Branchenmeldungen 14.06.2023
„Unser Wunsch: eine stärkere Vernetzung mit den Kollegen“
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Das Ausbleiben der Gruppenprophylaxe in Kitas und Schulen während der Coronazeit wird aktuell vielerorts reflektiert – vor allem die Tatsache, dass viele Einrichtungen post Corona Präventionsmaßnahmen nicht wieder gestartet haben. Zu diesem und weiteren Themen rund um die Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) sprachen wir mit Zahnärztin Manja Ulrich. Sie ist Bereichsleiterin des Zahnärztlichen Dienstes im Kinder- und Jugendärztlichen Dienst des Gesundheits- und Veterinäramtes der Landeshauptstadt Magdeburg sowie Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Zahnärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst e.V. (BZÖG).
Welche Aufgaben erfüllen Sie gemeinsam mit den Prophylaxeassistentinnen im Rahmen Ihrer Tätigkeit für den Kinder- und Jugendzahnärztlichen Dienst Magdeburg?
Als Team des Zahnärztlichen Dienstes der Landeshauptstadt Magdeburg sind wir für die Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen in den Settings Kitas und Schule unserer Stadt ebenso zuständig, wie für die Durchführung der Gruppenprophylaxe inklusive der Fluoridierung, als Teil der Intensivprophylaxe. Dazu kommen gutachterliche Stellungnahmen, Beratungen, Multiplikatorenschulungen, Vorträge, Elternabende, Unterrichtseinheiten, Schul- und Kita-Feste sowie die statistische Erhebung von Daten für die Landesgesundheitsberichterstattung Sachsen-Anhalt als Zuarbeit für das LAV (Landesamt für Verbraucherschutz). Wir betreiben intensive Netzwerkarbeit, bei der wir mit den verschiedensten Professionen im engen fachlichen Austausch stehen, beispielsweise KIMA (Kinderschutz Magdeburg), Arbeitskreis Zahngesundheit in Zusammenarbeit mit der LVG (Landesvereinigung für Gesundheit) und der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt, Netzwerk Gesundheit der Landeshauptstadt Magdeburg oder Frühe Hilfen.
„Leider ist das Zähneputzen in der Kita für einige Kinder immer noch die einzige Möglichkeit am Tag, sich die Zähne zu putzen und den richtigen Gebrauch einer Zahnbürste zu erlernen und zu trainieren.“
Ziel all dieser Maßnahmen ist, nicht nur die Mundgesundheit zu fördern, sondern damit gleichzeitig auch für eine bessere Lebensqualität und allgemeine Gesundheit zu sorgen. Ein gesunder Mund ist die Grundlage für das richtige Erlernen der Sprache, die Möglichkeit sich gesund zu ernähren, die Nahrung auch kauen zu können. Kommunikation und Selbstvertrauen werden durch eine gute Mundgesundheit ebenfalls gefördert und stabilisieren so auch die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen.
Die Gruppenprophylaxe ist in den Pandemiejahren komplett eingestellt und teils bis heute nicht wieder in Gang gesetzt worden. Wie begegnen Sie dieser Situation und was fordert die Gesetzeslage?
Die zahnärztliche Jahrgangsuntersuchung ist in Sachsen-Anhalt nur im Schulgesetz des Landes (SchulG LSA §38) verpflichtend geregelt, leider nicht im KiFöG für die Kindertagesstätten. Hier bedarf es der Einwilligung der Eltern zur Jahrgangs- bzw. Vorsorgeuntersuchung und auch zur Gruppenprophylaxe. Leider gibt es einige wenige Kitas, die mit dem Zähneputzen erst spät wieder angefangen haben oder sogar bis heute nicht putzen. Wir stehen den Kitas dabei aber auch mit Rücksicht auf die teilweise vorhandenen personellen Engpässe professionell und partnerschaftlich zur Seite. Dabei versuchen wir diese zu unterstützen und mit Ideen, wie Zahnputzpaten, zu punkten. Das Zähneputzen, als wichtiger präventiver und gruppenprophylaktischer Baustein der Gesundheitsförderung, ist den meisten Kitas sehr bewusst und daher fester Bestandteil des Kita-Alltags. Dazu haben alle Kita-Gruppen in Magdeburg ein überdimensioniertes Zahnputzmodell mit passender großer Zahnbürste und Zahnputzuhr vom Zahnärztlichen Dienst erhalten. Dadurch gelingt es auch trotz des chronischen Personalmangels in den Betreuungseinrichtungen, das Zähneputzen als wichtiges Element der Prophylaxe im Alltag zu integrieren, es zu ritualisieren und so den Kindern Stabilität zu vermitteln.
Leider ist das Zähneputzen in der Kita für einige Kinder immer noch die einzige Möglichkeit am Tag, sich die Zähne zu putzen und den richtigen Gebrauch einer Zahnbürste zu erlernen und zu trainieren. Deshalb finden wir es erstrebenswert, wenn das Zähneputzen und die Vorsorgeuntersuchungen, ebenso wie die Gruppenprophylaxe, als verpflichtende Maßnahmen der Gesundheitsförderung und -prävention im KiFöG verankert würden. Hier ist die Politik gefordert, die Möglichkeiten für soziale Teilhabe und Chancengleichheit für alle zu schaffen und zu verbessern.
Kariesprävention bei Kindern und Jugendlichen führen auch Zahnärzte in der Niederlassung durch. Warum ist es dennoch so wichtig, dass Sie die Kinder in den Kitas und Schulen besuchen?
Grundsätzlich tragen die niedergelassenen Kollegen in den Zahnarztpraxen eine hohe Verantwortung für die Zahngesundheit der Bevölkerung. Leider besuchen längst nicht alle Eltern mit ihren Kindern einen niedergelassenen Zahnarzt und nehmen an den Früherkennungsuntersuchungen oder Individualprophylaxe-Maßnahmen in einer Zahnarztpraxis teil. Teilweise haben auch nicht alle niedergelassenen Kollegen die Zeit, um mit den Kindern individuell zu üben oder sich deren Behandlung zu stellen. Gerade hier kann der Öffentliche Gesundheitsdienst Brücken bauen und vermitteln.
Besonders die frühkindliche Karies bei Kindern unter drei Jahren muss noch viel mehr in den Fokus aller Beteiligten gerückt und durch entsprechende Maßnahmen bekämpft werden. Viele Eltern haben wenig Kenntnisse oder Verständnis für die Notwendigkeit regelmäßiger Zahnarztbesuche. Milchzähne haben immer noch nicht den Stellenwert bleibender Zähne und werden daher oft noch stiefmütterlich behandelt. Hier können wir als Zahnärztlicher Dienst durch die Vorsorgeuntersuchungen die Eltern auf die Behandlungsbedürftigkeit der Zähne hinweisen, die kieferorthopädische Behandlungsnotwendigkeit oder auch logopädischen Hilfebedarf feststellen.
Mit den gruppeprophylaktischen Maßnahmen erreichen wir auch ängstliche Kinder, die sich in ihrer vertrauten Umgebung mit der Unterstützung ihrer Kita-Gruppen oder Schulkassen, dann meist doch zu einer Untersuchung überwinden können und so auch an den Präventionsmaßnahmen teilnehmen. Wir verstehen uns als Bindeglied zwischen Eltern und niedergelassenen Kollegen. Zur Unterstützung unserer gruppenprophylaktischen Betreuung in den Kitas und Schulen sind auch einige niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte, sogenannte „Patenschaftszahnärzte“, als wichtige Säule bei der Bekämpfung der Karies bei Kindern und Jugendlichen tätig.
Inwieweit kann das zahnärztliche Betreuungscontrolling als Instrument des Kinderschutzes fungieren?
Das zahnärztliche Betreuungscontrolling halten wir für ein sehr wichtiges und nützliches Element des Kinderschutzes, gerade im Hinblick auf dentale Vernachlässigung (engl. dental neglect) sowie dringenden zahnärztlichen Behandlungsbedarf. Ein solches Betreuungscontrolling mit Rückmeldesystem wollen wir in Magdeburg perspektivisch auch installieren. Dazu sammeln wir bereits Ideen und können sicher dank bestehender, bereits erprobter Konzepte in anderen Zahnärztlichen Diensten bundesweit davon partizipieren. Das zahnärztliche Betreuungscontrolling ist sowohl im Hinblick auf bestehende kulturelle Besonderheiten, wie den Genuss und Verbrauch von Zucker, als auch mit dem Blick auf die sich verschärfende zahnärztliche Versorgungsdecke – gerade im Bereich der Kinder- und Jugendzahnärzte – von großer Bedeutung. Durch gute Prävention und Prophylaxe im ÖGD sowie ein gezieltes Rückmeldesystem im Betreuungscontrolling würden wir auch die niedergelassenen Zahnärzte noch mehr entlasten können.
Was geschieht, wenn Sie Karies feststellen?
Stellen wir bei unseren zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen Karies fest, erhalten die Eltern einen Elternbrief, auf dem dies vermerkt wird. In diesem wird Karies im Milch- und im bleibenden Gebiss, ebenso wie ein möglicherweise vorliegender kieferorthopädischer Behandlungsbedarf angegeben. In Magdeburg verweisen wir zusätzlich auf Mineralisationsstörungen wie beispielsweise MIH und den Putzzustand der Zähne. In einem freien Bemerkungsfeld können wir dann Hinweise auf eine logopädische Beratungsnotwendigkeit oder ein zu straffes Zungenbändchen geben. Kinder mit naturgesunden oder durch Behandlung sanierten Gebissen erhalten ebenfalls einen solchen Elternbrief, schon aus Gründen der Gleichbehandlung und natürlich des Datenschutzes, um keine Stigmatisierungen oder Benachteiligungen zu provozieren. Auf unserem Elternbrief finden sich dann zusätzlich noch Hinweise und Informationen rund um die Zahn- und Mundhygiene sowie den Zuckergehalt in beliebten Lebensmitteln und Getränken.
Zahnärztliches BetreuungscontrollingWenn Eltern durch absichtliches oder unabsichtliches Verhalten die notwendige Mundhygiene ihrer Kinder vernachlässigen und so eine angemessene Funktion des Kauapparats und die Freiheit von Schmerzen nicht mehr gewährleistet sind, spricht man von zahnmedizinischer Vernachlässigung (engl. dental neglect). Das zahnärztliche Betreuungscontrolling ist hier ein sehr wichtiges Element des Kinderschutzes, das perspektivisch auch in Magdeburg installiert werden soll. |
Wie ist das Prozedere, wenn sich der Zahnzustand im Folgejahr weiter verschlechtert hat, das Kind also offensichtlich nicht beim Zahnarzt war?
Wir erfassen die Befunde der Kinder in digitaler Form und können so im Folgejahr natürlich genau sehen, ob und in welcher Form sich die Befunde verändert haben. So erhalten die Eltern erneut einen Elternbrief mit den entsprechenden Informationen zum Gebisszustand ihrer Kinder. Hier wäre jetzt ein Rückmeldesystem wünschenswert, mit dem wir die Eltern in verschiedenen Schritten mit Gesprächs- und Hilfsangeboten auf die Behandlungsnotwendigkeit hinweisen und so eine Behandlung in einer Zahnarztpraxis initiieren können. Wir planen die Umsetzung einer solchen Betreuungskaskade in Zukunft auch in Magdeburg.
Unser Ziel ist es, eine frühzeitige Behandlung der Kinder in die Wege zu leiten. Damit wollen wir die Nachteile für Kinder und auch Eltern minimieren und gleichzeitig die niedergelassenen Kollegen in ihrer täglichen Praxisarbeit entlasten.
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Kollegen?
Mit einigen niedergelassenen Kollegen arbeiten wir bereits sehr gut und partnerschaftlich zusammen. Leider kennen aber viele Kollegen unsere Arbeit im ÖGD nicht wirklich gut oder haben eine falsche Vorstellung davon. Dies ist leider eine Imagefrage. Manchen unserer Kollegen ist noch gar nicht bewusst, welches Potenzial für die Patienten und auch Praxen in der kollegialen Zusammenarbeit schlummert. Wir wünschen uns daher ein weiteres, besseres Kennenlernen und eine stärkere Vernetzung mit den niedergelassenen Kollegen, damit vor allem die Patienten davon profitieren können. Die Zusammenarbeit zwischen Praxis und Öffentlichem Gesundheitsdienst funktioniert vor allem auch durch die Unterstützung der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt und die gemeinsame Arbeit im Arbeitskreis für Jugendzahnpflege so gut. Wir stehen in regem kollegialen Austausch. Die Zusammenarbeit und gemeinsame Versorgung der Kinder wird in Sachsen-Anhalt sogar im Zahngesundheitspass dokumentiert.
Wir als Zahnärztlicher Dienst sind bestrebt, die Behandlungsbelastung der niedergelassenen Zahnärzte, gerade bei dem derzeit in den Praxen herrschenden personellen Engpass, durch exzellente Prävention, ausgedehnte Gruppenprophylaxe-Angebote, Beratungen, Schulungen und gemeinsame Aktionen so gering wie möglich zu halten. Denn: Je weniger Karies, umso weniger aufwändige und zeitintensive Behandlungen sind notwendig.
Welche Rolle nimmt die Beratung von Eltern, Lehrern und Erziehern ein und wie hat sich diese gegebenenfalls verändert?
Die Beratung von Eltern, Lehrern und Erziehern hat einen sehr hohen Stellenwert. Dieser hat sich nach Corona noch erhöht. Wir versuchen durch unsere Arbeit alle Multiplikatoren ausführlich zu schulen und für die Arbeit mit den Kindern vorzubereiten. Durch umfassende Präventionsangebote, Vorträge, Workshops, Elternabende oder auch die gemeinsame Gestaltung von Projekttagen binden wir die Multiplikatoren in die tägliche Zahn- und Mundgesundheitspflege der Kinder ein und schaffen so ein größeres Selbstverständnis für diese Thematik. Gleichzeitig engagieren wir uns bei der Ausbildung der Hebammen- und Kinderkrankenpflegeschülerinnen und -schüler, um auch diesen Berufsgruppen die Grundlagen der zahnmedizinischen Prävention näherzubringen und ihnen die Themenbereiche gesunde Ernährung, Zahn- und Mundpflege etc. zu vermitteln. Wir klären dabei außerdem umfassend über die Verringerung der Aufnahme freier Zucker mit der Nahrung auf und benennen Alternativen. Durch unsere neutrale Beratung schaffen wir soziale Chancengleichheit und steigern die soziale Teilhabe bei sozio-ökonomisch- benachteiligten Kindern und Jugendlichen.
Gibt es genügend Bewerber für die Tätigkeit im Zahnärztlichen Dienst der Gesundheitsämter?
Diese Frage müssen wir leider aus unserer Sicht derzeit mit Nein beantworten. Das liegt zum Teil daran, dass eine Tätigkeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst nicht den gleichen Stellenwert wie die Tätigkeit der kurativ tätigen Kollegen in den Zahnarztpraxen hat. Bereits beim Studium an den Universitäten spielt die Möglichkeit, als Zahnärztin oder Zahnarzt im Öffentlichen Gesundheitswesen tätig zu werden, keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Das in der Öffentlichkeit oft leicht eingestaubte Image des ÖGD ist dafür ebenso ursächlich wie die fehlende Kenntnis über die vielfältigen Aufgabengebiete und die Rolle des ÖGD für die Bevölkerungsgesundheit.
Für uns ist die Zurückhaltung ehrlich gesagt nicht nachvollziehbar. So bietet der ÖGD ein äußerst interessantes Aufgabengebiet, welches von rein präventiver Vorsorge, über Beratungs- und Aufklärungsarbeit, Gesundheitsförderung und Netzwerktätigkeit bis hin zu gutachterlichen Stellungnahmen reicht und nahezu alle Gebiete der Zahnmedizin umfasst. Dabei bieten sich viele zusätzliche Vorteile, wie beispielsweise flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Möglichkeit, sozial ausgleichend tätig zu sein und für Chancengleichheit zu sorgen, bietet sich so nur im ÖGD.
Wir, als Zahnärztlicher Dienst, haben noch viel zu tun und wünschen uns, dass sich vor allem junge Kolleginnen und Kollegen für diesen Weg der Patientenversorgung entscheiden und uns unterstützen, die Gesundheitsziele zu erreichen und damit einen großen Beitrag zur Public Health zu leisten.
Was wir tunAls Team des Zahnärztlichen Dienstes der Landeshauptstadt Magdeburg sind wir für die Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen in den Settings Kita und Schule ebenso zuständig wie für die Durchführung der Gruppenprophylaxe inklusive der Fluoridierung als Teil der Intensivprophylaxe. Dazu kommen gutachterliche Stellungnahmen, Beratungen, Multiplikatorenschulungen, Vorträge, Elternabende, Unterrichtseinheiten, Kita- und Schulfeiern sowie die statistische Erhebung von Daten für die Landesgesundheitsberichterstattung Sachsen-Anhalt als Zuarbeit für das Landesamt für Verbraucherschutz (LAV). Wir betreiben intensive Netzwerkarbeit, bei der wir mit den verschiedensten Professionen im engen fachlichen Austausch stehen – zum Beispiel Kinderschutz Magdeburg (KIMA), Arbeitskreis Zahngesundheit in Zusammenarbeit mit der Landesvereinigung für Gesundheit (LVG) und der ZÄK Sachsen- Anhalt, Netzwerk Gesundheit der Landeshauptstadt Magdeburg oder Frühe Hilfen. |
Dieser Artikel ist unter dem Originaltitel „Unser Wunsch: eine stärkere Vernetzung mit niedergelassenen Kollegen“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen,
Vielen Dank für das interessante Interview.