Patienten 21.11.2023
Zahnärzte als Schlüsselakteure bei der Aufdeckung häuslicher Gewalt
share
Die Rolle der Zahnmediziner bei der Erkennung von Gewaltopfern wird in der Öffentlichkeit oft übersehen, obwohl Verletzungen im Gesichtsbereich wichtige Hinweise liefern können. Dazu fordert Dr. Jana Bregulla die explizite Einbindung von Zahnärzten in der Erkennung häuslicher Gewalt. In ihrer Dissertation verdeutlicht die junge Zahnärztin den Nachholbedarf in Deutschland und betont die alarmierenden Zahlen von über 143.000 Opfern allein im letzten Jahr. Schulungen und Rollenspiele sind in diesem Zusammenhang bereits im Medizinstudium notwendig. Im Interview beleuchtet sie die Thematik und ihre Forschungsergebnisse näher.
Frau Dr. Bregulla, was hat Sie dazu inspiriert, sich in Ihrer Dissertation mit der Einbindung von Zahnärzten zur Erkennung häuslicher Gewalt auseinanderzusetzen?
Die Anregung für dieses spannende Forschungsthema stammt von Frau Prof. Dr. Dr. Pfleiderer, die bereits in der Vergangenheit wegweisende Studien in der Humanmedizin durchgeführt hat. Während eines gemeinsamen Gesprächs entwickelte sich rasch ein starkes Interesse, den wissenschaftlichen Kenntnisstand in der Zahnmedizin bezüglich dieses hochrelevanten Themas herauszuarbeiten. Da es sich nicht nur um ein medizinisch-wissenschaftliches Thema, sondern eben auch um ein allgemeingesellschaftlich brisantes Thema handelt, war mein Interesse schnell geweckt.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie in Ihrer Dissertation bezüglich des Kenntnisstandes von Zahnärzten über häusliche Gewalt und deren Fähigkeit, Opfer angemessen zu erkennen und zu behandeln, gekommen?
Leider stellte sich im Rahmen der Dissertation heraus, dass das Wissen der Zahnärzte über den Umgang mit betroffenen Patienten sehr gering ist. Viele haben keine Zeit, sich in der Praxis ausreichend mit dem Thema auseinanderzusetzen. Allerdings spielt meistens auch die Unsicherheit aufgrund des Unwissens eine große Rolle, da die meisten Zahnärzte keine Schulung zu dem Thema erhalten haben.
Sie erwähnen, dass einige Länder bereits Maßnahmen zur Erkennung und Behandlung von Opfern häuslicher Gewalt umsetzen. Was halten Sie für besonders vielversprechend?
Vor allem in den USA und in Großbritannien hat man an den Universitäten versucht, Unterrichtsstunden einzuführen, in denen das Thema näher beleuchtet wird. Normale Vorlesungen, aber auch Rollenspiele und Begegnungen mit Opfern, die von ihren Erlebnissen erzählten, waren Teil der Projekte. Die „praktischen“ Anteile des Programms bekamen besonders viel Zuspruch bei den Studierenden.
Sie betonen die Bedeutung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient bei der Erkennung von häuslicher Gewalt. Wie kann dieses Thema effektiver in das Medizinstudium eingebunden werden?
Durch Prof. Pfleiderer wurde bereits erwirkt, dass an der Universität Münster im Humanmedizinstudium eine zweistündige Vorlesung zu diesem Schwerpunkt eingeführt wurde. So etwas wäre natürlich auch in der Zahnmedizin wünschenswert. Hierzu werden derzeit Vorbereitungen getroffen, um das Ganze möglich zu machen. Weiterhin wäre es wünschenswert, nach dem Vorbild der vorausgegangenen Frage, auch praktische Erlebnisse und Workshops anzubieten, in welchen die Kommunikation zum Beispiel auch mit Schauspielern geübt werden kann. Hierbei könnte ebenso gelernt werden, was Zahnärzte überhaupt dürfen (Stichwort: Schweigepflicht) und dass es nicht immer nur körperliche und äußere Hinweise für häusliche Gewalt gibt. Wenn dies langfristig etabliert werden könnte, wäre man sicher schon einen großen Schritt weiter.
Ihre Dissertation hat auf Forschungslücken hingewiesen und dazu geführt, dass die Zahnmedizin in das europaweite Forschungsprojekt „Victim Protection in Medicine“ aufgenommen wurde. Welche konkreten Ziele verfolgt dieses Projekt?
Prof. Pfleiderer hat die Zustimmung der EU über eine Förderung des zunächst drei Jahre laufenden Projekts Viprom (Opferschutz in der Medizin) bekommen. Hierzu laufen unter ihrer Leitung Befragungen im ganzen medizinischen Sektor, beispielsweise unter Hebammen, Humanmedizinern, Zahnmedizinern, Pflegern und Studierenden der jeweiligen Sektoren. Ziel ist es, innerhalb der nächsten drei Jahre auf Basis der Bedarfsanalysen, Lehrprogramme zu entwickeln und diese in den Studiengängen und Ausbildungen unterzubringen. Ich denke, dass Zahnärzte durchaus eine wichtige Rolle bei der Erkennung von häuslicher Gewalt spielen können, wenn sie diese wahrnehmen. Patienten werden oft regelmäßig über viele Jahre gesehen, da baut man ein gewisses Vertrauensverhältnis auf. Wenn man sich die allgemeinen Opferzahlen anschaut, sind vermutlich mehr Patienten Opfer, als man denkt.
Hier finden Sie Informationen zum Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt in der zahnärztlichen Praxis.
Dieser Artikel ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 11/2023 erschienen.