Psychologie 20.03.2012

Eine Frage des Glaubenssystems



Eine Frage des Glaubenssystems

Mit welchem Glaubenssystem es einfacher ist, ans Behandlungsziel zu kommen? Bei Vorträgen oder in Artikeln vermitteln Sie meist den Eindruck, als ob Sie mit psychisch kranken Patienten sehr schnell ans Ziel kommen. Sie gehen davon aus, dass auch bei sehr schwierigen Patienten spätestens beim dritten Termin die Zahnbehandlung beginnt, was mir bei psychisch sehr kranken Menschen ein sportliches Ziel zu sein scheint.

Bei mir baut es einen enormen Erwartungsdruck auf, wenn ich von dem Verhalten eines Patienten überfordert bin und gleichzeitig denke, das müsse doch ganz einfach zu handhaben sein. Es ist schwierig, und sollte man es dann nicht bei dieser Aussage belassen, anstatt alles „einfach“ zu finden? In dem Artikel „Psychologische Trickkiste“ (ZWP 9/2011) bin ich schon einmal auf eine ähnliche Fragestellung eingegangen, indem ich erläutert habe, welche psychologischen Herangehensweisen ich im Umgang mit den Patienten bevorzuge. Ihre Frage erscheint auf den ersten Blick vergleichbar. Ich möchte Ihre Frage dennoch gern beantworten, da ich die Vermutung habe, dass es sich bei Ihnen weniger um die Frage nach dem „Wie“ handelt, sondern eher um ein zugrundeliegendes Glaubenssystem. Unsere Glaubenssysteme weichen eindeutig voneinander ab, sobald es sich um die Zielerreichung bei psychisch auffälligen Personen handelt. Diese Unvereinbarkeit bereitet mir besondere Freude.

Glaubenssystem
Glaubenssysteme unterscheiden sich von Verhalten oder Fähigkeiten dadurch, dass sie nicht zu beweisen sind. Wir glauben voller Überzeugung an Zusammenhänge, Regeln oder Abläufe, und das häufig ohne uns dessen bewusst zu sein. Meist wissen wir nicht einmal, wie wir diese Auffassung in unserem Leben erworben haben. Jede Person lebt in ihrer eigenen Realität, welche durch die individuellen Glaubenssysteme gesteuert wird. Ihre Wahrnehmung, ihre Gedanken, ihr Verhalten, ihre körperlichen Reaktionen, ihre Urteile, ihre Meinungen und ihre Fähigkeiten werden durch ihr Glaubenssystem motiviert. Wir leben scheinbar auf demselben Planeten, auf welchem scheinbar gleich gebaute Menschen das Gleiche wahrnehmen und empfinden sollten. Und doch sieht jeder seine Welt durch andere Augen, fühlt sie mit eigenen Händen, riecht mit der eigenen Nase, schmeckt mit der eigenen Zunge und hört mit den eigenen Ohren. Wir wachsen unterschiedlich auf, jeder wird auf seine eigene Art und Weise auf dieses Leben vorbereitet und wir machen individuelle Erfahrungen. Und genau das macht es so spannend.

Der „sehr schwierige“ Patient
Lassen Sie uns einmal kurz unsere Glaubenssysteme vergleichen. Es gibt dabei kein richtig und falsch oder gut und schlecht. Jedes Glaubenssystem hat seine Berechtigung. In der Arbeit mit Patienten könnte möglicherweise eins der beiden Systeme vorteilhafter sein. Ihre Formulierung in der Anfrage zeigt, dass Sie manche Patienten als „sehr schwierig“ und „psychisch sehr krank“ einstufen. Ich sehe an dieser Stelle nur „interessante Patienten“. Mit interessanten Patienten macht es Spaß zu arbeiten, interessante Patienten erreichen Ziele, sie sind bereit für Veränderung. Bei schwierigen Patienten könnte es da schwieriger werden. Sie schreiben, dass es bei Ihnen Erwartungsdruck aufbaut, etwas Schwieriges auf einfache Art und Weise zu handhaben. Das ist verständlich, da sich dieser Gegensatz schwer vereinen lässt. Interessante Dinge machen Spaß, schwierige nicht unbedingt. Sie schließen damit ab, dass Sie die Aussage gern stehen lassen würden, dass diese Patienten und die Behandlungen schwierig sind. Von meiner Seite steht dem nichts entgegen. Wenn Sie das so lieber haben, können Sie das für sich so stehen lassen. Sie dürfen  nur nicht erwarten, dass ich mich Ihrer Meinung anschließe. Und ich gehe soweit zu sagen, dass ich nicht glaube, dass Sie Ihre eigene Meinung wirklich mögen.

Wer möchte schon schwierige Patienten, mit denen es schwierig ist zu arbeiten, die Ihnen viel Zeit rauben und Ihnen ein schweres Leben bereiten? Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, auf einen schwierigen Patienten mit einem Schmunzeln zu reagieren? Wie wäre das Gefühl, sich kein zeitliches Limit für den Kampf mit dem Patienten zu setzen, sondern einfach loszulassen und die Leichtigkeit zu genießen? Glauben Sie mir, dass Ihr Patient im Alltag Freunde hat? Was sehen diese Menschen, was Sie in der Vergangenheit nicht wahrgenommen haben und was Sie ab jetzt möglicherweise wahrnehmen werden? Und ist Ihr Glaubenssystem nicht schon jetzt bereit, die positiven Seiten an Ihren interessanten Patienten zu erkennen? 

Glaubenssysteme haben nichts mit der Realität zu tun. Vielmehr wird die Realität an die Glaubenssysteme angepasst. Ihr Glaubenssystem bestimmt Ihre Wirklichkeit. Ich kann Ihr Glaubenssystem nicht verändern, das liegt in Ihrer Verantwortung. Ich kann Sie mit Freude dabei unterstützen, indem ich beispielsweise immer wieder Fälle nenne, wie scheinbar „sehr schwierige Patienten“ ganz unkompliziert zu behandeln sind. Oder wie ich in jeder psychischen Störung auch Kompetenzen und Fähigkeiten entdecke. Und  vielleicht beginnen Sie dann jetzt oder in wenigen Tagen, Ihr Glaubenssystem für neue Erfahrungen und Überzeugungen zu öffnen. Es ist Ihre Entscheidung – Sie haben die Wahl.

 

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