Branchenmeldungen 09.09.2024
Mundgesundheitskonzepte in der Entwicklungshilfe
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Mit ihrer Expertise und ihrem Engagement im Verein Big Smile e.V. setzt sich Dr. Alexandra Wolf seit Jahren für die Verbesserung der Mundgesundheit in unterversorgten Regionen ein. Ihre Arbeit zeigt, wie durch gezielte Prophylaxe und Aufklärung nachhaltige Verbesserungen erzielt werden können, auch unter schwierigen Bedingungen.
Frau Dr. Wolf, im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der DGPZM, gaben Sie Einblicke in die globale Mundgesundheitssituation und den damit verbundenen Herausforderungen in der zahnmedizinischen Versorgung. Wie ist der aktuelle Status Quo?
Untersuchungen der WHO und Lancet Commission zur globalen Mundgesundheit zeigen, dass weltweit ca. 3,5 Milliarden Menschen orale Erkrankungen aufweisen (1). Darunter fallen neben unbehandelter Karies beider Dentitionen auch fortgeschrittene Parodontalerkrankungen, Karzinome der Mundhöhle und Lippen oder komplette Zahnlosigkeit. Die Prävalenz dieser Erkrankungen ist in den letzten Jahrzehnten laut Berechnungen der Gesundheitsökonomen gleich geblieben, jedoch sind die Fallzahlen aufgrund des demografischen Wachstums der Weltbevölkerung erheblich gestiegen. Besonders betroffen sind überwiegend Länder mit mittleren bzw. niedrigen Einkommensgruppen. Nur in Ländern mit hohen soziökonomischen Status hat die Prävalenz in den letzten Jahrzehnten etwas abgenommen.1
Wie hoch ist dabei der Kariesanteil unter den oralen Erkrankungen und wie sieht die Versorgungslage aus?
Es wird geschätzt, dass ca. 2,3 Milliarden Menschen weltweit eine unbehandelte Karies der bleibenden Zähne aufweisen. Über 500 Millionen Fälle unbehandelter Milchzahnkaries wurden zudem sowohl 2017 als auch 2019 global gezählt. Somit zählt die unbehandelte Karies zu der häufigsten Krankheit der Menschheit. Ein großer Faktor in der Kariestherapie sind vor allem die enormen Behandlungskosten und fehlendes Fachpersonal. Interessanterweise existiert global gesehen eine zahnmedizinische Über- als auch Unterversorgung parallel. Somit versorgen ca. 2/3 aller Zahnärzte/-innen weltweit ca. 1/3 der gesamten Weltbevölkerung. Genauer betrachtet arbeiten laut eines WHO-Berichtes gerade mal 1,4 % aller Zahnärzte weltweit in Ländern mit überwiegend geringem Einkommen, wohingegen über 80 % aller Zahnärzte/-innen in Ländern mit mittlerem oder hohem Einkommen tätig sind.1,2
Die ungleiche Verteilung zahnmedizinischen Fachpersonals lässt sich auch in Deutschland feststellen: Während in Großstädten Zahnärzte/innen in jeder Straße zu finden sind, müssen in ländlichen Regionen mitunter einzelne Zahnarztpraxen ganze Landkreise versorgen. Global gesehen, ist der Kontrast natürlich noch viel stärker.
Inwiefern konnten Sie sich bisher zahnärztlich in Ländern mit schlechter zahnmedizinischer Versorgungslage engagieren?
Der Verein Big Smile e.V. arbeitet eng mit der Praxis KU64 zusammen, in der ich tätig bin. Wir haben ein Hilfsprojekt in einem kleinen Fischerdorf in Südafrika (Paternoster), welches schon seit mittlerweile 15 Jahren aktiv ist. Jedes Jahr fährt ein 10-köpfiges Team bestehend aus Zahnärzten, ZFAs und ZMPs in den Ort, um dort Kinder der ansässigen Dorfschule ehrenamtlich zahnmedizinisch zu versorgen. Ich hatte das Glück in den letzten Jahren mehrmals am Projekt mit teilnehmen zu können. Der Verein unterstützt aber auch zahnmedizinische Prophylaxeprojekte in anderen Ländern beispielsweise in Madagaskar oder Zimbabwe.
Nebenberuflich bin ich Flugbegleiterin und konnte somit auch schon während eines Layovers in Neu-Delhi (Indien) ein Hilfsprojekt der help alliance aufsuchen, dass Straßenkindern eine Tagesbetreuung und Schulunterricht bietet. Sowohl in diesem als auch in letztgenannten Ländern Afrikas bestand das Engagement hauptsächlich daraus Zahnputzmaterialien an die Kinder auszuhändigen, Zähneputzen zu üben und über die Bedeutung gesunder Zähne aufzuklären.
Könnten Sie kurz beschreiben, wie eine typische Prophylaxesitzung vor Ort abläuft?
In dem Fischerdorf Paternoster in Südafrika haben wir die Möglichkeit einen leeren Kirchenraum zu nutzen, um dort eine Art provisorische Zahnarztpraxis entstehen zu lassen. Im dazugehörigen Toilettenbereich wird eine kleine Prophylaxestation aufgebaut. Hier werden die Zähne der Kinder mit Plaquefärbemittel angefärbt und im Anschluss unter Aufsicht einer ZMP manuell gereingt sowie Zahnputztechniken und Putzsystematiken trainiert. Nach der zahnärztlichen Untersuchung und Behandlung wird bei jedem Kind noch Fluoridlack appliziert. Sofern es bleibende Molaren gibt, die noch nicht von Karies befallen sind, werden diese versiegelt. Wir suchen auch den ortsansässigen Kindergarten auf und führen dort Zahnputzübungen und lokale Fluoridierungen durch. Allem voran steht ein Einführungsvortrag, bei dem wir die Kinder nochmals hinsichtlich zahngesunder Ernährung und Putzgewohnheiten motivieren. In den anderen Ländern Afrikas haben wir Zahnputzequipment verteilt, zusammen Zähneputzen geübt und ebenso über mundgesunde Lebensweise informiert. Präventive Behandlungen waren aufgrund der Gegebenheiten vor Ort bisher nicht möglich, denn sowohl Strom als auch befahrbare Zugangswege, um all die Geräte und Materialien dorthin zu bringen, waren nicht gegeben.
Wie muss man sich die Zusammenarbeit vor Ort vorstellen? Es gibt sicher einige Herausforderungen zu meistern…
In Südafrika unterstützt uns eine Dentalhygienikerin aus einem nahen gelegenen Ort. Sie organisiert für uns beispielsweise mobile Behandlungseinheiten, Liegestühle, B-Müll-Tonnen oder einen kleinen Sterilisator. Alle anderen Materialien bringen wir jedes Jahr aus Deutschland mit. Einige Materialien und Instrumentarien z.B. Behandlungsbesteck können wir vor Ort lagern. Um die Lagerung kümmert sich eine Dame aus dem Ort, die ehemalige Patientin der Zahnarztpraxis KU64 in Berlin war und in Kooperation mit meinem Praxischef das Projekt initiierte. Sie stellt uns auch Unterkünfte für unseren Einsatzaufenthalt zu Verfügung und unterstützt uns in allen Belangen. Beispielsweise hatte sie uns in diesem Jahr einen Generator zu Verfügung gestellt, mit dem es uns möglich war, auch während der geplanten stundenweisen Stromabschaltungen in Südafrika (load shedding) weiter zu behandeln.
Könnten Sie konkrete Beispiele nennen, wo Ihre Mundgesundheitskonzepte erfolgreich umgesetzt wurden und welche positiven Veränderungen dadurch erzielt wurden?
Gerade bei unserem Hilfsprojekt in Südafrika konnten wir in den letzten Jahren feststellen, dass die Kinder sich auf uns freuen und gern zu den Zahnbehandlungen kommen. Trotz erschwerter Umstände sind unsere Restaurationen und Versiegelungen in den Kindermündern intakt geblieben, sodass sich unsere Arbeit hinsichtlich des Zahnerhaltes gelohnt hat. Die meisten Kinder putzen nach unserem Einsatz regelmäßig ihre Zähne und auch in einigen Kindergartengruppen wird darauf geachtet.
Wie sichern Sie die notwendigen Ressourcen (z.B. Material, finanzielle Mittel, Personal) für die Umsetzung Ihrer Programme?
All diese Hilfseinsätze beruhen ausschließlich auf Spendengeldern, Sachspenden und dem ehrenamtlichen Einsatz aller Beteiligten. Sowohl große Firmen als auch Patienten in der Praxis oder Freunde spenden monetär für unsere Projekte, was großartig ist. Die Materialien z.B. Bohrer, Zahnbürsten, Zahnpasten werden uns häufig von Firmen gespendet. Andere Verbrauchs- und Füllungsmaterialien spendet die Praxis KU64. Das zahnärztliche Team arbeitet ehrenamtlich und jeder muss sich für den Hilfseinsatz Urlaub nehmen.
Wie werden lokale Fachkräfte geschult und in Ihre Programme integriert, um eine nachhaltige Umsetzung sicherzustellen? Welche Hürden gilt es zu nehmen?
Wir versuchen vor allem die Lehrkräfte und Erzieher/-innen mit zu motivieren und zu instruieren, um mit den Kindern ein tägliches Zähneputzen in den Schul- oder Kindergartenalltag zu etablieren. Hierbei ist die Bereitschaft dies konsequent durchzusetzen meiner Erfahrung nach sehr unterschiedlich. Beispielsweise waren die Pädagogen in Madagaskar und Indien sehr daran interessiert dies einzuführen, wohingegen in Südafrika die Lehrer sich mit der (Mehr-)Aufgabe etwas überfordert gefühlt haben. Man kann es all diesen Menschen nicht aufzwingen, zumal sie oft ganz andere Probleme in ihrem Alltag zu bewältigen haben, dennoch unterstreichen wir, dass nur durch ihre Mitwirkung und Vorbildfunktion unsere Bemühungen auch nachhaltig sind und die Kinder mit einem strahlenden Lächeln bessere Berufsaussichten haben.
Wie können sich zahnärztliche Kollegen auf einfache und effektive Weise engagieren? Haben Sie Vorschläge oder Ideen dazu?
Ich glaube viele Kollegen/-innen hätten Lust auf einem zahnärztlichen Hilfseinsatz mitzuwirken, jedoch fehlt meistens sicherlich die Zeit, da solche Einsätze oft eine Mindestdauer von 2-3 Wochen haben. Eine einfache Möglichkeit wäre beispielsweise abgelaufene Materialien oder ausrangierte Instrumentarien an Kollegen/-innen zu spenden, die auf ein Hilfsprojekt fahren. Eine andere Option wäre, vor der nächsten Urlaubsreise entweder zu googeln oder beim Hotelpersonal anzufragen, ob es im ansässigen Ort Schulen oder Kitas gibt, denen man beispielsweise Zahnbürsten spenden und einen Zahnputzbesuch anbieten kann. Hierbei empfiehlt es sich noch etwas Demonstrationsmaterial mitzunehmen z.B. ein bezahntes Plüschtier oder bebilderte Informationsbroschüren, welche man im Internet auf zahnärztlichen Vereinsseiten kostenlos finden kann. Das passt in jeden Koffer und kommt bei den Kindern gut an.
Welche neuen Projekte oder Initiativen planen Sie für die Zukunft, um die Mundgesundheit in Entwicklungsländern weiter zu verbessern?
Ganz konkrete Projektvorhaben habe ich noch nicht. Zum einen würde ich gern die Projekte weiter betreuen, bei denen ich bisher aktiv war, um vor allem zu evaluieren, wie die Impulse angenommen und umgesetzt wurden. Zum anderen habe ich schon Ideen für weitere Reiseziele und Flugdestinationen, wo ich mich gern engagieren würde.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg in Ihrer wichtigen Arbeit und alles Gute für Ihre zukünftigen Projekte.
1 Benzian H, Listl S. Globale Mundgesundheit im internationalen gesundheitspolitischen Rampenlicht – Herausforderungen und neue Chancen für nachhaltige Verbesserungen [Global oral health in the international health policy spotlight-challenges and new opportunities for sustainable improvement]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2021 Jul;64(7):871-878. German. doi: 10.1007/s00103-021-03353-6. Epub 2021 Jun 8. PMID: 34100957; PMCID: PMC8185487.
2 World Health Organization (2022) Global roal health status report: towards universal healt coverage for oral health by 2030: World Health Organization, Geneva
Dieser Beitrag ist im PJ Prophylaxe Journal erschienen.