Praxismanagement 10.09.2020
Ein Blick zurück und nach vorn: Von der Krise und ihren Chancen
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Von Ende März bis Anfang Juni 2020 stand das öffentliche Leben in Deutschland so gut wie still. COVID-19 stellte – wir alle wissen es – auch Zahnarztpraxen vor ganz neue Herausforderungen. Welche Learnings wurden aus den vergangenen Monaten gezogen und welche Chancen eröffnen sich jetzt am Markt – diesen Fragen geht der folgende Beitrag nach.
Corona hat die Welt ins Stocken gebracht und ganze Wirtschaftszweige lahmgelegt. Aufgrund ihres Versorgungsauftrags blieben Zahnarztpraxen von einer behördlichen Schließung verschont, doch Behandlungen sollten sich auf eine Grundversorgung beschränken. Alle Strategien, die anderen Branchen als Stütze dienten, funktionierten hier nicht. Mit Abstand, Homeoffice und per Videokonferenz lässt sich leider kein Patient behandeln. Praxen, die sonst 36 Stunden pro Woche arbeiten, öffneten jetzt nur noch vier bis zehn Stunden. Der Umsatz ging eklatant zurück. Dazu die zeitraubende und teure Beschaffung von Schutzkleidung und FFP2-Masken am leergefegten Markt. Viele Praxisinhaberinnen und -inhaber gingen sachlich-pragmatisch mit den medizinischen Anforderungen um, waren aber als Unternehmer zutiefst verunsichert. Wie würde es weitergehen? Sicher war nur: Mundgesundheit bleibt nach wie vor wichtig, denn sie stärkt die Abwehrkräfte, die wir in Zeiten einer Pandemie besonders brauchen.
Die Liquidität sichern
Zwei zentrale Ängste standen im Raum: Bleiben die Patienten aus? – Das ist auf Dauer unwahrscheinlich, denn die Menschen möchten nach wie vor gesunde Zähne haben. Und die Frage: Gehe ich pleite? Wo die Einnahmen sinken, müssen auch die Kosten reduziert werden. Kurzarbeit bot sich als Option an. Kaum eine Praxis hatte Erfahrung damit, aber das änderte sich schnell. Staatliche Soforthilfen waren an Bedingungen geknüpft, die zur Zahnmedizin nicht passen. Wegen der nachlaufenden Einnahmen zeigt sich ein Liquiditätseffekt der Krise hier erst mit einer Zeitverzögerung von mehreren Wochen bis Monaten. Segensreich war der Beschluss der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, trotz der Umsatzeinbrüche 90 Prozent der bisherigen durchschnittlichen Abschlagszahlungen weiter zu bezahlen. Die Praxen erhalten so eine Art Vorschuss und können ihr Corona-Defizit über zwei Jahre sukzessive und relativ schmerzfrei „abstottern“. Viele Banken gewährten auch Überbrückungskredite, um kurzfristige Löcher zu stopfen. Und wer vorgesorgt hatte, konnte nun auf seine Rücklagen zurückgreifen. Dennoch: Der gesellschaftliche Shutdown war eine Durststrecke, die Pandemie eine große Herausforderung. „Corona hat mir den Rest gegeben“, bekannte eine Zahnärztin mit Anfang sechzig, „jetzt höre ich auf.“ Unter normalen Umständen hätte sie noch ein paar Jahre weitergearbeitet, jetzt sucht sie eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für ihre Praxis. Tendenziell gibt es momentan mehr Praxisabgeber als -übernehmer. Angebot und Nachfrage regeln bekanntlich die Preise am Markt. Wer jetzt den Schritt in die Selbstständigkeit wagt, könnte davon profitieren.
Strategie in der Krise: Maximal aktiv bleiben!
Eine gesunde Portion Optimismus und Durchhaltevermögen braucht es schon, um die akute und langfristige Krise zu überstehen. Gründereigenschaften sind jetzt wieder gefragt, all die Stärken, die den Sprung in die eigene Selbstständigkeit beflügelt haben: Selbstvertrauen, Mut zur Veränderung, ein gut funktionierender innerer Antreiber und ein langer Atem für schwierige Aufgaben. Wer die Ungewissheit aushalten und auch mit Schulden ruhig schlafen kann, hatte in den vergangenen Monaten einen Vorteil. „Maximal aktiv bleiben“ war während der ersten Schockstarre des Shutdowns wichtig, so lautet die Devise, die man als Berater seinen Klienten ans Herz legte. Wichtig ist es auch, vernetzt zu bleiben mit anderen Gesundheitsberufen vor Ort, aktuelle Informationen auszutauschen und gemeinsam in Erscheinung zu treten.
Praxiseröffnung im Shutdown – der Super-GAU?
Eine Zahnarztpraxis zu gründen, erfordert schon unter normalen Bedingungen Mut und Risikobereitschaft, in Pandemiezeiten umso mehr. Eine Praxisgründung hat in der Regel zwölf bis achtzehn Monate Vorlaufzeit, besonders um die Eröffnung sind Termine und Marketingmaßnahmen dicht getaktet. In Baden-Württemberg war eine Eröffnung zum 1. April 2020 geplant – mitten im Shutdown. Ein Tag der offenen Tür fiel ins Wasser, Patienten kamen nur vereinzelt. Die Abrechnungsregelung der KZV greift bei frisch gegründeten Praxen leider nicht, ohne Referenzwert einer Vorgängerpraxis keine Abschlagszahlung. Mit über 400.000 EUR Verbindlichkeiten im Nacken eine extrem schwierige Situation. Das finanzielle Planungsgerüst drohte ins Wanken zu geraten. Ein rechtzeitiges, offenes Wort mit der Bank sorgte für Stabilisierung, ein zusätzlicher Kredit sicherte die Liquidität über eine Durststrecke von zwei bis drei Monaten.
Und auch hier der Rat: Maximal aktiv bleiben! Die junge Ärztin öffnete ihre Praxis täglich für zwei bis drei Stunden, um sich präsent zu zeigen. Sie knüpfte ein Netzwerk mit anderen Gesundheitsberufen vor Ort, wies Patienten auf ihr besonderes Hygienekonzept hin und veröffentlichte in lokalen Medien Beiträge darüber, warum Mundgesundheit jetzt besonders wichtig ist.
Tragen die bisherigen Gründungs- und Praxiskonzepte noch?
Die Krise hat gezeigt, dass es schlechte Zeiten nicht nur in der Theorie gibt. Corona verdeutlicht die Notwendigkeit umsichtiger Finanzplanung – nicht nur in Zahnarztpraxen, sondern in allen Wirtschaftsbereichen. Das Thema Liquiditätsmanagement wird künftig einen noch stärkeren Fokus und auch mehr Verständnis erhalten. Als Finanzberater plädierte man schon immer dafür, mindestens zwei, am besten drei Monatsumsätze als finanzielles Polster zurückzulegen. Das ist und bleibt wichtig – und lässt sich heute mit weniger Überzeugungsaufwand durchsetzen.
Was das eigene Sicherheitsnetz betrifft, gilt es, genau das Kleingedruckte zu studieren. Welche Versicherung zahlt bei einer Betriebsschließung? Wann springt eine Praxisausfallversicherung ein? Bisher war eine Krankentagegeld-Versicherung der beste Schutz bei Krankheit. Würde zum Beispiel im Fall einer Quarantäne das Praxisausfalltagegeld besser greifen? Wie hoch ist das persönliche Sicherheitsbedürfnis und mit welcher Absicherung kann ich ruhig schlafen? Das sind Fragen, die jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt für sich klären sollte. Doch die beste Versicherung im Fall einer Quarantäne ist nach wie vor die Rücklage auf dem eigenen Konto.
Die Krise als Chance sehen
Seit Anfang Juni sind Zahnarztpraxen wieder auf dem Weg zum Normalbetrieb. An der Heilkunde hat sich nichts geändert, Bedarf besteht nach wie vor. Manche Patienten mit üblicherweise vollen Terminkalendern nutzen jetzt die Zeit für eine längst überfällige Zahnsanierung. Eine zweite Infektionswelle wird die Praxen nicht mehr so hart treffen wie die erste. Deutschland weiß jetzt, „wie Pandemie geht“, und wir haben viel dazugelernt. Wir sind ausgerüstet mit Desinfektionsmitteln, Schutzkleidung, Masken und fürchten auch keinen Mangel an Toilettenpapier. Praxisabläufe sind neu koordiniert.
Nachwuchskräfte haben jetzt die Chance auf eine Praxisübernahme zu günstigeren Konditionen. Wer sich aktiv auf weitere Veränderungen einstellt, wird auch seine Praxis weiterhin profitabel führen. Wer die Chance in der Veränderung sieht und die letzten Monate gemeistert hat, ist gut gerüstet für alle weiteren Herausforderungen, die in Zukunft anstehen.
Der Beitrag ist in ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.
Foto Teaserbild: Angkana – stock.adobe.com