Branchenmeldungen 09.10.2014

„Die Prophylaxe ist ein Stiefkind“

Kaum einer setzt sich dermassen für die Prophylaxe ein wie Jiri Sedelmayer. Dies nicht nur über 25 Jahre an der Universität Hamburg, sondern seit seiner Pensionierung 2011 für das Schweizer Prophylaxeprojekt iTOP der Curaden International AG. Jiri Sedelmayer im Interview mit der Dental Tribune.

Individuell trainierte orale Prophylaxe (iTOP) steht für das Erlernen der richtigen Mundhygiene und die Motivation, das Gelernte jeden Tag aufs Neue umzusetzen und dem Patienten weiterzugeben.* iTOP verhilft zur individuell trainierten oralen Prophylaxe, ein Leben lang! Das ist das ehrgeizige Ziel von iTOP.

Herr Sedelmayer, Sie haben jahrelang an der Universität Hamburg die Zahnmedizinstudenten in Prophylaxe ausgebildet. Was sind Ihre Erkenntnisse?

Jiri Sedelmayer: Dass die Prophylaxe in der Realität in der Ausbildung an den Universitäten einfach ein Stiefkind ist. Wenn überhaupt, wird da nur theoretisch etwas erzählt – ganz wenige Sachen, die man zum richtigen Zähneputzen kaum braucht. Die praktische Ausbildung im korrekten Zähneputzen findet kaum irgendwo statt. Das Symptomatische für die gegenwärtige Zahnmedizin ist, dass die Studenten viel mehr über die praktische Herstellung einer Totalprothese wissen als über die Handhabung einer Zahnbürste. Das ist die zentrale Erkenntnis und deshalb habe ich versucht, etwas zu verändern. Das war nicht immer einfach. Aber zu sehen, wie auch sehr geschickte Menschen sich schwer tun, die Zahnbürste perfekt zu handeln, war das, was mich die ganzen Jahre angetrieben hat.

Sie sind pensioniert. Sie könnten angeln gehen oder Briefmarken sammeln. Warum setzen Sie sich immer noch so fürs Zähneputzen ein? Was ist Ihre Motivation?

Ich bin ein Überzeugungstäter, und ich sehe ja auch die Ergebnisse! Mittlerweile kenne ich sehr viele Menschen, die mir dankbar dafür sind, dass ich sie auf den richtigen Weg gebracht habe. Es gibt immer noch welche, mit denen ich ständig in Kontakt bin und die richtig dankbar für meine Unterweisungen sind.

Zwei, drei schnelle Fragen, Herr Sedelmayer. Zur Reinigung der Approximalräume: Zahnseide oder Interdentalbürsten?

Das kommt auf die Anatomie an. Ist die Anatomie des Zahnzwischenraumes für die Interdentalbürste geeignet, werde ich niemals Zahnseide sagen. Es gibt keine generelle Empfehlung, es gibt nur Feststellungen: Dieser Interdentalraum ist für die Zahnseide ideal, jener für die Interdentalbürste. Und wenn ich die Wahl habe, wähle ich immer die Interdentalbürste, weil die Anwendung viel einfacher ist. Die Motivation und die Akzeptanz des Patienten für die Interdentalbürste ist deutlich höher als für die Zahnseide. Ich empfehle die Zahnseide nur dort, wo es mit der Interdentalbürste anatomisch nicht möglich ist, hinzugelangen.

Zahnpasta mit Fluorid oder ohne?

Mit Sicherheit mit Fluorid. Wenn man sich von Fluoriden auch nicht so viel versprechen soll, wie es häufig behauptet wird. Fluoride bewirken beispielsweise nichts gegen das Schlimmste, was man überhaupt an Erkrankungen im Mund haben kann, gegen die Parodontalerkrankung. Und auch gegen ihren Vorläufer, die Zahnfleischentzündung, machen Fluoride gar nichts. Parodontitis ist viel gefährlicher als Karies, auch schwieriger zu reparieren. Ich habe nichts gegen Fluoride. Sie können einiges, aber sie garantieren eine Sache nicht, und die ist sehr wichtig: lebenslange Zahn erhaltung. Aber sie sind nicht giftig, das heisst, wenn schon Zahnpasta, dann sicherlich mit Fluoriden.

Angenommen, auf eine einsame Insel dürften Sie nur ein einziges Mundhygiene-Instrument mitnehmen. Was nehmen Sie mit: Zahnbürste, Interdentalbürste oder Zahnseide?

Die Interdentalbürste selbstverständlich. Ich kann zur Not die meisten zugänglichen Flächen der Zähne auch mal mit dem Taschentuch putzen oder mit dem Zipfel von meinem Hemd. Das ist nicht ideal, aber geht auch. Die Interdentalräume zu reinigen, das kann ich mir ohne Interdentalbürste gar nicht vorstellen. Meiner Meinung nach ist die Interdentalbürste der Schlüssel zur lebenslangen Zahnerhaltung, weil in den tiefen Zwischenräumen, besonders zwischen den Backenzähnen, der Anfang allen Übels steckt. Da fangen die Zahnfleischprobleme an. Und letztendlich führen sie zum Zahnverlust, und nicht die Karies.

Die Forschung bringt ständig neue Erkenntnisse über „richtiges“ Zähneputzen hervor. In welchen Abständen sollte man sein Zahnputzverhalten überprüfen (lassen)?

Also erst einmal würde ich Ihnen widersprechen. Die Forschung bringt so gut wie keine neuen Erkenntnisse übers richtige Zähneputzen. Damit setzt sich die Forschung, die mir bekannt ist, überhaupt nicht auseinander. Die beschäftigt sich mit allem Möglichen: Mit Füllungsmaterialien, mit Implantaten, mit Keramiken etc. Über korrektes, praktisches Zähneputzen ist mir eigentlich aus letzter Zeit keine Publikation bekannt, die sich damit richtig auseinandergesetzt hätte. Die Prophylaxe ist ein Stiefkind der real existierenden Zahnmedizin, mehr kann ich dazu nicht sagen. Man soll eher Zahnärzte suchen, die es mit der Prophylaxe ernst meinen und die wissen, dass die Erhaltung der Gesundheit ihre oberste Aufgabe ist, nicht die Reparatur.

Und wenn man einen solchen Zahnarzt gefunden hat? Wie oft soll man sich kontrollieren lassen?

Das kommt wieder auf die Konstanz des Patienten an. Ich lerne einen Patienten kennen und ich sehe, wie lange er einmal Erlerntes halten kann. Und so staffle ich die Abstände einzelner Recallsitzungen. Bei dem einen könnte es günstig sein, alle zwei Monate eine Überprüfung zu vereinbaren, bei einem anderen reicht es einmal im Jahr. Da ist es wieder: Wir sind Individuen. Es gibt keine zwei Menschen, die von der Mentalität oder von der Geschicklichkeit her gleich sind. So gibt es auch keinen generell zu empfehlenden Abstand zwischen den einzelnen Sitzungen. Und dann gibt es noch das Problem des Alters. Je älter wir werden, umso grösser ist die Gefahr, dass wir irgendwann einmal plötzlich aufhören, die Zähne zu putzen. Weil wir krank sind, weil wir andere Sorgen haben, Krisen in der Familie, Berufsprobleme und so weiter. Und plötzlich hört der Mensch auf, sich um sich zu kümmern. Die eigentliche Aufgabe des Recallsystems ist es, diese Momente rechtzeitig festzustellen und abzufangen und damit den Menschen wieder auf das höhere Niveau zu bringen und zu motivieren, es beizubehalten.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Quelle: Dental Tribune Swiss Edition 3/2014

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