Wissenschaft und Forschung 18.09.2025
Studie zeigt: Zahnfehlstellungen beeinträchtigen Kauen und Beißen
Das sogenannte EFAFU-Projekt untersuchte seit 2020 die Effekte von Zahn- und Kieferfehlstellungen auf die Mundgesundheit und -funktion. Das interdisziplinäre Team aus Zahn- und Humanmedizinern sowie Statistikern konnte nachweisen, dass bestimmte Fehlstellungen im Gebiss das Kauen und Beißen verschlechtern. Zudem formuliert es den Verdacht einer Fehlversorgung bei der kieferorthopädischen Behandlung in Deutschland. Das Greifswalder Projekt wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss mit 1,4 Millionen Euro gefördert.
„Die gesetzlichen Krankenkassen geben jährlich mehr als eine Milliarde Euro für kieferorthopädische Behandlungen bei Zahn- oder Kieferfehlstellungen aus“, erzählt Prof. Karl-Friedrich Krey, Direktor der Greifswalder Poliklinik für Kieferorthopädie. Grundlage der Kostenübernahme sei das befundbezogene kieferorthopädische Indikationsgruppen-System (KIG-System). Das bedeutet, dass Kieferorthopäden anhand von elf Kategorien im KIG-System vorab einschätzen, inwiefern potenzielle Patienten einen Behandlungsbedarf mit Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen aufweisen.

Das Projekt EFAFU lieferte nun wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Effekten der Gebissanomalien des KIG-Systems und weiteren Fehlstellungen.
„Damit griff EFAFU in drei Teilprojekten eine Forschungslücke zu Über-, Unter- und Fehlversorgung in der Kieferorthopädie auf – und das in einem Beobachtungszeitraum von bis zu 23 Jahren“, so Krey. Wesentliches Ziel des Projektes war es, langfristige Auswirkungen von Gebissanomalien auf Zahnverlust, den Zahnhalteapparat und das Kariesrisiko abzuschätzen. Dafür nutzte das Forschungsteam Daten von SHIP (Study of Health in Pomerania) und erweiterte diese um moderne 3D-Oralscans. Außerdem bezieht die Studie verschiedene Altersgruppen mit ein: Zehn- bis 80-Jährige.
Das zentrale Ergebnis der Studie: Zahn- und Kieferfehlstellungen haben Auswirkungen auf Zahnverlust, Karies und Kaueffizienz. Außerdem gibt es diverse Assoziationen mit der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. So zeigte sich, dass sich Menschen mit Zahn- und Kieferfehlstellungen aufgrund von Schmerzen, Einschränkungen bei der Lebensmittelauswahl sowie ästhetisch-sozialem Druck deutlich unwohler fühlen. Dadurch wiesen sie eine reduzierte Lebensqualität auf.
Zudem habe das KIG-System Schwächen bei der Einschätzung des Behandlungsbedarfs, wie Krey betont: „Das KIG-System berücksichtigt bei der Beurteilung viele wichtige Faktoren wie Gesichtsasymmetrien, Zahnabstände oder Atmen und Schlucken nicht“. Für die Versorgung bedeute das einerseits, dass manche Patienten, die von einer kieferorthopädischen Behandlung profitieren würden, nach dem KIG-System als nicht behandlungsbedürftig eingestuft werden. „Umgekehrt kann es aber auch bedeuten, dass Patienten, die eigentlich keinen Therapiebedarf haben, am Ende als behandlungsbedürftig eingestuft werden“, so Krey. „Im Grunde bedarf es einer individuellen Diagnostik mit präzisen Analysen wie Röntgenbildern, Vermessungen von Kopf und Kiefer oder Funktionstests zum Kauen, Schlucken, Sprechen oder Atmen.“ Nur so könne verlässlich eingeschätzt werden, ob der Patient einen kieferorthopädischen Behandlungsbedarf hat.
Die Entscheidung darüber, inwiefern das KIG-System überarbeitet werden soll – „das ist Aufgabe der Fachgesellschaften und der Politik“, so Krey. Die Studienergebnisse wurden nun als Empfehlungen für die nächsten Schritte an die Fachgesellschaften und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung weitergegeben.
„Das Zentrum für Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde der Universitätsmedizin hat sich von Beginn an maßgeblich in die SHIP-Studie eingebracht. Dies hat sich über die Jahre ausgezahlt. So gehört Greifswald zu den forschungsstärksten Zahnkliniken in Deutschland“, freut sich der Wissenschaftliche Vorstand, Prof. Karlhans Endlich.
Quelle: Universitätsmedizin Greifswald