Wissenschaft und Forschung 24.03.2015
Stammzellen und Zebrafische: Dermatologen tagten in Ulm
Was haben flossenamputierte Zebrafische und trübe
Hornhäute auf einem Dermatologen-Kongress zu suchen? Rund 350 Mediziner
und Naturwissenschaftler, die von Donnerstag bis Samstag an der 42.
Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Forschung (ADF) in
Ulm teilgenommen haben, kennen die Antwort.
Das Bindeglied
sind Stammzellen, „Alleskönner“ und „Mechaniker“ des Körpers, die sich
in verschiedene Gewebe verwandeln können und so Defekte reparieren.
„Stammzellen sind wichtig, um das Gleichgewicht der Haut aufrecht zu
erhalten. Sie können jedoch auch eine entscheidende Rolle bei der
Krebsentstehung spielen“, sagte Professorin Karin Scharffetter-Kochanek,
Gastgeberin der Tagung sowie Ärztliche Direktorin der Ulmer Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie.
Bei dem Kongress zeigte ein hochrangig besetzter Workshop mit
Molekularmedizinern und einem Entwicklungsbiologen das
Forschungsspektrum und eben diese beiden Seiten der Stammzellen auf. Und
auch sonst bewiesen die Dermatologen Sinn für Interdisziplinarität.
Stammzellen
gelten als Hoffnungsträger der Medizin: Mit ihrer Hilfe sollen bereits
Wunden von Diabetikern oder Brandopfern geschlossen worden sein, denen
die Amputation des betroffenen Glieds drohte. Und auch an der
Universität Ulm wird intensiv zu den Alleskönnern geforscht: Im neuen
„Trauma“-Sonderforschungsbereich untersuchen Wissenschaftler, wie
Stammzellen die Regeneration des verletzten Gewebes nach schweren
Unfällen unterstützen können. Die Alterung der „Mechaniker“, die ihren
Reparaturauftrag im Körper dann nicht mehr richtig erfüllen können, ist
darüber hinaus ein wichtiges Thema der Klinischen Forschergruppe 142
(Sprecherin Prof. Scharffetter-Kochanek).
Eines Tages könnten
Blinde durch die Übertragung bestimmter Stammzellen sogar das Augenlicht
wiedererlangen. Entsprechende Forschungsergebnisse stellte Professorin
Natasha Frank von der Harvard Medical School bei dem Workshop vor. „Am
Übergang von der Hornhaut zur Lederhaut des Auges, im so genannten
Limbus, finden sich Stammzellen, die für die Regeneration der Cornea
sorgen. Ein Mangel dieser Stammzellen führt zur Erblindung“, erklärte
Natasha Frank. Bisher sei es jedoch schwierig gewesen, limbale
Stammzellen aufzuspüren. Doch nun hat die Gruppe um Frank das Molekül
ABCB5 als Marker identifiziert und so bereits erfolgreiche
Transplantationen im Mausmodell durchgeführt. Dank gesunder limbaler
Stammzellen, die einer Maus mit Hornhautschaden übertragen wurden,
konnte das Tier wieder sehen. „Unsere Ergebnisse tragen womöglich zur
besseren Behandlung von Hornhautschäden beim Menschen nach Unfällen mit
Chemikalien oder Verbrennungen bei“, sagte die Medizinerin. Doch
Stammzellen aus dem Limbus sind rar, deshalb hofft Natasha Frank in
Zukunft auf andere „Mechaniker“ zurückgreifen zu können – zum Beispiel
aus der Haut.
Zebrafisch als Vorbild
Über die unglaublichen Fähigkeiten des Zebrafischs können selbst Stammzellforscher nur staunen: „Verliert der Wasserbewohner eine Flosse, wächst sie innerhalb von nur zwei Wochen vollständig und perfekt nach“, verdeutlichte Professor Gilbert Weidinger vom Institut für Molekulare Biologie und Biochemie bei der Tagung. Im Gegensatz zu Säugetieren, bei denen nur einige Organe wie die Leber und die Haut regenerieren, erneuern Zebrafische sogar Gehirn, Herz und Retina in kurzer Zeit. Die Grundlagen dieser „Wunderheilung“ konnte Weidinger bereits aufdecken: Verletzt sich der Wasserbewohner, werden differenzierte, adulte knochenbildende Zellen aktiviert, die sich zurück ins Vorläuferstadium entwickeln und so den Knochen reparieren. Aber welche Gene steuern die unerschöpfliche Regenerationsfähigkeit des erwachsenen Tiers und welche molekularen Signalwege sind dabei aktiv?
Bei der ADF-Tagung brachte Gilbert Weidinger die
Ärzte und Naturwissenschaftler auf den neuesten Stand: „Der
Wnt-Signalweg ist zweifelsfrei wichtig für die Regeneration der
Fischflosse. Allerdings konnten wir keine entsprechende Aktivität in der
Oberhaut oder in den ,Vorläufer-Zellen‘ nachweisen und nehmen deshalb
an, dass Wnt-signaling indirekt wirkt, also ,Organisationszentralen‘
ansteuert, die wiederum den Heilungsprozess in angrenzenden Geweben
anstoßen.“ Es lohnt sich genauer hinzuschauen, denn der Zebrafisch hat
als Wirbeltier viel mit dem Menschen gemeinsam, als Modellorganismus ist
er etabliert.
Die dunkle Seite der Stammzellen verdeutlichte
die Molekularmedizinerin Dr. Catherin Niemann. Die Kölnerin sprach über
Mutationen in Stammzellen des Haarbalgs, die das Wachstum von malignen
Talgdrüsentumoren befördern. Doch auch abseits der Stammzellforschung
schauten die Tagungsteilnehmer über den „Tellerrand“: Für das
Verständnis und letztlich die erfolgreiche Behandlung von Neurodermitis
bei Kindern ist die Zusammenarbeit mit Epidemiologen wie Professor
Dietrich Rothenbacher und PD Dr. Jon Jakob Genuneit von der Uni Ulm
wichtig. Gemeinsam mit Professor Johannes Weiss (Universitätsklinik Ulm
für Dermatologie und Allergologie) stellten sie bei der Tagung
Ergebnisse der SPATZ Gesundheitsstudie vor, bei der Kinder und ihre
Familien über einen längeren Zeitraum regelmäßig untersucht werden.
Weiterhin standen bei der ADF-Jahrestagung 36 Einzelvorträge und fünf
Spezialvorträge internationaler Forscher sowie Posterbegehungen und
Preisverleihungen auf dem Programm.
„Insgesamt waren die Beiträge
auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Ganz bewusst haben wir Anleihen in
der Entwicklungsbiologie und anderen Fächern genommen. So können wir
womöglich Analogieschlüsse auf evolutionär konservierte Signalwege bei
der Wundheilung und Regeneration der Haut ziehen. Die Forschung an
Zebrafischen hilft eventuell dabei, diese Signalwege aufzuklären und das
Wissen für die narbenfreie Abheilung von Wunden zu nutzen“, resümierte
Professorin Scharffetter-Kochanek. Und auch weitere Forschungsarbeiten,
die bei der Tagung vorgestellt wurden, könnten den Sprung in die Klinik
schaffen. Da wären zum Beispiel der Einsatz mesenchymaler Stammzellen
zur Behandlung von chronisch nicht heilenden Wunden sowie die
spezifische Zerstörung von Krebsstammzellen des malignen Melanoms und
anderer Hautkrebse, um Rezidive und Metastasen dieser Tumore langfristig
behandeln zu können.
Die Gäste, darunter klinisch und
naturwissenschaftlich orientierte Forscherinnen sowie Forscher, waren
vom Löwenmenschen und von Ulm begeistert. Im Ratskeller haben sie
Erfolge und das Wiedersehen bis in die Nacht gefeiert
Auszeichnungen bei der ADF-Jahrestagung
Bei der ADF-Jahrestagung wurden zahlreiche Preise vergeben: Professor Kilian Eyerich aus München erhielt für seine Forschung den Paul Langerhans Preis über 10 000 Euro, das Stipendium der Deutschen Stiftung für Dermatologie/ADF (50 000 Euro) für Nachwuchsforscher geht nach Zürich an Dr. Martin Glatz. Den Egon Macher Preis für junge Wissenschaftler über 5000 Euro teilen sich Tobias Bald aus Bonn und Yuliya Skabytska (Tübingen).
Dr. Karmveer Singh und Dr. Andrea Kügeler (beide Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie, Ulm) wurden mit einem Reisestipendium für Ihre Arbeiten zur Regulation des IGF-1 Signalweges durch sehr hohe Konzentrationen von Superoxidanionen bei der Alterung und zur Bedeutung von freien Radikalen bei der Wundheilung ausgezeichnet. Hier scheint es ganz spezifische Unterschiede der Radikalspezies und des darauf reagierenden Gewebes zu geben. Diese Arbeiten verdeutlichen, dass es auch zukünftig keine einfachen Lösungen mit Antioxidantien geben wird. Darüber hinaus wurden weitere Auszeichnungen wie der ADF/ECARF-Award für eine Arbeit über Ko-Faktoren beim allergischen Schock (Florian Wölbing aus München, 5000 Euro), Posterpreise und weitere Reisestipendien vergeben.
Quelle: Annika Bingmann/Universität Ulm