingivalen Pulverstrahlsystem, dem AIR-N-GO PERIO® (Abb. 1), im positiven Vergleich zu der Ultraschall Newtron®-Technologie über einen Zeitraum von drei Monaten an insgesamt 60 Patienten zu bewerten.


Abb. 1: AIR-N-GO PERIO®-Gerät der Firma ActeonTM mit seinem subgingivalen Ansatz


Ergebnisse

Demografische Daten

Insgesamt 37 der rekrutierten Patienten (61,67 Prozent) waren weiblich und 23 waren männlich (38,33 Prozent); der Anteil der in die Studie eingeschlossenen Raucher betrug 37,5 Prozent. Alle Patienten wurden gemäß dem Untersuchungsprotokoll nachuntersucht.

Untersuchungsprotokoll

Alle in die Untersuchung aufgenommenen Patienten (n = 60) verblieben für den gesamten Beobachtungszeitraum von drei Monaten in der Studie; die Anzahl der untersuchten Zähne änderte sich nicht.


Tab. 1: Mittelwerte der STM-, BOP-, GR- und CAL-Werte zur Baseline-Untersuchung (BL), sechs Wochen (na6Wo) und drei Monate (na3Mo) nach therapeutischer Intervention für den/das mikrobiologischen Untersuchungszahn/-implantat.

Klinische Parameter

In den Parodontitis-Gruppen wurden 120 Taschen mit STM zwischen 4 und 12 mm behandelt und mikrobiologisch untersucht (Tab. 1, Seite 84). Jeweils 60 Taschen wurden mit den beiden untersuchten Schalltherapiesystemen instrumentiert. In den Periimplantitis-Gruppen wurden 30 Implantate verschiedener Hersteller therapiert (Tab. 1).

Die AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/PAR (Tab. 1) zeigte sechs Wochen postoperativ einen durchschnittlichen klinischen Attachmentgewinn von 1,66 mm für die untersuchten Stellen an den mikrobiologischen Untersuchungszähnen (mittlere Reduktion der Sondierungstiefe von 1,2 mm). In der AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/IMPLA konnte nach sechs Wochen ein klinischer Attachmentgewinn von 0,25 mm gezeigt werden. Der BOP-Wert verringerte sich in der AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/PAR auf 0 und die gingivalen Rezessionswerte fielen auf 1,73 mm in diesem Zeitraum ab. Die AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/ IMPLA zeigte dagegen nach sechs Wochen eine Erhöhung des BOP-Wertes auf 13 Prozent in beiden Gruppen bei nahezu unveränderten Rezessionswerten. Nach drei Monaten zeigten beide AIR-N-GO PERIO®-Gruppen einen durchschnittlichen Gewinn an klinischem Attachment für die Stellen an den mikrobiologischen Untersuchungszähnen/Implantaten von 2,33 mm (Reduktion der Sondierungstiefe von 2,6 mm) respektive 0,25 mm. Der BOP-Wert stieg in diesen Gruppen wieder leicht auf 27 Prozent/17 Prozent an und die gingivalen Rezessionswerte erhöhten sich in der Parodontitis-Gruppe auf 2,47 mm zum Abschluss der klinischen Untersuchungen, während in der Implantatgruppe eine Rezessionsabnahme von 0,25 mm nachzuweisen war.

Diese klinischen Ergebnistrends der mikrobiologisch untersuchten Zähne konnten auch in den Untersuchungszahlen an allen therapierten Parodontien nachgewiesen werden (Ergebnisse nicht dargestellt). Die klinischen Werte waren in der Differenzbetrachtung nach drei Monaten statistisch signifikant verbessert.

Mikrobiologische Ergebnisse

Mikrobiologische Zusammensetzungen in den beiden Testgruppen

Für jeden Patienten wurde eine gepoolte Probe pro Untersuchungszeitraum erstellt. Der semiquantitativen Auswertung konnte eine absolute Anzahl der Keime zugeordnet werden (Grimm 2005). Die Nachweisgrenze des Testverfahrens lag bei 104 Keimen. Insgesamt konnte durch den Test keine Serotypisierung von A. actinomycetemcomitans vorgenommen werden. Aus diesem Grund fehlen qualitative Aussagen zur Virulenz und zur erwartenden parodontalen/periimplantären Erkrankungswahrscheinlichkeit oder -aktivität bzw. eines zu erwartenden Attachmentverlustes/Osseointegrationsverlustes unter Berücksichtigung einer Prävalenz von A. actinomycetemcomitans. Untersucht wurden die Ergebnisse für die vier parodontalen/periimplantären Markerkeime A. actinomycetemcomitans (Aa), T. forsythus (Tf), P. gingivalis (Pg), T. denticola (Td) und zusätzlich die Gesamtzahl der Markerkeime (TBL); die Angabe erfolgte jeweils in Mio. Erreger pro Milliliter Sulkusflüssigkeit. Die mikrobiologischen Untersuchungsergebnisse sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Aa wies präoperativ zum Zeitpunkt BL in den Untersuchungsgruppen die geringste Konzentration (0,71 x 106 bzw. 0,04 x 106) von allen unersuchten Spezies auf. Unmittelbar post interventionem zeigte sich die Konzentration des Keimes auf 0,002 (AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/PAR) bzw. auf 0 (AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/IMPLA) reduziert. Sechs Wochen nach der Behandlung war die Prävalenz des Keimes in der AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/PAR auf 0 reduziert und blieb auch drei Monate postoperativ in beiden Untersuchungsgruppen unter der Nachweisgrenze. Die drei anderen Spezies (Pg, Td, Tf) waren unmittelbar post interventionem in beiden Therapiegruppen deutlich reduziert, wobei die AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/PAR in der Verringerung des subgingivalen Biofilms leichte Vorteile gegenüber der AIR-N-GO PERIO®-Gruppe/IMPLA aufwies (nicht statistisch signifikant). Dieses Ergebnis gilt auch für den Vergleich beider Untersuchungsgruppen mit den jeweiligen Vergleichsgruppen bei einer insgesamt deutlich höheren Keimbelastung in der IMPLA-Gruppe über den gesamten Studienverlauf. Insgesamt erwiesen sich alle Therapieformen unmittelbar nach der Intervention und nach sechs Wochen für alle vier untersuchten Keime als erfolgreich. Auch drei Monate nach Abschluss der Therapie wiesen in allen Therapiegruppen die Keimbesiedlungen niedrigere Werte gegenüber der BL auf. Die Keime P. gingivalis und T. forsythensis waren zudem auf nochmals niedrigerem Niveau als bei der Messung unmittelbar nach der Intervention nachzuweisen. Lediglich A. actinomycetemcomitans zeigte in den Newtron®-Gruppen eine ansatzweise Rekolonisation nach der nahezu totalen Elimination zum Zeitpunkt na6Wo mit einem Anstieg auf 0,03 x 106 bzw. 0,27 x 106. Porphyromonas gingivalis war in den AIR-N-GO PERIO®-Gruppen auf 0,02/0,07 reduziert; das bedeutet eine mittlere Elimination von 84 Prozent/68 Prozent im Vergleich zum Ausgangsbefund (Ergebnisse nicht dargestellt). Der Keim T. forsythensis wies in den Newtron- Gruppen eine Reduktion auf 0,26/1,59 auf. Das entspricht einer mittleren Elimination von 59 Prozent/53 Prozent im Vergleich zum Ausgangsbefund (Ergebnisse nicht dargestellt).

Die mikrobiologischen Werte waren in beiden Untersuchungsgruppen in der Differenzbetrachtung nach drei Monaten statistisch signifikant verbessert.


Tab. 2: Mittelwerte der mikrobiologischen Analyse zur Baseline-Untersuchung (BL), sechs Wochen (na6Wo) und drei Monate (na3Mo) nach therapeutischer Intervention für den/das mikrobiologischen Untersuchungszahn/-implantat.

Diskussion

Klinische Ergebnisse

Alle in die Studie eingeschlossenen Untersuchungs- und Vergleichsgruppengruppen zeigten eine unauffällige postoperative Heilung. Daraus kann auf eine gute Verträglichkeit der beiden Behandlungsmethoden geschlossen werden. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die beobachteten absoluten Unterschiede zwischen den Ergebnissen der beiden Behandlungsgruppen sowohl in der PAR-Gruppe als auch in der IMPLA-Gruppe gering waren. Die Ergebnisse der vorliegenden klinischen Untersuchung zeigten sechs Wochen nach der konservativen Therapie mit den Pulverstrahlverfahren für beide Untersuchungsgruppen neben einer statistisch signifikanten Reduktion der Sondierungstiefen und einem statistisch signifikanten Gewinn an klinischem Attachment auch eine statistisch signifikante Verbesserung des Blutens auf Sondieren in der PAR-Untersuchungsgruppe. Beide AIR-N-GO PERIO®-Gruppen wiesen für alle untersuchten Zähne (Ergebnisse nicht dargestellt) verbesserte ST-Mittelwerte im Vergleich zwischen Baseline und den Werten nach sechs Wochen auf. Die Ergebnisse für das klinische Attachmentlevel zeigen einen ähnlichen Verlauf wie die Werte für die ST-Messungen. In der IMPLA-Gruppe ist diese Effizienz nicht so deutlich erkennbar und verweist auf die offensichtlichen Einschränkungen in der effektiven Reinigung infizierter Implantatoberflächen. Diese Ergebnisse sind für die PAR-Gruppe in Übereinstimmung mit Flemming et al. (2007) und Wennström et al. (2011), die für das mikroabrasive Verfahren eine Wurzeloberflächenreinigung in Abhängigkeit vom Schweregrad von 65 Prozent bis 80 Prozent (initiale und mittlere Sondierungstiefen) und 60 Prozent bis 75 Prozent bei einer ursprünglichen Sondierungstiefe von 5 bis 6mm erreichten. Für die IMPLA-Gruppe stehen unsere Ergebnisse in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Renvert et al. (2011), die für die ST-Werte eine vergleichbare Reduktion in der „AIR mikroabrasiven Therapiegruppe“ fanden (0,9 mm).

Bei unseren Untersuchungen, besonders bei den CAL-Werten, zeigte sich für alle Untersuchungsgruppen ein typischer Kurvenverlauf über den Studienzeitraum. Relativ hohe ST- und CAL-Werte zu Beginn der Studie, die sechs Wochen nach erfolgter Behandlung sowohl mit dem Newtron® als auch mit dem AIR-N-GO PERIO® deutliche Verbesserungen zeigen. Die leichte Zunahme der GR im Vergleich zum Ausgangsbefund spiegelt die verbesserte Entzündungssituation des marginalen Parodonts bzw. der periimplantären Gewebe nach der Schalltherapie wider. Mit unserem Study-Design konnten wir allerdings nicht zeigen, ob diese Behandlungsergebnisse nach sechs Monaten immer noch konstant gut sind. Das in unserer Studie verwendete subgingivale mikroabrasive Pulverstrahlverfahren AIR-N-GO PERIO® zeigte in beiden Therapiegruppen in einigen klinischen und mikrobiologischen Parametern eine statistisch nicht signifikante Überlegenheit gegenüber dem US-Newtron®-Verfahren; die beobachteten Unterschiede waren jedoch aus klinischer Sicht vernachlässigbar gering und beweisen für beide Verfahren eine hohe klinische Effektivität. Die aus der Literatur bekannte Gleich- wertigkeit zwischen Schall- bzw. Ultraschallinstrumenten (Oda et al. 2004) konnte damit durch die vorliegende Vergleichsstudie sowohl für die Behandlung mit einem AIR-N-GO PERIO® als auch mit Newtron® belegt werden. Überlagert werden die Ergebnisse der beiden Untersuchungsgruppen auch durch die bekannten therapieunabhängigen Rekolonisationszeiten des subgingivalen Biofilms, die im Rahmen unserer Nachuntersuchungszeit von drei Monaten liegen.

Schlussfolgerungen

Im Rahmen der vorliegenden mikrobiologischen und klinischen Effektivitätsstudie konnte nachgewiesen werden, dass es durch die Anwendung von mikroabrasiven Pulverstrahlsystemen bei Patienten mit parodontalen/periimplantären Entzündungen zu einer signifikanten Reduktion der klinischen Entzündungszeichen kommt. Der mikrobiologische Untersuchungsteil zeigt, dass mittels des AIR-N-GO PERIO®-Systems auch eine signifikante Suppression der untersuchten parodontal-pathogenen Spezies gelingt. Dieser positive antimikrobielle Effekt ist verbunden mit einer signifikanten Reduktion der mittleren Sondierungstiefe am mikrobiologischen Untersuchungszahn/-implantat sowie einer Verbesserung des Attachmentniveaus über den gesamten Beobachtungszeitraum von drei Monaten. Diese mittlere Sondierungstiefenreduktion ist in dem vorliegenden Beobachtungszeitraum auf den Rückgang des entzündlichen Ödems und damit auf eine Reduktion der parodontalen/periimplantären Taschen zurückzuführen und führt einerseits zu einem echten Attachmentgewinn bei gleichzeitiger geringfügiger Zunahme der Gingivarezession. Die Reduktion der bakteriellen DNA-Menge der untersuchten anaeroben Biofilmbakterien über alle  Untersuchungszeiträume unter Verwendung von Schall-/Ultraschalltherapiesystemen steht damit in einem engen Zusammenhang mit den deutlich reduzierten Entzündungszeichen (antiinflammatorischer Effekt). Zusammenfassend konnten die in der vorliegenden Studie ermittelten Daten zeigen, dass sowohl mit dem AIR-N- GO PERIO® als auch mit dem Newtron® eine selektive Entfernung subgingivaler Konkremente sowie die Beeinflussung der bakteriellen Zusammensetzung des subgingivalen Biofilms unter klinischen Bedingungen möglich war. Im Vergleich zeigte das Newtron® jedoch eine geringfügig geringere Effektivät als das AIR-N-GO PERIO® über alle Untersuchungszeiträume. Dies wird besonders deutlich in der wesentlich höheren Rekolonisationsrate der im subgingivalen Biofilm organisierten anaeroben Parodontalpathogene in den Newtron®-Gruppen. Dies unterstreicht die hohe Effektivität der Reduzierung bakterieller Ablagerungen durch die minimalabrasive Pulverstrahltechnik des AIR-N-GO PERIO® mit seinem hocheffizienten Glyzin-Pulver auf der Wurzel- bzw. der Implantatoberfläche. Besonders deutlich wird dies durch die absolute Elimination der Aggregatibacter (früher Actinobacillus) actinomycetemcomitans (Aa)-Spezies, die bisher durch keine Scaling-Methode erreichbar war. In Einziehungen und Furkationen war dagegen bei dem Newtron®-System eine leichte Überlegenheit der anaeroben Biofilmbeeinflussung festzustellen, die sich durch die geringere Materialstärke der Arbeitsenden erklären lässt.

Hier gibt's die vollständigen Literaturliste.

Autoren: Univ.-Prof. Dr. Wolf-Dieter Grimm, Sandra Sternemann, Dr. Marco Alexander Vukovic, Katharina Schaper

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