Branchenmeldungen 23.05.2023
„Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“
share
Fachkräftemangel ist inzwischen in vielen Bereichen der Wirtschaft angekommen. Aber auch die Zahnarztpraxen spüren allmählich den ausbleibenden Nachschub an neuen Mitarbeitern in den Assistenzberufen und der Dentalhygiene. Faktoren sind oft das inzwischen etwas beschädigte Image dieser Berufe sowie der Eindruck, dass es wenig oder keine Aufstiegschancen gäbe. Im folgenden Interview stellte DH Sylvia Fresmann, Vorstandsvorsitzende der Deutsche Gesellschaft für Dentalhygieniker/Innen e.V. (DGDH) anhand der Ergebnisse ihrer Studie vor, wie die aktuelle Arbeitssituation für die zahnärztliche Assistenz aussieht und wie man sie verbessern kann.
Frau Fresmann, Sie haben sich in Ihrer Bachelorarbeit mit der Fortbildung und Arbeitssituation des zahnärztlichen Praxisteams beschäftigt. Warum ist dieses Thema aktuell so wichtig und wie sieht die Situation für das Praxisteam derzeit aus?
Die Herausforderungen für das zahnärztliche Team sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, bei gleichzeitig steigendem Fachkräftemangel. Ich habe in meiner Bachelorarbeit die Umsetzung zahnärztlicher Prävention in der Praxis unter Berücksichtigung des Fortbildungsniveaus bei zahnärztlichem Fachpersonal untersucht. Die online durchgeführte fragebogenbasierte Querschnittsstudie von 2022 wurde mit einer gleichartigen Studie von mir, mit den gleichen Fragen aus 2012 von Prof. Ziebolz verglichen. Das Ziel dieser fragenbogenbasierten Querschnittsstudie war es, die Veränderung zum Kenntnis-Informations- und Ausbildungsstand der zahnärztlichen Mitarbeiter in Deutschland über einen Zeitraum von zehn Jahren zu ermitteln bzw. zu vergleichen. Zudem sollte eruiert werden, inwieweit sich der Fortbildungsbedarf entwickelt hat und ob sich spezielle Schwerpunktthemen identifizieren lassen. Im Weiteren sollte erfasst werden, ob seit 2012 der Anteil der Mitarbeiter gestiegen ist, die eine strukturierte Aus- oder Weiterbildung durchlaufen haben.
Hierzu wurde ein standardisierter Fragebogen aus einer 2012 durchgeführten Befragung nochmals überarbeitet und digitalisiert. Der Fragebogen wurde per QR-Code im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen für Praxisteams verteilt und bundesweit in Fachzeitschriften veröffentlicht. Der Fragebogen umfasste vier Themenkomplexe mit insgesamt 46 Fragen.
Der erste Komplex befasste ich mich mit der Beschreibung des Teilnehmerklientels, im zweiten mit den Angaben zu Fortbildungsverhalten und -bereitschaft, im dritten Komplex mit den Angaben zum eigenen Mundhygieneverhalten, Rauchgewohnheiten und Inanspruchnahme der PZR und letzten mit der Prophylaxeumsetzung in der jeweiligen Praxis. Die Befragung wurde im Zeitraum vom 6. Juli bis zum 23. November 2022 durchgeführt. Es wurden insgesamt 743 Fragebögen abgerufen.
Insgesamt konnten 450 Fragebögen ausgewertet werden. Mit 64 Prozent hatten im Vergleich zu 2012 erheblich mehr Mitarbeiter an einer strukturierten Fortbildung teilgenommen. Ein deutlicher Anstieg war mit 55 Prozent bei den DHs zu beobachten. Nach wie vor wird der größte Fortbildungsbedarf mit 62,18 Prozent bei der Behandlung von alten- und pflegebedürftigen Patienten gesehen.
Welche Ergebnisse hat die Umfrage bezüglich der Zufriedenheit und Bedürfnisse des Praxisteams ergeben?
Die Frage nach der Zukunftsplanung der Mitarbeiter wurde 2012 nicht gestellt, ist aber wahrscheinlich die Wichtigste in der aktuellen Befragung: Immerhin gaben 52 Prozent der Befragten an, der Zahnarztpraxis treu zu bleiben und auch nach einer Familienpause wieder zurückkehren. Allerdings sind knapp die Hälfte (48 Prozent) wechselwillig, 20 Prozent streben so bald wie möglich einen Praxiswechsel an und 28 Prozent wollen die Branche wechseln und die Zahnarztpraxis ganz verlassen. Das sind alarmierende Zahlen, wenn man außerdem bedenkt, dass die Altersgruppe 50+ mit 26 Prozent in den Zahnarztpraxen stark vertreten ist und in den nächsten Jahren in Rente gehen wird. Die Gründe dafür sind vielfältig. Hauptkritikpunkte sind ungünstige Arbeitszeiten, geringes Gehalt, wenig Wertschätzung, usw. Allerdings muss man diese Betrachtung differenziert sehen, denn die Ansprüche der unterschiedlichen Altersgruppen unterscheiden sich stark. So ist ein vorherrschendes Thema sicherlich das Gehalt, jedoch möchten viele junge Mitarbeiter auch weniger Stunden arbeiten und streben eine positivere Work-Life-Balance an. Teilweise geht in manchen Praxen der Trend schon zu einer Vier-Tage-Woche, um so mehr Mitarbeiter für die jeweilige Praxis zu interessieren.
Was ergeben sich daraus für Empfehlungen und Konsequenzen für den Praxisalltag bzw. für das Arbeits- und ggf. auch Ausbildungsverhältnis der zahnärztlichen Assistenzberufe?
Im Vergleich zur Untersuchung aus 2012 hat es in den zehn Jahren einige Entwicklungen gegeben. In der Untersuchung von 2012 war die größte Gruppe der Befragten mit 38 Prozent in der Altersgruppe 21 bis 30 Jahre, 2022 waren es nur noch 17,1 Prozent. Dem gegenüber stehen offizielle Zahlen: 2012 wurden 12.360 neue Ausbildungsverträge geschlossen, 2022 sogar 14.215. Tatsächlich war wegen der Covid-Pandemie und den damit verbundenen ökonomischen Restriktionen 2020 ein Rückgang der Ausbildungsverhältnisse zu beobachten, 2020 wurden ca. 2.000 weniger ZFAs ausgebildet.1 Diese Zahlen spiegeln allerdings nicht wieder, wie viele dieser Auszubildenden die Ausbildung tatsächlich beendet haben und eine Anstellung als ZFA angetreten wurde. Hier geben nur einzelne KZVn Auskunft: Die KZV Schleswig-Holstein veröffentlichte im April 2022 eine Abbrecherquote bei den Auszubildenden von 40 Prozent.2 Die LZÄK Hessen veröffentlichte in 2/2020 eine Abbrecherquote von 30 Prozent in einer Studie zur Mitarbeiterzufriedenheit.3 Aus diesen Zahlen lassen sich bereits heute Folgen ableiten: Werden weniger ZFAs ausgebildet, fehlt Fachpersonal in den Praxen Die Ergebnisse der aktuellen Befragung können hierfür bereits einen Anhalt in der Altersgruppe der 21 bis 30-Jährigen aufzeigen. Außerdem wird, sollte sich der Trend bundesweit fortsetzen, auch die Anzahl der fortgebildeten Mitarbeiter als Folge zurückgehen, da der Basisberuf ZFA einen „Mangelzustand“ darstellen wird. Bei der Befragung 2022 konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der ZMPs und DHs im Vergleich zu 2012 um 29 Prozent gestiegen ist. Das ist vermutlich eine Folge der zahlenmäßig wachsenden Aufstiegsfortbildungsangebote verschiedener Ausbildungsinstitute für DHs. Auch die neu geschaffenen Studiengänge der Fachhochschulen werden insgesamt mehr angesprochen. Ein weiterer Grund ist in der Neuordnung der PAR-Behandlung in der GKV von 2021 zu sehen. Die neue PAR-Richtlinie der GKV und den damit verbundenen neuen Abrechnungspositionen hat einen wahren Boom bei den Fortbildungsinstituten ausgelöst. Jedoch werden nun mit dem Inkrafttreten des Finanzstabilisierungsgesetzes am 1. Januar 2023 die neuen PAR-Leistungen budgetiert. Es bleibt abzuwarten, ob dies einen Einfluss auf die Situation der DHs und weiterer Mitarbeitergruppen allgemein hat.
Hinsichtlich der Größe der Stadt des Praxisstandortes gab es eine deutliche Verschiebung der Angaben von 2012 zu 2022: 36,4 Prozent der Befragten gaben an, in einer mittleren Stadt bis 100. 000 Einwohner zu arbeiten, 2012 waren das nur 24 Prozent. Bei Großstädten bis 500.000 Einwohner gab es zu 2012 kaum Änderungen, dafür waren in Großstädten von mehr als 500.000 Einwohner im Vergleich acht Prozent weniger beschäftigt. In kleineren Städten von unter 5.000 Einwohner sank die Beschäftigtenanzahl um vier Prozent im Vergleich zu 2012, dafür stieg der Anteil der Beschäftigten in Städten von 5.000 bis 20.000 Einwohnern um vier Prozent. Diese Zahlen können ein Hinweis darauf sein, dass gerade auf dem Land Fachkräfte in größere Städte abwandern. Gerade in ländlichen Regionen werden ebenso qualifizierte Fachkräfte benötigt, um präventive Maßnahmen zielgerichtet für Patienten unterschiedlicher Altersgruppen anzubieten.
Prävention ist eine gesundheitspolitische Aufgabe, die in Deutschland lt. Zahnheilkundegesetz §1 Abs. 5 „an dafür qualifiziertes Prophylaxe-Fachpersonal“ delegiert werden darf. Doch wer ist dieses Fachpersonal? Im Gesetz findet man eine Aufzählung der Fortbildungsberufe und eine Aufzählung der delegierbaren Leistungen. Jedoch findet sich keine Zuordnung der delegierbaren Leistungen zur jeweiligen Fortbildungsstufe der Mitarbeiter (ZHG, 2010).4 Zwar haben einzelne Zahnärztekammer einen Rahmenplan der delegierbaren Leistungen und der jeweiligen Qualifikation veröffentlicht, jedoch haben diese Zuordnungen nur Empfehlungscharakter (ZÄKWL Delegationstabelle 2022).5 Sie stellen nach Angaben der Zahnärztekammer eine „wertvolle Hilfe“ zur Delegationsentscheidung der Zahnärzte dar, haben aber keine rechtliche Bindung. Das führt zur Verunsicherung und zu Imageverlusten des „Lehrberufes ZFA“; denn, wenn in einem Beruf nicht klar ist, welche Aufgaben zum Berufsbild gehören, ist das sicher kein Zukunftsberuf. Entsprechend ist die DH in Deutschland kein eigenständiger Gesundheitsberuf, sondern eine Weiterbildung der ZFA. Es scheint demnach zeitgemäß, dass die bestehenden Ausbildungskonzepte neu überarbeitet werden sollten und duale, ausbildungsintegrierte Studiengänge angeboten werden, um den Arbeitsplatz Zahnarztpraxis attraktiver zu machen. Fest steht, der Fachkräftemangel ist in den Zahnarztpraxen angekommen und führt zu erheblichen Problemen, was sich auch auf die präventive Versorgung der Bevölkerung auswirken wird.
Was muss sich in der Weiterbildung von der Zahnärztlichen Assistenz bis zur Dentalhygienikerin ändern?
Der Mitarbeit durch qualifizierte Fachkräfte im Bereich Prävention wird mittlerweile eine wesentlich größere Bedeutsamkeit zugesprochen, als noch vor ein paar Jahren. Eine strukturierte Aus- und Weiterbildung war stets mit einem erhöhten Prophylaxeangebot verbunden. Die Inanspruchnahme der strukturierten Fortbildungsangebote hat sich in den letzten zehn Jahren gesteigert.
Die vorliegende fragenbogenbasierte Studie lässt erkennen, dass derzeit die Hälfte der Mitarbeiter die Praxis verlassen wollen, 28 Prozent wollen sogar die Branche wechseln. Schaut man sich die Demographie an, so konnte diese Studie zeigen, dass 29 Prozent der befragten Mitarbeiter im Alter von 50+ waren und in absehbarer Zeit in Rente gehen werden. So wird sich der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren vermutlich auch in dieser Altersgruppe verschärfen, da die nachrückenden Fachkräfte zahlenmäßig geringer werden. Um diesen Trend zu begegnen und junge Leute für unser Berufsbild zu interessieren, müssen die Strukturen der beruflichen Aus-, Fort-und Weiterbildung überarbeitet werden. Eine klare Struktur mit klaren Aufgabenbereichen und der Zuordnung von Qualifikation zur zu erbringenden Leistung sind notwendig, um mehr junge Leute für diesen Beruf zu begeistern. Karrierepotentiale müssen aufgezeigt und das duale Ausbildungssystem in seiner jetzigen Form überdacht werden. Eine durchlässige Ausbildung zur DH mit integrierter Ausbildung zur ZFA wäre wünschenswert und zeitgemäß.
Die Herausforderung der Zukunft liegt darin, sowohl die Zahnärzte als auch das zahnärztliche Team noch mehr von der Wichtigkeit der präventiven Maßnahmen bzw. präventiven Betreuung ihrer Patienten zu überzeugen. Es besteht ein erheblicher Fort- bzw. Weiterbildungsbedarf, v.a. bei der Behandlung von Alten und Pflegebedürftigen. Gerade in Bezug auf den demographischen Wandel, sollten die Zahnärzte ihre Fachkräfte noch mehr dahingehend unterstützen und fördern, das vielfältige Fort- und Weiterbildungsangebot noch intensiver zu nutzen. Ferner sollten die DHs ihr Wissen auch in der Zusammenarbeit mit anderen Professionen einbringen. Die Schulung der Pflegefachkräfte wäre ein wichtiger Beitrag im interprofessionellen Austausch zum Wohle der Patienten. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hier sollten weitere Studien ansetzen, um den Bedarf der Patienten zu erkennen und in der Praxis individuell bestmöglich zu betreuen.
Auf der IDS waren Sie am Stand von W&H mit ParoStatus vertreten. Was zeichnet die Software aus und wie erleichtert Sie den Praxisalltag des Praxisteams?
Wir arbeiten schon eine Weile mit W&H sehr erfolgreich zusammen, hier ergeben sich fachlich viele Synergien. Es macht Spaß mit einem so innovativen Unternehmen zu kooperieren. Im letzten Jahr haben wir schon gemeinsam die EuroPerio und den Internationalen DH Kongress in Dublin besucht. So war es nur logisch, auch auf der Internationalen Dental-Schau zusammen aufzutreten.
Der Einsatz moderner Praxisprogramme mit innovativer Spracherkennung bietet effektive und effiziente Entlastungsmöglichkeiten, verändert aber auch in Teilbereichen Strukturen und Abläufe. Dabei ist die Philosophie von ParoStatus simpel: Befunderhebung so einfach und optimal wie möglich durchzuführen. Das System wurde in Zusammenarbeit mit Hochschulprofessoren und führenden Fachgesellschaften entwickelt. Das Programm stellt neben der Spracherkennung eine besonders praxisnahe Unterstützung zur Verfügung. Wie ein „Kochbuch“ führt das Programm den Behandler von Anfang an Schritt für Schritt durch die Prophylaxe- oder UPT-Sitzung. Alle Schritte werden dabei sofort vom Programm im Sinne des Qualitätsmanagements, ohne zusätzlichen Personaleinsatz, ohne handschriftliche Korrekturen dokumentiert. Die Behandler profitieren von einem sofortigen Zeitgewinn – die PAR-Richtlinie wurde selbstverständlich komplett integriert und unterstützt so bei der Dokumentation und der Einhaltung der Fristen.
Neben der reproduzierbaren, kontrollierbaren und rechtssicheren Dokumentation der erhobenen Befunde und Risikofaktoren werden Maßnahmen, Empfehlungen und Aufklärungsinhalte etc. erfasst. Insbesondere ist der effiziente Personaleinsatz hervorzuheben. Eine Assistenz ist nicht erforderlich, handschriftliche Erfassungen gehören der Vergangenheit an. Identische Behandlungsabläufe und -inhalte sorgen für eine strukturierte Sitzung und vergleichbare Ergebnisse bei dem Patienten. Qualität und Aussagekraft der Befunde werden ebenso erhöht, wie die Handlungssicherheit der Behandler. Aus Sicht der Praktiker sind schnelle und übersichtliche Auswertungen, die den Erfolg abbilden, zudem erst mit digitaler Unterstützung in einem vertretbaren Zeitaufwand möglich.
Alle erhobenen Befunde und klinische Parameter werden systematisch und übersichtlich auf einem Befundblatt dokumentiert und können im weiteren Verlauf verglichen werden. Mit einem Click erstellt das Programm einen Vorschlag zur Einstufung in die Neue Klassifikation, der durch den Behandler finalisiert wird. Eine enorme Zeitersparnis! Auch die Berechnung des Knochenabbaus in Relation zum Alter beherrscht das Programm. Selbstverständlich werden alle antragsrelevanten Befunde in das Verwaltungsprogramm übertragen, von hier aus wird ja die PA-Strecke abgerechnet.
Der ParoStatus.de-UPT-Planer analysiert automatisch alle Fak¬toren und berechnet neben Zeitfenstern auch Idealtermine und Startpunkte. So kann befundbezogen geplant werden. So können Honorarverluste vermieden und Praxiskapazitäten so effektiv wie möglich genutzt werden. Neben der UPT-Planung gibt es noch weitere interessante Features, wie etwa die ProphylaxeApp für die Patienten.
Mit dieser App können z.B. Mundhygieneempfehlungen und kleine Anleitungsvideos zum Zähneputzen oder zur Interdentalpflege auf das Smartphone des Patienten übertragen werden. Über die App kann im Bedarfsfall auch der Kontakt zur Praxis hergestellt werden. Die App ist kostenlos im AppStore (iOS-Geräte) oder über Google Play (Android) zu erhalten. Das ist Patientenbindung pur.
Liebe Frau Fresmann, vielen Dank für das Gespräch.