Branchenmeldungen 23.10.2023

Probiotika bei der Behandlung von Gingivitis und Parodontitis

Probiotika bei der Behandlung von Gingivitis und Parodontitis

Foto: Sunstar

In der klinischen Zahnmedizin ist die Probiotika-basierte Therapie noch ein recht neues und sich entwickelndes Feld. Doch der Einsatz von Probiotika zur Kontrolle von Gingivitis und Parodontitis rückt zunehmend in den Fokus der Wissenschaft. Mehrere Studien legen nahe, dass Probiotika dazu beitragen können, chronische Plaque-induzierte Entzündungen selbst bei fehlender mechanischer Plaquekontrolle zu reduzieren. Ein Review von Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, der bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2020 über 20 Jahre hinweg die Abteilung für Parodontologie am Uniklinikum Würzburg leitete, vermittelt den aktuellen Stand der Forschung. Prof. Schlagenhauf zufolge ist die Parodontitis eine „hochkomplexe Erkrankung“ und bei vielen schwer daran Erkrankten „das eigentliche Problem in einem falschen Lebensstil zu suchen (…), der zu einer ungünstigen Zusammensetzung der Bakterien im Mund führt, aus der wiederum eine chronische Entzündung resultiert“. Nicht alle, aber einige Patientengruppen können Studien zufolge von der Einnahme bestimmter Probiotika profitieren.61

Wie wichtig die Mikrobiota sind, die alle Schleimhautoberflächen des menschlichen Körpers besiedeln, ist vor allem im Zusammenhang mit der Darmflora bekannt.1 In der klinischen Zahnmedizin wird die Bedeutung der bakteriellen Flora im Mundraum allerdings weitgehend auf pathogene und schädliche Bakterien reduziert. Bis heute dominieren in der Behandlung von Karies und Parodontalerkrankungen therapeutische Konzepte, die auf der Beseitigung sämtlicher oraler bakterieller Biofilme beruhen, unabhängig davon, wie sie die menschliche Gesundheit beeinflussen.2–4

Probiotika wirken lokal und systemisch

Durch die Einnahme von Probiotika können dem Körper ­gezielt vorteilhafte Bakterienarten zugeführt werden. Der Begriff bezeichnet Mikroorganismen, die die Passage durch die Säure des Magens lebendig überstehen und dem Menschen einen gesundheitlichen Nutzen bringen.5 Dazu zählen verschiedene Stämme von Limosilactobacillus spp., Streptococcus spp., Bifidobacterium spp., Bacillus spp. sowie der Escherichia coli Stamm Nissle 1917 oder die Hefe Saccharomyces boulardii.6 Ihre gesundheitsfördernden Eigenschaften entfalten Probiotika, indem sie mit anderen Mikrobiota im Darm interagieren und/oder indem sie direkt mit den Schleimhautzellen des Menschen wechselwirken. Da in diesen Zellen auch das menschliche Immunsystem sitzt, können Pro­bio­tika nicht nur lokal, sondern auch systemisch wirken und auf diese Weise Entzündungsreaktionen sogar in entfernten Teilen des Körpers modulieren. Ein Beispiel dafür sind Lakto­bazillen, besonders einige probiotische ­Limosilactobacillus reuteri-­Stämme.7, 8 Sie haben die Fähigkeit, sich an die Schleimhaut des Darms und der Mundschleimhaut anzuheften,9 wo sie direkt mit den Körperzellen interagieren und zu einer Stärkung der epithelialen Barrierefunktion der Mukosa beitragen können.10, 11

Die meisten probiotischen Bakterien sind allerdings nicht in der Lage, ihren neuen Wirt dauerhaft zu besiedeln,12 weshalb eine kontinuierlich wiederholte Einnahme für die Aufrechterhaltung der positiven Wirkungen nötig ist.13 Die kumulativen Belege aus der Literatur sprechen ins­gesamt für eine ausgezeichnete Sicherheit für den lang­fris­tigen Verzehr von Probiotika für gesunde Erwachsene und Kinder.14–16 Es sollten allerdings ausschließlich probiotische Produkte verwendet werden, deren Sicherheitsprofil für den beabsichtigten Verwendungszweck durch In-­vitro-­Bewer­tungen und klinische Studien überprüft wurde.17

Günstige Wirkung bei Gingivitis und Parodontitis

Das am häufigsten im Kontext von Zahnfleischentzündungen evaluierte Probiotikum ist eine Kombination aus zwei probiotischen Limosilactobacillus reuteri-Stämmen (DSM 17938; ATCC PTA 5289).18–44 In einigen Studien führte die Verabreichung des Probiotikums als Ergänzung zur mechanischen Plaquekontrolle zu einer signifikanten Verringerung der Zahnfleischentzündung,19, 31 in anderen Studien wurde nur ein geringer oder kein signifikanter Nutzen beobachtet.18, 20 In Studienkohorten mit unzureichender mechanischer Plaquekontrolle oder in experimentellen Gingivitis-Studien mit Unterbrechung der Mundhygienemaßnahmen und Probiotika-Gabe als einzige Schutzmaßnahme waren die Ergebnisse ebenfalls uneindeutig. So beobachtete man in einer Studie erst dann einen Unterschied im Ausmaß der Zahnfleischentzündung zwischen den Teilnehmern, die ein Probiotikum (Bifidobacterium lactis subsp. animalis) bzw. ein Placebo einnahmen, nachdem sie ihre persön­liche Mundhygiene für fünf Tage unterbrochen hatten.19 Ähnlich fiel das Ergebnis zweier weiterer Studien aus, in welchen die Einnahme des Probiotikums L. reuteri (DSM 17938/ATCC PTA 5289) bei Teilnehmern mit unzureichender Mundhygiene und chronischer Gingivitis zu einem signifikanten Rückgang der Zahnfleischentzündung im Vergleich zur Placebo-Gruppe führte, ohne dass weitere Mundhygienemaßnahmen angewandt wurden.23, 25

Ähnlich wie bei den Studien zur Gingivitis zeigen die Ergebnisse zur Parodontitis kein einheitliches und konsistentes Muster.25, 35, 36, 38, 39, 41–49 Die meisten randomisiert-kontrollierten Studien, in denen das Probiotikum L. reuteri (DSM 17938/ATCC PTA 5289) als Ergänzung zur mechanischen Biofilm- und Zahnsteinentfernung verwendet wurde, berichteten über eine signifikante Verbesserung des Taschenschlusses durch die Einnahme des Probiotikums und/oder die Reduzierung der parodontalen Entzündung im Vergleich zur Einnahme eines Placebos.25, 35–38, 41, 43, 44, 47 In einer anderen Untersuchung stellte man dagegen keinen signifikanten Zusatznutzen dieser probiotischen Bakterienspezies fest40 – möglicherweise deshalb, weil die Studienteilnehmer sich unmittelbar nach dem Verzehr der probiotischen Lutsch­tablette die Zähne putzen sollten, was die Dosierung und die Kontaktzeit des Probiotikums stark reduziert haben könnte. In weiteren Studien zeigte die Einnahme probiotischer L. reuteri-Stämme nur einen sehr begrenzten klinischen Nutzen bei Rauchern und Nutzern rauchlosen Tabaks.39, 42 Untersuchungen mit anderen probiotischen Bakterienstämmen zur Therapie von Parodontitis fielen im Ergebnis ebenfalls gemischt aus.45, 46, 48, 50–52

Wirksame Ergänzung bei Patienten mit chronischem Entzündungsgeschehen

Ein oft vernachlässigter Aspekt in der Diskussion über den Nutzen von Probiotika bei der Behandlung von Gingivitis und Parodontitis ist die Begründung für ihren Einsatz. Die zusätzliche Einnahme eines Probiotikums zu einer ordnungsgemäß durchgeführten mechanischen Plaquekontrolle bei systemisch gesunden Patienten verspricht, wenn überhaupt, nur ­einen geringen kurzfristigen Zusatznutzen – schließlich ist die mechanische Plaquekontrolle an sich eine bereits sehr wirksame therapeutische Strategie. Das tatsächliche Potenzial von ­Probiotika zeigt sich aber deutlich bei Gingivitis- und Parodontitis-­Patienten, bei denen das Konzept der strikten mechanischen Plaquekontrolle versagt oder möglicherweise nicht anwendbar ist, und insbesondere bei denjenigen, die gleichzeitig von veränderten systemischen Entzündungsreaktionen betroffen sind, wie z. B. starke Raucher, Patienten mit systemischen chronisch-entzünd­lichen Erkrankungen, aber auch schwangere Frauen.23, 25, 49, 53

Während die Auswirkungen der mechanischen Plaquekon­trolle auf die Plaque-assoziierte Entzündung immer streng lokal sind, sind viele Probiotika in der Lage, die Entzündung auch auf systemischer Ebene herunterzuregulieren.54 Gerade die systemische Entzündung ist wahrscheinlich ein Hauptfaktor für die Auslösung einer Parodontitisfördernden bakteriellen Dysbiose. Dafür spricht die signifikant erhöhte Inzidenz parodontaler Erkrankungen bei Patienten mit systemischen chronischen Entzündungen wie Typ-2-Diabetes, rheumatoider Arthritis oder chronischen Nierenerkrankungen.55–57 Die klinische Evidenz weist insgesamt darauf hin, dass die regelmäßige Einnahme von Probiotika das Therapieergebnis bei Patienten mit chronischen Erkrankungen deutlich ­verbessern kann.58–60 Probiotika könnten daher künftig ein integraler Bestandteil von innovativen und ursachenorientierten Behandlungskonzepten gegen Zahnfleischentzündungen darstellen, mit dem Ziel, bakterielle Dysbiosen von vornherein zu vermeiden und Entzündungsprozesse sowohl auf lokaler als auch systemischer Ebene zu kontrollieren. Der Einsatz von Probiotika, deren Wirksamkeit in randomisiert kontrollierten klinischen Studien nachgewiesen ist, kann aber ­bereits jetzt eine wertvolle Ergänzung der verfügbaren Therapieoptionen darstellen. Dies gilt insbesondere in klinischen Situationen, in denen etablierte Konzepte zur Plaquekontrolle nicht mit der erforder­lichen Wirksamkeit umgesetzt werden können.

Die Literaturliste können Sie sich hier herunterladen.

Dieser Beitrag ist im PJ Prophylaxe Journal erschienen.

Autor: Redaktion

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