Psychologie 14.04.2022
Ein Burn-out als Chance? Wege aus der persönlichen Krise
Höher, weiter, schneller – viele kennen die damit verbundene Selbstoptimierung und Selbstausbeutung, die für manche in einem Burnout-Syndrom endet. Doch wie kann man dauerhaft der Erschöpfungsspirale entkommen und alte Muster durchbrechen? Eva-Maria Prokop (M.A.), zertifizierter Coach und Trainerin für Angewandte Positive Psychologie mit dem Spezialgebiet Burn-out-Nachsorge, setzt genau dort an. Sie begleitet Betroffene auf ihrem individuellen Weg hinein in einen neuen Alltag, der sie nicht länger krank, sondern schlussendlich glücklich(er) macht.
Frau Prokop, ein Burn-out scheint heutzutage ein fester Bestandteil unserer Leistungsgesellschaft zu sein. Haben wir verlernt, mit uns selbst Mitleid zu haben?
Mitleid, insbesondere Selbstmitleid, hat einen schlechten Ruf, wird aber häufig umgangssprachlich verwendet für das, was uns in Wahrheit fehlt: Mitgefühl mit uns selbst. In unserer schnelllebigen, digitalisierten Welt, in der es oft schlicht ums Funktionieren geht, verliert man sehr leicht das Gefühl für sich selbst. Und dabei meine ich eben nicht nur Mitleid, sondern auch ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen.
Eva-Maria Prokop (M.A.), zertifizierter Coach und Trainerin
Ihr Buch „Burn-out für Fortgeschrittene“ beschäftigt sich mit der Zeit nach der akuten Burn-out-Behandlung, dem Klinikaufenthalt oder der Therapie. Wieso ist Ihnen die Zeit nach einem Burn-out besonders wichtig?
Weil genau da große Probleme liegen und viele Menschen scheitern, in alte Muster fallen, erneut in der Erschöpfung und dann in der Klinik landen. Wir haben in Deutschland im europäischen Vergleich im Bereich Psychosomatik eine einzigartige Versorgung, die Patientinnen und Patienten erhalten hervorragende ganzheitliche Therapien. Im nächsten Schritt geht es darum, das dort Erkannte und Erfahrene zu Hause umzusetzen. Aber machen Sie das mal in Ihrem „normalen Leben“, wo Sie auf Widerstände und Erwartungen treffen. Der Transfer in den eigenen Alltag ist eine echte Herausforderung – es geht darum, Wege zu finden, Begriffe wie Selbstfürsorge und Abgrenzung mit Leben zu füllen, und zwar so, dass es ins eigene Leben passt und auch umsetzbar ist.
Unterscheidet das Ihr Buch von anderen Burn-out-Ratgebern?
Es ist das erste Buch, das explizit die Zeit nach der Akutbehandlung, also den gerade erwähnten Übergang in den Alltag, zum Thema hat. Ein Großteil der vorhandenen Bücher thematisiert das Krankheitsbild an sich – wie bin ich da hingekommen, was kann ich jetzt tun, welche Art von Therapie ist die richtige, was genau ist überhaupt ein Burn-out. Die Nachsorge wird, wenn überhaupt, nur am Rande gestreift. Ihr Buch versteht sich explizit als Praxisbuch.
Wie wichtig ist es bei der Genesung, von der reinen Theorie wegzukommen?
Für eine dauerhafte Genesung ist das in meinen Augen der einzige Weg zum Erfolg. Das Praxisbuch begleitet die Leser dabei, das, was sie auf dem Weg in den Burn-out verloren haben, zurückzugewinnen: das Gespür für sich selbst. Auf dieser Grundlage können sie dann ihren individuellen Weg finden. Ein Patentrezept, eine Anleitung, welche Schritte nacheinander zu gehen sind, gibt es nicht, denn jeder Mensch hat andere Bedürfnisse.
Was ist der wichtigste Baustein, den jeder Burn-out-Patient beachten sollte?
Ich weiß nicht, ob man da von einem Baustein sprechen kann. Was jeder bedenken sollte, ist, dass diese Zäsur eine Chance bietet, anders weiterzumachen. Und dass man sie nutzen sollte. Denn wir haben nur ein Leben, und das läuft gerade.
Wie beeinflusst der allgegenwärtige Optimierungswahn unsere seelische Gesundheit?
Sehr. Es gibt für viele Menschen kaum mehr Zeiten des Nichtstuns oder Innehaltens. Abgesehen von den Aufgaben und Pflichten, denen wir gerecht werden wollen oder müssen, gibt es eine große Menge an Versuchungen, die im Privatleben locken. Viele davon versprechen ein vermeintlich höheres Glückspensum, man meint, zu einem guten Leben gehöre dieses oder jenes dazu, das führt dann oft noch zusätzlich zum Freizeitstress. Stattdessen wäre es besser, häufiger dem Grundsatz Weniger ist Mehr zu folgen. Denn oft fehlt es schlicht und einfach an Ruhe.
Sie haben selbst ein Burn-out durchgemacht. Sind Sie rückwirkend betrachtet dankbar dafür?
Rückblickend ja, sehr sogar. Währenddessen war es die Hölle, zumindest so lange, bis ich Hilfe gefunden hatte. Ohne diese Zäsur in meinem Leben wäre ich heute nicht da, wo ich jetzt bin. Und das wäre schade, da ich heute deutlich mehr Lebensqualität habe und viel mehr meinen Stärken und Bedürfnissen entsprechend lebe. Vor dem Burn-out war mein Leben okay, heute bin ich glücklich.
Dann kann gerade die Zeit nach einem Burn-out auch eine Chance sein?
Das ist sie definitiv. Ich muss sagen, ich fand das eigentlich ziemlich freundlich von meinem Körper. Statt mich so lange weiterrennen zu lassen, bis ich vielleicht eines Tages einen Herzinfarkt bekommen hätte und tot umgefallen wäre, hat er mir einen heftigen Denkzettel verpasst und mir die Chance gegeben, noch mal neu loszugehen und zu leben statt nur zu funktionieren
Autorin: Sonja Hahn
Dieser Beitrag ist in der dentalfresh erschienen.