Recht 16.11.2010

Honorarrückforderungen bei Schein-Gemeinschaftspraxen

Honorarrückforderungen bei Schein-Gemeinschaftspraxen

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Bereits seit längerer Zeit ist auch bei Zahnärzten der Trend zur Gemeinschaftspraxis zu erkennen. Die Vorteile hierfür liegen klar auf der Hand: Die gemeinsame Nutzung von Sach- und Personalmitteln sowie die gemeinsame Investition in medizinische Geräte und Praxisausstattung ermög­lichen neben der Verteilung des finanziellen Risikos eine wirtschaftliche Auslastung der vorhandenen Strukturen. Darüber hinaus wird bei einer Gemeinschaftspraxis der Behandlungsvertrag jeweils zwischen dem Patienten und der Gemeinschaftspraxis und nicht dem einzelnen Zahnarzt abgeschlossen.

Die Gemeinschaftspraxis ermöglicht die Behandlung eines Patienten durch mehrere Behandler. Soweit sich die einzelnen Zahnärzte der Gemeinschaftspraxis auf bestimmte Behandlungsschwerpunkte spezialisiert haben, kann den Patienten so letztlich ein erweitertes Spektrum der Behandlung angeboten werden. Nicht zuletzt hat auch der Gesetzgeber mit der Förderung von Gemeinschaftspraxen durch Honorarzuschläge zu einer stetig wachsenden Zahl von Gemeinschaftspraxen beigetragen. Dies führte dazu, dass Gemeinschaftspraxen häufig primär aus wirtschaftlichen Beweggründen heraus gegründet wurden.

Auch die Konstellation, in der ein Jungzahnarzt in eine bereits seit vielen Jah-ren bestehende Einzel- oder Gemeinschaftspraxis eintritt, ist in diesem Zusammenhang häufig anzutreffen. Denn vor allem junge Zahnärzte, die gerade erst ihre Berufsausbildung abgeschlossen haben, sind oftmals finanziell nicht ohne fremde Hilfe in der Lage, eine eigene Zahnarztpraxis zu eröffnen. Daher stellt der Eintritt in eine bereits bestehende (Gemeinschafts-)Praxis für viele eine interessante Möglichkeit des Berufseinstiegs dar.

Nicht selten wird in solchen Fällen vereinbart, dass der junge Kollege zu­mindest in der ersten Zeit sowohl bei die Praxis betreffenden unternehmerischen Entscheidungen nicht oder nur marginal mitbestimmen darf und sich in erster Linie an den Weisungen der Seniorpartner zu orientieren hat. Da­rüber hinaus wird für die Anfangszeit auch eine sogenannte Nullbeteiligung des neu eintretenden Kollegen vereinbart. Danach kann auch ein Ausschluss des Juniorpartners vom Vermögen der Praxis sowie an Gewinn und Verlust vereinbart sein.

Die Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen war seit jeher umstritten, da durch derartige Gestaltungen je nach deren Tragweite die „Tätigkeit in freier Praxis“ nicht mehr gewährleistet schien. Teilweise wurden Gemeinschaftspraxen dann als Scheingesellschaften bewertet, was dazu führte, dass seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen Honorarrückforderungen geltend gemacht wurden.

Genau diese Problematik lag einem gerade erst veröffentlichten Urteil des Bundessozialgerichts (AZ: B 6 KA 7/09 R) zugrunde. Zwar bezieht sich diese Entscheidung vom 23.06.2010 nicht auf Zahnärzte, sondern Ärzte, gleichwohl ist sie übertragbar. Danach sind kassenärztliche Vereinigungen berechtigt, im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung Honorarbescheide aufzuheben und bereits ausgezahltes Honorar zurückzufordern, wenn bindende Vorgaben des Vertragsarztrechtes nicht eingehalten worden sind. Dies ist nach der BSG-Entscheidung insbesondere dann der Fall, wenn eine als Gemeinschaftspraxis angemeldete und zugelassene Praxis tatsächlich nicht als solche betrieben wird und ein „Gesellschafter“ letztlich nicht „in freier Praxis“, sondern als angestellter Arzt tätig wird, ohne dass die hierfür erforderliche Genehmigung durch den Zulassungsausschuss vorliegt.

In dem Urteil stellten die Kasseler Richter heraus, welche Anforderungen an das entscheidende Merkmal einer Tätigkeit „in freier Praxis“ zu stellen sind. So muss der betreffende Arzt sowohl in beruflicher wie auch persönlicher Hinsicht über ein gewisses Maß an Selbstständigkeit verfügen. Trägt er das wirtschaftliche Risiko einer Praxis nicht mit und ist er in keinster Weise am Wert der Praxis beteiligt, den er durch seine Tätigkeit mit geschaffen hat, wird die ärztliche Tätigkeit nicht mehr „in freier Praxis“ ausgeübt.

In diesem Zusammenhang nimmt das Gericht Bezug auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach der Arztberuf durch ein hohes Maß an eigener Verantwortlichkeit und eigenem Risiko in wirtschaftlicher Beziehung charakterisiert ist. So habe der frei praktizierende Arzt zwar die freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft und könne insbesondere auch seine Arbeitszeit frei einteilen, er trage aber auch das volle wirtschaftliche Berufs­risiko. Deshalb werde eine Tätigkeit in freier Praxis primär durch die indivi­duelle Unabhängigkeit und das Tragen des wirtschaftlichen Risikos konkretisiert. Voraussetzung für eine Tätigkeit in freier Praxis sei zudem, dass Einflussnahmen Dritter in die berufliche Tätigkeit des Arztes ausgeschlossen sind. Der Arzt müsse die Befugnis haben, den medizinischen Auftrag nach eigenem Ermessen zu gestalten sowie über die räumlichen, sachlichen und personellen Mittel zu disponieren oder zumindest an der Disposition hierüber mitzuwirken.

Die „Tätigkeit in freier Praxis“ beinhaltet danach zum einen eine wirtschaftliche Komponente und zum anderen eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht.
Das Erfordernis, dass es beim Vertragszahnarzt maßgebend von seiner Arbeitskraft abhängen muss, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt, ihn also gleicher-maßen Chancen und Risiken des beruf­lichen Erfolgs oder Misserfolgs persönlich treffen müssen, ist der Notwen­digkeit geschuldet, den Status eines Vertragszahnarztes von dem eines angestellten Zahnarztes abzugrenzen. Denn nur der Vertragsarzt ist berechtigt, seine erbrachten Leistungen entsprechend abzurechnen.

Im Einzelnen bedeutet dies, dass ein Vertragszahnarzt nicht wie ein An­gestellter nur ein Festgehalt erhalten darf. Vielmehr muss ihm der Ertrag seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit zugutekommen, ebenso wie ein eventueller Verlust zu seinen Lasten gehen muss. Dieses Erfordernis muss von Anbeginn der vertragszahnärztlichen Tätigkeit erfüllt sein und kann auch nicht für die Dauer einer „Probezeit“ ausgeschlossen werden.

Eine Beteiligung am Gesellschaftsvermögen ist hingegen nicht ausnahmslos erforderlich. Jedenfalls dann, wenn ein Zahnarzt sowohl am wirtschaftlichen Gewinn wie auch an einem etwaigen Verlust beteiligt ist, kommt es auf eine Beteiligung am Gesellschaftsvermögen nicht in entscheidendem Maße an. So sind Gestaltungen zulässig, in denen Zahnärzte gemeinsam nicht nur die Praxisräume, sondern auch die komplette Praxisausstattung anmieten, ihr Kapitaleinsatz also gegen null geht, oder in denen ein alteingesessener Vertragszahnarzt mit einem jungen Zahnarzt, der in ferner Zukunft die Praxis übernehmen soll, zunächst eine Gemeinschaftspraxis bildet, in der die gesamte Praxisausstattung dem Altzahnarzt gehört.

Demgegenüber erfordert eine gemeinschaftliche Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis unabhängig von der Frage einer Beteiligung der Partner an Investitionen und Kosten grundsätzlich eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis. Denn dieser wird durch die Tätigkeit eines jeden Einzelnen entscheidend mitgeprägt.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend sind unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG folgende Voraussetzungen bei einem Zusammenschluss zu einer Gemeinschaftspraxis bzw. beim Eintritt in eine bereits bestehende Gemeinschaftspraxis zu beachten:

Sichergestellt sein muss in jedem Fall, dass der eintretende Jungzahnarzt tatsächlich vertragszahnärztlich tätig wird. Er darf mithin nicht die Stellung eines Angestellten haben. Es muss gewährleistet sein, dass er seinen Beruf weisungsfrei ausüben kann und als Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis auch das Risiko von Gewinn und Verlust trägt. Zudem darf er nicht vom immateriellen Wert der Praxis ausgeschlossen werden, da er diesen durch seine Tätigkeit entscheidend mitgestaltet.

Um sich nicht der Gefahr einer Hono­rarrückforderung seitens der kassenzahnärztlichen Vereinigung auszusetzen, kommt es also entscheidend darauf an, dass die Partner einer zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis das Gewinn- und Verlustrisiko gemeinsam tragen und auch alle am immateriellen Wert der Praxis beteiligt sind. Sofern Un­sicherheiten bei der Gestaltung be­stehen, sollte immer der Rat eines auf Me­dizinrecht spezialisierten Rechtsanwaltes gesucht werden. Die Besonderheiten des Vertragszahnarztrechts sind insgesamt so komplex, dass Ihr Berater in jedem Fall ein Fachanwalt sein sollte.

Autoren: RA Katri Helena Lyck, RA Nicol Olivia Zeman


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