Psychologie 28.02.2011
Irren ist menschlich: Lernen aus Fehlern
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In jeder Profession können Fehler auftreten – Fehler sind menschlich. Diese Einsicht ist besonders schwer, wenn Menschen in ihren Berufen Verantwortung für weitere menschliche Leben haben. In der Medizin, im Luftverkehr oder in Kernkraftwerken können die kleinsten Fehler verheerende Folgen haben. Aus diesem Grund werden Fehler in der (Zahn-)Medizin ungern gesehen … und mindestens genauso ungern zugegeben.
Wäre es jedoch gerade hier nicht von Vorteil, Fehlleistungen transparent an Kollegen herantragen zu können, sodass nicht jeder den Fehler aus erster Hand kennenlernen muss? Um ein solches Vorgehen zu fördern, muss die Frage „Was ist schuld?“ im Vordergrund stehen. Allzu häufig ist es „Wer ist schuld?“. Da wundert es nicht, dass Fehler lieber unter Verschluss gehalten werden.
Positive Fehlerkultur
Das Ziel muss sein, Fehler zu akzeptieren und als Anreiz zu nehmen, daraus zu lernen. Der Fingerzeig auf die Schuldigen hilft niemandem. Geschehenes ist nicht zu ändern, aber man kann es durchaus in der Zukunft vermeiden.
In der (Zahn-)Medizin ist das Bewusstsein für eine positive Fehlerkultur durchaus vorhanden. So hat eine Studie in den USA ergeben, dass 73% der Mediziner ihre Fehler mit engeren Kollegen diskutieren. Dabei möchten sie hauptsächlich erfahren, ob der Kollege genauso gehandelt hätte und was er für Alternativen sieht. Zusätzlich möchten sie ihn vor ähnlichen Fehlern bewahren (Kaldjian LC, Forman-Hoffman VL, Jones EW, Wu BJ, Levi BH, Rosenthal GE, 2008, Do faculty and resident physicians discuss their medical errors? J Med Ethics). In einer neuen Veröffentlichung fordert Leape explizit, dass Fehler nicht als Versagen eines Einzelnen geahndet werden sollten, sondern als Fehler eines Systems. Es liegt selten an einer Person alleine, sondern resultiert aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren und Teammitglieder.
Voraussetzung für die Analyse sei eine gerechte Fehlerkultur (Just Culture) ohne Angst vor Bestrafung. Verschwiegenheit führt dazu, dass Fehler wiederholt auftreten, weshalb Transparenz nötig ist (Leape LL, 2009, Errors in medicine. Clin Chim Acta). Es hat sich aber auch gezeigt, dass Fehleranalysen über den engeren Kollegenkreis nicht hinausgehen, was hauptsächlich an zwei Ursachen liegt: Erstens trauen sich viele Ärzte und Teammitglieder nicht, ihre Fehler vor Fremden zuzugeben. Zweitens mangelt es in der (Zahn-)Medizin noch an hilfreichen Plattformen, um Fehlerdiagnosen öffentlich für alle Kollegen zugängig zu machen.
Fehlerquellen
Die Fehlerquellen sind mannigfaltig und sollten systematisch eingegrenzt werden (nach „Aus Fehlern lernen“ vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.).
- Patientenfaktoren betreffen den individuellen Krankheitszustand des Patienten, die Möglichkeiten der verständlichen Kommunikation oder auch die Persönlichkeit. Nicht jeder ist in der Lage, sein Befinden nachvollziehbar zu erläutern.
- Die ärztliche Tätigkeit erfordert klare Strukturen, Protokolle, die Kontrolle von Untersuchungsergebnissen und das Vorhandensein von Entscheidungshilfen. Besteht hier Unsicherheit, kann es besonders unter Stress zu Fehlleistungen kommen.
- Die Mitarbeiter besitzen unterschiedliche Fähigkeiten und Kompetenzen. Psychische und physische Einschränkungen oder Stärken müssen im Arbeitsablauf berücksichtigt werden.
- Das Team profitiert von reibungsarmer verbaler und schriftlicher Kommunikation. Je nach Engagement finden Supervisionen statt, sodass die Aufgaben und Strukturen klar erkennbar sind.
- Die Arbeitsbedingungen beinhalten Aspekte wie Personalausstattung, Arbeitsbelastung, Lärm und Erholungsmöglichkeiten.
- In der Organisation müssen Finanzen, Vorschriften, Ziele und Prioritäten geklärt sein.
- Die Institution muss transparent machen, in welchem ökonomischen und gesetzlichen Kontext sie steht und ob Verbindungen/Verpflichtungen zu externen Institutionen bestehen.
In jeder Praxis werden Schwerpunkte zu finden sein, dennoch empfiehlt es sich, von Zeit zu Zeit alle Bereiche zu überprüfen.
Fehleranalyse
Nach neueren Regeln des Qualitätsmanagements wird die Erkennung und Nutzung von Fehlern und Beinahefehlern zur Einleitung von Verbesserungsprozessen gefordert.
Die Meinung, dass Fehler mit Bestrafungen und Sanktionen geahndet werden, sitzt in vielen Köpfen. Leider wird auch noch häufig so gehandelt. Nicht erläutert wird im Qualitätsmanagement der Umgang mit den Verursachern. Solange derjenige, der mutig seine Fehler anspricht, dafür bestraft wird, ist Veränderung unmöglich. Der Mut muss erst einmal mit Straffreiheit belohnt werden. Jeder sollte sich wiederholt klar machen, dass Fehler menschlich sind und jedem passieren können. Perfektion ist unmöglich.
Vorgehen
Ratsam ist es, wenn der Arzt mit gutem Beispiel vorangeht und offen seine Fehler oder Fehleinschätzungen bespricht. Erst dann werden sich auch die Teammitglieder trauen, ihre eigenen Missgeschicke zuzugeben. Kaum ein Fehler ist einzigartig und neu – durch die Fehleranalyse kann jedoch vermieden werden, dass er wieder auftritt.
Der Arzt und sein Team sollten sich an einen runden Tisch setzen und sich bemühen, jeden zu Wort kommen zu lassen. Woran lag es? Was kann in Zukunft verbessert werden? Die oben genannten Fehlerquellen sollten durchgegangen werden. Schwerpunkte sind mangelhafte Kommunikation, fehlende Kompetenz, Selbstüberschätzung, stressige Situationen oder falsche Entscheidungen. Festgelegte Regeln werden eventuell verletzt oder Handlungsabläufe falsch ausgeführt. Mangelhaftes Vertrauen oder Streitigkeiten im Team erhöhen ebenfalls die Fehlerquote. Erst gemeinsam können die Ursachen analysiert und Strategien für ähnliche Situationen erarbeitet werden.
Beispiel Flugverkehr
Im Flugverkehr hat sich das System der „Just Culture“, also der gerechten und offenen Analyse von Fehlern, durchgesetzt und positiv bewährt. Fluglotsen wie Piloten melden ihre Fehler zur weiteren Auswertung. Dabei gibt es gravierende Fehler, die unbedingt gemeldet werden müssen, und solche, die über ein freiwilliges Meldesystem gemeldet werden können – wenn erwünscht, auch anonym. Mit Bestrafung muss der Betroffene eher rechnen, wenn er das Vergehen nicht meldet und es dennoch herauskommt. Für den gemeldeten Fehler an sich wird er nicht bestraft. Das heißt nicht, dass jeder Fehler, gleich welcher Art, unbestraft bleiben darf, nur weil er offen zugegeben wurde. Mit Absicht ein Flugzeug abstürzen zu lassen oder den Arbeitsplatz für mehrere Stunden zu verlassen wäre natürlich gemeldet oder ungemeldet eine Straftat. Deutliche Verbesserungen im Flugverkehr geben der „Just Culture“ Recht und könnten durchaus auf die (Zahn-)Medizin übertragen werden.
Öffentlicher Zugang
Für alle medizinischen Berufe wäre es hilfreich, sich über Fehlbehandlungen, falsche Entscheidungen oder kritische Fälle zu informieren und aus den (negativen) Erfahrungen der Kollegen lernen zu können. Über die Möglichkeiten des persönlichen Gesprächs geht die Fehleranalyse und der daraus resultierende Lernprozess – von Ausnahmen abgesehen - bisher allerdings nicht hinaus. Hier könnte man sich wiederum ein Beispiel an der Flugsicherung nehmen. Jeder Pilot erhält die sogenannten „Gelben Seiten“, in denen alle gemeldeten Fehler erläutert, ausgewertet und mit Verbesserungsvorschlägen vermerkt sind. In den „grünen Seiten“ der Fluglotsen stehen exemplarische Irrtümer und Vergehen, ebenfalls mit hilfreichen Anmerkungen zur Vermeidung.
Einige Schlichtungsstellen von Landesärztekammern sind inzwischen ebenfalls dazu übergegangen, Fallbeispiele auf ihren Seiten zu erläutern (z.B. Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der Norddeutschen Ärztekammern, www.norddeutsche-schlichtungsstelle.de; Schlichtungsausschuss zur Begutachtung ärztlicher Behandlung bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, www.laek-rlp.de/patienten/schlichtung; Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein, www.aekno.de/page.asp?pageID=5624). Schlichtungsstellen, Ärzte und Sachverständige arbeiten interessante Fälle auf und stellen sie auf ihrer eigenen Homepage oder auf der offiziellen Seite ihrer Landesärztekammer anonymisiert und mit Rechtsprechungshinweisen versehen zur Verfügung. Ärzte können sich online über die sachgerechte Analyse und Bearbeitung der ausgewählten Fälle informieren und dieses Wissen zur eigenen Fehlerreduzierung nutzen.
Ein anderer Ansatz mit dem Ziel, Diskussionen anzuregen, stellt eine Seite zum Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausarztpraxen dar (www.jederfehlerzaehlt.de/public/report/databaseNewest.jsp.) Fälle werden vorgestellt und von Kollegen und Fachpersonen kommentiert. Lesenswert sind ebenfalls die öffentlichen Fallberichte des Patienten-Sicherheits-Optimierungssystems PaSOS (www.pasos-ains.de/indexSSL.php). Jede dieser Plattformen ist hilfreich, auf mögliche Fehler aufmerksam zu machen und das bestmögliche Vorgehen zu besprechen.
In Planung
Auch in der Zahnmedizin ist eine zentrale Internetseite mit gesammelten Patientenstudien denkbar und zurzeit mit ZWP online in Planung. Zahnärzte können sich online oder mittels E-Mail Verteiler über Fehler, deren Folgen und die Vermeidung informieren. Ein solches Vorgehen wäre für alle Beteiligten – Zahnärzte wie Patienten – von großem Interesse.
Sicherlich ist es richtig, in Fachzeitschriften, auf Tagungen und Kongressen überwiegend positive Behandlungsabläufe zu lernen – mindestens genauso wichtig ist es, Fehler in der Zahnmedizin zu vermeiden. Dies gelingt nur, wenn der Rahmen für wertfreie und neutrale Prüfung in kollegialer Zusammenarbeit gegeben ist und Fehler als Chance zur Verbesserung gesehen werden.
Autorin: Dr. Lea Höfel