Branchenmeldungen 24.06.2022
Modernes Biofilmmanagement – Ein Paradigmenwechsel
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Ein Biofilm ist eine mikrobiell entstandene, sessile Gemeinschaft, charakterisiert durch Zellen, welche irreversibel an eine Oberfläche, eine Grenzfläche und aneinandergeheftet sind. Biofilme sind in einer Matriaus extrazellulären polymeren Substanzen, die sie selbst produziert haben, eingebettet. Sie weisen ein verändertes Erscheinungsbild (Phänotyp) bezüglich Wachstumsrate und Genexpression gegenüber suspendiert lebenden Zellen auf.
Auch die dentale Plaque ist ein Biofilm.1, 2 Der vitale sub- und supragingivale dysbiotische Biofilm ist die Ursache der wichtigsten oralen Erkrankungen (Karies, Gingivitis, Parodontitis). Im Biofilm findet eine ökologische Verschiebung (Dysbiose) zugunsten von „Spezialisten“ und eine Abnahme der Diversität der Keime statt (Störung der Homöostase/Dysbiose).3
Der orale Biofilm lebt auf Oberflächen der Mundhöhle.4 Diese Oberflächen können Hart- oder Weichgewebe der Mundhöhle, unbelebte Oberflächen wie kieferorthopädische Bänder, Aligner, Kronen, Brücken, Prothesen und Implantate usw. sein.5 Durch die Nähe zum Gingiva-Epithel kann sich die parodontale und periimplantäre Gesundheit verschlechtern.6 Orale Biofilme bilden sich auch in einigen unzugänglichen Bereichen der Mundhöhle, aus denen sie nur schwer zu entfernen sind, was das häusliche Mundhygienemanagement beeinträchtigt. Scaling und Wurzelglättung (SRP) v. a. mit Handinstrumenten und klassischer Politur (RCP) galt sehr lange als der Goldstandard für das professionelle mechanische Biofilm- und Zahnsteinmanagement.7 Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und der technische Fortschritt machen eine Neuausrichtung des Biofilm- und Zahnsteinmanagement notwendig. Vor allem die Effektivität der Reinigungsleistung, die Substanzschonung, der Patienten- und Behandlerkomfort spielen beim SRP fast keine Rolle.8–10
Um den modernen Anforderungen gerecht zu werden, wird ein alternativer neuer Ansatz zur Entfernung des Biofilms praktiziert. Supragingivaler Biofilm wird durch Anfärben sichtbar gemacht. Anschließend wird der Biofilm mit der AIRFLOW-Technologie (AMPF, AIRFLOW Propyhlaxis Master) mit einem geringabrasiven Pulver auf Erythritol-Basis (PLUS Pulver) entfernt. Danach erfolgt das gezielte supra- und subgingivale Zahnsteinmanagement mit piezo-keramischem Ultraschall (Piezon No Pain/PS). Dieses Behandlungskonzept wurde 2015 als „Guided Biofilm Therapy“ (GBT) eingeführt (Abb. 1).10, 11
Vergleich der Instrumente zum Biofilmmanagement Die wichtigsten heute zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sind:
- Handinstrumente
- Schall- und Ultraschallinstrumente
- Klassische Politur (RCP)
- AIRFLOW-Systeme
Beim Vergleich, der heute in der Initial- und Erhaltungstherapie zum Einsatz kommenden Instrumente, steht neben der Reinigungsleistung (Effektivität) vor allem die Substanzschonung, die Patientenzufriedenheit und der Behandlerkomfort im Vordergrund. Bereits 1997 postulierte Flemmig, dass ein Verlust von mehr als 0,5 mm Zement/Dentin über den kurzen Zeitraum von zehn Jahren in der Erhaltungstherapie bereits inakzeptabel ist. Das bedeutet, dass in der Erhaltungsphase max. 0,05 mm (50 μm) pro Jahr abgetragen werden dürfen.12
Handinstrumente (Scaler und Küretten)
Zahnstein ist die mineralisierte Form des Biofilms. Zahnstein ist keine primäre Ursache für die wichtigsten oralen Erkrankungen. Er hat einen sekundären Einfluss auf die Pathogenese der oralen Erkrankungen, erleichtert die Retention von Bakterien und erschwert die häusliche Mundhygiene. Scaler und Küretten haben sich als wirksam bei der Entfernung von harten Ablagerungen bewährt. Die Anwendung ist technisch anspruchsvoll, erfordert ein gutes taktiles Gefühl, ist schwierig zu erlernen und erfordert eine lange Lernphase. Die Anwendung ist zeitaufwendig, es werden zahlreiche Instrumente benötigt, die regelmäßig geschliffen werden müssen. Der Komfort für die Patienten und die Behandler ist gering. Die Nachteile liegen vor allem bei regelmäßiger Anwendung in der mangelhaften Substanzschonung (Abb. 2).13, 14 Die Folgen sind Gewebeverlust mit Narbenbildung, Attachmentverlust bei flachen Taschen (Abb. 3), freiliegende Zahnhälse (Hypersensitivitäten) und ästhetische Probleme.
Klassische Politur versus AIRFLOW
Die klassische Politur mit rotierenden Instrumenten, Gummikelchen, Bürsten und Polierpaste (RCP) hat gegenüber der AIRFLOW- Anwendung erhebliche Nachteile:
- Zeitaufwendig
- Unvollständige Biofilmentfernung in Fissuren, Grübchen, bei Implantaten, im Zahnzwischenraum, bei Engständen, im Sulkus, während festsitzender KFO- Behandlungen (Abb. 4)
- Subgingivale Biofilmentfernung ist nicht möglich
- Polierpasten werden in Taschen transportiert und verbleiben dort
- Zu abrasiv bei freiliegenden Zahnhälsen
- Hitzeentwicklung bei inkorrekter Anwendung
- Viele verschiedene Hilfsmittel, großer Materialverbrauch, schwierige Wiederaufbereitung
Die wesentlich bessere Reinigungswirkung (Effektivität) bei der supragingivalen Biofilmentfernung von AIRFLOW gegenüber RCP wurde in einer Arbeit der Universität Krems von 2021 gezeigt: Erythritol-Pulver-Airflow (EPAF) erzielte signifikant bessere Ergebnisse der supragingivalen Biofilmentfernung an Front- und Seitenzähnen. Nach 24 Stunden war die Biofilmneubildung nach EPAF geringer als mit RCP.15
Auch bei den Werten des Substanzverlustes und der Rauheit zeigt die AIRFLOW- Technologie die besten Ergebnisse. Dies zeigte eine vergleichende Untersuchung der Universität Graz aus dem Jahre 2018.16 Es wurden die Auswirkungen (Rauheit, Substanzverlust) der Instrumentierung (mit Handinstrumenten, piezo-keramischen Ultraschallsystemen, AIRFLOW mit Erythritol-Pulver, klassischer Politur und deren Kombinationen) bei der sub- und supragingivalen Zahnreinigung untersucht. Die gefundenen Ergebnisse bestätigen die Ergebnisse einer Arbeit von 2016.17 Die beste Tiefenreinigung mit gleichzeitig geringstem Substanzverlust an Schmelz, Dentin und Zement wird mit AIRFLOW und Erythritol-Pulver erzielt. Eine weitere Politur bringt nur scheinbar bessere Ergebnisse, da die Tiefen des Profils mit Paste aufgefüllt werden (Abb. 5)
Schall/Ultraschallinstrumente
Die wichtigsten Vorteile besonders der piezokeramischen Ultraschalltechnologie (Abb. 6) gegenüber der Handinstrumentierung sind wissenschaftlich gut dokumentiert:
- Kein Attachmentverlust bei Taschen bis 4,5 mm.14
- 10-mal weniger Verlust an Wurzelze- ment und Dentin, glattere Oberflächen (Abb. 2).18
- Besserer Zugang in Taschen über 6 mm und Furkationen, konstant gespültes Arbeitsfeld.
- Weniger invasive Vorgehensweise, oft keine Anästhesie erforderlich.19
- Universell (supra- und subgingival) zur Entfernung von mineralisierten Belägen und bakteriellem Biofilm einsetzbar.
Durch ihre höhere Effizienz im Vergleich zu Handinstrumenten ermöglichen Ultraschallsysteme kürzere Behandlungssitzungen (20–60 %). Sie rufen im Vergleich zu Küretten eine geringere Schmerzempfindung bei Patienten hervor und finden daher eine höhere Akzeptanz bei ihnen.
AIRFLOW-Technologie
Die Literatur zur AIRFLOW-Technologie (Abb. 4) mit geringabrasiven Pulvern beim subgingivalen Biofilmmanagement gegenüber Hand- und Ultraschallinstrumenten zeigt die Vorteile dieser neuen Technologie eindrücklich:
- Die Vorteile der supragingivalen Biofilmentfernung wurden bereits im Absatz klassische Politur versus AIRFLOW diskutiert.
- In flachen Taschen (bis zu 4 mm Sondierungstiefe) entfernt AIRFLOW mit gering- abrasiven Pulvern subgingivalen Biofilm wirksamer.20
- In mitteltiefen/tiefen Taschen (≥ 5 mm Sondierungstiefe) entfernt AIRFLOW mit geringabrasiven Pulvern subgingivalen Biofilm wirksamer.21
- Die Anwendung von AIRFLOW mit geringabrasiven Pulvern führte zu einer signifikant größeren Reduktion der subgingivalen Bakterienmenge, die Rekonolisation erfolgt wesentlich langsamer.22
- Die Anwendung der AF-Technik mit Erythritol-Pulver auf das Zahnfleisch führt zu keiner Irritation der Gingiva.23
- Bei der Anwendung von AIRFLOW mit geringabrasiven Pulvern kann in einer beträchtlich geringeren Zeit ein besseres Entfernen des subgingivalen und supragingivalen Biofilms erzielt werden.24
- Biofilmmanagement mit AIRFLOW mit geringabrasiven Pulvern zeigt auf Schmelz, Dentin und Komposit nur minimale Substanzverluste bei gleichzeitig niedrigsten Oberflächenrauigkeiten.25
- Auf Wurzelzement ist subgingivales AIRFLOW mit niedrigabrasivem Pulver schonend und sicher.26
- AIRFLOW mit geringabrasiven Pulvern ist für Patienten viel angenehmer und mit weniger Schmerzen verbunden.24, 27, 28
- Es konnte eine hohe Patientenakzeptanz bei modernen Methoden (Guided Biofilm Therapy) nachgewiesen werden.31
Zusammenfassung
Wann sollten neue Wege (Paradigmenwechsel) grundsätzlich in der Medizin und auch im Biofilmmanagement (Paradigmenwechsel) gegangen werden? Wenn die neue Therapie der alten bei klinischen, mikrobiologischen Resultaten und der Substanzerhaltung überlegen ist. Oder wenn die neue Therapie zusätzliche relevante Aspekte hat, wie Patientenkomfort, Behandlerkomfort, Zeitersparnis und/oder Wirtschaftlichkeit. In diesem Sinne müssen die wissenschaftlichen Erkenntnisse und der technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte zu einer Änderung des Ablaufprotokolls nach Axelsson und Lindhe28,29 führen. Biofilm muss durch Anfärben sichtbar gemacht und dann gezielt, effektiv, schnell, schmerzarm und substanzschonend entfernt werden (AIRFLOW®/PERIOFLOW®/ PLUS®). Dann folgt eine ebenfalls gezielte, schonende Entfernung der harten Ablagerungen mit der piezo-keramischen Ultraschalltechnologie (Piezon No Pain®/PS- Spitze).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die AIRFLOW-Technik mit niedrigabrasiven Pulvern heute der Goldstandard für das Biofilmmanagement ist. Die Vorteile dieser Technik liegen darin, dass sie besser, schneller und sicherer ist, keine Schäden an Zahnhartsubstanz, Weichgewebe und Restaurationen verursacht und sowohl Patienten als auch Behandler vor Unannehmlichkeiten bewahrt.
Literatur kann in der Redaktion unter dz-redaktion@oemus-media.de angefordert werden.
Dieser Artikel ist in der DZ Denzalzeitung 3/22 erschienen.