Branchenmeldungen 10.06.2015
Parodontologie – Konzepte auf dem Prüfstand
Berliner Zahnärztetag 2015 – Die wissenschaftlichen Referate
Wie von den wissenschaftlichen Leitern, Priv.-Doz. Dr. Stefan Fickl vom Universitätsklinikum Würzburg und Dr. Peter Purucker von der Charité-Universitätsmedizin Berlin, zur Eröffnung des Kongresses versprochen, gab der 29. Berliner Zahnärztetag viele praktisch umsetzbare Orientierungshilfen zur differenzierten Herangehensweise an parodontologische Probleme im Praxisalltag. Mit der Zusammenfassung der Referate wird ein Einblick in die unterschiedlichen Konzepte gegeben.
Die klassische Parodontaltherapie
Parodontaltherapie – eher nicht-chirurgisch:
Die erste Session eröffnete Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf (Würzburg). Patienten mit schweren parodontalen Erkrankungen erhalten nach dem Würzburger Konzept ein subgingivales Debridement mit adjuvanter Antibiotikatherapie für sieben Tage (Metronidazol und Amoxicillin) ohne initiale Extraktionstherapie von parodontal stark geschwächten Zähnen. Ziel der Therapie ist die Ausheilung der parodontalen Entzündung mit Blutungswerten unter 15, besser noch unter zehn Prozent. Die Patienten werden in ein dreimonatiges Intervall für die unterstützende Parodontitistherapie eingebunden. Schwer erkrankte Zähne ohne Besserung der klinischen Parameter werden frühestens nach der ersten Reevaluation zwölf Wochen später entfernt. Chirurgische Parodontalbehandlungen werden bei Zähnen mit verbliebenen Sondierungstiefen über fünf Millimeter erst neun Monate nach der initialen Behandlung durchgeführt.
Parodontaltherapie – eher chirurgisch:
Priv.-Doz. Dr. Clemens Walter (Basel) betonte, dass aus Sicht der Patienten die nicht-chirurgische Therapie schmerzärmer, angenehmer und kostengünstiger sei. Bei verbleibenden residualen Sondierungstiefen von mehr als fünf Millimetern wären dennoch weiterführende chirurgische Maßnahmen erforderlich. Für eine erfolgreiche Therapie müssen die Defekte genau analysiert werden. Maßgeblich für die Entscheidung der chirurgischen Technik seien Defektbereich und -region (Front- oder Seitenzahnbereich) und die Vorgehensweise (resektiv oder regenerativ). Für regenerative parodontalchirurgische Maßnahmen eignen sich einwurzelige Zähne und dreiwandige, tiefe, schmale Knochendefekte. Bei Molaren mit Furkationsbeteiligung sollten eher resektive Therapieoptionen angewandt werden. Initial werde jedem Zahn eine Chance gegeben. Über die parodontale Stabilität werde erst sechs Monate nach dem initialen Debridement und einer selektiven Chirurgie entschieden.
Parodontaltherapie – eher radikal?
Die Schnittstelle zwischen Parodontologie und Implantologie wurde von Dr. Markus Schlee (Forchheim) mit der Frage „Ist das Implantat der bessere Zahn?“ erörtert. Eine frühzeitige Therapieentscheidung sei nötig, um eine fortschreitende Knochendestruktion mit anschließendem Knochenverlust und damit einhergehende ästhetische Einbußen bei der späteren prothetischen Versorgung zu vermeiden. Hoffnungslose Zähne in den ästhetischen Bereichen sollten daher lieber frühzeitig extrahiert werden.
Impressionen des 29. Berliner Zahnärztetages
Peri-prothetische Behandlungskonzepte
Restauration im parodontal vorgeschädigten Gebiss – können wir?
Mit einem imposanten Video pointierte Dr. Gerd Körner (Bielefeld) in der zweiten Session, wie aus Destruktion Ästhetik geschaffen werden kann. Doch eine formvollendete, harmonisch wirkende und funktionelle Rekonstruktion verloren gegangener Zähne ist nach parodontal bedingtem Verlust von Hart- und Weichgewebe eine Herausforderung. Für eine therapeutische Entscheidungsfindung im Hinblick auf Zahnextraktion, Implantation oder rein prothetische Versorgung fasste er verschiedene Faktoren zusammen. Wurzelresektionen bei Molaren mit Furkationsbefall sollten unter Vorbehalt durchgeführt werden, eher sei eine Implantatinsertion anzuraten, da Furkationsbefall die Prognose verschlechtert. Verloren gegangenes Gewebe kann sowohl prothetisch als auch kombiniert plastisch-parodontalchirurgisch und prothetisch versorgt werden. Das Interface könne mit minimal-invasiven und adhäsiv restaurativen Verfahren stabilisiert werden.
Implantate bei PA-Patienten – dürfen wir?
Priv.-Doz. Dr. Stefan Fickl (Würzburg) verdeutlichte in seinem Vortrag, dass eine Implantatversorgung im parodontal vorgeschädigten Gebiss eine Reihe von Risikofaktoren birgt, die teilweise beeinflussbar sind. Dazu zählen der allgemeinmedizinische Zustand des Patienten, das Vorhandensein von periimplantärer keratinisierter Gingiva, Implantatsysteme sowie prothetische Aspekte. Verschraubte Implantatsysteme scheinen das Auftreten einer Periimplantitis zu verringern. Präventiv wirkt sich auch die Einhaltung einer guten Mundhygiene seitens des Patienten auf die Vermeidung periimplantärer Entzündungen aus. Parodontale Vorerkrankungen stellen ein Periimplantitisrisiko dar: Patienten mit moderater bis schwerer Parodontitis zeigen höhere periimplantäre Sondierungstiefen, stärkeren Knochenverlust und höhere Implantatverlustraten. Vor Implantatinsertion sollten daher residuale Sondierungstiefen von mehr als fünf Millimeter nicht mehr vorhanden sein. Können diese Faktoren kontrolliert bzw. kontrollierbar gemacht werden, stellen Implantate bei einem parodontal vorgeschädigten Patienten eine Therapie mit langfristig stabiler Prognose dar. Das A und O sei es, Voraussetzungen innerhalb der Praxis zu schaffen, um eine frühzeitige Mukositis und Periimplantitis zu erkennen.
Periimplantitis bei PA-Patienten – (k)ein Problem?
Bevor implantiert wird, sollten Bedingungen geschaffen werden, die eine Implantatversorgung bei parodontal vorgeschädigten Patienten ermöglichen, so Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets (Hamburg). Auf Grundlage der Ätiologie periimplantärer Infektionen sei für den Behandlungserfolg die Kontrolle patienteneigener Risikofaktoren maßgeblich entscheidend. Liegt eine Periimplantitis vor, sollte in Abhängigkeit von der klinischen Situation unverzüglich gehandelt werden. Vorliegende Taschen sollten gesäubert, die Implantatoberfläche dekontaminiert und konditioniert, eine gute Mundhygiene etabliert und ggf. eine Regeneration von Knochen angestrebt werden. Ein großer Prädiktor für Periimplantitis seien Zementreste, die bei tiefliegendem Zementspalt subgingival verbleiben.
Plastische Parodontal- und Implantatchirurgie
Rezessionsdeckung – wo stehen wir heute?
Priv.-Doz. Dr. Stefan Hägewald stellte in der dritten Session die verschiedenen und individuell angepassten Techniken der Rezessionsdeckung als einen wesentlichen Bestandteil der Dentalästhetik vor. Um ein optimales Ergebnis erzielen zu können, müsse häufig Weichgewebe aufgebaut werden. Ein erfolgversprechendes Verfahren sei ein freies Bindegewebstransplantat in Kombination mit koronalem Verschiebelappen. Problematisch hierbei sei allerdings der postoperative Schmerz. Dünne Transplantate bieten dem Patienten eine komfortablere Lösung und bessere Ästhetik. Eine vollständige Rezessionsdeckung sei bereits ab einer Transplantatdicke von einem Millimeter möglich. Ein koronaler Verschiebelappen bietet in Kombination mit einem Bindegewebstransplantat oder Emdogain langfristig signifikant bessere Ergebnisse als in Kombination mit einer Membran.
Rezessionsdeckung – geht’s auch ohne autologe Transplantate?
Ein koronaler Verschiebelappen in Kombination mit einem autologen Bindegewebstransplantat sei nach wie vor der Goldstandard zur Behandlung parodontaler Rezessionen, bekräftigte Priv.-Doz. Dr. Stefan Fickl (Würzburg). Anhand eines Patientenfallbeispiels stellte er den Einsatz neuartiger resorbierbarer, porciner azellulärer dermaler Kollagenmatrizes dar. Dieses Material könnte eine für den Patienten komfortablere Alternative zum Bindegewebstransplantat sein. Ein histologischer Vergleich der Kollagenmatrix versus Bindegewebe zeigte eine ähnliche Wurzelabdeckung und keine Anzeichen von Entzündungen oder Fremdkörperreaktionen.
Plastische Implantatchirurgie – wie gut sind wir wirklich?
Mit dieser Fragestellung befasste sich Dr. Peter Randelzhofer (München) und schlussfolgerte: „Erhalten ist besser als aufbauen“. Ein ästhetisch ansprechendes Ergebnis im Sinne einer Kopie verloren gegangener Strukturen kann mit einem geeigneten Konzept, bestehend aus präziser Planung, dem Verständnis über die Biologie und die Funktion der Strukturen sowie der dentalen und fazialen Ästhetik, erreicht werden. Neben den Wünschen des Patienten solle nicht nur die knöcherne Defektsituation sondern auch deren strukturelle Umgebung genauestens beachtet werden. Wird eine Sofortimplantation gewählt, muss abgewogen werden, ob ein einphasiges Vorgehen mit möglicher Weichgewebsaugmentation, anatomischem Abutment und Sofortbelastung erfolgen kann oder ein zweiphasiges Vorgehen mit eventueller Insertion einer Kollagenmembran und primärem Wundverschluss zu empfehlen ist. Wer sich für eine verzögerte Sofortimplantation entscheidet, sollte das Socket entsprechend vorbereiten. Eine Spätimplantation sei möglicherweise an die Augmentation von Hart- und/oder Weichgewebe gebunden.
Leidenschaftlicher Meinungsaustausch
Einen interessanten Abschluss einer jeden Session bildeten lebhafte Diskussionen über die von den Tagungsleitern thematisch passend vorbereiteten Patientenfällen. Nicht nur die Referenten, auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte beteiligten sich an einem leidenschaftlichen Meinungsaustausch über die unterschiedlichen Therapiekonzepte.
Autorinnen: Dr. Daniela Hoedke und ZÄ Anne-Kristin Tietz (CharitéCentrum 3, Institut für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Abteilung Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin)
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Zahnärztekammer Berlin,
MBZ 06/2015