Recht 26.05.2011
Das Auslaufmodell des Praxis-Einzelkämpfers
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Der Wandel in der Gesellschaft hat auch vor dem zahnärztlichen Beruf keinen Halt gemacht und erfordert neue Handlungsformen. Welches letztlich das richtige Zukunftsmodell sein wird, kann niemand sagen. Festzustellen ist aber, dass vor allem die ständig wachsende Zahl von Zahnärztinnen vor der Herausforderung steht, ihren Beruf mit Familie zu vereinbaren. Auch sonst geht der Trend gerade unter den jungen Berufseinsteigern dahin, Freizeit einen höheren Stellenwert einzuräumen als dies noch vor einigen wenigen Jahren der Fall war. Es gilt nunmehr als erstrebenswert, mehr Freiraum für sich, die Familie und Freunde zu haben. Neudeutsch: work life balance!
Das Bild des Tag und Nacht hart arbeitenden Einzelkämpfers gerät zunehmend ins Abseits. Daneben verändern sich seit Jahren auch die Rahmenbedingungen für niedergelassene Zahnärzte. Die in den letzten Jahren geschaffenen gesetzgeberischen Neuerungen erfordern eine zunehmende Bürokratisierung des Zahnarztberufs. Der täglich zu bewältigende Verwaltungsaufwand neben der eigentlichen Tätigkeit der Patientenbehandlung sprengt in vielen Fällen die Kapazitäten des einzeln agierenden Zahnarztes. Angesichts der steigenden Kosten und der undurchsichtigen honorarpolitischen Situation gelingt oftmals die Kalkulation der Wirtschaftlichkeit des eigenen Unternehmens nur noch unter erschwerten Bedingungen. Hinzu kommt ein stetig wachsender Wettbewerbsdruck, dem einige Einzelpraxen leider nichts entgegensetzen. Aus diesem Grund haben so ziemlich alle Standesorganisationen das Leitbild des in Einzelpraxis tätigen Zahnarztes aufgegeben. Auch der Gesetzgeber hat die Zeichen der Zeit erkannt und mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz im Jahr 2007 neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit unter Ärzten geschaffen.
Einige Experten des Gesundheitssystems läuten bereits das „Zeitalter der medizinischen Versorgung als Mannschaftssport“ ein. Diese These erscheint zwar erheblich überspitzt und ist stets in Abhängigkeit von regionalen Besonderheiten zu sehen, allerdings geht der Trend unter den Zahnärzten vermehrt hin in Richtung Bildung von Kooperationen, insbesondere zur Gründung von Gemeinschaftspraxen. Die weiter existierenden Modelle der Praxisgemeinschaft sind hingegen weniger gefragt. Bevor sich ein Zahnarzt jedoch fest dazu entschließt in eine Kooperation mit Berufskollegen zu treten, sollte er die Vor- und Nachteile dieses Schritts wohlüberlegt für sich abwägen.
Vorteile einer Kooperation
Die Vorzüge einer Kooperation sind einfach skizziert: Durch die Zusammenarbeit können erheblich Synergieeffekte erzielt werden. Durch eine unterschiedliche Spezialisierung der anderen Kollegen kann dem gemeinsamen Patientenstamm ein breiteres Leistungsspektrum geboten werden. Dies fördert den Anreiz, sich zur Behandlung genau in diese Praxis zu begeben. Durch die Verfolgung eines gemeinsamen diagnostischen und therapeutischen Ziels der kooperierenden Zahnärzte kann ein stimmiges Praxiskonzept entwickelt werden. Daneben besteht die Mög-lichkeit, gemeinsame Ressourcen zu nutzen. Durch eine gemeinsame Vertretung und Planung kann wichtige Kapazität geschaffen werden. Auf der anderen Seite ist die Vertrags-gestaltung bei zahnärztlichen Gemeinschaftspraxen zunehmend in Diskussion geraten. In diversen Zivil-, aber auch Strafverfahren ging es um die Problematik, dass Mitgesellschafter einer Gemeinschaftspraxis faktisch als Arbeitnehmer tätig wurden (sog. Scheingesellschaften). Seit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.06.2010 (Az. B 6 KA 7/09 R) kann allen Gesellschaftern einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis nur geraten werden, die Gestaltung ihrer Verträge in gesellschaftsrechtlicher, vor allem aber in vertragsarzt- und berufsrechtlicher Weise rechtskonform von auf das Medizinrecht spezialisierten Rechts-anwälten durchführen zu lassen. Im Internet angebotene Vorlagen halten diesen Anforderungen in aller Regel nicht stand. Es drohen erhebliche Konsequenzen, angefangen von der Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen, der Einleitung eines Disziplinarverfahrens, die Geltendmachung von Honorarrückzahlungsansprüchen seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Entziehung der Zulassung bis hin zur Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens.
Wichtige Voraussetzungen
Bei der Zusammenarbeit von Zahnärzten muss gewährleistet bleiben, dass bei jedem Gesellschafter ein gewisses Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit bei der ausgeübten vertragsärztlichen Tätigkeit verbleibt. Mithin muss er ein wirtschaftliches Risiko zu tragen haben und an der Verwertung des von ihm erarbeiteten Praxiswerts beteiligt sein. Darüber hinaus darf er nicht in seiner Dispositionsfreiheit eingeschränkt sein. Die wohl wichtigste Feststellung des Bundessozialgerichts besteht darin, dass unabdingbare Voraussetzung die Beteiligung aller Gesellschafter an Gewinn und Verlust ist und dass dieses Erfordernis bereits von Anfang an, mithin auch bei einer vereinbarten Kennenlernphase, gegeben sein muss. Es muss maßgebend von der Arbeitskraft eines Vertragszahnarztes abhängen, in welchem Umfang die freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt. Einem Mitgesellschafter darf somit nicht nur ein Festgehalt gezahlt werden. Der Ertrag seiner vertragsärztlichen Tätigkeit muss ihm genauso zugutekommen, wie ein eventueller Verlust zu seinen Lasten gehen muss. Dabei hat das Urteil auch viele Fragen, wie beispielsweise die Zulässigkeit einer betragsmäßigen Verlustbegrenzung, offen gelassen. Diese werden in der Praxis zu klären sein.
Auf eine Beteiligung am materiellen Gesellschaftsvermögen kommt es jedenfalls dann nicht entscheidend an, wenn ein Vertragszahnarzt sowohl am wirtschaftlichen Gewinn wie auch an einem etwaigen Verlust beteiligt ist. Somit sind Gestaltungen zulässig, in denen Zahnärzte gemeinsam nicht nur die Praxisräume, sondern auch die vollständige Praxisausstattung anmieten, der Kapitaleinsatz gegen Null geht, sowie solche, in denen ein alteingesessener Vertragszahnarzt mit einem Berufseinsteiger, der unter Umständen in ferner Zukunft die Praxis übernehmen soll, zunächst eine Gemeinschaftspraxis bildet, in der die gesamte Ausstattung der Praxis im Eigentum des Seniors steht. Demgegenüber erfordert eine gemeinschaftliche Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis grundsätzlich eine Beteiligung am immateriellen Vermögen der Praxis.
Einem Zahnarzt muss bei Beendigung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit eine „Chance auf Verwertung des auch von ihm erarbeiteten Praxiswertes“ verbleiben. Bei einer Gemeinschaftspraxis kann dies im Ausscheidensfall durch die Gewährung einer Abfindung realisiert werden. Die vertragliche Ausgestaltung kann insoweit unterschiedlich sein. Offen gelassen hat das Gericht, ob die Beteiligung am immateriellen Vermögen bereits für die Dauer einer zeitlich begrenzten Probezeit erfolgen muss. Das Gericht gab jedoch durch die gewählte Formulierung zu erkennen, dass es dies wohl akzeptieren würde.
Fazit
Über diese rechtliche Seite hinaus ist bei einem Zusammenschluss mit anderen Menschen immer zu beachten, mit wem man sich vertraglich binden möchte. Die Gründung einer Gemeinschaftspraxis lässt sich gut mit der Eingehung einer Ehe vergleichen. Auch hier wird eine Bindung über Jahre oder gar Jahrzehnte angestrebt. Die Auseinandersetzung ist in den meisten Fällen mit Komplikationen und Streit verbunden. Daher sollten die geschlossenen Verträge vor allem auch die Exitstrategie fest im Blick haben, denn in guten Zeiten werden die Verträge nicht gebraucht. Diese spielen erst dann eine Rolle, wenn Standpunkte unklar sind. Noch wichtiger als der Satz „Drum prüfe, wer sich bindet!“ ist „Prophylaxe verhindert den Zahnausfall“. Bleiben Sie gut beraten.