Marketing 22.11.2010
Eine Medien-Evolution ist im Gange - sind Sie dabei?
Das englische Wort des Jahres 2009 lautete „unfriend“ und ist eine Web 2.0-Wortneuschöpfung. Es steht per Definition für den Vorgang, „jemanden aus seiner persönlichen Freundesliste in einem Social Network wie Facebook zu entfernen“. Davor war „Twitter“ als Wort des Jahres gehandelt worden …
Facebook, Twitter, „entfreunden“? Ist das nicht reine Freizeitbeschäftigung für Jugendliche und Computerfreaks? Mitnichten! Der durchschnittliche Facebook-Nutzer ist laut einer Studie von Weber Shandwick und respondi 39 Jahre alt, Nutzer des Microblogging-Dienstes Twitter sind im Schnitt 32. Auch einen weiteren möglichen Einwand möchte ich gleich zu Beginn entkräften, den der Relevanz: Warum soll sich ein gestresster Zahnarzt jetzt auch noch mit Facebook und Twitter abgeben? Vielleicht hilft Ihnen dieser Trick bei der Beantwortung der Frage: Besuchen Sie mal die Infoseite www.youropenbook.org und suchen Sie nach dem Wort „Zahnarzt“. Angezeigt werden die aktuellsten Statusmeldungen deutschsprachiger Facebook-Nutzer, in denen das Wort „Zahnarzt“ vorkommt.
Kleine Auswahl: Andrea schrieb, sie habe 2,5 Stunden beim Zahnarzt verbracht und ergänzt „Großes Kino“, Nadine aus Bayern bekannte, Zahnarztbesuche seien immer so „unguad“, Darius ist gerade beim Zahnarzt, Gregor muss zwar erst morgen, hat aber „komplett Angst“. Das waren nur einige Einträge der letzten zehn Minuten … Was ich damit sagen will? Geben Sie diesem Text (und den sozialen Medien) eine Chance, denn soziale Medien sind authentisch, einflussreich und sie werden täglich größer! Zum Warmwerden ein kurzer Ausflug in die Entwicklungsgeschichte des Web 2.0.
Die Basis des Web 2.0: Aktive Nutzer und deren Inhalte
Der Blogger Johnny Häusler erklärte anlässlich eines Vortrags im Jahre 2006: „Wenn jemand im Zusammenhang mit Web 2.0 oder dem Internet generell von einer Revolution spricht, darf man ruhig lächeln. Denn es geht nicht um Medien-Revolution, sondern um Medien-Evolution!“ Aus Sicht eines Bloggers ist die Begeisterung nachvollziehbar: Als das Medium 1994 mit weltweit 500 Webseiten startete, galt es als statisches Informationsmedium. Immer mehr virtuelle Anlaufpunkte für Kommunikation, Transaktion und Unterhaltung entwickelten sich. Die Aufgabe des Nutzers beschränkte sich dabei zumeist auf das Rezipieren, seine direkte Einflussnahme war – wie auch bei klassischen Medien – stark eingeschränkt. Erst in den letzten Jahren vollzog sich eine schrittweise Wandlung vom Monolog zum Dialog, das Internet wurde zum „Mitmach-Netz“ mit einem veränderten Nutzerverhalten und neuen Anwendungen und Geschäftsmodellen. Der Verleger und IT-Experte O’Reilly gab diesem Phänomen den Namen „Web 2.0“.
Wobei rückblickend die Bezeichnung „Social Web“ treffender gewesen wäre, denn im Mittelpunkt des neuen Internets stehen aktive Benutzer und deren generierte Inhalte: Sie füllen Blogs mit Gedanken, tauschen Meinungen aus über Facebook, twittern, knüpfen Kontakte in Xing oder empfehlen Ärzte in Online-Arztverzeichnissen wie Arztsuche.de. Immer stärker werden Privatleben und Meinung eines Einzelnen für jedermann sichtbar in das Social Web getragen. Und genau das ist die Chance für die von Werberestriktionen geplagten Mediziner. Denn über diese neuen Kanäle besteht die Möglichkeit der direkten Imagepflege, einer Stärkung der Patientenbindung, der Generierung von Empfehlungen usw. Und über spezialisierte Netzwerke, wie beispielsweise das Mediziner-Netzwerk DocCheck Faces, können Berufs- oder Nutzergruppen sogar in geschlossenen Räumen Kontakt halten.
Potenzielle Vorteile also, doch ein Engagement in Web 2.0 wird noch immer nicht ausreichend genutzt. Woran liegt das? Unsicherheit, Ignoranz, Vorsicht? Dabei ist jetzt die Chance gerade für eine Zukunftsbranche wie das Gesundheitswesen gekommen, auf den fahrenden Zug mit Namen Web 2.0 zu springen (der Zug fährt schließlich immer schneller)! Zwei Drittel der europäischen Verbraucher, so eine Studie von Digitas Health, schenken Informationen zu Gesundheitsthemen, die sie über soziale Medien erhalten – wie beispielsweise in Blogs, Foren und Online-Communities – Vertrauen. Und ist es nicht gerade die-ses Vertrauen, das bei der Wahl eines Zahnarztes eine immense Rolle spielt? Oder anders gefragt: Warum sollte ein Zahnarzt, der über Facebook oder Twit-ter aktuelle Informationen zu seinem Gesundheitsthema bereitstellt und sich bewusst mit seinen Patienten vernetzt, nicht auch angsterfüllte Patienten (wie Nadine und Gregor aus der Einleitung) überzeugen können? Und profitiert nicht der Arzt davon, wenn Nadine und Gregor statt von Angst und ungutem Gefühl von „super Zahnarzt“, „endlich keine Angst mehr“ oder „Kann ich nur empfehlen“ schreiben? Um die Macht der sozialen Medien noch stärker vor Augen zu führen, stellen Sie sich bitte außerdem vor, Nadine und Georg haben jeweils 200 bis 300 Facebook-Freunde und jeder dieser Freunde sieht diese authentische Statusmeldung Ihres Patienten. Gibt es einen einfacheren Weg zu positiver Mundpropaganda?
Praxismarketing 2.0: Wie aus Patienten Multiplikatoren werden
Zumal die Barriere für den Einstieg in Social Media minimal und in den Bereichen Facebook und Twitter auch ohne Social-Media-Agentur möglich ist: Das Anlegen eines kostenlosen Facebook-Profils (facebook.com) ist selbsterklärend und dauert einige Minuten, das Hochladen eines aussagekräftigen Profilbildes nochmal zwei. Bei Twitter (twitter.com) gilt dies analog. Bei den Folgekosten fällt nur ein einziges (leider sehr knappes) Gut an, nämlich Zeit. Ihre Zeit. Denn auch wenn Ihr Team den Aufbau und die Pflege eines sozialen Netzwerkes übernehmen kann – sicher sind einige Ihrer Mitarbeiter bereits aktiv und können im Dialog mit Freunden und Patienten wichtige Hinweise über die Praxis zusammentragen – die Kommunikation hierüber bleibt Chefsache. Im Vorfeld sollten deshalb einige strategische Wegmarken festgelegt werden: Was ist das Ziel? Welche Möglichkeiten hat das Praxisteam, wie soll es reagieren (beispielsweise, wenn ein Patient nega-tiv über Ihre Praxis schreibt). Wie lange dürfen sich Mitarbeiter in den sozialen Medien tummeln und vor allem wie sieht Ihre Kommunikationsstrategie aus? Praxisausstattung, geänderte Öffnungszeiten, die Zeiten des Praxisurlaubs – das sind Servicethemen, die unbedingt kommuniziert werden sollten. Die ewig gleichen Witze des Patienten B. dagegen natürlich nicht! Damit Ihre gelisteten Kontakte („Freundesliste“ in Facebook, „Follower“ bei Twitter) als Multiplikator aktiv werden und Ihre Informationen kommentieren oder weiterleiten, sollten aktuelle Themen oder Umfragen mit Mehrwert kommuniziert und moderiert werden, zum Beispiel zur Budgetierung zahnärztlicher Leistungen oder schlicht Ideen zur Bekämpfung der Zahnarztangst. Ihre Facebook-Freunde brauchen dann nur auf den „Gefällt mir“-Button drücken und schon ist Ihre Reichweite vergrößert.
Natürlich ist Social-Media kein Selbstläufer, sondern erfordert Zeit, Kompetenz und Feingefühl bei der Umsetzung (deshalb gibt es hierfür ja auch spezialisierte Agenturen am Markt). Meilensteine sind Strategieplanung, Kontaktanbahnung, Inhalt, Erfolgskontrolle, Schulung des Praxisteams und die Vereinbarung fester Richtlinien im Umgang mit den Schattenseiten des offenen und sichtbaren Dialogs. Im Social Web halten Sie aber die Chance auf bewusstes Gegensteuern in Ihren Händen (und in den Händen Ihres aufmerksamen und dialogfähigen Praxisteams). Ihr Einfluss auf die Meinungsbildung von Patienten, Kollegen und Partnern ist in Facebook, Twitter und Co. größer als in jedem anderen Medium – auch weil Sie mit Ihrer Botschaft nicht an den Journalisten in Print- oder TV-Redaktionen vorbei müssen. Falls Sie diese Chance also noch nicht ergriffen haben, dann schnuppern Sie doch einmal unverbindlich hinein und sichern Sie sich langfristig Ihren (Praxis-)Raum in einer rasant wachsenden und stark vernetzten Webkultur. Und wann sind Sie dabei?
Autor: Marion Schmitt