Branchenmeldungen 02.04.2019
„Alles bleibt anders“ – die Patientenkommunikation bleibt
22. Prothetik Symposium von Merz Dental
„Wir spüren den Wandel in unserer Branche“, mit diesen Worten leitete Friedhelm Klingenburg (Geschäftsführer Merz Dental) das 22. Prothetik Symposium in Berlin ein. Darauf zielte auch das diesjährige Titelthema „Alles bleibt anders – die Verantwortung bleibt bei uns.“ ab. „Zahnarztpraxen, Labore und die Industrie müssen sich entwickeln, der Arbeitsalltag muss den aktuellen digitalen Trends angepasst und verändert werden. Wir haben den Nutzen der neuen Technologien erkannt und bieten mit digital dentistry ein erweitertes digitales Konzept an.“ erklärte Friedhelm Klingenburg und wies auf ein neues digitales Segment von Merz Dental in der Industrieausstellung hin. Johannes Wolters (Verlagsleiter des Quintessenz-Verlages) lud 450 Teilnehmer zu „einem Mix an Inspirationen und Motivation für den Alltag ein“. Eloquent und fundiert stellte das Moderatorenduo PD Dr. Jan-Frederik Güth (Universität München) und ZTM Hans-Jürgen Stecher (Wiedergeltingen) neun Vorträge geprägt durch inhaltliche Attraktivität, wissenschaftlicher Basis und praktischer Anwendung im Praxis- und Laboralltag vor: „Alles ist im Fluss – nichts bleibt – alles ist im Wandel – jedoch was bleibt ist die Face-to-Face - Kommunikation mit dem Patienten“, so leiteten Jan-Frederik Güth und Hans-Jürgen Stecher auf den ersten Referenten über.
„Wir sind alle formgestört“
„Gründe, warum Zahnersatz krankmachen und zu ausgeprägten Funktionsstörungen (CMD) führen kann, gibt es viele“, stellte ZTM Jan-Holger Bellmann (Rastede) fest. Dazu gehören für ihn eine ineffiziente Behandlung, die Unfähigkeit interdisziplinär zusammenzuarbeiten und vor allem nicht genommene Zeit vom Zahntechniker und Zahnarzt, um intensiv auf den Patienten einzugehen, ihm zuzuhören und seinen Wunsch in den Vordergrund zu stellen. Eine ganzheitliche Betrachtung von der Statik, Kopfhaltung, Muskulatur bis hin zu den Zähnen mit einer folgenden zebris Vermessung unter Einbeziehung des Udo Plaster Plane Systems sind für Jan-Holger Bellmann Grundvoraussetzung, um Patienten funktionsorientierten Zahnersatz herzustellen. Die idealtypische Form kommt in der Natur nicht vor, sie dient lediglich zur Orientierung und Befundung. Wichtig ist für Jan-Holger Bellmann vielmehr im Patientengespräch auf Form- und Funktionsstörungen einzugehen und in enger Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt und Physiotherapeuten eine maximale Funktionsfähigkeit des craniomandibulären Systems herzustellen.
3D-Druck in aller Munde oder nicht?
Dipl. Ing. Dr. Christin Arnold (Universitätsklinik Halle/Saale) widmete sich dem wissenschaftlichen Vergleich gedruckter Modelle aus den 3-D-Druckern Form 2 (Formlabs) und ProJet 660Pro (3D Systems). Die Arbeitsweise des Form 2-Druckers erfolgt nach dem Stereolithografie-Prinzip (SLP), die des ProJet 660Pro nach dem CJP – Color Jet Printing. Bessere Ergebnisse hinsichtlich Oberflächenqualität, Passgenauigkeit und Stabilität werden laut ihrer Studie mit dem SLP-Verfahren erzielt, wobei immer noch die Reaktivität des Harzes Schrumpfungen bei den Gipsen auslösen kann. Das kann zum einen materialbedingte Ursachen haben, aber auch Handlingsfehler der Anwender. Daher empfiehlt Dr. Arnold eindringlich, die Herstellerangaben unbedingt einzuhalten und die Druckparameter jeweils auf das zu druckende Objekt und die Indikationskriterien abzustimmen. Auch wichtig sei die MPG-Zulassung. Medizinprodukte und In-vitro Diagnostika müssen in einem Konformitätsbewertungsverfahren ihre Übereinstimmung mit der neuen EU-Verordnung 2017 / 745 (EU-MDR; MPV-EU) erfolgreich nachweisen. Die Wissenschaftlerin resümierte: „Die 3-D-Drucktechnologie wird sich schnell weiterentwickeln. Es bleibt abzuwarten, was zukünftig noch machbar sein wird.“
Mensch UND Maschine? Mensch MIT Maschine
Den Patienten mit auf die prothetische Reise mit vorhersagbaren Ergebnissen zu nehmen, das ist das Anliegen von PD Dr. Jan-Frederik Güth (Universität München) und ZTM Hans-Jürgen Stecher (Wiedergeltingen). Anhand eines konkreten, komplexen Falls zeigten sie ein patientenorientiertes, schienenbasiertes, biomimetisches Konzept auf, der analog-digital gelöst wurde. Defizite in der Vertikaldimension der Okklusion (VDO) werden mit herausnehmbaren, bimaxillären, zahnfarbenen Schienen therapiert. Die Polycarbonat-Schienen sind flexibler und zäher als PMMA-Schienen und -Provisorien und eignen sich somit als Non-Prep-Langzeitprovisorien. Nach der Bissregulierung setzte ZTM Hans-Jürgen Stecher die Versorgung in eine additive Try-in-Polymerrestauration um. Möglich ist diese minimalinvasiv naturnahe Vorgehensweise nur im digitalen Workflow im Praxis- und Laboralltag, doch „ohne Mensch und sein tradiertes Wissen lassen sich derartige patientenorientierte Behandlungskonzepte nicht umsetzen,“ fasste Dr. Jan-Frederik Güth zusammen.
Weniger als 10 g pro Kiefer
Mit einem sterbenskranken 60-Jährigen Patienten mit einem Lungenkarzinom im letzten Lebensstadium stellte MDT Shahab Esfarjani (Jenbach, Österreich) einen höchst emotionalen Patientenfall vor. Aufgrund des sehr schlechten Gesundheitszustandes hatte der Patient nur einen Wunsch: eine möglichst leichte Versorgung, die ihm einen hohen Trage- und Kaukomfort bietet. Hergestellt hat Shahab Esfarjani eine stegbasierte herausnehmbare Oberkieferprothese sowie eine okklusal verschraubte Unterkieferprothese mit dem bioverträglichen, metallfreien und leichten PEEK Bio Solution (Merz Dental). Das Ergebnis ist ein zufriedener Patient, dessen Lebensqualität durch die leichte und bioverträgliche Versorgung gesteigert wurde, ohne dabei Einbußen in der Ästhetik zu haben. Dieser hoch emotionale Fall bringt Shahab Esfarjani zu dem Schluss, dass PEEK aufgrund seiner herausragenden Eigenschaften der Werkstoff der Zukunft ist.
Einfach digitale Totalprothesen herstellen
Dipl.-Ing. Dipl. Inform. Frank Hornung, Dr. Jörg Mudrak und ZTM Pawlos Stilos stellten die CranioPlan® 3D-Kephalometrische Analyse zur Planung und Herstellung von Zahnersatz und Therapiehilfsmitteln vor. Dieses neuartige 3D-Planungs- und Fertigungsverfahren erlaubt die Bestimmung der patientenindividuellen Okklusionsebenen sowie der Zahnpositionen beim teilbezahnten und zahnlosen Patienten. Anatomische Bezugspunkte auf Grundlage fusionierter digitaler DVT- und IOS-Daten erleichtern die digitale Fertigung von Teil- und Totalprothesen. Vor allem die Präzision ist als herausragender Vorteil des CranioPlan®-Verfahrens zu nennen. Die Restbezahnung lässt sich harmonisch in die Blanks des Baltic Denture Systems (Merz Dental) integrieren. Weiterhin lassen sich jederzeit Änderungen an der Planung vornehmen mit dem großen Vorteil, dass die Patienten dafür nicht zu weiteren Abformungs- und Anprobeterminen erscheinen müssen. Das CranioPlan®-Verfahren ermöglicht unter Nutzung modernster CAD-Technologien eine funktionsgerechte Therapie auch komplexer Fälle auf der Basis der gematchten digitalen Daten. Es folgt einem biologischen Bauprinzip und gestaltet so auch komplexe Fälle wesentlich einfacher in der Umsetzung. Mit Überzeugung sprach Frank Hornung über „einen revolutionären Schritt in der digitalen Fertigung von Teil- und Totalprothesen.“
PAEK – Plastikbombe oder Hochleistungswerkstoff
PAEK, PEEK, PEKK – Um die Unterschiede und jeweiligen Vorteile der Werkstoffklassen ging es in dem Vortrag von PD Dr. Bogna Stawarczyk (Universität München). Ihren wissenschaftlichen Studien zufolge liegt PAEK (Polyaryletherketon) als amorpher, kristalliner aber auch amorph-kristalliner Werkstoff vor. PEEK (Polyetheretherketon) ist sowohl als ungefülltes Material für die Herstellung von herausnehmbaren und bedingt abnehmbaren als auch als gefülltes Material für die Fertigung von festsitzenden und herausnehmbaren Zahnersatz geeignet. Wobei PEKK nur als gefülltes Material in grau und dentinfarben für festsitzenden und herausnehmbaren Zahnersatz brauchbar ist. Die hohen mechanischen Eigenschaften von PAEK führen zu einer hohen Abrasionsbeständigkeit, „aber die graue/braune/perlweiße Farbe ermöglicht keine Transluzenz. Chemisch ist PAEK fast innert. Das führt zu Problemen beim Verbund zu anderen Kunststoffen,“ gab Dr. Bogna Stawarczyk zu bedenken. Deshalb steigert die Vorbehandlung von PAEK-Kronen mit visio.link oder Signum PEEK Bond signifikant den Verbund „und man muss zügig arbeiten.“ PMMA haftet besser als Komposit am PAEK, jedoch nur wenn eine zusätzliche Vorbehandlung mit MMA-haltigen Adhäsiv durchgeführt wird. Auch Opaquer steigert den Verbund. In der Werkstoffklasse verfärbt PAEK am wenigsten und auch nur oberflächlich, „außer bei dem Verzehr von Möhren und Fisherman`s Friend-Pastillen“. Zusammenfassend stellte Dr. Bogna Stawarczyk fest, dass PAEK als Hochleistungskunststoff eingestuft wird und „vielleicht ist ja das PAEK Drucken die Zukunft in der Zahnmedizin?“
Replicadentures mit Baltic Denture System
PD Dr. Jeremias Hey MSc., MME (Universität Halle/Saale) wählt das Replicadenture-Verfahren zur Herstellung von lukrativen Totalprothesen im digitalen Fertigungsprozess. Nach der Analyse der Kieferrelation, Bisshöhe, Mittellinie und Kauebene erfolgt die Registrierung und Optimierung. Wichtig ist bei dem Verfahren, dass die alte bisherige Versorgung als Grundlage gilt, mit ihr werden die neuromuskulären Informationen erhalten. Realisiert wird der digitale Workflow mit dem Baltic Denture System (Merz Dental) Nach dem Scannen des alten Zahnersatzes erfolgt die Konstruktion der neuen Versorgung mit der Software BDCreator® und die Herstellung mit den vorkonfektionierten Prothesenrohlingen BDLoad®. Bereits in der zweiten Zahnarztsitzung werden die neuen optimierten Totalprothesen bei dem Patienten eingegliedert. „Da sämtliche positive Informationen aus dem bisherigen Zahnersatz übernommen wurden, verkürzt sich die Nachsorge um ein Vielfaches,“ resümierte Dr. Jeremias Hey am Vortragsende.
Montags- bis Samstagsprothesen
Solange Zahntechniker ihre Patienten nicht sehen und nicht live erleben, wie ihre Prothesen im Mund funktionieren und wirken bzw. die Mimik und Phonetik beeinflussen, bleibt für ZTM Björn Czappa (Oldenburg) der prothetische Erfolg bei einem Patienten ein Zufall. Um optimal die Wünsche eines Patienten zu erfüllen, ließ er von sechs Zahntechnikern Prothesen herstellen. Der Patient hatte am Ende die Wahlmöglichkeit zwischen sechs unterschiedlichen Prothesenvarianten. Mit diesem unkonventionellen Vorgehen ermutigte der Zahntechnikermeister seine im Publikum sitzenden Kolleginnen und Kollegen, Prothesen im direkten Kontakt mit den Patienten zu erarbeiten. Als Dankeschön erhielt der geduldige Patient von Björn Czappa und seinem Team einen „Prothesenschrank“ mit sechs Prothesen zum Wechseln von Montag bis Samstag – „handmade with love“.
Erfolgskonzept aus dem Sauerland
Basis des Erfolgswegs von ZTM Volker Hamm ist das interdisziplinäre CMD Sauerland – Netzwerk, in dem verschiedene Berufsgruppen zusammen agieren. Immer mit dem Ziel, Patienten mit gestärkten Funktionen des Kauapparates zu helfen. „Denn der schönste Zahnersatz, die größten implantologischen Meisterleistungen und gnathologisch faszinierenden Kauflächen bringen nichts, wenn der Biss des Patienten nicht stimmt und er immer wieder in der Praxis auftaucht,“ merkte Volker Hamm an. Basis seiner Arbeiten ist ein Leitfaden nach dem vom ersten bis zum letzten Schritt alle Instanzen diszipliniert miteinander arbeiten. Das beinhaltet eine korrekte Kieferrelationsbestimmung mit dem IPR-System, einen Check der Gesamtkörperstatik durch CMD-Fachleute, eine abgestimmte Behandlungstherapie, die klinische Funktionsanalyse und die Artikulation der Vermessung. Nach einer erfolgreichen Schienentherapie werden zuerst provisorische Kronen-/Brückenversorgungen hergestellt, bevor eine Neuanfertigung von umfassenden Keramikrestaurationen umgesetzt wird. Volker Hamm schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Wichtig ist eine absolute Präzision im Prozessablauf von allen Beteiligten – das ist das Geheimnis des Erfolgs.“
„Es bleibt spannend in unserer Branche, das haben die Referenten mit ihren neuartigen Ansätzen und erfolgreichen Konzepten gezeigt und alles bleibt anders,“ so lautete Friedhelm Klingenburgs Fazit nach einem erfolgreichen Symposiumstag, der in einem sehr gut besuchten Get together der Teilnehmer und Referenten seinen Abschluss fand. Dr. Jan-Frederik Güth und Hans-Jürgen Stecher verabschiedeten Zahnmediziner und Zahntechniker mit den Worten: „Berlin ist immer eine Reise wert, auch im nächsten Jahr. Wir freuen uns, Sie am 30. November 2019 im Pullman Hotel Schweizer Hof zum 23. Prothetik Symposium wiederzusehen.“
Quelle: Merz Dental
Foto: Merz Dental