Recht 21.02.2011
Aufklärung am Telefon - zulässig?
Mal eben dem Bundesgerichtshof (BGH) eine Frage stellen? Dieser Wunsch eint Rechtsanwälte und Mandanten, nicht zuletzt im Bereich des Arzthaftungsrechts. Insbesondere die dortige „Aufklärungskasuistik“ – Entscheidungen zur Reichweite der ärztlichen Aufklärungspflicht bei bevorstehenden Eingriffen – wird in der Praxis als unübersichtlich empfunden.
Auch die jüngste Entscheidung des BGH zur Zulässigkeit telefonischer Aufklärungsgespräche lässt manche Frage offen. Kein Grund zum Verzweifeln für den ZWP-Leser: Unsere Rechtsautoren stellen den BGH-Richtern die für den Zahnarzt wichtigsten Fragen im Rahmen eines fiktiven Telefoninterviews. Und legen den Richtern die Antworten gleich selbst in den Mund.
Zahnarzt: Guten Tag, habe ich einen Bundesrichter an der Strippe? Einen der fünf Richter, die das BGH-Urteil von 15. Juni 2010 – VI ZR 204/09 unterschrieben haben? Zur Zulässigkeit der telefonischen Risikoaufklärung vor ärztlichen Eingriffen?
„BGH“: Nein, deshalb steht „BGH“ hier auch in Anführungszeichen. Sie sprechen mit einem Rechtsanwalt, das ist alles. Allerdings einem, der sich in den BGH „hineindenken“ wird. Und der natürlich das Urteil gelesen hat, das Sie interessiert. Wie also lautet Ihre Frage?
Zahnarzt: Die Richter selbst sind für mich nicht zu sprechen?
„BGH“: Nun, das Gericht hat bereits gesprochen, das ist das Urteil, das Ihnen vorliegt. Dass ein Richter nachträglich sein Urteil kommentiert, kommt vor, ist aber ungewöhnlich. Ist das Urteil veröffentlicht, sind andere am Zuge. Hochschullehrer zum Beispiel und natürlich andere Richter. Aber auch „Praktiker“ wie Sie und ich.
Zahnarzt: Das ist also wie bei Shakespeare? Der Meister selbst schreibt und schweigt?
„BGH“ (lacht): Genauso ist es. Wobei ich nicht sicher bin, ob Shakespeare sein Werk nie kommentiert hat.
Zahnarzt: Hier sind meine Fragen: Darf ich meine Patienten über die Risiken bevorstehender Eingriffe am Telefon aufklären oder nicht? Und wie muss ich das machen? Und sollte ich das überhaupt tun?
„BGH“: Das sollten Sie nicht.
Zahnarzt: Wie bitte?
„BGH“: Ich würde es sein lassen. Wenn ich Zahnarzt wäre.
Zahnarzt: Und weshalb? Ich dachte, der BGH hält „Telefonaufklärung“ für zulässig?
„BGH“: Das tut er auch, wenn auch unter strengen Voraussetzungen. So muss der Patient hiermit einverstanden sein. Mit dem Eingriff, natürlich, aber auch mit der telefonischen Aufklärung selbst. Das sollte der Zahnarzt vorher erfragt haben.
Zahnarzt: Außerdem muss es sich bei dem Eingriff um einen sogenannten einfach gelagerten Fall handeln?
„BGH“: Genau, wobei nicht abschließend geklärt erscheint, wann ein „einfach gelagerter Fall“ vorliegt. Es handelt sich um eine Wertungsfrage. Im Zweifel werden die Gerichte einem Gutachter folgen.
Zahnarzt: Gemeint sind vielleicht Eingriffe ohne wirkliche Risiken?
„BGH“: Gibt es die denn? Außerdem sieht man gerade an dem vom BGH entschiedenen Fall (siehe „Telefonische Aufklärung über Risiken ist grundsätzlich zulässig“), mit welchen – schwerwiegenden – Folgen sich hier ein Risiko verwirklicht hat. Ein Zwischenfall bei der Narkose hat bei dem Patienten zu bleibenden Schäden geführt.
Zahnarzt: Also hatte dieser Eingriff sogar erhebliche Risiken?
„BGH“: Genauso steht es im Urteil. Der BGH spricht von „durchaus erheblichen“ Risiken. Diese träten bei diesem Eingriff aber „insgesamt selten“ auf. Deshalb geht der BGH gleichwohl von einem „einfach gelagerten Fall“ aus.
Zahnarzt: Hört sich kompliziert an. Mir scheint, es könnte für mich schwierig werden, einen „einfachen“ Fall, bei dem die telefonische Aufklärung zulässig ist, von einem „nicht einfachen“ zu unterscheiden, bei dem Telefongespräche nicht ausreichen sollen.
„BGH“: Das scheint mir auch so. Ich würde diese Entscheidung jedenfalls ungern treffen.
Telefonische Aufklärung über Risiken ist grundsätzlich zulässig
In einfach gelagerten Fällen kann der Arzt den Patienten grundsätzlich auch in einem telefonischen Gespräch über die Risiken eines bevorstehenden Eingriffs aufklären, wenn der Patient damit einverstanden ist. Das ist der Leitsatz einer bereits jetzt als wegweisend geltenden BGH-Entscheidung (BGH, Urt. vom 15. Juni 2010 – VI ZR 204/09). In der Entscheidung hielten die BGH-Richter ein ca. 15 Minuten dauerndes Telefonat eines Anästhesisten mit dem Vater einer minderjährigen Patienten/-in zu den aus anästhesistischer Sicht bestehenden Risiken eines bevorstehenden Leistenhernien-Operation für ausreichend. Bei dem Eingriff war es zu einem folgenreichen Narkosezwischenfall gekommen. Einen Aufklärungsfehler vermochte das Gericht in diesem Zusammenhang jedoch nicht zu erkennen, da es sich bei dem Eingriff um einen „eher einfachen chirurgischen Eingriff“ mit zwar „durchaus erheblichen, aber insgesamt seltenen Risiken“ gehandelt habe. In solchen Fällen sei eine telefonische Aufklärung ausreichend. Bei komplizierten Eingriffen mit erheblichen Risiken werde eine telefonische Aufklärung jedoch regelmäßig unzureichend sein.
Zahnarzt: Und deshalb soll ich von telefonischen Aufklärungsgesprächen ganz Abstand nehmen? Ist das nicht übervorsichtig?
„BGH“: Das müssen Sie entscheiden. Der BGH hat die telefonische Aufklärung im konkreten Fall jedenfalls überhaupt nur angesichts besonderer Umstände für ausreichend erachtet.
Zahnarzt: Was denn für „besondere Umstände“?
„BGH“: Zum einen hat das Telefongespräch zwei Tage vor dem geplanten Eingriff stattgefunden. Der Patient hatte also ausreichend Zeit, sich die Sache zu überlegen. Und zum anderen hat der Arzt dem Patienten gegenüber eben hierauf ausdrücklich hingewiesen.
Zahnarzt: Worauf? Dass sich der Patient die Sache nach dem Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen lassen soll? Das ist doch selbstverständlich.
„BGH“: Der Arzt ist noch einen Schritt weiter gegangen. Er hat unmittelbar vor der Operation ausdrücklich nachgefragt, ob noch Unklarheiten bestünden oder Fragen offen seien. Das konnte er anhand seiner Aufzeichnungen auch beweisen.
Zahnarzt: „Wenn schon Telefonaufklärung, dann aber schriftlich“, also? Und speziell darauf achten, dass der Patient jederzeit, auch noch unmittelbar vor dem Eingriff, das Gespräch wieder aufnehmen kann, und, dass er das auch weiß?
„BGH“: Absolut.
Zahnarzt: Gibt es weitere Besonderheiten in dem Fall, den der BGH entschieden hat?
„BGH“: Der wichtigste Umstand ist vielleicht, dass das telefonische Aufklärungsgespräch in einer „angenehmen und vertrauensvollen Atmosphäre“ stattgefunden hat. Das bestreitet auch der Patient nicht.
Zahnarzt: Das soll eine Rolle spielen? Ob sich der Patient wohlgefühlt hat, während des Telefonats?
„BGH“: Unbedingt. Besteht aus Sicht des Patienten stattdessen Zeitdruck, gibt es keine Möglichkeit zur Nachfrage, kommt es zu gereizten Wortwechseln oder einem Katarakt von Fachwörtern …
Zahnarzt: … dann mögen all dies Indizien für ein „Misslingen“ der ärztlichen Aufklärung sein, ja. Aber bei mir fühlen sich die Patienten nun einmal wohl, ob im Arzt-Patienten-Gespräch oder in der Behandlung. Das wäre am Telefon nicht anders.
„BGH“: Dann ist es ja gut.
Zahnarzt: Also gut, die Entscheidung des BGH ist restriktiver als ich gedacht habe. Dennoch stehen Sie der telefonischen Aufklärung generell skeptisch gegenüber, wie mir scheint.
„BGH“: Dafür gibt es Gründe. Der BGH meint, auch ein Telefongespräch gebe dem Arzt die Möglichkeit, auf individuelle Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Das wird im Einzelfall so sein.
Zahnarzt: Häufig aber nicht?
„BGH“: Exakt. Wir wissen gerade aus der Rechtsprechung des BGH, wie schwierig es sein kann, ein „rechtlich wasserdichtes“ Arzt-Patienten-Gespräch über die Risiken eines Eingriffs zu führen …
Zahnarzt: Sie sprechen von der Aufklärung „im Großen und Ganzen“, zu der der Arzt insoweit verpflichtet ist? Gleichzeitig hat er sich am subjektiven Verständnisbedarf des einzelnen Patienten zu orientieren. Einfach ist das in der Tat nicht …
„BGH“: … und da sitzen sich Arzt und Patient direkt gegenüber. Aber am Telefon? Wir wissen aus der medizinischen LiteraturIV, wie wichtig gerade die nonverbale Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist, also Blickkontakte, Körperhaltung, das situationsbedingte Nachfragen usw.
Zahnarzt: Wenn ich nun aber doch „telefonieren“ will: Was ist das Wichtigste, das ich zu beachten habe?
„BGH“: Sie meinen ein „Compliance“-Programm? Eine Checkliste aus anwaltlicher Sicht? Wollen Sie die denn nicht lieber schriftlich haben (siehe „Checkliste Telefonaufklärung“)?
Zahnarzt: Das stimmt. Man muss ja nicht alles am Telefon besprechen. Ist vielleicht doch zu unsicher.
„BGH“: Schön, dass Sie das jetzt auch so sehen. Und haben Sie vielen Dank für Ihren Anruf.
„Checkliste Telefonaufklärung“
Sinn und Zweck von „Compliance“-Programmen ist die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben in der beruflichen Praxis zum Zwecke der Haftungsprävention. Mit der Etablierung von Verhaltensregeln kann sich der Zahnarzt vor finanziellen Risiken durch Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen seiner Patienten schützen. Die selbstauferlegten Regeln müssen hierfür fest im Berufsalltag verankert sein. Vor dem Hintergrund einer wechselhaften Rechtsprechung ist jeder Verhaltenskodex, auch der hier vorgeschlagene, zudem immer nur ein „vorläufiger“.
1. EHER NICHT! Das mündliche Arzt-Patienten-Gespräch ist dem fernmündlichen vorzuziehen. Das gilt auch, soweit es sich um vermeintlich „einfache“ Eingriffe handelt. Telefonische Aufklärungsgespräche sind daher möglichst zu vermeiden.
2. EHER LANG! Findet ein telefonisches Aufklärungsgespräch statt, nimmt sich der Zahnarzt hierfür ausreichend Zeit, mindestens eine Viertelstunde. Er fragt dabei gezielt nach, ob der Patient seine Ausführungen verstanden hat. Die Ergebnisse des Gesprächs werden dem Patienten gegenüber am Ende noch einmal zusammengefasst.
3. IMMER SCHRIFTLICH! Die Bereitschaft des Patienten zur telefonischen Aufklärung, die Dauer des Gesprächs, die im Einzelnen erläuterten Risiken und etwaige Nachfragen des Patienten werden schriftlich festgehalten. Notiert werden auch der Zeitpunkt des Gesprächs sowie der des avisierten Eingriffs. Zuletzt hält der Zahnarzt auch fest, dass er den Patienten auf die Möglichkeit erneuter Nachfragen im Rahmen eines persönlichen Arzt-Patienten-Gesprächs noch vor dem Eingriff gesondert hingewiesen hat.
4. NO-NO! Es findet keine telefonische Aufklärung in gehetzter oder gereizter Atmosphäre statt. Der Patient wird im Gespräch möglichst nicht unterbrochen. Der Patient wird zur telefonischen Aufklärung nicht „überredet“. Er kann jederzeit ein persönliches Gespräch mit dem Zahnarzt verlangen.
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.
Autoren: RA, FA MedR Norman Langhoff, LL.M., RA Niklas Pastille