Wissenschaft und Forschung 26.07.2012
Wie Mangelernährung zu Entzündungen führt
Wie Mangelernährung zu Durchfall und Entzündungen des Darmes führen
kann, haben jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), des Exzellenzclusters
Entzündungsforschung und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein
(UKSH) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Molekulare Biotechnologie
(IMBA) in Wien, Österreich, herausgefunden. Diese überraschenden
Erkenntnisse zeigen erstmals den molekularen Einfluss der Ernährung auf
das Gleichgewicht zwischen Immunsystem und Darmflora. Die Ergebnisse
dieser Studie wurden jetzt in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift
Nature (26. Juli) veröffentlicht.
Millionen von Menschen in Entwicklungsländern leiden an Hunger.
Mangelernährung ist nach wie vor, auch in reicheren Ländern, ein großes
Problem und zählt zu den Haupttodesursachen auf der Welt. Schon lange
ist bekannt, dass Mangelernährung zu Durchfall, Entzündungen des Darmes
und Störungen des Immunsystems führt und so den Körper schwächt. Die
molekularen Mechanismen, die die Zusammenhänge zwischen der
Mangelernährung und den Auswirkungen auf den Darm erklären, waren bisher
weitgehend unverstanden.
Die Arbeitsgruppe von Professor Philip Rosenstiel, Institut für
Klinische Molekularbiologie (IKMB) am Campus Kiel, hat jetzt zusammen
mit Professor Stefan Schreiber, Klinik für Innere Medizin I am Campus
Kiel, auf molekularer Ebene eine Erklärung für die gesteigerte
Anfälligkeit für Darmentzündungen bei Mangelernährung gefunden. In
Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Professor Josef Penninger,
Institut für Molekulare Biotechnologie, Wien, haben die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Angiotensin Converting
Enzyme 2 (ACE2) Gen untersucht und eine vollkommen neue Funktion
entdeckt. ACE2 kontrolliert, wie der Darm aus der Nahrung Aminosäuren,
insbesondere die essentielle Aminosäure Tryptophan, aufnimmt.
Nehmen wir zu wenig Tryptophan mit der Nahrung auf, wird das Immunsystem
im Darm gestört. Dies wiederum bewirkt, dass sich die Zusammensetzung
der im Darm angesiedelten Bakterien verändert und der Körper damit
anfälliger für Durchfälle und Entzündungen wird. Die Studien haben
gezeigt, dass eine tryptophanreiche Ernährung bei Mäusen
Entzündungssymptome lindern kann. Die Zusammensetzung der Darmbakterien
normalisiert sich, die Entzündungen klingen ab und die Tiere werden
weniger empfindlich gegenüber einer neuen Erkrankung.
Penninger, der bereits seit über zehn Jahren an ACE2 forscht, welches
auch als Schlüsselfaktor bei einer SARS-Virus Infektion identifiziert
wurde, war über die neue Verbindung von ACE2 und dem Aminosäure-
Gleichgewicht völlig überrascht. Ob tatsächlich eine einfache Ernährung
mit Tryptophan die Effekte von Mangelernährung heilen könne, müsse jetzt
in klinischen Studien gezeigt werden, so Penninger.
„Die Ergebnisse zeigen zum ersten Mal, wie ein bestimmter Baustein der
Nahrung, den wir täglich zu uns nehmen, direkte Wirkung auf die
Zusammensetzung der Darmflora nimmt und so die Gesundheit beeinflusst“,
sagt Rosenstiel. „Die Studie zeigt, dass die Darmflora ein untrennbarer
Teil des menschlichen Organismus ist und überlebenswichtige Funktionen
übernimmt. Mit den Erkenntnissen könnten aber nicht nur Krankheiten
durch Mangelernährung verhindert, sondern auch neue Wege der Therapie
bei chronischen Entzündungen des Darmes wie dem Morbus Crohn oder der
Colitis ulcerosa beschritten werden.“
„Die Auswirkung dieser Befunde auf die Entwicklung neuer Therapien liegt
auf der Hand: Wir müssen jetzt auch an Patienten zeigen, dass wir durch
spezifische Nahrungsbestandteile wie dem Tryptophan in der Lage sind
bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu helfen“, sagt Schreiber,
der auch Sprecher des Exzellenzclusters Entzündung an Grenzflächen ist.
„Da es sich hierbei um Ernährungsinterventionen handelt, können wir die
Ergebnisse schnell klinisch umsetzen. Dieses Beispiel zeigt, dass die
enge Verbindung der Ernährungswissenschaften und Medizin, die in Kiel
auch durch gemeinsame Professuren gelebt wird, eine wichtige
Zukunftsinvestition für das UKSH und die Universität ist.“
Auch das UKSH ist stolz auf diese Forschungsergebnisse. „Dieser
spektakuläre Erfolg zeigt wieder einmal, wie wichtig die Nähe zwischen
Grundlagenforschung und Patientenversorgung ist“, sagt Professor Jens
Scholz, Vorstandsvorsitzender des UKSH. „Die Verpflichtung eines
Universitätsklinikums ist es, neue Therapien zu entwickeln und somit der
‚normalen‘ Medizin um Jahre voraus zu sein. Dieses bringen wir auch
unseren Studenten bei, für die insbesondere der Zusammenhang zwischen
Ernährung und Gesundheit ein wichtiges Zukunftsfeld in der Medizin sein
wird.“
Originalpublikation:
“ACE2 links amino acid malnutrition to microbial ecology and intestinal inflammation"
Nature, Volume 487, No. 7407, 26. Juli 2012
Quelle: Universitätsklinikum Schleswig-Holstein