Recht 06.08.2009

Aufklärung durch multimediale Patienteninformationssysteme?

Aufklärung durch multimediale Patienteninformationssysteme?

Foto: © Shutterstock.com

Multimediale Patienteninformationssysteme spielen im Zahnarztalltag eine immer wichtigere Rolle. Sie begleiten den Prozess der Patientenaufklärung, bieten völlig neue Möglichkeiten zur Gestaltung des Arzt-Patienten-Gesprächs und gelten zu Recht als wirksame Instrumente zur Unterstützung des praxisinternen Qualitätsmanagements (QM). Ob sie neben einer höheren Patientenzufriedenheit aber auch einen haftungsrechtlichen Mehrwert für den Zahnarzt bieten, wird erst die künftige Rechtsprechung zeigen.

Traditionell ist die Aufklärung des Patienten über die Risiken eines in Aussicht genommenen zahnärztlichen Eingriffs mit der Unsicherheit behaftet, dass der Zahnarzt die erfolgte Aufklärung im Streitfall zu beweisen hat. (Heil-)Eingriffe ohne hinreichende Aufklärung über die hiermit verbundenen Risiken stellen auch bei fachgerechter Ausführung eine rechtswidrige Körperverletzung dar. Diese löst ihrerseits Haftungsansprüche aus.

Als effiziente Werkzeuge zur Bereitstellung und Verbreitung des zur Patientenaufklärung notwendigen Wissens werden seit einigen Jahren verstärkt elektronische, teils internetbasierte sowie interaktive Patienteninformationssysteme eingesetzt. Mit ihrer Hilfe wird der Patient über die Vorbereitung, den Ablauf und Nutzen sowie die Risiken von Eingriffen informiert. Die ursprünglich für den Krankenhausbereich, insbesondere die Anästhesieaufklärung entwickelten und bislang mehrheitlich auch dort erprobten Systeme erscheinen überdies geeignet, zukünftig als behandlungsübergreifende Informationstools zu fungieren. So könnte durch sie etwa die Zusammenarbeit zwischen stationären und ambulanten Anbietern verbessert werden.

Der naheliegendste Vorteil der gegenwärtig eingesetzten Programme liegt in der Zeit- und Kostenersparnis bei der Patientenaufklärung im hektischen Klinik- bzw. Praxisalltag. Daneben wird der Behandlerseite mehr oder weniger offen zugleich ein haftungsrechtlicher Mehrwert in Aussicht gestellt. Durch den automatisch protokollierten Programmablauf, so die Erwartung der Hersteller, werde neben der Einhaltung der Dokumentationspflichten auch die Durchführung der mit dem Programm verbundenen Aufklärung bewiesen; in Haftungsprozessen soll hierdurch die Beweissituation des Arztes beziehungsweise des Trägers der Einrichtung verbessert werden.

Seit 2006 schreibt auch der Gesetzgeber die Umsetzung von Qualitätsmanagementkonzepten in der Zahnarztpraxis vor. Dabei ist der Bereich „Patienteninformation“ ausdrücklich als „Instrument“ des Qualitätsmanagements vorgesehen. Nach dieser für Vertragszahnärzte verbindlichen und ab 2010 sogar sanktionsbewehrten Vorgabe ist die Einhaltung medizinischer Standards sonach nicht mehr nur ein Gebot des Risikomanagements, sondern zugleich eine jederzeit einzuhaltende Rechtspflicht.

Dass bereits die derzeit verfügbaren Systeme zur Unterstützung des Qualitätsmanagements und zur Etablierung einer einrichtungsinternen Qualitätskultur beitragen können, ist aus anwaltlicher Sicht unbestritten. Auch ist zu erwarten, dass die audiovisuell unterstützte Aufklärung ähnlich wie im Krankenhausbereich zu einer Verbesserung der Patientenzufriedenheit mit der Vorbereitung von Eingriffen führen wird. Ob die Rechtsprechung aber die unter Patienten und Behandlern verbreitete Annahme von der Überlegenheit dieser Systeme gegenüber der konventionellen Aufklärung teilen wird, erscheint zur Stunde völlig offen. Propagieren die Hersteller also „Wein“ und verkaufen dem Zahnarzt doch nur „Wasser“?

Multimediale Patientenaufklärung – „Wasser statt Wein“?
Der Vorteil multimedialer Patienteninformationssysteme liegt in der wirkungsvollen Unterstützung des klassischen Arzt-Patienten-Gesprächs durch geeignete Medien. So mag nach bereits erfolgter audiovisueller Aufklärung der zahnärztliche Zeitaufwand für das Aufklärungsgespräch geringer ausfallen. Ein Teil der Patienten kann durch die Vorabinformation gezielte Fragen stellen und dem Zahnarzt so getreu eines oft bemühten Schlagworts sukzessive als „Experte der eigenen Krankheit“ begegnen. Ton, Bild, Filmsequenzen und Animationen statten den Patienten mit standardisierten Basisinformationen aus. Im Falle der Interaktivität ermöglichen die Programme überdies einen „persönlichen“, selbst bestimmten Zugang zu den Daten: Diese können zum Beispiel wiederholt und ggf. von zu Hause aus abgerufen werden. Das auf diese Weise vermittelte Wissen dürfte auch umfangreicher sein als im konventionellen Aufklärungsgespräch üblich. Im Idealfall ist es für den Patienten im Anschluss dann auch besser abrufbar. All diese Faktoren stehen auf der „Habenseite“ der angebotenen Produkte oder – um im gewählten Bild zu bleiben – „auf der Weinkarte“.

Ein gegenüber dem Arzt-Patienten-Gespräch wirklich eigenständiges Format werden Patienteninformationssysteme in der Kommunikationsmatrix der Zahnarztpraxis aber kaum einnehmen. Zur Haftungsprophylaxe jedenfalls taugen sie nur sehr bedingt. Eben diese – skeptische – Einschätzung ist geeignet, ein wenig Wasser in den Wein der Produkthersteller zu schütten.

Für den Zahnarzt besteht bei der Risikoaufklärung die grundlegende Herausforderung darin, die individuellen Gegebenheiten aufseiten des Patienten, wie Auffassungsgabe, Umfang des Informationsbedürfnisses und erkennbare Erwartungen in ihrer Vielfalt wahrzunehmen. Nicht zuletzt hieran hat der Zahnarzt Inhalt und Ablauf des Aufklärungsgesprächs auszurichten. Nicht die größtmögliche Information über Krankheitsbilder und Behandlungsmöglichkeiten ist aus haftungsrechtlicher Sicht Ziel der Aufklärung, sondern die auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Darstellung der Schwere und Richtung konkreter Risiken eines geplanten Eingriffs. Der Zahnarzt hat nur „im Großen und Ganzen“, immer aber individuell aufzuklären, d.h. etwa mit Rücksicht auf das Lebensalter sowie die Fähigkeiten seines jeweiligen Patienten. Wie jeder Zahnarzt weiß, fällt unter den Patienten die persönliche Betroffenheit bei Eingriffen gleicher Risikostruktur unterschiedlich aus. Auch hierauf sind Aufklärungsart und -umfang abzustimmen: Dem Patienten soll nur, aber immerhin, aufgezeigt werden, was der geplante bzw. vorgeschlagene Eingriff für seine persönliche Situation bedeutet. Ein durch audiovisuelle Programme erreichbares „Mehr an Information“ wird dabei nicht zwangsläufig zu einem „Mehr an Rechtssicherheit“ führen.

Ist der durch die Aufklärungstools vermittelte Umfang der Information unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten häufig unnötig weit gesteckt, greift die Aufklärung in Anbetracht ihrer standardisierten Form doch andererseits regelmäßig zu kurz. Hierin liegt keine Schwäche der angebotenen Produkte selbst. Das Problem besteht vielmehr im haftungsrechtlichen Regelungsrahmen zur Patientenaufklärung, welcher einerseits eine standardisierte Form der Informationen zulässt, andererseits aber im Kern einen „Aufklärungsdialog“ zwischen Behandler und Patient fordert. Der Zahnarzt bewegt sich damit im Spannungsfeld gegenläufiger Vorgaben: Er hat den Patienten individuell in die Lage zu versetzen, die Risiken seiner Behandlung zu verstehen und erst auf dieser Grundlage eine eigene Entscheidung zu treffen („informed consent“). Zugleich darf er sich hierzu aber auch solcher Informationen bedienen, die nicht auf den einzelnen Patienten ausgerichtet sein können, weil sie einheitlichen Standards genügen müssen.

Damit aber muss im Ergebnis gelten: Alle Aufklärungsbemühungen sind haftungsrechtlich „wertlos“, wenn sie nicht in ein klassisches Arzt-Patienten-Gespräch münden, in dem der Zahnarzt die Informationen bündelt, erläutert, hierarchisiert und sie so für die Entscheidung des Patienten erst nutzbar macht. Der ausschließliche Einsatz noch so guter Patienteninformationssysteme erfüllt diese Anforderungen ebenso wenig wie die Übergabe von Merkblättern ohne zusätzliche mündliche Risikodarstellung. Ähnlich wie beim gelegentlich beklagten „Rückzug des Arztes auf Formulare und Merkblätter“ droht auch beim Einsatz multimedialer Tools die (bewusste) „Flucht in die Software“ zur Vermeidung von Aufklärungsgesprächen beziehungsweise das (unbewusste) Wiegen in der Scheinsicherheit eines vermeintlich bereits aufgeklärten Patienten. Beider Gefahren sollte sich der Zahnarzt bewusst sein.

Doch auch in anderer Hinsicht muss der angebotene „Wein“ nicht jedem Käufer schmecken: Weniger technikaffine – zum Beispiel ältere – Patienten zeigen sich selbst durch einfachste Informationssysteme gelegentlich überfordert. Eben dies möchten sie gegenüber Behandlern ungern eingestehen. Gerade diese Patientengruppe aber benötigt bereits aufgrund ihres Alters eine besonders sorgfältige Risikoaufklärung. Wer kein „Muttersprachler“ einer der im Programm vorgesehenen Sprachen ist, mag auch insoweit mit den dargebotenen Informationen seine Probleme haben. Bei sehr komplexen, hochgradig interaktiven Anwendungen wird überdies ein „Hands-on-heads-off-Syndrom“ beobachtet: Wo „Fingerarbeit“ und hohe Konzentration gefordert sind, wird oftmals der Kopf „ausgeschaltet“. Die Informationen erreichen den allerlei Anforderungen ausgesetzten Benutzer dann nur bruchstückhaft. Zuletzt ist auch zu beachten, dass allein die Behandlerseite das Risiko für etwaige technische Anwendungsprobleme beziehungsweise -fehler trägt. Der durch die protokollierte Produktanwendung erlangte „Beweis“ ist in seinem Wert vor Gericht demgegenüber nur schwer einzuschätzen.

Vorteile und Nachteile
Audiovisuelle Patienteninformationssysteme haben im Bereich des Qualitätsmanagements bei der Patientenaufklärung ein nicht zu unterschätzendes Potenzial. Mit ihrem Einsatz ist die Möglichkeit verbunden, den Patienten über den notwendigen „Pflichtteil“ hinaus gründlich aufzuklären. Der Patient begegnet dem Behandler dann gewissermaßen „auf Augenhöhe“. Innovative Formen der Patienteninformation bereiten allerdings immer auch Probleme – angefangen von den „Tücken der Technik“ über Missverständnisse bis hin zur Vermeidung zeitraubender Arzt-Patienten-Gespräche durch eine „Flucht in die Tools“ durch Behandler und Patienten. Gerade den anstrengenden, klassischen Aufklärungsdialog aber wird der Zahnarzt im Interesse der eigenen Haftungsprophylaxe weiterhin suchen müssen.

Eine Literaturliste kann unter der E-Mail-Adresse zwp-redaktion@oemus-media.de angefordert werden.

Autoren: RA, FA MedR Norman Langhoff, LL.M., RA Niklas Pastille

Seitenanfang


Mehr News aus Recht

ePaper