Branchenmeldungen 12.11.2024
Wichtiger Versuch: mit Stipendium Gesundheitsversorgung sichern
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Dieser Beitrag ist „ unter dem Originaltitel „Ein wichtiger Versuch: mit Stipendium Gesundheitsversorgung sichern“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.
Während großstädtische Hotspots mit einer hohen Dichte an Arzt- und Zahnarztpraxen ausgestattet sind, sehen sich andere Regionen immer mehr gezwungen, mit diversen Maßnahmen einer perspektivisch schwindenden Gesundheitsversorgung entgegenzuwirken. Ein aktuelles Beispiel: die Stadt Wittenberge und das von ihr ausgerufene Medizin- und Zahnmedizinstipendium. Genaueres dazu verraten unsere beiden Interviews mit Bürgermeister Dr. Oliver Hermann und Stipendiatin Romy Philipowitz.
Das Stipendium der Stadt Wittenberge bietet Medizin- bzw. Zahnmedizinstudierenden eine monatliche finanzielle Unterstützung. Im Gegenzug verpflichten sich die angehenden Mediziner, nach ihrer Facharztausbildung fünf Jahre primär in der Stadt oder den zugehörigen Ortsteilen zu praktizieren. Zusätzlich will die Stadt mit einem Mentorenprogramm auch bei der Suche nach einer Praxis unterstützen. Das Stipendium ist nicht an ein bestimmtes Semester gebunden. Es können sich sowohl Studierende bewerben, die sich gerade erst immatrikulieren lassen, als auch solche, die bereits in einem späteren Semester sind. Das Stipendium gehört zu einer von mehreren Initiativen, mit denen die Stadt sich aktiv für eine langfristige Verbesserung der Gesundheitsversorgung in der Elbestadt einsetzt. Zu diesen Initiativen gehört auch ein entstehendes Ärztehaus in der Innenstadt. Mit dem künftigen Ärztehaus, das derzeit von der Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Wittenberge saniert wird und dessen Fertigstellung für Anfang 2025 geplant ist, erhalten interessierte Mediziner die Möglichkeit, sich selbstständig niederzulassen oder auch in Anstellung zu gehen. Ob als Einzel- oder Gemeinschaftspraxis, als Leasingpraxis oder im Teilzeit-/Sharing-Modell – jede Form des Praktizierens ist denkbar.

Interview mit mit Dr. Oliver Hermann, Bürgermeister der Stadt Wittenberge
Herr Dr. Herrmann, geben Sie uns bitte die Key Facts zum Stipendium.
Mit ihrem Förderangebot bietet die Stadt seit diesem Jahr zwei Studierenden – einer Person aus der Human- und einer anderen Person aus der Zahnmedizin – eine monatliche finanzielle Unterstützung. Im Gegenzug verpflichten sich die Stipendiaten, nach ihrer Facharztausbildung fünf Jahre vor Ort zu praktizieren und so die Region zu unterstützen. Das Stipendium umfasst ein finanzielles Volumen von monatlich 700 und jährlich 8.400 EUR, ausgelobt wurde es in diesem Frühjahr mittels eines Bewerbungsverfahrens. Ursprünglich wollten wir nur ein Stipendium vergeben. Aufgrund der guten Bewerberlage entschied sich jedoch die Stadtverwaltung zusammen mit den Stadtverordneten, die Fördermittel für beide Bereiche – der Human- wie Zahnmedizin – zu vergeben. So erhielten Wiebke Vogt und Romy Philipowitz am 27. April die Zuwendungsbescheide für das kommende Medizin- bzw. Zahnmedizinstipendium. Beide gehörten zu insgesamt neun Bewerbern. Romy Philipowitz studiert seit 2022 Zahnmedizin in Freiburg im Breisgau und wohnt in Perleberg. Auch Wiebke Vogt kommt aus der Rolandstadt und studiert seit 2021 in Magdeburg.
Mit welchem Ziel wurde das Stipendium ausgerufen?
Grundsätzlich ist das Stipendium ein Instrument, mit dem wir die Situation der ärztlichen – und zahnärztlichen Versorgung in Wittenberge verbessern möchten. Mit dem Stipendium möchten wir angehende Ärzte und Zahnärzte schon während ihres Studiums an die Stadt und die Region binden. Im Idealfall kommen die Bewerber aus der Region bzw. sind schon mit ihr bekannt. Im Bereich Zahnmedizin praktizieren derzeit neun Ärzte in der Elbestadt. Laut Kassenzahnärztlicher Vereinigung entspricht das einem Versorgungsgrad von 84,1 Prozent (Stichtag 31.12.2023). Das klingt zunächst einmal nach einer guten Versorgungslage. In der Realität nehmen die bestehenden Praxen aber nur noch selten weitere Patienten auf bzw. arbeiten bereits mit Wartelisten. Zudem liegt das Durchschnittsalter der Vertragszahnärzte im Landkreis bei 54,7 Jahren. Perspektivisch gehen wir davon aus, dass ohne neue Zahnärzte die Versorgung noch schlechter wird. Mit dem Stipendium möchten wir Anreize schaffen: für die Niederlassung mit einer eigenen Praxis, die Übernahme einer Zahnarztpraxis, einer Anstellung oder der Gründung einer Gemeinschaftspraxis.
„Mit dem Stipendium möchten wir angehende Ärzte und Zahnärzte schon während ihres Studiums an die Stadt und die Region binden. Im Idealfall kommen die Bewerber aus der Region bzw. sind schon mit ihr bekannt.”
Worin sehen Sie die Ursachen dafür, dass gerade im kleinstädtischen wie ländlichen Raum zahlreiche Praxen – Hausarzt wie Zahnarzt – keine Nachfolger finden?
Nachfolge kann auch gelingen wie ein aktuelles Beispiel aus Wittenberge zeigt. Im letzten Jahr wurde eine junge Zahnmedizinerin durch eine Onlinewerbung auf eine Praxis aufmerksam und verlegte ihren Lebensmittelpunkt von Mecklenburg-Vorpommern in die Elbestadt.
Uns ist aber auch bekannt, dass durch die hohe Arbeitsbelastung in den Praxen oft nicht die Zeit da ist, um sich aktiv um eine Nachfolge zu kümmern. Daher versucht die Stadt, konkret der Bereich Ärzteversorgung, beim Thema Praxisnachfolge zu unterstützen. Aber auch die Voraussetzungen für ein Studium spielen eine Rolle. Ein staatliches Zahnmedizinstudium ist sehr kostenintensiv. Alleine die Materialkosten belaufen sich unseres Wissens schon auf über 10.000 EUR. Der hohe NC ist ebenfalls ein Faktor, der den Zugang zum Studium erschwert. Aus unserer Sicht müssen mehr Menschen einen Zugang zum Zahnmedizinstudium erhalten, unabhängig vom NC und den privaten Einkommensverhältnissen.

Interview mit Romy Philipowitz, Stipendiatin der Stadt Wittenberge
Frau Philipowitz, warum haben Sie sich um die Fördermittel der Stadt Wittenberge beworben?
Ich habe mich für das Stipendium entschieden, weil mir eigentlich schon immer klar war, dass ich nach meinem Studium, das ich in Freiburg im Breisgau absolviere, wieder aufs Land möchte. Das ausgeschriebene Stipendium bot sich für mich besonders gut an, da ich in der Region aufgewachsen bin – das Umfeld von Wittenberge ist meine Heimat – und mir das hiesige Leben also bekannt ist. Außerdem bin ich ein Familienmensch und möchte dort leben, wo Familie, Freunde und mein Partner sind. Das waren alles Gründe, die mich zur Bewerbung motiviert haben, und umso mehr freue ich mich, dass es geklappt hat.
An das Stipendium ist gebunden, dass Sie nach Ihrem Studium in Wittenberge verbleiben – wie gehen Sie mit dieser Verpflichtung um?
Ich habe keinerlei Probleme damit, eine Verpflichtung einzugehen. Fünf Jahre sind im Verhältnis zu meiner noch kommenden Laufbahn eine kurze Zeit. Falls es mich doch noch woandershin verschlagen sollte, habe ich danach noch genug Zeit. Aber davon gehe ich eigentlich nicht aus. Außerdem sehe ich die Verpflichtung nicht als „Kompromiss“, ich sehe darin keinen Nachteil. Ich mag das Leben auf dem Land, es ist ruhiger, es ist nicht überfüllt und man hat alles, was man zum Leben braucht. Außerdem weiß ich, dass aufgrund meines Stipendiums immer jemand da ist, der mich später unterstützen wird, wenn ich einmal Hilfe brauche.
Wie erleben Studierende den vielerorts thematisierten Wegfall einer flächendeckenden zahnmedizinischen Versorgung im kleinstädtischen wie ländlichen Raum?
Das ist eine interessante Frage, denn wenn ich ehrlich bin, tangiert es uns wenig. Das Thema Praxissterben ist nicht wirklich etwas, worüber wir uns im Studium austauschen. Ich kann hier natürlich nur für mich und mein Umfeld sprechen, nicht für die Studierendenschaft an sich. Natürlich gibt es auch einige, die später aufs Land möchten, so wie ich. Das sind meistens aber auch diejenigen, die auf dem Land groß geworden sind. Die Studierenden, bei denen ich weiß, dass sie in einer Großstadt oder zumindest größeren Stadt aufgewachsen sind, haben keinen Bezug zum Leben in ländlichen Regionen. Dadurch fehlt ihnen meist auch der Anreiz, dorthin zu gehen. Andere wiederum wollen sich noch nicht während des Studiums festlegen, wo sie später arbeiten möchten. Für die meisten stehen primär erst mal die Herausforderungen des Studiums im Vordergrund, was danach geschieht, hat noch keine Relevanz.