Recht 20.02.2015
Prophylaxe und Mundhygiene im Spiegel der Rechtsprechung
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Eine Annäherung an Aspekte der Prophylaxe und Mundhygiene im Praxisalltag deckt vielfältige rechtliche Fragestellungen ab und ist unter vielen Blickwinkeln möglich. So kann eine haftungsrechtliche Betrachtung von Prophylaxemaßnahmen je nach Behandlungsstadium differieren oder sich je nach Kategorisierung als Behandlungsfehler oder Aufklärungsversäumnis unterscheiden. Rechtlich relevantes (Fehl-)Verhalten kann sich zudem aus verschiedensten Rechtsvorschriften ergeben (z.B. Zivil-, Wettbewerbs- oder Berufsrecht). Der Beitrag will helfen, diese Vielfalt im Sinne eines ersten Überblicks zu systematisieren.
Der Patient ist grundsätzlich insbesondere sowohl über die spezifischen behandlungstypischen Risiken (Risikoaufklärung vor der Behandlung) als auch die einzuhaltenden Verhaltensmaßregeln zur Sicherung des Behandlungsziels bzw. -erfolgs (therapeutische Aufklärung meist nach der Behandlung) aufzuklären. Die Differenzierung ist prozessual bedeutsam, da die Risikoaufklärung vom Arzt, die therapeutische Aufklärung jedoch vom Patienten zu beweisen ist. Dokumentiert werden sollten diese Maßnahmen in jedem Fall, denn nicht Dokumentiertes gilt, sofern es sich nicht um medizinisch Selbstverständliches handelt, rechtlich bis zum Beweis des Gegenteils als nicht erfolgt.
Haftungsrechtliche Aspekte
Prophylaxemotivation und -aufklärung als zahnärztlicher Behandlungsstandard
Die Rechtsprechung ordnet die dem Patienten zu erteilenden Hinweise zur richtigen Zahnpflege der therapeutischen Aufklärung zu.1 Das OLG Stuttgart hat z.B. festgestellt, dass das erhöhte Kariesrisiko bei der Behandlung mit einer festen Spange kein der Behandlung anhaftendes aufklärungspflichtiges Behandlungsrisiko darstelle, sondern die Aufklärung über die Notwendigkeit einer besonders sorgfältigen Zahnhygiene dem Bereich der therapeutischen Sicherheitsaufklärung zuzuordnen sei.2 Ebenfalls im Kontext einer kieferorthopädischen Behandlung hat das OLG Koblenz klargestellt, dass ein Zahnarzt in der Regel nicht verpflichtet sei, auf das Erfordernis regelmäßiger Mundhygiene hinzuweisen. Den insoweit in Betracht kommenden Sorgfaltspflichten sei jedenfalls durch Aushändigung entsprechender Merkblätter genügt.3 Ähnlich hat das OLG Düsseldorf für den Bereich der allgemeinzahnärztlichen Behandlung entschieden.4 Es könne „unterstellt werden, dass es im Einzelfall Aufgabe des Zahnarztes sein kann, seinen Patienten über eine geeignete Zahnpflege aufzuklären und dabei auch eine Änderung der Reinigungsgewohnheiten anzusprechen“; dabei handele es sich begrifflich um therapeutische Aufklärung. Das Gericht bezog sich im Rahmen seines klageabweisenden Urteils dabei vor allem auf die in der Dokumentation mehrfach vermerkten Hinweise auf die mangelhafte Mundhygiene. Ratschläge zur richtigen Zahnpflege sind vor allem im Zusammenhang mit prothetischen Behandlungen zu erteilen. Wird im Rahmen der Planung die Extraktion eines Zahnes erwogen, so ist zu beachten, dass eine solche nur als letzte Behandlungsmöglichkeit indiziert ist, wenn konservative Behandlungsalternativen zu keiner Besserung geführt haben5 bzw. aussichtslos erscheinen oder gescheitert sind.6 Das OLG Hamm hat explizit zur prothetischen Versorgung eines Jugendlichen entschieden, dass eine Zahnextraktion nur indiziert ist, wenn der Zahn nicht erhaltungswürdig ist. Davon sei die Erhaltungswürdigkeit eines Zahnes zu unterscheiden. Werde die Erhaltungswürdigkeit von erhaltungsfähigen Zähnen schon bei der ersten Behandlung eines 16-jährigen Patienten ausgeschlossen, so entspreche dies nicht gutem zahnärztlichen Standard. Es müsse vielmehr zuvor versucht werden, bei dem jugendlichen Patienten ein Verständnis für die Mundund Zahnhygiene zu entwickeln.7 Wegen der insoweit nicht indizierten (weil verfrühten) Extraktion von acht Zähnen hat das OLG Hamm bereits im Jahr 2001 ein Schmerzensgeld von DM 30.000,00 zugesprochen.
Dentalhygienische Behandlung und Aufklärung
Im Bereich dentalhygienischer Maßnahmen ist nach Bleaching-Behandlungen (gerade von bereits devitalen Zähnen) als Teil der therapiesichernden Aufklärung auch der Hinweis erforderlich, dass behandelte Zähne in den Tagen nach dem „Bleaching“ operationsbedingt erheblich geschwächt und damit besonders anfällig für Brüche und sonstige Verletzungen sind. Allerdings kann ein etwaiger Schadensersatzanspruch für einen aufgrund eines Belastungsbruches frakturierten Zahnes deshalb zu reduzieren sein oder sogar ganz ausscheiden – so für den Fall eines bereits nervtoten gebleachten Zahnes entschieden –, weil der Zahn ohnehin verloren gegangen wäre.8
Prophylaxe als Patientenpflicht
Schließlich wird die Zahnhygiene oftmals im prozessualen Kontext von Behandlerseite als Einrede eingesetzt. Dabei wird in der Regel gegen einen von Patientenseite erhobenen Schadens ersatzanspruch geltend gemacht, den Patienten treffe aufgrund mangelhafter Compliance, sprich unzureichender Zahnpflege, ein Mitverschulden. Dies erfolgt mit dem Ziel, einen etwaigen Anspruch des Patienten wenn schon nicht vollständig, so doch dem Umfang nach zu reduzieren. Da der Einwand des Mitverschuldens einen der Beklagtenseite vorteilhaften Umstand darstellt, sind die zugrunde liegenden Tatsachen vom Zahnarzt zu beweisen.9 Zulässige Beweismittel sind in diesem Zusammenhang vor allem der Zeugen- und der Urkundenbeweis. Praktisch bedeutet dies, dass Prophylaxe- bzw. Pflege hinweise im Rahmen von ZE-Behandlungen jedenfalls sorgfältig dokumentiert werden sollten. Darüber hinaus kann die Frage der prinzipiellen Hygienisierbarkeit auch zum Gegenstand sachverständiger Begutachtung gemacht werden. Wird diese als unzureichend beurteilt, kann sich eine Haftung unter dem Gesichtspunkt eines Planungsfehlers ergeben.
Wer darf dentalhygienische sowie Prophylaxemaßnahmen erbringen?
Dentalhygienische und Prophylaxemaßnahmen, wie z.B. PZR mittels Airflow und vor allem Bleaching, haben unstreitig auch eine kosmetische Komponente. Es kann sich dann die Frage stellen, ob es sich bei diesen Maßnahmen um eine „Ausübung der Zahnheilkunde“ nach §1 Zahnheilkundegesetz handelt – mit der Folge, dass diese nur von approbierten Zahnärzten oder unter deren Aufsicht (Delegation) vorgenommen werden dürfen. Die Frage wurde in der erstinstanzlichen Rechtsprechung zunächst verneint, sodass diese Maßnahmen auch in Kosmetikstudios angeboten werden konnten.10 Das OLG Frankfurt am Main hat im Jahr 2012 jedoch eine anderslautende erstinstanzliche Entscheidung des LG Frankfurt aufgehoben und festgestellt, dass das Einfärben von Zähnen (Zahnbleaching) sowie die Zahnreinigung mit einem Pulverasserstrahl-Gerät als Ausübung der Zahnheilkunde grundsätzlich approbierten Zahnärzten vorbehalten ist und nicht selbstständig erbracht werden darf, wenn dies ohne Zusammenwirken mit einem Zahnarzt geschieht, der vor der Behandlung deren Risiken bei dem Patienten beurteilt hat.11 Damit ist es jedoch, worauf das OLG Frankfurt hinweist, nicht ausgeschlossen, dass z. B. ein Patient zeitnah vor der Behandlung in einem Zahnkosmetikstudio eine zahnärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung einholt und die Behandlung sodann dort durchgeführt wird. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang jedoch auf eine strafrechtliche Entscheidung des AG Nürtingen aus dem Jahr 2011, wonach eine gelernte zahnmedizinische Fachassistentin mit zehnjähriger Berufserfahrung, die neben ihrer Teilzeitbeschäftigung in einer Zahnarztpraxis im Umfang von 2,5 Wochentagen in einem von ihr betriebenen Zahnkosmetikstudio PZR im Airflow-Verfahren durchführte, wegen unerlaubter Ausübung der Zahnheilkunde zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.12 Insofern bleibt die Frage, ob die Strafbarkeit entfällt, wenn die Behandlungen unter Einbindung eines Zahnarztes vorgenommen werden. Nur am Rande sei schließlich erwähnt, dass es sich bei Faltenunterspritzungen mit Hyaluronsäure und/oder Botulinumtoxin („Botox“) um eine Ausübung der Heilkunde und nicht der Zahnheilkunde handelt13, mit der Folge, dass diese Maßnahmen weder von Zahnärzten noch von Kosmetikerinnen erbracht werden dürfen.
Wettbewerbsrechtliche Aspekte
Im Zuge zunehmenden Wettbewerbsdruckes sind gerade PZR und Bleaching-Behandlungen in der Vergangenheit verstärkt im Praxismarketing eingesetzt worden. Zwar ist das ärztliche Werberecht durch zunehmende Liberalisierungstendenzen gekennzeichnet.14 Ins besondere, wenn mit Werbemaßnahmen Zahlungsflüsse an Dritte verbunden sind, ist wegen des Zuweisungsverbotes jedoch Vorsicht geboten. Verstöße können nicht nur berufsrechtlich geahndet werden, sondern begründen zudem auch wettbewerbsrechtliche Unterlassungsund ggf. Schadensersatzansprüche. Rechtlich höchst bedenklich sind darüber hinaus mit der Ankündigung von Preisnachlässen einhergehende Werbemaßnahmen.
Sachlichkeitsgebot
Ein gänzliches Werbeverbot, wie es früher einmal bestand, ist verfassungswidrig.15 Ärzte dürfen ihre Leistungen bewerben, sind dabei aber zur sach lichen Darstellung verpflichtet. Das schließt emotional gefärbte Sympathiewerbung nicht aus; es besteht keine Beschränkung auf nüchterne Faktenwiedergabe. Eine konkrete gesetzliche Vorgabe, die das Kriterium der Sachlichkeit definiert, besteht jedoch nicht. Umfangreiche Einzelfallrechtsprechung ist die Folge. Berufswidrig weil unsachlich ist insbesondere anpreisende, irreführende, herabsetzende oder vergleichende Werbung. Als berufswidrig eingestuft worden sind z.B. Aussagen wie „Strahlend weiße Zähne – Bleachen! Hässliche Zähne? – Veneers! Schiefe Zähne? – Unsichtbare Klammer!“.16 Auch die Bewerbung als zeitlich beschränktes Angebot ist mit der beruflichen Integrität von Zahnärzten nicht vereinbar („Wir bieten deshalb in einer Sommeraktion bis Ende September kostenfreien bzw. preiswerten Zahnersatz an.“).17
Werbung und Patientenzuweisung
Jüngere prominente Entscheidungen betrafen vor allem die Bewerbung bzw. Versteigerung von Zahnreinigungen und Bleaching-Leistungen auf entsprechenden Internetplattformen. Dem liegt u.a. ein Geschäftskonzept zugrunde, wonach der Zahnarzt einen großen Teil seiner Vergütung an den Portalbetreiber ab zuführen hat. Dies verstößt nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung jedoch gegen das berufsrechtliche Verbot, für die Zuweisung und Vermittlung von Patienten ein Entgelt zu fordern oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.18 Die betreffenden Abreden sind daher nichtig. Anbieter sind wettbewerbsrechtlich zur Unterlassung verpflichtet. Gegen teilnehmende Ärzte wurden darüber hinaus auch berufsrechtliche Verfahren von den Zahnärztekammern eingeleitet.
Werbung und Preisgestaltung
Die Vergütung zahnärztlicher Leistungen ist für den Bereich privater Behandlungen abschließend in der GOZ (bzw. soweit anwendbar der GOÄ) geregelt. Vermeintlich werbewirksame Rabattierungen begründen daher analog den vorstehenden Ausführungen in aller Regel sowohl wettbewerbs- als auch berufsrechtlich relevante Rechtsverstöße. Die GOZ enthält zwingende Vorgaben für die Honorarermittlung. Pauschalhonorare, u.a. für Zahnreinigungen19, sind unzulässig und können gleichzeitig auch eine unsachliche Werbung darstellen.20 Gleiches gilt für auf den Eigenanteil erteilte Gutscheine21 und über Treuekarten gewährte Preisnachlässe.22 Grundsätzlich unzulässig ist zudem die kostenlose oder nahezu kostenlose Leistungserbringung (z.B. komplette PZR für EUR 0,99).23 Anderes kann gelten, wenn Preisnachlässe in öffentlichrechtlichem Kontext erfolgen. So hat das Kammergericht eine Ausnahme für das Angebot einer kostenlosen Fissurenversiegelung für Kinder im Zusammenhang mit einer von einer Krankenkasse getragenen und auf vier Monate befristeten Aktion („Monate der Zahngesundheit“) zugelassen.24
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