Statements 27.03.2015

Ästhetische Patientenansprüche vor Gericht



Ästhetische Patientenansprüche vor Gericht

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Es gibt immer wieder sehr kuriose Zahnarzthaftungsprozesse, deren fachliches Substrat man jedenfalls aus ex-post-Betrachtung besser in anderen Fachgebieten verordnet sehen möchte, vornehmlich in der Psychiatrie oder in der generellen Unwilligkeit, teure Behandlungen auch zu bezahlen. Naturgemäß tut man sich als Zahnarzt schwer, im Prozess auf die möglicherweise nur mit solchen Zusammenhängen zu erklärende Klage des Patienten hinzuweisen. Das schafft die im Verhältnis zum Patienten bestehenden Probleme bekanntlich nicht aus der Welt, sondern eher neue. Aber es gibt immer wieder Gerichtsentscheidungen, aus denen erkennbar wird, dass sich die Richter der Notwendigkeit einer Grenzziehung zwischen hohen Patientenansprüchen insbesondere an die Ästhetik und querulatorischem Verhalten durchaus bewusst sind. Sie finden dann Wege, den Anspruch des Patienten „abzubügeln“.

Beim Oberlandesgericht (OLG) Koblenz – ein Gericht mit einer bemerkenswerten Vielzahl von veröffentlichten Zahnarzthaftungsentscheidungen – war 2013 ein solcher Fall aus dem Bezirk des Landgerichts (LG) Mainz zu entscheiden. Die klagende Patientin befand sich vom Juni 2006 bis zum Mai 2008 in der zahnärztlichen Betreuung der beklagten Zahnärztin. Dabei wurde eine umfangreiche Kariesbehandlung unter Erneuerung defekter Füllungen und dem Einsatz von Kronen, eine Formveränderung der Frontzähne aus kosmetischen Gründen und eine Lückenversorgung durchgeführt. Mit dem Ergebnis war die Patientin nicht zufrieden. Sie rügte, die Kariesbehandlung sei nicht indiziert gewesen. Außerdem sei die Zahnärztin technisch fehlerhaft verfahren. Namentlich habe sie die Zahnsubstanz unfachmännisch abgeschliffen. In der Folge ihres Vorgehens sei die Okklusion – auch durch eine Mittellinienverschiebung – beeinträchtigt worden. Darüber hinaus passten sich die implantierten Kronen farblich nicht ein. Die Eingriffe der Zahnärztin hätten zu anhaltenden, auf weite Körperbereiche übergreifenden Schmerzen und zu Zahnfleischschwund geführt. Die Nahrungsaufnahme sei seitdem stark behindert. Ferner sei die Aufklärung mangelhaft gewesen. Die mit der Behandlung verbundenen Risiken seien ebenso wenig wie die Möglichkeit, die Zahnstellung kieferorthopädisch durch den Einsatz einer Spange zu korrigieren, zur Sprache gekommen. Das alles rechtfertige ein Schmerzensgeld von mindestens 10.000 € sowie Ersatz der Kosten für die Revisionsbehandlung.

Die Patientin, die sich immerhin aus kosmetischen Gründen die Form der Frontzähne verändern ließ, hatte für den Prozess keine genügenden finanziellen Mittel und verlangte die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Dies lehnte das OLG Koblenz mit Beschluss vom 15.05.2013 – 5 U 423/13 – ab und wies mit weiterem Beschluss vom 17.06.2013 die Berufung der Patientin, die schon vor dem LG Mainz verloren hatte, zurück.

Das OLG wollte keine weitere Beweisaufnahme, sah sich aber mit dem Problem konfrontiert, dass die Röntgenaufnahmen aus ungeklärten Gründen nicht mehr vorhanden waren. Das OLG meinte dazu, selbst wenn sie entgegen dem Vorbringen der beklagten Zahnärztin nicht bei dem Gutachter Dr. A, sondern in deren Praxis zerstört worden sein sollten, resultiere daraus kein relevanter Beweisvorteil für die Klägerin, der es erlaube, den von der Zahnärztin dokumentierten klinischen Kariesbefund zu falsifizieren; ein grob schuldhaftes oder vorsätzliches Verhalten der Zahnärztin, das eine andere Sicht der Dinge erlauben könne, stehe nicht im Raum. Für ihre Behauptung, sie habe keine Karies gehabt, habe die Klägerin damit keinen Beweis erbracht.

Es habe unstreitig Zahnlücken gegeben, die gefüllt werden mussten. Zudem sei außer Frage, dass die kosmetische Versorgung der Schneidezähne von der Patientin gewollt gewesen sei. Die gebotene Okklusion sei durchweg erreicht worden, was durch die Darlegungen des Sachverständigen Dr. B gestützt werde. Auch Dr. A habe insoweit nichts beanstandet. Die gegenläufige Beurteilung des Zahnarztes C entkräfte das nicht. Selbst wenn man C folgte, ergäbe sich nichts dafür, dass die Okklusion unter der Behandlung der Beklagten verschlechtert worden wäre.

Aus dem mangelnden Approximalkontakt der Zähne 34 und 35 und der Stellung des Zahnes 47 könne die Klägerin nichts für sich herleiten, weil die Behandlung hier unvollendet geblieben sei. Die Klägerin suchte die Beklagte nicht mehr auf. Dafür dass die Beklagten die zahlreichen von der Klägerin beschriebenen funktionellen und sensitiven Beschwerden zu verantworten habe, gebe es keinen greifbaren Anhalt. Eine Verschiebung der Mittellinie durch die Beklagte lasse sich nicht feststellen. Das habe der Sachverständige Dr. B nach einem Abgleich mit den ihm vorliegenden Kiefermodellen aus dem Jahr 2005 mitgeteilt. Genauso wenig sei es nach seinen Erkenntnissen wegen der Einschleifmaßnahmen zu einer Verminderung der Schneidekraft der Zähne oder zu einer Zahnfleischschädigung gekommen. Auch die für die prothetische Versorgung verwandte Zahnfarbe sei insgesamt stimmig; eine Abweichung finde sich nur bei dem alten Zahn 21 und sei nicht von der Beklagten zu verantworten.

Defizite in der Information der Klägerin, die die Wirksamkeit der von ihr erteilten Einwilligung infrage stellen könnten, fehlen. Den Zeugenaussagen lasse sich eine hinreichende Eingriffs- und Risikoaufklärung entnehmen. Die Rüge, es sei pflichtwidrig versäumt worden, auf die Möglichkeit einer Zahnkorrektur durch eine Spange hinzuweisen, treffe nicht. Ein Zahnarzt brauche dem Patienten grundsätzlich nicht ungefragt zu erläutern, welche verschiedenen Behandlungsmethoden in Betracht kommen, so lange er eine Therapie anwende, die dem Standard genüge. Allerdings sei er gehalten, auf adäquate zielführende Alternativen aufmerksam zu machen, die sich in ihren Belastungen, Risiken und Erfolgschancen wesentlich unterschieden. Dass die Spangenbehandlung eine solche Alternative darstelle, sei nicht zu erkennen. Die – im Zeitpunkt der Konsultation der Beklagten deutlich über 40 Jahre alte – Klägerin habe nicht dargetan, inwieweit der Einsatz einer Spange überhaupt Erfolg versprechend hätte sein können. Er sei von vornherein ausgeschieden, soweit es um die Kariesversorgung und den Zahnersatz gehe. Ob er zur Richtung der Schneidezähne geeignet gewesen wäre, sei nicht nachvollziehbar, weil die Verhältnisse nicht näher beschrieben worden seien.

Vor diesem Hintergrund bestehe kein genügender Grund zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Die Feststellungen des Landgerichts begegneten zwar in zahlreichen Punkten einer ernst zu nehmenden Kritik der Klägerin, gäben aber gleichwohl keinen Anhalt für rechtserhebliche Zweifel. Auch eine Anhörung der Klägerin, die vom Landgericht ins Auge gefasst worden und dann an deren Unabkömmlichkeit gescheitert war, sei nicht veranlasst.

Das ist bemerkenswert, dass das OLG trotz der „ernst zu nehmenden Kritik der Klägerin“ keinen Anlass sah, ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Weg gesucht hat, „die Kirche im Dorf zu lassen“. Liest man den Fall, kann man die Entscheidung des OLG Koblenz gut nachvollziehen und wünschte sich öfters diesen Mut den Gerichten.

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