Branchenmeldungen 16.10.2025

Gewalt in der Praxis: Junge Fachkräfte zweifeln doppelt so oft an ihrer Berufswahl

DOCTOLIB – Die Bundesregierung plant für Herbst 2025 einen neuen Gesetzesentwurf, um Gesundheitsfachkräfte noch besser vor Gewalt zu schützen. Der Anstoß dazu kommt insbesondere angesichts zunehmender Angriffe und Gewaltvorfälle in medizinischen Einrichtungen, die mittlerweile als ernsthaftes gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden.1

Gewalt in der Praxis: Junge Fachkräfte zweifeln doppelt so oft an ihrer Berufswahl

Foto: Krakenimages.com – stock.adobe.com

Eine aktuelle YouGov-Umfrage im Auftrag des Healthtech-Unternehmens Doctolib bestätigt: Drei Viertel der befragten 1.008 Ärzt:innen, Pflegekräfte und medizinischen Fachangestellten waren in den vergangenen zwölf Monaten mit Konfliktsituationen und Gewalt in verschiedenem Ausmaß konfrontiert. Besonders alarmierend in Zeiten des Fachkräftemangels: Jüngere Beschäftigte (25-34 Jahre) zweifeln nach Gewalterfahrungen doppelt so häufig an ihrer Berufswahl wie ältere Kolleginnen und Kollegen ab 55 Jahren (32 vs. 16 Prozent).

Verbale Aggressionen und Beleidigungen dominieren den Praxisalltag

Drei Viertel (75 Prozent) der Befragten berichten, im vergangenen Jahr mindestens einmal mit Gewalt oder Konfliktsituationen konfrontiert gewesen zu sein, 85 Prozent davon sogar mehrfach. Zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) erlebten verbale Aggressionen und Beleidigungen durch Patient:innen oder Angehörige, 38 Prozent Bedrohungen. Jede vierte Fachkraft war sogar körperlicher Gewalt ausgesetzt (24 Prozent), ebenso viele erlebten Diebstahl in der Praxis oder Klinik. Männliche Beschäftigte sind überproportional betroffen: 46 Prozent erlebten Bedrohungen, 32 Prozent körperliche Gewalt, 30 Prozent Diebstähle.

Psychische Folgen in Zeiten von Fachkräftemangel

Die psychischen Folgen sind gravierend: Zwei Drittel (67 Prozent) berichten von Wut über fehlenden Respekt. Männer entwickeln zudem noch häufiger Angst und Unsicherheit am Arbeitsplatz als Frauen (39 Prozent vs. 35 Prozent) und erwägen einen Jobwechsel (27 vs. 21 Prozent).

Bild von einem Quotenzeichen
„Diese Zahlen zeigen, dass wir nicht nur über Einzelfälle sprechen, sondern über ein systemisches Problem, das die Zukunft unserer Gesundheitsversorgung extrem belastet. Hohe Fehlzeiten in Arztpraxen und Fluktuation sind alarmierend", erklärt Dietmar Karweina, Praxismanagement-Experte und Coach mit über 30 Jahren Erfahrung. „Die gute Nachricht ist: Viele aggressive Situationen entstehen durch organisatorische Probleme, die durchaus lösbar sind. Wenn Praxen klare Kommunikationsstrukturen schaffen, ihr Zeit- und Terminmanagement optimieren und ihre Teams in souveräner Patientenführung schulen, können sie das Stresslevel deutlich reduzieren."

Halbwissen und Wartezeiten als häufigste Auslöser

Die Ursachen liegen nicht in der medizinischen Behandlung selbst: 46 Prozent der Befragten machen "Halbwissen der Menschen, die ihre Erwartungen nicht bestätigt sehen" verantwortlich, 42 Prozent lange Wartezeiten. In Arztpraxen dominieren organisatorische Faktoren wie Wartezeiten (51 Prozent) und Terminprobleme (47 Prozent), in Kliniken steht die "Überforderung mit der Krankheit/Verletzung" im Vordergrund (45 Prozent).

Digitale Lösungen zur Stressreduzierung im Fokus

Fast drei Viertel (74 Prozent) der Fachkräfte sieht in digitalen Lösungen Potenzial zur Reduzierung des Stresslevels im Team und des Eskalationspotentials: Online-Terminbuchung rund um die Uhr (39 Prozent), digitale Patientenkommunikation (37 Prozent) und automatische Terminerinnerungen per SMS/E-Mail (28 Prozent) könnten Wartezeiten verkürzen und damit Eskalationen verhindern. Digitale Lösungen wie die des Health-Tech-Unternehmens Doctolib, die diese Funktionen bündeln, werden dabei zunehmend als Entlastung wahrgenommen – besonders von jüngeren Beschäftigten (18-34 Jahre), die auf digitale Verwaltungslösungen wie Online-Terminbuchungen (44 Prozent) und digitale Patientenkommunikation (43 Prozent) verstärkt setzen.

Mehrdimensionale Lösungen und Deeskalationsstrategien gefordert

Die geplante Gesetzesverschärfung der Bundesregierung findet Zustimmung bei etwa zwei Dritteln der Befragten, denn 34 Prozent nennen sie „Sehr hilfreich“, während 32 Prozent die Initiative als "eher hilfreich" ansehen, aber auch gleichzeitig betonen, dass es zusätzliche Präventionsmaßnahmen braucht. 19 Prozent geben an: "Wenig hilfreich – Gesetze ändern nichts am Grundproblem".

Konkret fordern die Befragten mehr Sicherheitspersonal in Gesundheitseinrichtungen (47 Prozent), Aufklärungskampagnen für Patienten über respektvolles Verhalten (46 Prozent) und psychologische Betreuung nach Gewalterfahrungen (46 Prozent).

Bild von einem Quotenzeichen
„Unsere Umfrage zeigt deutlich: Schwierige Situationen entstehen oft dort, wo organisatorische Abläufe nicht einfach funktionieren – wie bei Wartezeiten und Terminproblemen. Digitale Lösungen wie unsere können hier einen wichtigen Beitrag leisten, von der einfachen Terminvergabe über smarte Wartelisten und digitale Erinnerungen bis zur besseren Patientenkommunikation", erklärt Susanne Dubuisson, Product Director bei Doctolib Deutschland.

Hohe Schulungsbereitschaft trotz Personalmangel

Trotz angespannter Personalsituation haben bereits 54 Prozent der Befragten Schulungen zu Deeskalation, Gewaltprävention oder Umgang mit aggressiven Patienten und Angehörigen absolviert, weitere 28 Prozent zeigen großes Interesse. Dies verdeutlicht die Bereitschaft der Fachkräfte, selbst aktiv zu werden.

Dass sich Investitionen in Schulungen auszahlen, bestätigt Andrea Kammerl, Leitende Medizinische Fachangestellte in der Praxisgemeinschaft Poststraße 7 in Mudersbach: „Wir haben ein Training durchgeführt und konnten viele Anregungen erfolgreich umsetzen. Sehr hilfreich ist, sich bewusst zu machen: Ein Mensch kommt vielleicht unter Schmerzen oder mit Angst in die Praxis und ist deshalb sehr angespannt. Den Patientinnen und Patienten das Gefühl geben, dass man sie versteht, entschärft oft den Ärger. Dann können wir das Thema in Ruhe angehen."

Was Patient:innen selbst tun können: Strategien gegen Stress

Konflikte lassen sich oft vermeiden, bevor sie entstehen, erklärt Sarah-Lisa Besemer, Hypnose-Coachin und ehemalige Führungskraft aus Berlin: „In Stressmomenten reagieren Patientinnen und Patienten selten wütend – sie sind meistens überfordert. Angst, Hilflosigkeit oder das Gefühl, nicht gehört zu werden, kippen schnell in Verteidigung oder Aggression. Es geht um ihr Bedürfnis, gesehen und verstanden zu werden." Die Expertin empfiehlt Techniken, die helfen können: Nervensystem beruhigen:

  • Tief einatmen und doppelt so lange ausatmen. Das verhindert, dass Anspannung in Angriff oder Verteidigung kippt.
  • Blick weiten: Den Raum um sich herum bewusst wahrnehmen und in die periphere Sicht gehen. Das schafft Distanz zum Gefühl und unterstützt die Selbstregulation.
  • Bedürfnis klären: Sich innerlich fragen, was das Gefühl sagen will, und es in Worte fassen – etwa „Ich bin gerade unsicher und brauche Klarheit". Das reduziert Missverständnisse und schafft Verbindung statt Eskalation.

Informationen zur Studie

Die Ergebnisse basieren auf einer Online-Befragung von YouGov im Auftrag von Doctolib. Zwischen dem 27. August und 4. September 2025 nahmen 1.008 Gesundheitsfachkräfte teil, die aktuell oder in den letzten zwölf Monaten in einer Praxis oder Klinik tätig waren.

[1] Kaden-Verlag: Gewalt gegen Angehörige der Gesundheitsberufe: Bundesjustizministerium arbeitet an Gesetzentwurf (Weblink abgerufen am 26.09.2025)

Dieser Beitrag stammt von dem Anbieter und spiegelt nicht die Meinung der Redaktion wider.
Mehr News aus Branchenmeldungen

ePaper