Wissenschaft und Forschung 11.05.2023
Beyond Zahntechnik: Wie KI die (Arbeits-)Welt verändert
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Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert die Art und Weise, wie in vielen Branchen gearbeitet wird. Dabei reichen die Meinungen über die Auswirkungen der Technologie auf die Arbeitswelt von Jobkiller bis Effizienz-Booster. Während die einen befürchten, dass KI menschliche Arbeitskräfte überflüssig machen wird, sehen andere darin eine Chance für mehr Produktivität. Wie immer gibt es nicht nur schwarz oder weiß, sondern viele Grauzonen und Zwischentöne. Daher ist eine differenzierte Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven wichtig. Dieser Artikel geht der Frage nach, wie KI die Arbeitsweise im Dentallabor verändern könnte und welche Anwendungen es bereits gibt. Zudem werden Risiken im Zusammenhang mit KI dargestellt. Denn nur indem wir verstehen, was möglich ist, können wir uns ein Bild davon machen, welchen Einfluss diese Entwicklung auf unser (Arbeits-)Leben haben wird.
In einer aktuellen Petition („Pause Giant AI Experiments: An Open Letter“, März 2023) wird eine Pause der Entwicklung großer KI-Anwendungen (z. B. ChatGPT, OpenAI) gefordert. Petitionen sind nicht ungewöhnlich, doch in diesem Fall lässt die Nachricht aufhorchen. Interessant ist, wer die Unterzeichner der Petition (veröffentlicht Future of Life Institute) sind. Die Initiatoren sind nicht etwa Verschwörungstheoretiker, sondern bekannte Tech-Pioniere, renommierte KI-Forscher und führende Digitalexperten. Selbst Elon Musk, der einst OpenAI mitgegründet hat und bekannt für seine Tech-Visionen ist, gehört zu den Absendern. In dem offenen Brief heißt es: „Wir fordern alle KI-Labore auf, das Training von KI-Systemen, die leistungsfähiger als GPT-4 sind, sofort für mindestens sechs Monate zu unterbrechen.“ Gewarnt wird vor einem zu schnellen Voranschreiten von KI, denn diese würde tiefgreifende Risiken für die Menschheit mit sich bringen. In dem Brief wird darauf hingewiesen, dass sich KI-Labore seit Monaten im rasanten Wettstreit um immer leistungsfähigere KI befinden, obwohl niemand in der Lage sei, sie zu begreifen und vorauszusagen, wie sich die Entwicklung langfristig verhalte und wie sie zu kontrollieren sei. Zwar sprechen einige Experten bei der Petition von persönlichen Rivalitäten. Doch unabhängig davon zeigt die Diskussion um diese Forderung, welche Macht hinter KI steht.
KI im Dentallabor: Chance für Effizienz und Qualität oder ungewisse Risiken?
Ein Blick in den normalen Laboralltag zeichnet ein Bild abseits dieser Entwicklungen. Arbeitsaufträge kommen rein (häufig noch ganz analog) und müssen – oft unter Zeitdruck – abgearbeitet werden. Reparaturen werden kurzfristig in das Labor geschickt und sollen idealerweise am selben Tag zurückgeliefert werden. Zugleich steigen die Ansprüche an Ästhetik, Vielseitigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Werkstoffvielfalt wächst. Neue Produkte überschlagen sich mit wohlklingenden Werbeversprechen. Fachkräftemangel und fehlender Nachwuchs verschärfen die Situation. So ist der Alltag in vielen Laboren und nun stellt sich die Frage: Kann KI eingesetzt werden, um die Arbeit zu erleichtern und effizienter zu gestalten?Künstliche Intelligenz hält immer mehr Einzug in das Leben, teilweise ohne dass wir es bemerken. Wir sind mit Sprachassistenten wie Siri und Alexa vertraut, die von Sekunde zu Sekunde immer intelligenter werden. Kein Geheimnis ist auch, dass Onlinehandel, Videostreaming, Social Media, Google etc. von intelligenten Algorithmen angetrieben werden, die Nutzerprofile erstellen, um auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Optionen anzubieten. Jeder, der die Möglichkeiten von KI kennt, weiß, dass es mehr als ein vorübergehender Trend ist. In der Arbeitswelt (z. B. Dentallabor) ist die Frage nicht mehr, ob KI zum Einsatz kommt, sondern welches Ausmaß die Mitarbeit des digitalen Kollegen haben wird. Bereits jetzt stecken in Laborscannern, Intraoralscannern, Konstruktionssoftware, 3D-Druckern und CAD/CAM-Maschinen jede Menge Algorithmen und KI-basierte Lösungen.
KI in der Diagnostik, Prozessoptimierung und Entscheidungsfindung
Grundsätzlich besteht das Potenzial der KI nicht nur in der Automatisierung von Prozessen. Es geht um die Analyse von Daten, die Vorhersage individueller Patientenergebnisse, auf Algorithmen basierende Konstruktionsvorschläge, die Optimierung logistischer Prozesse oder unternehmerische bzw. buchhalterische Abläufe. KI kann zum Beispiel eingesetzt werden, um Engpässe und Prozessabläufe zu analysieren und zu optimieren, alternative Werkstoffe oder Versorgungsarten auf Basis einer Kostenanalyse zu empfehlen. In der Zahnmedizin spielt KI im Bereich der Diagnostik ihre Stärken aus, z. B. durch die Fähigkeit, Bilder (z. B. Röntgenbild, DVT) genauer als Menschen analysieren zu können. KI lässt sich nicht von Emotionen oder Ermüdung leiten und macht keine Flüchtigkeitsfehler. Außerdem fungieren KI-Technologien als Speicher für konsolidiertes Expertenwissen, das von hohem Wert in der Diagnostik sein kann. Zu Anwendungsgebieten der KI in der Zahnmedizin und Zahntechnik zählen u. a.:
- Bildgebung/Diagnostik: KI-gestützte Algorithmen können helfen, Zahn- und Kieferanomalien, Karies, Parodontitis und andere orale Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu diagnostizieren. KI kann bei der Analyse von Röntgenbildern, 3D-Scans und anderen bildgeben- den Verfahren eine wichtige, unterstützende Rolle spielen.
- Behandlungsplanung: KI-Systeme können helfen, individuelle Behandlungspläne zu entwickeln, indem sie auf Basis von Patientendaten optimale Lösungen vorschlagen.
- CAM-Fertigung: Optimierung der Fertigungsstrategien, indem KI auf Basis von Daten wie Werkstoff, Geometrie und Bearbeitungsparametern die besten Werkzeugwege, Frässtrategien und Bearbeitungsgeschwindigkeiten vorschlägt.
- CAD/Generative Design: KI-gestützte Algorithmen können verwendet werden, um optimierte Konstruktionsvorschläge zu erstellen. Generative Design-Tools nutzen Algorithmen, um Designvarianten basierend auf bestimmten Leistungsanforderungen zu erzeugen.
- Virtuelle Assistenz: KI-gestützte virtuelle Assistenten können bei der Verwaltung von Patientendaten, Terminen und anderen organisatorischen Aufgaben helfen.
- KI-gestützte natürliche Sprachverarbeitung (NLP): KI-basierte Textgeneratoren können im Marketing und in der Patientenkommunikation wertvolle Dienste leisten.
Globale Innovationskraft und der Wunsch nach Verantwortung sowie regulatorischen Maßnahmen
Interessant sind das Entwicklungspotenzial von KI in der Dentalbranche und die Innovationskraft, die weltweit eingesetzt wird. Nicht nur Global Player sind aktiv, sondern auch kleine, kreative Start-ups, die teilweise neu in den dentalen Markt treten. Von den weltweit bestfinanzierten Neugründungen in der Dentalbranche steht bei mehr als der Hälfte die KI-Technologie im Fokus (Medical Start-ups Dental). Zwar wird auch in Deutschland fleißig entwickelt und geforscht, doch das größte Potenzial scheint außerhalb Europas zu liegen. Und während beispielsweise andere Länder KI-Bildung mit Nachdruck vorantreiben, wird in Deutschland darüber diskutiert, ob KI-Technologien wie ChatGPT in der Schule bzw. der Universität verboten werden sollten. Um Ängste zu nehmen und einen verantwortungsvollen Umgang mit KI zu erlernen, ist das Verstehen der Technologie wichtig und sollte daher weder in der Aus- noch in der Weiterbildung vernachlässigt werden. Angst vor KI ist oft auf Missverständnisse und Befürchtungen über die negativen Auswirkungen zurückzuführen, was nicht unbegründet ist. Um Ängsten entgegenzuwirken, ist Bildung ebenso entscheidend wie regulatorische Maßnahmen.
Zurückkommend auf die aktuelle Petition: Der Einsatz von KI und die rasant schnelle Weiterentwicklung bergen sehr wohl Risiken, z. B.
- Fehlentscheidungen: KI-Systeme basieren auf Algorithmen und können Fehlentscheidungen treffen, insbesondere wenn sie unzureichende oder verzerrte Daten erhalten. Dies kann in kritischen Anwendungen wie Medizin, Verkehr oder Finanzwesen schwere Folgen haben.
- Datenschutz und Privatsphäre: Die Verwendung von KI zur Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen kann die Privatsphäre beeinträchtigen. Die Sammlung und Verwendung persönlicher Daten durch KI-Systeme erfordert entsprechende Datenschutzmaßnahmen.
- Diskriminierung und Verzerrungen: KI-Systeme, die auf historischen Daten trainiert werden, können (ungewollte) Vorurteile und Diskriminierungen verstärken, indem sie Entscheidungen treffen, die bestimmte Gruppen benachteiligen. Dies kann zu unfairen Ergebnissen in Bereichen wie Einstellungsverfahren, Kreditvergabe oder Strafverfolgung führen.
- Arbeitsplatzverdrängung: KI-Anwendungen können Arbeitsplätze in verschiedenen Branchen automatisieren, was zu Arbeitsplatzverlusten führen und entsprechend soziale Auswirkungen haben kann.
- Sicherheitsrisiken: KI kann für bösartige Zwecke missbraucht werden, z. B. für die Entwicklung autonomer Waffensysteme oder zur Verbreitung von Desinformation. Darüber hinaus können KI-Systeme selbst Ziele für Cyberangriffe werden, bei denen Angreifer versuchen, die KI zu manipulieren.
- Künstliche Moral: KI-Systeme müssen in ethisch komplexen Situationen Entscheidungen treffen können (z. B. autonomes Fahren). Die Frage, wie solche Systeme ethische Prinzipien in Entscheidungen einbeziehen, ist Gegenstand vieler Debatten.
Trotz aller Risiken bietet KI ein enormes Potenzial – auch im Dentallabor –, insbesondere, wenn man den Arbeitskräftemangel bedenkt. Der Einsatz von KI (z. B. für repetitive Aufgaben) könnte Unternehmen in die Lage versetzen, effizienter zu arbeiten, ohne Abstand vom qualitativ hohen zahntechnischen Anspruch zu nehmen.
KI und Nachhaltigkeit: Ein Widerspruch in sich?
Ein bislang wenig diskutiertes Thema betrifft die ökologische Nachhaltigkeit von KI. Der Betrieb und das Training von KI benötigen erhebliche Mengen an Energie. Forscher arbeiten an der Entwicklung energieeffizienterer KI-Modelle, die weniger Rechenleistung und somit weniger Strom verbrauchen (z.B. Hardware-Optimierung durch energieeffizientere Prozessoren, GPUs, KI-Chips). Erneut ist die Kehrseite zu beachten, denn KI kann auch signifikant dazu beitragen, den weltweiten Energieverbrauch zu reduzieren (z. B. optimierte Energieeffizienz in Gebäuden, intelligente Verkehrssteuerung).
Das einzelne Dentallabor kann den Energieverbrauch durch energieeffiziente Hardware und den effektiven Gebrauch der Technologie reduzieren. Die Entscheidung für Ökostrom senkt den ökologischen Fußabdruck. Auch bei der Wahl der Cloud-Anbieter kann der Nachhaltigkeitsaspekt einbezogen werden. Cloud-Server spielen eine wichtige Rolle, denn KI-Anwendungen erfordern riesige Datenmengen und enorme Rechenleistungen. Cloud-Server stellen diese Ressourcen bereit, sodass im Dentallabor keine physische Hardware installiert werden muss. Ein nachhaltiger Cloud-Anbieter betreibt die Server mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen und arbeitet kontinuierlich daran, die Server-Infrastruktur energieeffizienter zu gestalten (z. B. Optimierung der Server-Kühlung). In Nachhaltigkeitsberichten können sich Kunden über die Maßnahmen der Anbieter informieren (z. B. Nachhaltigkeitszertifizierung).
Der Faktor Mensch: Warum menschliche Intelligenz unverzichtbar bleibt
Vorsicht Wortklauberei: Künstliche Intelligenz (KI) ist im eigentlichen Sinne eine wenig korrekte Formulierung. Die Bezeichnung ist zwar etabliert, doch irreführend. Sie suggeriert, dass es sich um eine künstliche Lebensform handelt. Jedoch ist KI schlicht eine Technologie, die auf Algorithmen basiert und von Menschen entwickelt, programmiert sowie trainiert wurde. Hingegen ist (menschliche) Intelligenz die Fähigkeit, zu verstehen, einzuordnen, zu lernen, zu planen, zu kommunizieren etc. Sie beruht auf biologischen Prozessen im Gehirn, auf neuronalen Netzwerken und kognitiven Fähigkeiten. KI nutzt maschinelles Lernen und Algorithmen, um Muster und Zusammenhänge in Daten zu erkennen und darauf basierend Entscheidungen zu treffen. Sie beruht auf einem vordefinierten Regelwerk und ist kurz gesagt: einfach dumm. Die Diskussion KI vs. Mensch gleitet schnell in philosophische Fragen ab, die letztlich jeder für sich selbst beantworten muss.
Grundsätzlich kann KI auch im Dentalbereich nicht die menschliche Intelligenz ersetzen. Auch wenn die Technologie in der Lage ist, bestimmte Aufgaben schneller und präziser zu erledigen als der Mensch, so bleibt menschliche Intelligenz unersetzlich. Kreatives Denken, Empathie, Flexibilität, Intuition und das Bewusstsein für ethische Fragen sind nur einige der Fähigkeiten, die KI nicht bietet. Es ist kein Wettbewerb zwischen Mensch und Maschine. Vielmehr geht es um die sinnvolle Kombination der Stärken und eine bewusste Anwendung. Dentallabore sollten sich damit auseinandersetzen, wie sie KI in Arbeitsprozesse integrieren und hierbei gleichzeitig Arbeitsplätze sowie Qualifikationen ihrer Mitarbeiter erhalten und entsprechend ausbauen können.
Dieser Beitrag ist in der ZT Zahntechnik Zeitung erschienen.