Wissenschaft und Forschung 14.02.2013
Einblick in die Schaltzentralen der Zellkommunikation
Forscher entdecken charakteristische
Baumerkmale in einer Familie von Sensoren, die im menschlichen Körper
Signale verarbeiten und physiologische Prozesse steuern
Die
Zellen im menschlichen Körper kommunizieren unablässig miteinander,
um ihre unterschiedlichen Aufgaben koordiniert zu erfüllen. Sie
verfügen dazu über Sensoren, mit denen sie Signale aus ihrer Umwelt
empfangen können. Sensoren auf der Oberfläche von Zellen werden
Rezeptoren genannt. Zahlreiche Prozesse in unserem Körper wie das
Sehen, Riechen oder Schmecken werden durch eine wichtige Familie von
Rezeptoren bewerkstelligt, die man G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
(GPCR) nennt. Dazu gehören auch Rezeptoren, die Gefühlszustände
steuern und für die Angst- und Stressreaktion mitverantwortlich
sind. Forscher des Paul Scherrer Instituts haben nun zusammen mit
Kollegen aus Grossbritannien die bislang bekannten räumlichen
Strukturen von GPCR analysiert und miteinander verglichen. So haben
sie ein stabilisierendes Gerüst von feinen Verstrebungen entdeckt,
das in allen Rezeptoren vorkommt und daher charakteristisch ist für
die Architektur der gesamten GPCR-Familie. Zudem haben sie in den
Bindungstaschen dieser Rezeptoren einen Universalstecker für
andockende Moleküle gefunden. Das Wissen um diese im Lauf der
Evolution konservierten Baumerkmale kann für die Entwicklung neuer
Medikamente von erheblichem Nutzen sein. Über ihre Ergebnisse
berichten die Forscher in einem Review-Artikel im renommierten
Wissenschaftsmagazin Nature.
Rezeptoren sind komplexe
Biomoleküle aus Proteinen, die in der Aussenhaut der Zelle, der
Zellmembran, eingelagert sind. Sie bestehen aus tausenden von Atomen
und haben eine definierte räumliche Struktur, die ihre Funktion
bestimmt. Als eigentliche Schaltzentralen der Zellkommunikation
erkennen sie Reize oder Botenstoffe, die von aussen an die Zelle
gelangen, und übertragen die Information über das angekommene
Signal ins Zellinnere. Die Familie der G-Protein-gekoppelten
Rezeptoren (GPCR) umfasst rund 800 verwandte Sensoren, die im Körper
unterschiedlichste Aufgaben übernehmen: Sie verarbeiten Licht-,
Geruchs- und Geschmacksreize, vermitteln die Wirkung zahlreicher
Hormone, darunter Adrenalin und Histamin, und erkennen
Hirnbotenstoffe wie Dopamin oder Serotonin. Bindet ein Botenstoff an
den für ihn bestimmten GPCR, wird das Biomolekül aktiviert. Dadurch
verändert sich seine Form derart, dass auf der Innenseite der
Membran ein so genanntes G-Proteinmolekül andocken kann. Die Bindung
des G-Proteins an den Rezeptor löst eine Reihe von biochemischen
Vorgängen aus, die je nach Zelltyp zu unterschiedlichen Antworten
führen.
Molekulare Signatur der GPCR-Familie
In den
letzten 20 Jahren hat die Strukturbestimmung im Bereich der GPCR
enorme Fortschritte gemacht, so dass heute die detaillierte Bauweise
von 17 wichtigen Rezeptoren dieser Familie geklärt ist. GPCR
bestehen generell aus insgesamt sieben aneinandergehängten,
stangenförmigen Molekülteilen, die von aussen ins Innere der Zelle
hineinreichen. Innerhalb dieses Gebildes sorgen feine
elektrostatische Kräfte dafür, dass sich zwischen räumlich
benachbarten Molekülstangen Kontakte ausbilden, die die Nanomaschine
zusammenhalten.
Forscher des Paul Scherrer Instituts und des
MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge ist es nun gelungen,
die bekannten Rezeptorstrukturen auf atomarer Ebene zu vermessen und
für jede der Komponenten die exakten Positionen der Kontakte zu
ermitteln, die zwischen den einzelnen Molekülstangen ausgebildet
sind. Anschliessend haben die Wissenschaftler die gewonnenen Daten
systematisch verglichen und konnten 24 gemeinsame Kontakte
identifizieren, die in allen untersuchten Rezeptorstrukturen
vorkommen und stets zwischen denselben Schlüsselpositionen im
Molekül ausgebildet sind. «Man kann sich diese Kontakte als ein
Gerüst von feinen Verstrebungen vorstellen, das im Lauf der
Evolution konserviert wurde und charakteristisch ist für die
Architektur der gesamten GPCR-Familie», erklärt Xavier Deupi,
Strukturbiologe am Labor für Biomolekulare Forschung des PSI. Die
Forscher entdeckten auch Ähnlichkeiten in den Bindungstaschen
verschiedener GPC-Rezeptoren. Hier allerdings fokussierten sie sich
auf Kontakte zwischen den Rezeptoren und ihren gebundenen Liganden,
also den Signalmolekülen, die in der Bindungstasche andocken. «Die
Bindungstaschen verschiedener Rezeptoren unterscheiden sich zwar
stark je nach Grösse und Form der Liganden. Dennoch konnten wir tief
am Boden der Tasche eine Art Universalstecker identifizieren. Der
Stecker umfasst vier Stellen im Protein, die zusammen stets vier
Kontakte zum Liganden bilden – unabhängig davon, wie der Ligand im
Einzelfall beschaffen ist», erläutert Deupi. Da der
Universalstecker in allen Rezeptoren erhalten ist, gehen die
Wissenschaftler davon aus, dass dieser Bereich der Bindungstasche
eine entscheidende Rolle bei der Aktivierung der GPCR spielt.
Vergleichende Analyse von Proteinstrukturen
Für ihre
Untersuchungen haben die Forscher ein Verfahren entwickelt, das es
erlaubt, die Information über die räumliche Struktur von Proteinen
auf das Muster der Kontakte innerhalb der Moleküle zu reduzieren. Um
die gewonnen Muster vergleichen zu können, verwendeten sie die
Methode der Netzwerkanalyse, die Bioinformatikern für gewöhnlich
dazu dient, Interaktionen in biologischen Netzwerken zu studieren.
«Dieser Ansatz erlaubt es uns erstmals, verwandte Rezeptorstrukturen
unbefangen zu betrachten und Ähnlichkeiten herauszufiltern.
Natürlich kamen dabei Kontakte heraus, die bereits bekannt waren.
Damit konnten wir die Methode validieren. Die verbleibenden Kontakte,
weit mehr als die Hälfte, haben wir effektiv neu entdeckt, darunter
auch die Kontakte zwischen Universalstecker und Liganden», sagt
Gebhard Schertler, Leiter des Forschungsbereichs Biologie und Chemie
am PSI.
Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Medikamente
GPCR sind bei etlichen Prozessen im Körper involviert. Sie
agieren als Lichtsensoren in unseren Augen, ermöglichen uns das
Riechen und Schmecken, steuern Angst-und Stressreaktionen und
regulieren unsere Gefühlszustände. Deshalb ist die GPCR-Familie von
grossem Interesse für die pharmazeutische Forschung. «Die bessere
Kenntnis der Rezeptorstrukturen und das Wissen um die gemeinsamen
Baucharakteristiken trägt einerseits zu einem besseren Verständnis
fundamentaler Lebensvorgänge bei. Andererseits bilden die Ergebnisse
auch die Grundlage für die Computer-gestützte Entwicklung neuer
Wirkstoffe. Unsere Resultate können etwa helfen, bessere Modelle von
GPCR zu erstellen – auch von solchen, deren räumliche Struktur
noch gar nicht im Detail geklärt ist», erklärt Deupi. Rund die
Hälfte aller heute verfügbaren Medikamente wirken, indem sie an
GPC-Rezeptoren binden und deren Aktivität beeinflussen. Bekannte
Beispiele sind die als Beta-Blocker geläufigen Blutdruckmittel,
entzündungshemmende Wirkstoffe wie Anti-Histaminika, verschiedene
Psychopharmaka und Migränemittel.
Autor: Michael Keller
Quelle: Paul Scherrer Institut