Branchenmeldungen 30.06.2025

Gemeinsam zum Ziel: Genossenschaft sichert Praxisstandort



Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! Dieser Satz könnte treffender nicht sein für das, was sich 2019 in der kleinen Stadt Tengen, im baden-württembergischen Landkreis Konstanz an der Grenze zur Schweiz, ereignete: Auf Initiative des damaligen Bürgermeisters fand eine Sitzung statt, zu der sowohl Ärzte als auch Bürger eingeladen waren. Das Ergebnis? Innerhalb kürzester Zeit wurde eine Genossenschaft gegründet, deren Ziel es war, ein neues Ärztehaus im Ortszentrum zu finanzieren und zu errichten, um die (zahn-)medizinische Versorgung langfristig zu sichern.

Gemeinsam zum Ziel: Genossenschaft sichert Praxisstandort

Foto: Stadt Tengen/Ulrich Müller

Unter den Teilnehmern der Sitzung war auch Zahnarzt Ulrich Mueller. Für den heute 64-Jährigen löste das Ärztehaus ein großes Dilemma: Er benötigte dringend neue Räumlichkeiten für seine Praxis, um zukunftsfähig zu bleiben, wollte jedoch keine Risiken durch eine hohe Baufinanzierung eingehen. Das neue Ärztehaus bot somit eine ideale Lösung – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

Herr Mueller, können Sie uns bitte Ihre Niederlassungsstory schildern Niederlassungsstory schildern?

Meine erste Praxis habe ich 1990 in Tengen in einem damaligen Neubau mit der örtlichen Volksbankniederlassung und einer Schleckerfiliale eröffnet. Schon nach wenigen Jahren zeigte sich jedoch, dass die Räumlichkeiten viel zu klein waren. Damals gab es zwar noch einen weiteren Zahnarzt in Tengen, der dann aber zeitnah in Ruhestand ging, sodass ich zum einzigen Zahnarzt vor Ort wurde und es bis heute geblieben bin. Der Bedarfslage nach hätte ich vergrößern müssen, auch um weitere Behandler in die Praxis zu bringen, aber das gaben die Räumlichkeiten nicht her. Neue, moderne und passende Gebäude im Ort standen nicht zur Verfügung und selbst bauen wollte ich nicht. Das war mir ein zu großer Klotz am Bein. Dann ergab sich ein Glücksfall: 2015 bekamen wir einen jungen neuen Bürgermeister, der schon im Wahlkampf das Thema Ärztehaus ins Spiel brachte und die Frage in den Raum stellte: Wie können wir es in Tengen, einem Ort mit 4.600 Einwohnern, schaffen, die ärztliche und zahnärztliche Versorgung, inklusive der Apotheke, langfristig zu halten? Dieser junge Bürgermeister war hoch motiviert und extrem agil und schloss uns, die Ärzteschaft und mich, von Anfang an in das Projekt mit ein. So kam dann relativ schnell eins zum anderen: Über einen Architektenwettbewerb klärte sich der Bau wie der Standort am Kastaniengarten in der Tengener Mitte, und dann gab es die Idee zur Gründung einer Genossenschaft. Es wurde eine Versammlung mit der Bürgerschaft einberufen, an der gleich mehrere Hundert Menschen teilnahmen und die, nachdem sie sahen, dass wir Ärzte mit dem Bürgermeister an einem Strang zogen, sich gleich verpflichteten, Genossen zu werden. „Wir machen mit, wo können wir unterschreiben?“ – das war der Tenor.

Wir waren völlig überwältigt von dem Zuspruch und dem Spirit dieses Treffens. Kurz danach folgte die Gründungsversammlung der Genossenschaft und im März 2019 nahmen Dr. Andreas Luckner und Bürgermeister Marian Schreier die Eintragung der Genossenschaft Ärztehaus Stadt Tengen eG beim Notar vor.

Oftmals heißt es, keiner kümmert sich mehr, jeder „hackt nur noch in seinem eigenen Garten“ – Tengen ist hier ein Gegenbeispiel. Können Sie sich erklären, warum?

Ich würde sagen: Je ländlicher, desto gemeinschaftlicher. Vielleicht lässt sich das nicht für jeden kleineren Ort sagen, aber für Tengen stimmt es. Viele Bürger kenne ich schon sehr lange, man ist per Du, und sieht sich auch mal außerhalb der Praxis. Das verbindet. Und die Bürger waren unheimlich dankbar, dass wir uns kümmern und ihnen dadurch lange Anfahrten in andere Orte und zu dortigen Ärzten erspart bleiben. Ihnen war klar, je mehr wir unsere Kräfte bündeln, umso größer ist die Chance, dass die Infrastruktur auch langfristig erhalten bleibt. Dass sich die Bürger direkt über die Genossenschaft einbringen sollten, empfanden viele als Selbstverständlichkeit. In einer Sitzung hieß es: „Wenn ich mir dann später bei dir in der Praxis die Hände wasche, weiß ich, dass mir das Waschbecken, zumindest teilweise, mitgehört.“ Das nenne ich Teilhabe! Vielleicht müsste es mehr solcher Projekte auch andernorts geben, um zu zeigen, was geht, wenn viele zusammenkommen und ihren Part übernehmen. Da ich sah, wie alle mitmachten, war auch ich bereit, meinen Teil beizusteuern und nochmal zu investieren. Die Gemeinschaft setz einfach Kräfte frei. Wir, die Ärzteschaft, waren dann auch tatsächlich von Anfang an in die Planung miteinbezogen, und wurden mit unseren Bedarfen und Vorgaben gehört. Beispielsweise gab ich vor, dass die neue Praxis eine gewisse Größe benötigt, um mehrbehandlerfähig und somit zukunftssicher zu sein. Genau das wurde am Ende auch umgesetzt.

Bild von einem Quotenzeichen
„Fest steht: Es braucht jüngere Zahnärzte, die hier wirklich ankommen undärzte, die hier wirklich ankommen und investieren wollen. Dann erschließen sichinvestieren wollen. Dann erschließen sich die Möglichkeiten und das Potenzialdie Möglichkeiten und das Potenzial einer Praxis wie meiner […]“

Wann konnten Sie Ihre Praxis eröffnen?

Im August 2021. Normalerweise dauern Baugenehmigungen sehr lange, verkomplizieren und verzögern sich, aber durch das Zutun des Bürgermeisters, der alle Fördermöglichkeiten, unter anderem als Schwerpunktgemeinde im ländlichen Raum, ausschöpfte, wurde unglaublich viel in Bewegung gesetzt und extrem beschleunigt. Hier ist wahnsinnig viel passiert, weil Leute in Aktion getreten sind. Wichtig ist an dieser Stelle auch festzuhalten: Ich bin nicht Eigentümer der Praxis, sondern miete als Genosse die Räumlichkeiten der Genossenschaft. Später, wenn ich mich dann aus dem Beruf zurückziehen möchte, würde ich nur das Equipment verkaufen, und ein möglicher Nachfolger kann dann in ein neues Mietverhältnis mit der Genossenschaft treten.

Apropos Nachfolger, wie sieht Ihre Planung in Bezug auf eine Praxisübergabe aus?

Aktuell praktiziere ich nach wie vor alleine, bemühe mich aber um Zuwachs. Gleich zu Beginn, als wir die Praxis einrichteten, hatte ich Kontakt zu einem Makler aufgenommen, der sich die Praxis anschaute und mir versicherte, sie sei top mit vier Behandlungszimmern auf 250 Quadratmetern, klimatisierten Räumen, nachhaltig gebaut mit Photovoltaikanlage. Es ist alles da, nur die Lage ist eben ländlich, bietet aber eine hohe Lebensqualität für Familien, sowie enormen Freizeitwert zwischen Bodensee, Schwarzwald und Schweiz! Der Makler aber meinte: „Für die Praxis fände ich im Randgebiet von Stuttgart sofort Abnehmer.“ Ich bleibe zuversichtlich, bin als Übergeber für alles offen, je nachdem, was ein(e) potenzielle(r) Nachfolger(in) oder mehrerer Nachfolger(innen) sich vorstellen: meine Unterstützung und meinen vorläufigen Verbleib in der Praxis für geraume Zeit, oder einen Cut und ich übergebe und ziehe mich zurück. Fest steht: Es braucht jüngere Zahnärzte, die hier wirklich ankommen und investieren wollen. Dann erschließen sich die Möglichkeiten und das Potenzial einer Praxis wie meiner, die rentabel ist und sehr dankbare Patienten bietet.

 

Versorgung vor Ort: Ärztehaus Tengen

Das Konzept des Hauses wurde von Ärzten für Patienten und Ärzte gleichermaßen entwickelt und umgesetzt. Ziel war und ist es, mit einem konzentrierten medizinischen Versorgungsangebot die ländliche ärztliche Infrastruktur sicherzustellen. Das Ärztehaus wurde durch eine eingetragene Genossenschaft finanziert und gebaut, und vermietet die Räumlichkeiten an die jeweiligen Mietparteien. Im ersten Obergeschoss befindet sich eine Hausarztpraxis mit vier Behandlern, im zweiten Stock praktiziert Zahnarzt Ulrich Mueller.

Weitere Infos zur Praxis oder für eine Kontaktaufnahme: www.mueller-zahnarzt.de 

Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

 

 

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