Praxismanagement 28.02.2023
Nichts dem Zufall überlassen – Checkliste für die Implantologie
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Zum Menschsein gehört, dass nicht jede Handlung, die wir vornehmen, identisch mit vorherigen Situationen und auch nachfolgenden Szenarien ist. Darin liegen Vorteil wie Nachteil unseres Wirkens, darin liegt zugleich der große Unterschied zu Robotern und computergesteuerten Prozessen. Ein Forschungsteam der Poliklinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Mainz widmet sich derzeit den Human Factors der dentalen Implantologie und hat damit im Zusammenhang eine Checkliste erarbeitet, die helfen soll, menschliche Errors zu minimieren.
Das Forschungsgebiet Human Factors ist unglaublich vielseitig. Insbesondere in der Luftfahrt hat man durch Ursachenforschung festgestellt, dass einige der schwersten Unfälle nicht auf technisches Versagen zurückzuführen sind, sondern auf menschliche Faktoren. So wird angenommen, dass eine insuffiziente Kommunikation in bis zu 70 Prozent der Fehlerfälle eine Rolle spielt. Und auch in der medizinischen Forschung besteht hierzu wachsendes Interesse. Die Erfassung der Human Factors durch wissenschaftliche Methoden ist jedoch oft schwierig. So stellt die Verknüpfung von Ursache und der resultierenden Komplikation oft noch eine große Unbekannte dar. Diese Vorgänge zu untersuchen und mit Interventionen zu durchbrechen, ist das Ziel unserer Forschungsarbeit. Die Ansatzpunkte sind hierbei ebenso divers wie das Forschungsgebiet selbst. Vielleicht gelingt es uns aber gerade dadurch, diese Blackbox aufzudecken und neue Erkenntnisse zu gewinnen – von der Grundlagenforschung bis hin zur Klinik.
Human Factors in der dentalen Implantologie
Bislang ist der Bereich Human Factors in der dentalen Implantologie noch kaum erforscht. Wir wissen aus der Herzchirurgie, dass der Einsatz einer Checkliste die Mortalität um bis zu 50 Prozent senken kann. Auch deshalb sind wir der Ansicht, dass eine Checkliste für die dentale Implantologie einen großen Stellenwert haben könnte. Wie wir aus einer Studie von Krombach et al. wissen, schätzen insbesondere unerfahrene Behandler ihren Wert, um sie als Orientierung zu nutzen, aber auch besonders erfahrene Operateure sind ihr zugetan, um Automatismen zu durchbrechen.
Bei den hochelektiven Eingriffen, die wir in der dentalen Implantologie durchführen, dürfen wir uns keine Fehler erlauben. Eine Checkliste könnte ein wertvolles Instrument sein, um die Sicherheit für unsere Patienten weiter zu verbessern. Weitere Aspekte der Human Factors wollen wir ebenso miteinbeziehen und so ein umfassenderes Konzept anbieten. Denn trotz der Vorteile, die die Checkliste bietet, ist sie kein alleiniges Allheilmittel.
Checkliste mit Fokus auf prä- und postoperativer Phase
Die von uns entwickelte Checkliste basiert sowohl auf einer ausführlichen Literaturrecherche als auch auf dem Know-how der sehr erfahrenen Behandler unserer Klinik. Die inhaltlichen Aspekte fokussieren sich auf die aktuell als am relevantesten eingestuften Faktoren in unserem Fachgebiet. Jeden einzelnen zu diskutieren, würde jedoch den Rahmen sprengen. Formal haben wir uns an eine bereits etablierte Dreiteilung gehalten. Wobei die prä- und postoperative Phase im Fokus steht, denn dort liegt die Ursache der meisten Vorfälle. Weitere Merkmale, die die Qualität unserer Checkliste auszeichnen, sind die maximale Anzahl von zehn Unterpunkten und die Möglichkeit, immer mit ja und nein antworten zu können. Beide Aspekte tragen dazu bei, dass alle Punkte beachtet werden. Wir erproben die Checkliste im Augenblick in unserer Klinik, um im Rahmen einer Studie ihren Wert bei der Vermeidung von Komplikationen klar zu evaluieren. Unser Review mit dem Titel Surgical safety checklists in dental implantology ist bereits in einer renommierten internationalen Fachzeitschrift erschienen. Teil hiervon ist die genannte Checkliste. Sie steht somit Behandlern weltweit zur Verfügung. Die Checkliste soll die Kommunikation innerhalb des Teams verbessern, Qualitätsstandards der Behandlung definieren und ermöglicht Pausen zur Reflektion. Auch wenn dies sicherlich zweitrangig ist, bedeutet eine sichere Behandlung auch eine zeiteffiziente und wirtschaftliche Versorgung.
Stichwort Osseointegration
Die Osseointegration ist der essenzielle Faktor für eine erfolgreiche Implantation. Sie zu verbessern und Einflussfaktoren zu identifizieren, die sie gegebenenfalls beeinträchtigen, ist Inhalt vieler aktueller Forschungsprojekte. Wir haben nun den Bogen von physiologischen Stressreaktionen, die auch in den Bereich der Human Factors fallen, zur biologischen Wirkung auf den Knochen gespannt. Das sympathische Nervensystem mit seinem Neurotransmitter Noradrenalin ist durch die Fight-and-Flight-Reaktion aus der Physiologie bekannt. Und nur, weil wir in unserer modernen Zeit selten vor Raubtieren flüchten müssen, hat es seine Funktion nicht verloren, denn es spielt bei der Verarbeitung äußerer Stressoren eine wichtige Rolle. Studien konnten aber auch zeigen, dass es Einfluss auf die verschiedensten Gewebe hat und, was für die Implantologie besonders relevant ist, auch auf Knochenzellen. Noradrenalin fördert vermutlich die Knochenresorption und hemmt den Aufbau. Entsprechend könnten weithin bekannte und etablierte Medikamente, die Betablocker, ein neues Anwendungsgebiet finden. Zukünftige Forschung könnte zeigen, inwiefern sich entsprechende Oberflächenmodifikationen, lokale und systemische Therapien auswirken.
Zum Forschungsteam Human Factors in der dentalen Implantologie ...
... der Poliklinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Mainz gehören Dr. Johannes Raphael Kupka, Priv.-Doz. Dr. Dr. Keyvan Sagheb, Univ.-Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas und Priv.-Doz. Dr. Dr. Eik Schiegnitz. Informationen zum Autor können direkt bei Dr. Kupka unter johanneskupka@web.de angefragt werden.
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Praxis Wirtschaft erschienen.