Patienten 30.10.2023

Füreinander gemacht: Dreamteam Kinder und Senioren



Füreinander gemacht: Dreamteam Kinder und Senioren

Foto: Kitreel – stock.adobe.com

Was trägt zu Glücksmomenten von Senioren bei? Interaktion! Und zwar generationsübergreifend. Zu diesem eindeutigen Ergebnis gelangte ein Forschungsprojekt der Evangelischen Hochschule Freiburg unter Verantwortung von Prof. Dr. Thomas Klie. Welche Schlüsse sich aus dem Projekt in Bezug auf die Bedarfe älterer Menschen ziehen lassen, erläutert der Sozialexperte im ZWP-Interview.

Herr Prof. Klie, wie war Ihr Forschungsprojekt aufgezogen?

In unserem Projekt ging es um intergenerative Begegnungen über einen längeren Zeitraum. In drei Tandems, bestehend aus jeweils einer Altenhilfeeinrichtung und einer Kindertagesstätte, wurden – fachlich begleitet – über ein Jahr lang wöchentliche Begegnungen von Kindern im Vorschulalter und Senioren organisiert. Das Projekt war lokalisiert in Südbaden – mit Einrichtungen in Freiburg im Breisgau und Waldkirch. Bei den Senioren handelte es sich im Wesentlichen um vulnerable ältere Menschen, die pflegerischer Unterstützung ebenso bedurften wie Hilfen in der Alltagsgestaltung und Kommunikation. Eine Gruppe rekrutierte sich aus den Bewohnern einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz. Die jeweiligen Teams von Altenhilfeeinrichtungen und Kitas haben sich – begleitet durch Pädagogen der frühen Kindheit und Gerontologen – auf die Begegnungen vorbereitet. Die Begegnungen fanden abwechselnd in der Altenhilfeeinrichtung respektive in der Kindertagesstätte statt. Auch gemeinsame Ausflüge standen auf dem Programm. Uns interessierte die Frage, welche Effekte die intergenerativen Begegnungen auf die beiden Zielgruppen haben: In Bezug auf die Senioren interessierte uns vor allem, ob die Begegnung mit Vorschulkindern einen Einfluss auf das subjektive Empfinden von Freude, Lebensqualität und Teilhabe hat, ob sich in den Begegnungen besondere Kompetenzen hochbetagter Menschen zeigen und reaktivieren lassen und ob die Begegnung auch einen mittelfristigen Einfluss auf Gesundheit und Lebensqualität entfaltet.

Projektgegenstand

Unter dem Titel Begegnungen. Gestützte Begegnungen zwischen Hochaltrigen und Vorschulkindern zur Verbesserung von Lebensqualität und sozialer Teilhabe wurden unterschiedliche Möglichkeiten der professionell begleiteten und unterstützten Begegnung zwischen Kindern aus Kindertageseinrichtungen mit alten Menschen in Einrichtungen der Altenhilfe erprobt und hinsichtlich ihrer Wirkungen auf beide Zielgruppen untersucht.

Welche Wirkung hatte der durch das Projekt initiierte intergenerative Austausch auf die Senioren?

Die in das Projekt „Begegnungen“ einbezogenen älteren Menschen haben die Begegnungen überwiegend als positiv und belebend empfunden. Sie zeigten im Alltag von Altenhilfeeinrichtungen ansonsten häufiger verschüttete Kompetenzen sowohl in der Beziehungsgestaltung als auch im künstlerischen Ausdruck, in fürsorglichen Verhaltensmustern, aber auch in kulturellen Kompetenzen wie Geschichtenerzählen, Liedgut oder Kochrezepten und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. Die Begegnungen hatten jeweils ein Thema: Sie reichten von der gemeinsamen Herstellung von Mahlzeiten über künstlerische Aktivitäten, angeleitet durch Kunstpädagogen bis hin zur gemeinsamen Gestaltung von kleinen Festen oder Yoga. Es gab viele Glücksmomente, die wir beobachten konnten, es gab viele feinfühlige und achtsame Begegnungen, in denen sich beide – Kinder und Senioren – annäherten. Dabei handelte es sich nicht um einmalige, sondern kontinuierliche Begegnungen, in denen auch in Einzelfällen Beziehungen entstehen konnten. Es gab aber auch Situationen, gerade in den Begegnungen mit Menschen mit Demenz, in denen Fremdheitserfahrungen nicht ohne Weiteres ausblieben. Sie zu begleiten, sie aufzuarbeiten, Fähigkeiten zu entwickeln, in leicht eskalierende Beziehungsdynamiken einzugreifen, gehörte mit zu den Lernerfahrungen für die Professionellen beider Einrichtungstypen. Die Begegnung mit Kindern aktiviert viel an Erinnerungen, an Kompetenzen, an schönen, aber durchaus auch leidvollen Erfahrungen bei älteren Menschen. Die Tandemeinrichtungen waren jeweils in einem Quartier verortet. Es fanden Begegnungen auch außerhalb der offiziellen Begegnung statt: Beim Einkaufen, beim Spazierengehen, beim Weg in die Kindertagesstätte. Hier zeigte sich, dass die Kinder unbefangener und beziehungsfähiger auf die ihnen inzwischen ja auch bekannten älteren Menschen zugingen.

Das Dasein vieler Senioren scheint, etwas salopp gesagt, eine „eher traurige Angelegenheit“ zu sein. Wo sehen Sie hier intergenerative Lösungsansätze?

Aus Ihrer Frage scheint ein typisches negatives Altersstereotyp, das unsere Altersbilder prägt. Es stimmt mit der empirischen Wirklichkeit wenig überein. Weder sind ältere Menschen besonders einsam noch unglücklich. Senioren sind durchschnittlich deutlich zufriedener mit ihrem Leben als Menschen in den Vierzigerjahren. Auch sind sie gesellschaftlich ausgesprochen aktiv. Noch nie haben sich über 70-Jährige so vielfältig, zeitintensiv und in großer Zahl bürgerschaftlich engagiert wie heute. Auch spielen die Senioren eine ausgesprochen wichtige Rolle bei der Übernahme von Sorgeaufgaben: sowohl in der Nachbarschaft als auch in Familien gegenüber Enkeln oder für auf Pflege angewiesene Menschen im Freundeskreis oder in der Familie. Die Altersstereotype, die mit Passivität und „Traurigkeit“ einhergeht, ist in ihrer Allgemeinheit schlicht falsch. Sicher, es gibt eine große Gruppe von älteren Menschen, deren Lebensbedingungen ungünstig sind, die mit den typischen biologischen Alterungsprozessen ihre Mühe haben, die sich ausgeschlossen fühlen aus für sie wichtigen Teilen der Gesellschaft, die unfreiwillig allein sind. Um die Gruppe älterer Menschen, die sich in schwierigen Lebenslagen befindet, die meist auch über einen niedrigeren Bildungsstatus und ein niedriges Einkommen verfügt, wird man sich in besonderer Weise kümmern müssen. Älteren Menschen insgesamt allerdings das Bild eines „traurigen“ Lebens zuzuordnen, widerspricht gesicherten gerontologischen Wissensbeständen und Erkenntnissen. Uns war es in dem Projekt wichtig, älteren Menschen in schwierigen Lebenslagen, die regelmäßig mit Pflegebedürftigkeit oder/und Demenz verbunden sind, Begegnungsangebote zu machen. Insofern richtete sich das Projekt „Begegnungen“ nicht an die Senioren allgemein, sondern an Senioren in besonders belastenden Lebenslagen. Hier hat es sich bewährt und es lässt sich aus dem Projekt die Schlussfolgerung ziehen: Jede Altenhilfeeinrichtung, jedes Pflegeheim sollte die Kooperation mit Kindertagesstätten suchen. Das ist sowohl für die Kindesentwicklung ausgesprochen nützlich und positiv und belebt zugleich den Alltag pflegebedürftiger Menschen und vermittelt ihnen zumindest Glücksmomente. Und Glück gibt es immer nur als Moment.

Dieser Artikel ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 09/2023 erschienen.

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