Psychologie 20.06.2024

Angststörungen bei Kindern mit Transparenz begegnen

Angststörungen bei Kindern mit Transparenz begegnen

Foto: zinkevych – stock.adobe.com

Dieser Beitrag ist unter der Originalüberschrift „Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen mit Transparenz begegnen“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

Zufriedene, ausgeglichene und glückliche Kinder und Jugendliche sind der Idealzustand einer jeden Gesellschaft – in der Realität aber sieht die Gemütslage dieser heterogenen Altersgruppe oftmals anders aus und braucht eine besondere Awareness. Dr. Daria Kasperzack ist als Leitende Psychologin in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg tätig und gibt Auskunft zu Angststörungen im Kindes- und Jugendalter, sodass auch Zahnarztpraxen dafür sensibilisiert sind.

Bei der Entstehung von Angststörungen spielen neben genetischen und epigenetischen Faktoren vor allem auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Blickt man auf die letzten Jahre zurück, ist nachvollziehbar, weshalb es zu einer Zunahme von Angststörungen im Kindes- und Jugendalter gekommen ist. Sowohl die Coronapandemie, die zunehmenden Auswirkungen der Klimakrise als auch der Krieg in der Ukraine haben zu einem ängstlichen und Unsicherheiten bedingenden Klima geführt. Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche durch die Einschränkungen infolge der Pandemie weniger Gelegenheiten hatten, die Bewältigung angstbesetzter Situationen zu erproben. Stellen wir uns ein Kind mit sozialen Ängsten (Bewertungsängsten, Angst, Fehler zu machen) oder ein Kind mit Schul- und Leistungsängsten vor: Was ist im Rahmen des Lockdowns passiert? Das Kind hatte nicht mehr die Gelegenheit, sich in die angstbesetzten Situationen im schulischen Kontext oder im Rahmen einer Vereinstätigkeit zu begeben. Eine von außen legitimierte Vermeidung hat stattgefunden und dadurch entwickelten sich leichte, noch im Normbereich befindende Ängste zu Angsterkrankungen und bereits bestehende Angstsymptomatik nahm zu. Vermeidung ist ein Hauptentstehungs- und aufrechterhaltender Faktor von Angststörungen. Wenn Kinder und Jugendliche angstbesetzte Situationen nicht mehr aufsuchen, können sie nicht mehr die Erfahrung machen, dass eine Situation gar nicht so schlimm ist wie gedacht. Dadurch können dysfunktionale Kognitionen nicht korrigiert werden und Angstbewältigungsstrategien nicht erlernt werden. Aufgrund dessen kommt es zu einer Chronifizierung der Angstsymptomatik.


Wichtig ist es, die Ängste eines Kindes nicht abzutun ...


Breites Spektrum an Angststörungen

Angststörungen im Kindes- und Jugendalter sind vielfältig und Häufigkeiten hängen vom betrachteten Altersbereich und den damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben ab. Trennungsängste, also die Angst, von einer Hauptbezugsperson getrennt zu werden und dass dieser Bezugsperson etwas zustoßen könnte, sowie spezifische Phobien im Sinne von Tierphobien oder Blutphobien treten bereits im Kindergartenalter auf. Angst vor medizinischen Eingriffen sowie Schul- und Leistungsängste finden sich gehäuft im Grundschulalter. Im Jugendalter hingegen finden sich vermehrt soziale Angststörungen mit der Angst vor der Bewertung durch andere entsprechend der steigenden Relevanz der Bewertung durch Gleichaltrige in dieser Entwicklungsphase. Eine weitere Angsterkrankung, die wir in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vermehrt diagnostizieren, ist die sogenannte generalisierte Angststörung, die sich vor allem durch unkontrollierbare Sorgen, die den Alltag durchziehen, auszeichnet. Panikstörungen und Agoraphobien sehen wir erst im späteren Jugendalter und vor allem im Erwachsenenalter.

Ein Hauptsymptom der Angststörungen und insbesondere der spezifischen Phobien ist die Vermeidung der angstbesetzten Situationen. Angststörungen gehen oftmals mit typischen Angst auslösenden Kognitionen sowie körperlichen Angstreaktionen wie Schwitzen, Zittern und Erröten einher.

Wie am besten vorgehen?

Ein wichtiges Vorgehen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Angsterkrankungen ist Transparenz. Ein sorgsames Aufklären über die nächsten Untersuchungs- und Behandlungsschritte ist unerlässlich, um Ängste zu reduzieren und Vermeidungsverhalten abzubauen. Die Anwesenheit von Bezugspersonen wie den Eltern während einer Untersuchung kann durchaus sinnvoll sein, wenn diese die Symptomatik nicht unbedacht verstärken. Zudem sollte ein möglichst kleinschrittiges Vorgehen gewählt werden. Dies bedeutet zum Beispiel, dass es bei einem Kind mit einer ausgeprägten spezifischen Phobie im Sinne einer Angst vor einer Zahnarztbehandlung sinnvoll sein kann, einen ersten Termin zu vereinbaren, nur mit dem Ziel, eine Gewöhnung an die Räumlichkeiten zu ermöglichen. Also transparent mit dem Kind zu besprechen, dass es bei dem ersten Termin zu keiner Behandlung kommt, sondern nur ein Zeigen der Räumlichkeiten und Instrumente zum Beispiel mit einem ersten Platznehmen auf dem Behandlungsstuhl stattfinden wird. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass unvorhersehbare Behandlungsschritte möglichst vermieden werden sollten. Teilen Sie einem Kind mit einer Angstsymptomatik stets mit, was Sie im nächsten Schritt tun werden. Wichtig ist es, die Ängste eines Kindes nicht abzutun, sie also ernst zu nehmen, das Kind aber stets auch in der Bewältigung der Ängste zu ermutigen. Darüber hinaus sollten Kinder während einer laufenden Behandlung möglichst von ihren Ängsten abgelenkt werden, um dysfunktionalen, Angst verstärkenden Kognitionen so wenig Raum wie möglich zu geben. Dafür eignen sich akustische Ablenkungsreize (Musik hören) oder auch visuelle (Gestaltung der Decke in einem Behandlungsraum). Manchen Kindern hilft es auch, ein Mutsymbol mit sich zu führen (ein bestimmtes Kuscheltier, ein Mutstein etc.). Bei einer sehr ausgeprägten Angstsymptomatik kann zudem ein Verweisen auf niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten oder Kinder- und Jugendpsychiater sinnvoll sein.


Angst beginnt im Kopf – Mut auch! – Sandy Taikyu Kuhn Shimu


Autor: Dr. Daria Kasperzack

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