Psychologie 09.11.2017

Posttherapeutische Abstinenz: Wer hält besser durch?



Posttherapeutische Abstinenz: Wer hält besser durch?

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Teil 5 „Suchterkrankung bei Zahnärzten“. 

Seit dem Jahr 2000 hat die Zahl der Personen, die aufgrund von alkoholbedingten Erkrankungen stationär behandelt wurden, laut Drogen- und Suchtbericht 2016 um 21,5 Prozent zugenommen. Die Entscheidung für eine Entziehungskur ist ein wichtiger erster Schritt. Viele Betroffene stellen sich jedoch die Frage, wie es danach weitergeht. Sie scheuen den Kampf um die Abstinenz, oft aus Angst oder Unwissenheit. Zudem haben helfende Berufsgruppen, wie die Gruppe der Zahnärzte, ein erhöhtes Rückfallrisiko. Aus der Erfahrung der Therapeuten der My Way Betty Ford Klinik zeichnen sich jedoch bestimmte Indikatoren ab, die eine erfolgreiche posttherapeutische Abstinenz fördern.

„Wenn der Druck wieder einmal besonders stark ist, rufe ich meine beste Freundin an. Ihre Nummer ist als erste in meinem Handy gespeichert. Mit ihr zu reden, hilft mir sehr. Sie kennt meine früheren Trinkmuster und ist für mich da. Manchmal werde ich innerlich so unruhig, dann muss ich sofort eine Runde joggen, um mich abzulenken. Ich will nicht wieder zur Flasche greifen. Das ist hart, aber ich will es schaffen.“

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten und Verhaltensweisen, um nach einer Entziehungskur die Abstinenz aufrechtzuerhalten. Dennoch haben es manche Suchtkranke leichter als andere, dauerhaft von der Abhängigkeit loszukommen. So ist zum Beispiel eine Abstinenz von Alkohol leichter zu erreichen und aufrechtzuerhalten als von Medikamenten. Die schlechteste Prognose haben hier illegale Drogen.

Stabilisierende Faktoren

Statistisch belegt ist, dass Frauen im Anschluss an eine Entzugstherapie länger trocken oder clean bleiben als Männer.1 Ein funktionierendes soziales Umfeld erhöht die Chancen dauerhafter Abstinenz. Wichtig sind Faktoren wie eine feste Partnerschaft, familiäre Unterstützung, Zugehörigkeit zu Vereinen oder auch religiösen Gemeinschaften. Stabilisierende Faktoren beinhaltet auch die Erwerbssituation. Dabei spielt weniger die Höhe des Einkommens eine Rolle als vielmehr das Vorhandensein fester Tagesstrukturen und eines sozialen Netzes im Kollegenverbund. Der Suchtkranke hat eine klare Aufgabe, er muss Ziele erreichen, trägt Verantwortung und bekommt Anerkennung. Auch am Alter können Erfolgschancen statistisch belegt werden. Patienten über 49 Jahre zeigen eine deutlich bessere Reaktion auf die Therapie als jüngere Suchtkranke.2 Ein besonderes Berufsgruppenrisiko tragen Ärzte und Zahnärzte, was unter anderem der Spiegel im Jahr 2002 mit seiner Schlagzeile „Das Gute und das Böse vereint in derselben Person, die Symbiose von Heiler und Zerstörer“, zum Ausdruck brachte. Menschen in helfenden Berufen sind insgesamt vermehrt von Burn-out betroffen, der oft fälschlich mit Suchtmitteln bekämpft wird. Gerade bei diesen Personengruppen besteht Bedarf zum schnellen Handeln beziehungsweise zur frühen Intervention, zumal eventuell auch Patienten mitbetroffen sind.

Es versteht sich fast von selbst, dass das Durchhalten in der Therapie einen entscheidenden Einfluss auf die anschließende Abstinenz hat. Schafft es ein Patient, die Entgiftungs- und die Entwöhnungsphase zu beenden, gewinnt er gewöhnlich ein höheres Verständnis für die eigene Suchterkrankung. Er lernt in dieser Zeit, seine eigenen Verhaltensmuster zu verstehen, und untersucht mit dem Therapeuten, wo die Erkrankung herkommt und wie sie aufrechterhalten wird. Das erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Abstinenz. Die Rückfallprophylaxe am Ende der Therapie schult besonders den Umgang mit Alltagssituationen und den Verlockungen in schwierigen Situationen. Fehlt diese Phase, ist auch das von Nachteil für eine konsequente Abstinenz. Aus diesem Grund ist die ausreichend lange und intensive Nachsorge nach einer stationären Behandlung ein wichtiges unterstützendes Element, sei es in Form einer ambulanten Psychotherapie oder der Teilnahme an Selbsthilfegruppen. Falls die Ursache der Sucht in einer Grunderkrankung liegt, muss diese unter Berücksichtigung der Abhängigkeit weiterbehandelt werden.

Negative Effekte: Begleitende Erkrankungen

Schwerwiegende Krankheitsbilder begleiten in vielen Fällen eine Suchterkrankung als Vor- oder auch als Folgeschäden. Häufig liegen der Sucht Persönlichkeitsstörungen zugrunde, wie zum Beispiel eine BorderlineStörung oder zerebrale Vorschäden, wie Schlaganfall. Zu den Folgeschäden zählt unter anderem Alkoholdemenz. In diesen Fällen haben das Konzentrationsvermögen und die Gedächtnisleistung bereits so sehr gelitten, dass diese Patienten für eine Entzugstherapie nicht mehr gut erreichbar sind. Ein Erfolg ist hier also nur eingeschränkt zu erwarten.

Sogenannte Achse-I-Störungen sind die häufigste Ursache für eine Sucht. Dazu zählen bipolare Depression, manische Depression und Psychosen. Unter einer begleitenden psychiatrischen Erkrankung gestaltet sich die Entzugstherapie erfahrungsgemäß sehr viel schwieriger, da mit Instabilitäten durch die zugrunde liegende Erkrankung zu rechnen ist. Im Gegensatz dazu haben posttraumatische Belastungsstörungen eine etwas bessere Prognose. Wenn das ursprüngliche Trauma aufgelöst ist, steigen die Erfolgsaussichten für diese Patienten. In der My Way Betty Ford Klinik leidet eine nicht unerhebliche Anzahl der Patienten an einer unterliegenden Persönlichkeitsstörung. Der Verlauf der stationären Behandlung hat ebenfalls signifikanten Einfluss auf die nachfolgende Abstinenz. Kliniken mit einem integrativen und multimodalen Therapieansatz und mit einer höheren Therapiedichte, wie zum Beispiel die My Way Betty Ford Klinik mit täglichen Einzel- oder Gruppengesprächen, können bei gleicher Dauer eine höhere Erfolgsquote belegen als Einrichtungen mit einem geringeren Betreuungsanteil. Außerdem erleichtert das engmaschige Angebot vielen Patienten, die Therapie durchzuhalten, indem sie mehr Bindung aufbauen. Darüber hinaus verfügt in der My Way Betty Ford Klinik das ganze Team über besondere und langjährige Kenntnisse und Erfahrungen in der Behandlung von Ärzten und Zahnärzten.

Wichtiges Moment: Selbstfürsorge

Jedes weitere Fortschreiten der Suchterkrankung verschlechtert darüber hinaus die Prognose. Ein Rückfall zeigt zunächst, dass bestimmte Lernschritte im Ausüben der neuen Verhaltensmuster noch nicht ausreichend gefestigt sind und die alten Mechanismen noch wirken. Deshalb sollte er unbedingt Anlass sein, sich umgehend erneut in professionelle Hände zu begeben, um eine Rückkehr in die Sucht abfangen zu können. Gleichzeitig geht es um die Entwicklung eines neuen Lebensstils, um Burn-out und Suchtentwicklung in Zukunft vorzubeugen. Gerade auch bei Ärzten und Zahnärzten sind mehr Selbstfürsorge und die Beachtung eigener Psychohygiene von eminenter Bedeutung, denn die Erfolgschancen einer Entwöhnungsbehandlung werden mit jedem Rückfall geringer und verschlechtern die Prognose für die Suchterkrankung. Diese Härtefälle zeigen zunehmend negative, die Sucht aufrechterhaltende Verhaltensweisen.

Fazit Dennoch gilt für jeden Suchtkranken: Niemand ist der Abhängigkeit komplett ausgeliefert, auch wenn es so scheinen mag. Das allein ist der beste Grund, sich professionelle Hilfe zu suchen. Die Erfahrung zeigt jedoch: Je früher der Schritt absolviert wird, desto besser.

Literatur
1 Fischer, Kemann: „Katamnese“, Fachkliniken für Drogen-Rehabilitation 2009, Sucht aktuell 3/2012.
2 Deutsche Rentenversicherungsträger 2014, veröffentlicht 2015.

Der Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 11/2017 erschienen.

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