Branchenmeldungen 25.10.2023

Biofilmmanagement während der KFO-Behandlung



Biofilmmanagement während der KFO-Behandlung

Foto: EMS

Eine erfolgreich abgeschlossene kieferorthopädische Behandlung kann die häusliche Mundhygiene erleichtern und einen Beitrag zur Karies-, Gingivitis- und Parodontalprophylaxe leisten.1,2

Auf der anderen Seite stellen kieferorthopä­dische Behandlungen während der Therapie sowohl mit abnehmbaren und vor allem mit festsitzenden Apparaturen ein höheres Risiko für orale Erkrankungen (Karies, Gingivitis und Parodontitis) dar. Die Gründe hierfür sind eine erhöhte Biofilm-Retention, eine schwie­riger durchzuführende häusliche und professionelle Mundhygiene und therapiebedingte Veränderungen der parodontalen Situation (Zahnbewegungen, Knochen­abbau und Knochenanbau).1,3–5

Während kieferorthopädischen Behandlungen ist die orale Gesundheit durch perfektes Biofilmmanagement (häusliche und profes­sionelle individuelle Mundhygienemaßnahmen) das gemeinsame präventive Ziel von Patienten und Behandlern. Dieses Behandlungsziel ist nur mit einem stringenten, sys­tematischen, präventiven Konzept zu erreichen, wie es das moderne Guided Biofilm Therapy Konzept (Abb. 1), das sich an den Arbeiten von Axelsson und Lindhe orientiert,6–9 bietet.

Kieferorthopädie und Biofilm

Kieferorthopädische Apparaturen fördern die Akkumulation von Biofilm. Es lässt sich festhalten, dass sich bereits einen Monat nach Behandlungsbeginn die Qualität und Quan­tität des Biofilms verändert. Das orale Mikrobiom verändert sich in Richtung erhöhtes Karies-, Gingivitis- und parodontales Risiko. Diese Verschiebung ist bei festsitzenden kieferorthopädischen Geräten signifikant größer als bei abnehmbaren Apparaturen.3,10–16

Kieferorthopädie und Gingivitis/Parodontitis

Die signifikante Veränderung des oralen Mikrobioms, die sich vor allem bei Patienten mit festsitzenden Apparaturen zeigt, deutet da­rauf hin, dass das Risiko für Gingivitis in den Monaten der Therapie hoch ist und das Risiko für Parodontitis nicht ausgeschlossen werden kann.4,13,16 Zusammenfassend zeigt die Literatur kein einheitliches Bild. Es wurden widersprüchliche Ergebnisse bezüglich der Auswirkungen von festsitzenden Apparaturen auf den subgingivalen Biofilm und dessen Folgeerkrankungen berichtet.

Kieferorthopädie und Karies

Bereits 2001 konnte Jost-Brinkmann zeigen, dass das Karies- und Gingivitisrisiko während kieferorthopädischer Behandlungen zunimmt. Mit festsitzenden Geräten behandelte Patienten weisen mehr kariöse Initial­läsionen auf als nicht behandelte Patienten.4 Die American Dental Association (ADA)5 sieht in der Eingliederung von festsitzenden kieferorthopädischen Geräten ein erhöhtes Ka­riesrisiko. Sie empfiehlt, Patienten während der Behandlungsdauer mit festsitzenden kieferorthopädischen Geräten als Hochrisiko-­Patienten zu behandeln.

Zusammenfassung: Kieferorthopädische Apparaturen erhöhen die Retention von Biofilm und fördern die Bildung von White-Spot-Lä­sionen (WSL). Die Entkalkung der an festsitzende kieferorthopädische Apparaturen angrenzenden Schmelz­oberfläche in Form von White-Spot-Läsionen ist eine häufige und gut bekannte Nebenwirkung der kieferorthopädischen Behandlung.4,5,19–24 Die präventive Betreuung während der kieferorthopädischen Behandlung muss zu einer stärkeren Betonung einer effektiven Kariesprävention führen.

KFO und systematische Prävention

Kieferorthopädische Behandlungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie von ei­nem stringenten, systematischen, präventiven Konzept begleitet werden. Das präventive Konzept sollte sich am Zwei-Säulen-Modell von Axelsson und Lindhe orientieren.6,7 Es muss Maßnahmen der häuslichen wie auch professionelle Mundhygiene beinhalten. Das Konzept von Axelsson und Lindhe ist mehr als 50 Jahre alt. Moderne präventive Protokolle müssen dem wissenschaftlichen Fortschritt und den technischen Weiterentwicklungen Rechnung tragen. Ein bewährtes von Praktikern, Hochschulen und der Firma EMS entwickeltes modernes Präventionsprotokoll ist die Guided Biofilm Therapy (GBT).9,23 Die GBT ist ein evidenzbasiertes, individuelles, risikoorientiertes, systematisches, modulares, universell (auch bei komplexen „Fällen“) anwendbares Präventionsprotokoll, das in allen Altersgruppen angewendet werden kann. Da es sich bei der GBT um ein modulares System mit acht Schritten handelt, lässt sich das Ablaufprotokoll sehr gut auf die Bedürfnisse bei Patienten während der kieferorthopädischen Therapie anpassen.

Die einzelnen Schritte der GBT während kieferorthopädischer Behandlungen

1. Befunde erheben, dokumentieren, Diagnosen stellen
Die Erhebung der relevanten PA- und Kariesbefunde, einschließlich der altersspezifischen Anamnese zur Ermittlung der individuellen Risiken, ist eine Grundvoraussetzung für jede präventive Therapie. Bei Kindern und Jugendlichen in der KFO-Behandlung steht die Kariesrisikodiagnose im Vordergrund. Mithilfe einer altersspezifischen Anamnese, die auch ausführliche Fragen zur Zahnreinigung, Ernährung und Fluoriden enthält, wird das allgemeine Kariesrisiko mithilfe des Erfassungsbogens der Universität Bern (Abb. 2) erhoben.23–26 Nur Patienten, die kein erhöhtes Karies- und/oder PAR-Risiko haben, dürfen kieferorthopädisch behandelt werden.

2. Anfärben des supragingivalen Biofilms
Ein unverzichtbarer Schritt in der Prävention ist das Anfärben des supragingivalen Biofilms (Abb. 3). Nur wenn Biofilm durch Anfärben sichtbar gemacht wird, kann ein exakter Plaue-Index erstellt werden. Nur durch Anfärben kann der Patient (und die Begleitper­sonen) gezielt zur Verbesserung der häus­lichen Mundhygiene instruiert und motiviert werden.20 Nur wenn der Biofilm durch Anfärben sichtbar gemacht wurde, kann der Behandler Biofilm gezielt (geführt) professionell entfernen. Biofilm wird dann nur dort entfernt, wo er auch ist, was zur Substanzschonung beiträgt.7,9,23–28 Eine perfekte supragingivale Biofilmentfernung ist nur mit Anfärben möglich.7,9,23,29,30

3. Maßnahmen zur häuslichen Mundhygiene
Die Säulen der erfolgreichen Prävention (häus­liche und professionelle Mundhygiene-Maßnahmen) nach Axelsson und Lindhe7,9 gelten heute immer noch. Die Bedeutung einer adäquaten Mundhygiene zur Aufrechterhaltung der oralen Gesundheit im Zusammenhang mit kieferorthopädischen Therapien ist aufgrund der erschwerten Umstände besonders wichtig.

3a Häusliche Zahnreinigung
Die häusliche Reinigung der Zähne während der Dauer der kieferorthopädischen Therapie stellt allein aufgrund der Zunahme der artifiziellen Retentionsstellen eine besondere Herausforderung dar. Dies zeigt auch die Literatur. Nur ex­zellente oder gute Mund­hygiene ist ein unabhängiger prognos­ti­scher Faktor für die Verhin­de­rung von schweren WSL.31–34

3b Chemisch unterstützende häuslich Therapie
Es gilt als gesichert, dass für den Rückgang der Kariesprävalenz und Karieserfahrung die lokale Fluoridapplikation, insbesondere durch fluoridhaltige Zahnpasten und Fluoridlacke, verantwortlich ist.23 Zahnpasten besitzen eine sehr wichtige Funktion in der Prävention von Karies, Gingivitis und Parodontitis. Im Vordergrund steht die kariesprophylaktische Wirkung durch das enthaltende Fluorid.35,36 Das gilt besonders während KFO-Behandlungen und den dadurch bedingten erschwerten Reinigungsverhältnissen. Während einer Multibandbehandlung können hoch dosierte Fluoride (12.500 ppm Fluorid) und Mundspüllösungen, die in die häusliche Zahnpflege integriert werden, helfen, Zahnhartsub­stanzschäden zu verhindern.35–39

3c Ernährungslenkung
Festsitzende kieferorthopädische Apparaturen stellen zusätzliche Retentionselemente für fermentierbare Kohlenhydrate dar. Zu ei­nem erfolgreichen Präventionsprogramm während kieferorthopädischen Behandlungen gehört in besonderem Maße die Ernährungslenkung.

4. und 5. Professionelle Biofilment­fernung
Nicht nur die häusliche Mundhygiene, auch die professionelle Biofilmentfernung während festsitzender kieferorthopädischer Behandlung stellt eine besondere Herausforderung dar. Die bei der festsitzenden kieferorthopädischen Behandlung verwendeten Apparaturen sind Retentionsstellen für den Biofilm. Die üblich verwendeten Hilfsmittel (Zahnbürste mit Zahnpasta zu Hause, Politur mit rotierenden Hilfsmitteln in der Praxis) erreichen wichtige Stellen nicht. Neue Methoden wie die Guided Biofilm Therapy (GBT) und die bei der GBT verwendeten Hilfsmittel (Airflow, Piezon/PS) sorgen für eine bessere Reinigung der Bracket-Umgebung23,40–45 (Abb. 4).

6. Zahnsteinentfernung
Zahnstein ist die mineralisierte Form des Biofilms. Er ist keine primäre Ursache für orale Erkrankungen. Zahnstein hat nur einen sekundären Einfluss auf die Pathogenese oraler Erkrankungen. Er erleichtert die Retention von Biofilm und erschwert die häusliche Mund­hygiene. Ultraschall-Instrumentierung um die Bracket-Basis herum reduziert die Scherverbundfestigkeit („shear bond strength“) von metallischen kieferorthopädischen Brackets.46 Dies unterstreicht die Notwendigkeit, dass nur Ultraschallsysteme zur Anwendung kommen, die schonend arbeiten. Hierfür besonders geeignet ist das PIEZON®NO PAIN PS-­System. Bei diesem System stehen eine hohe Effizienz und Sub­stanzschonung im Vordergrund.46–49

7. Die Qualitätskontrolle (QM)
Alle erfolgreichen präventiven Konzepte sind nur in einem Team mit motiviertem Fachpersonal, das im Rahmen des Delegationsrahmens arbeitet, möglich. Unerlässlich für die ordnungsgemäße Delegation ist die Aufsicht des Zahnarztes.  Die QM erfolgt in mehreren Schritten. In unserer Praxis arbeiten alle Präventionsmitarbeiter mit Lupenbrille. Zuerst kontrolliert der Mit­arbeiter seine eigene Leistung im Sinne einer strengen Selbstkon­trolle. Hierzu kann ein Kontroll­anfärben notwendig sein.  Dann folgt die Abschlussuntersuchung und -Diagnose durch den Zahnarzt (Aufsichtspflicht).50 Bei Pa­tienten in kieferorthopädischer Behandlung sind die Abschlussuntersuchung der Zahnhartsubstanzen nach dem „International Caries Detection and Assessment System“ (ICDAS) und die entsprechende Dokumentation unerlässlich.51 Diese Untersuchung setzt eine perfekte professionelle Zahnreinigung voraus. Den Abschluss bilden chemisch unterstützende Maßnahmen (professionelle Fluoridierung), die besonders erfolgreich sind, wenn ein perfektes Biofilmmanagement vo­rausgeht (siehe 3b)

8. Recall
Recall-Termine bei Patienten während der kieferorthopädischen Behandlung sollten in kürzeren Abständen stattfinden, um eine engmaschige Überwachung zu gewährleisten und frühe parodontale Entzündungen oder Karies in ei­nem frühen Stadium zu erkennen und die Compliance der Pa­tienten zu verbessern.18,52–54 Die Recall-Intervalle werden aufgrund der in­di­vi­duellen PAR- und Ka­ries­risikobestimmung vereinbart. Um Prävention erfolgreich zu gestalten, ist es notwendig, dass das Recall zwischen dem Hauszahnarzt und dem Kieferorthopäden abgestimmt wird.

Zusammenfassung

Erfolgreiche Prävention während kie­ferorthopädischer Behandlungen stellt eine besondere Herausforderung für Patienten und Praxisteams dar. Sowohl die häus­liche als auch die professionelle Mundhygiene sind erschwert. Abnehmbare und vor al­lem festsitzende Apparaturen sind mit einer erhöhten Biofilm-Retention verbunden. Dies führt zu einem höheren Risiko für orale Erkrankungen (Karies, Gingivitis und Parodontitis). Das Praxisteam muss diese erhöhten Anforderungen mit einem systematischen Prophylaxeprotokoll lösen. Die Integration der GBT in den Praxisalltag bzw. in die präventive Therapie im Zusammenhang mit KFO-Behandlungen ist eine ideale Lösung.

Im Sinne der Transparenz möchte Dr. Klaus-Dieter Bastendorf darüber informieren, dass er Mitglied des „Scientific Board“ der Firma E.M.S. Electro Medical Systems S.A., 1260 Nyon, Schweiz ist. Bei Dr. Nadine Strafela-Bastendorf liegt kein Inte­ressenskonflikt vor.

Die Literaturliste können Sie sich hier herunterladen.

Dieser Artikel ist unter dem Originaltitel „Biofilmmanagement und Mund­hygiene während der KFO-Behandlung“ in den KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.

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