Branchenmeldungen 08.12.2011

Möglichkeiten und Grenzen minimalinvasiver Zahnmedizin



Möglichkeiten und Grenzen minimalinvasiver Zahnmedizin

Foto: © med. dent. Roman Wieland

Mit über 300 Anmeldungen war die Fortbildung Rosenberg in Zürich ein voller Erfolg. Der möglichst gewebeschonende Umgang mit den Hart-und Weichgeweben wurde aus allen Bereichen der Zahnmedizin betrachtet. Med.dent. Roman Wieland berichtet.

Nicht nur aus medizinischer Sicht, sondern auch unter ethisch-moralischen Ansprüchen ist die minimalinvasive Vorgehensweise selbstverständlich.Verschiedene Faktoren wie die eigenen Fähigkeiten, neue Therapiearten, der Kostendruck oder auch die Wünsche des Patienten spielen dabei eine Rolle. Prof.Thomas Attin, ZZM Zürich, gelang es, hochkarätige Referenten aus dem In- und Ausland zu gewinnen und praxisorientiert für alle Fachgebiete die neuesten Erkenntnisse zu vermitteln.

 

Warten oder Füllung?

Das Dilemma, ob bereits eine Füllung nötig ist oder nicht, präsentierte Prof. Thomas Imfeld, ZZM Zürich, aus Sicht der Prävention. Um eine korrekte Entscheidung treffen zu können, ist der Verlauf, also eventuelle Veränderungen der initialen Läsionen, besonders wichtig. Mit Hilfe der auf der PPK-Homepage http://www.zzm.uzh.ch/ppk/patienten/leistung/praeventivzahnmedizin.html erhältlichen Kariesrisiko-Merkblättern lässt sich das Risiko abschätzen und eine individuelle Therapieform erstellen. Jede Füllung hat eine endliche Lebensdauer und muss früher oder später ersetzt werden, diese "Todesspirale" soll möglichst spät begonnen werden. Prof. Imfeld präsentierte verschiedene Studien zum Verhalten initialer Läsionen. Eine tiefe Schmelzkaries (D2)entwickelt sich in 15 Jahren in nur ca. 5% zu einer tiefen Dentinkaries (D4).Die Devise lautet: abwarten, aber nicht untätig sondern mit hochkonzentrierten Produktenfluoridieren. Studien belegen eindeutig, dass durch zweimal jährliche Fluoridierung sehr viel Karies verhindert werden kann.

Was bringen FOTI,Fluoreszenz und Co. in der Kariesdiagnostik?

Prof. Svante Twetman, Kopenhagen, verglich alle Methoden der Kariesdiagnostik miteinander, die momentan und in naher Zukunft erhältlich sind.Trotz neuester Techniken bleibt die Untersuchung mit Spiegel, Luft und Sondedie Methode der Wahl zur Erkennung von Schmelzkaries. Das Röntgenbild ist der Goldstandard zur Erkennung von Dentinkaries. Trotzdem wird in ca. 30% der Fälle eine Karies im Dentin übersehen. Prof. Twetman empfiehlt deshalb, das 90 Minuten dauernde Trainingsprogramm des International Caries Assessment and Detection System (ICDAS) unter www.icdas.org zu absolvieren.Kariesdetektor-Flüssigkeiten sind für Prof. Twetman keine Alternative, weildamit zu viel gesunde Zahnhartsubstanz markiert wird. Fiber Optic Transillumination (FOTI) eignet sich aufgrund der Strahlenfreiheit gut für Studien, weist aber bis jetzt noch wenig Evidenz auf. Die Laser Fluoreszenz-Methode(z.B. Diagnodent) hat eine relativ gute Evidenz, erkennt zuverlässig kariöse Stellen,zeige aber oft falsche positive Werte. An der Universität Kopenhagen wird die Methode der lichtinduzierten Fluoreszenz benutzt, um oberflächliche initiale Läsionen und deren Mineralisationsvorgänge zu verfolgen.

Zu reinigende Stellenbedürfen keiner Füllung

PD Dr. Wolfgang Buchalla, ZZM Zürich, begann seinen Vortrag mit verschiedensten Studien, um die gute und nachgewiesene prophylaktische Wirkungvon Fluorid zu unterstreichen. Obwohl die ICON-Infiltrationstechnik oder eine einfache Versiegelung gut wirkt und deutlich bessere Ergebnisse als die alleinige Anwendung von Zahnseide aufweist, sind diese Techniken nicht signifikant besser als der sehr potente Fluoridlack. Definitiv nachgewiesen und bewährt ist die Technik der zweizeitigen Kariesexkavation. Hier sorgen erst eine alkalische Überkappung und eine provisorische Füllung für Tertiärdentinbildung bei sehr tiefer Karies. Die ultrakonservierende Methode, bei der nur sichergestellt wird, dass der Füllungsrand kariesfrei ist und im Zentrum noch Karies belassen wird, kann inbestimmten Fällen erfolgreich sein, ist aber durch Studien noch zu wenig gesichert. PD Buchalla gab folgende Empfehlungen:

• pulpaferne Karies:Vollständige Exkavation

• pulpanahe Karies:Exkavation des stark erweichten Gewebes, Randbereich muss vollständigkariesfrei sein, bei Gefahr der Pulpaeröffnung kann kariöses Gewebe belassen werden (einzeitiges Vorgehen ohne indirekte Überkappung bei geringer Menge an Residualkaries möglich)

Lässt sich eine Kavität problemlos durch den Patienten reinigen,beispielsweise ein Einbruch durch eine Zahnhalskaries, so reicht eine Konturierung und Politur sowie regelmässige Fluoridierung.

Ist eine Reparatur Pfusch?

Für Prof. Dr. Roland Frankenberger, Marburg, stellt CoJet ein bewährtes Verfahren dar, um auf Metall zu arbeiten. Die Reparatur einer Kompositfüllung ist sinnvoll, ansonsten wird zu viel gesunde Zahnhartsubstanz geopfert. Besonders wenn der Patient den Zahnarzt oft wechselt, werden aufgrund der kritischen Einschätzung des Vorgängers viel zu oft Füllungen unnötig ersetzt. Als optimale Oberflächenbehandlung des zu reparierenden Komposits sei das Sandstrahlen mit 27 oder 50 Mikrometer grossem Korundpulver (= Aluminiumoxid),appliziert mit einem richtigen Sandstrahlgerät. Airflow-Pulver funktioniert dabei nicht. Studien zeigen, dass Reparaturen mit einer jährlichen Verlustrate von ca. 3 bis 4% sehr lange halten. Um dem Patienten diese Art der Behandlung schmackhafter zu machen, wird anstelle von einer "Reparatur" besser von einer "Korrektur" gesprochen. Prof. Frankenberger rät von der Anwendung der hochgiftigen Flusssäure im Patientenmund ab. Ebenfalls ist von den vielerorts erhältlichen Reparatur-Sets mit verschiedenen Flüssigkeiten abzuraten. Keramikrestaurationen sollen nach einigen Jahren, wenn durch die Okklusion kleine Stufen entstanden sind, wieder neu eingeschliffen werden, um möglichen Frakturen vorzubeugen.

Minimalinvasive Wurzelkanalbehandlung?

Bei einer Wurzelkanalbehandlung sind die vollständige Aufbereitung bis 1mm vor den Apex und ein dichter koronaler Verschluss als wichtigste Faktoren zunennen. Verschiedene Umstände beeinflussen den Ausgang einer solchen Behandlung. Prof. Roland Weiger, UZM Basel, zeigte, dass die Minimalinvasivität im Gegensatz zur optimalen Wurzelkanalaufbereitung steht. Eine grosszügige, denanatomischen Gegebenheiten folgende, Eröffnung des Wurzelkanalsystems lässt ein Auffinden aller Kanäle und der genügen den Spülung zu. Ernüchternderweise zeigen Studien, dass sich die Erfolgsraten von Wurzelkanalbehandlungen in den letztenJahrzehnten trotz NiTi-Instrumenten und Mikroskop nicht verbessert haben. Für die allerneuesten Ein-Feilen-Systeme fehlen noch Daten, da sie erst seit etwa einem Jahr erhältlich sind. Genügend lange Spülzeiten, wenn möglich nochaktiviert durch Schall, sind unbedingt zu empfehlen. Ob eine vertikale oderlaterale Kondensationstechnik angewendet wird, spielt keine Rolle.

Was ist für den Patienten besser?

Ob eine Wurzelkanalrevision oder eine Wurzelspitzenresektion insgesamt besser ist, ist nicht allein vom Vorhandensein einer erneuten Entzündungabhängig. Die Sicht des Patienten und die ihm zugeführten Behandlungen sind auch zu betrachten. PD Dr. MatthiasZehnder, ZZM Zürich, stellte eine Studie vor, die zeigte, dass sechs Jahre nacheiner apikalen Aufhellung an einem wurzelkanalbehandelten Zahn, dieseAufhellung in einem Drittel der Fälle verschwand. Bevor also irgendeine Behandlung begonnen wird, muss zuerst der Verlauf mittelsälterer Röntgenbilder überprüft werden. Ist eine neue koronale Versorgungindiziert, so ist eine erneute Wurzelkanalbehandlung vonnöten, auch wenn keineapikalen Entzündungszeichen vorhanden waren. Eine Wurzelspitzenresektion zeigt anfangs bessere Ergebnisse, nach vier Monaten zeigen aber beide Therapien gleich gute Ergebnisse. Werden aber auch andere Faktoren wie Schmerz,Schwellung und benötigte Arbeitszeit verglichen, schneidet die Resektionschlechter ab. Für PD Zehnder sind die Aussagen, dass Zysten nach orthograderWurzelkanalrevision nicht heilen und dass Zysten auf dem Röntgenbild erkannt werden können, nicht korrekt. Echte Zysten ohne Zugang zum Wurzelkanalsystemheilen eventuell nicht gleich gut. Dies sei aber nicht ganz eindeutig nachgewiesen. Eine Wurzelspitzenresektion ist dann indiziert, wenn der Zahn z.B.durch einen Stift bereits stark geschwächt ist. Neuerdings wird unterschieden zwischen Wurzelfrakturen und Cracks: Bei einem Crack wird der Zahn als Therapiemassnahme höckerüberkuppelnd versorgt, ist eine Wurzelfraktur vorhanden,gilt der Zahn als verloren.

Ganz ohne Skalpell?

Die korrektive Phase bei einer Parodontaltherapie beschreibtgut, wie chirurgisch vorzugehen ist. Für diekonventionelle Therapie präsentierte Dr. Philipp Sahrmann, ZZM Zürich, neueste Studien, die zeigen, wie möglichst viel Hart- und Weichgewebe erhalten werden kann, ohne dass Narben entstehen. Die gesamte Wundfläche einer parodontal angeschlagenen Mundhöhle ist gemäss neuesten Erkenntnissen so gross wie eine Zehnernote, also grösser als die bis anhin oft erwähnte Handfläche. Dr. Sahrmann präsentierte viele Studien, welche zeigen, dass PVP-Jod mehr Heilung bringt als Chlorhexidin. Der Patient kann selbstständig mit PVP-Jod-Gelbeschickten Interdentalbürstchen dazu beitragen, dass neben einer optimalen Motivation und Rauchstopp gute Ergebnisse erreicht werden können. Für die Periimplantitis sieht Dr. Sahrmann momentan noch keine Möglichkeit, ganz ohne Chirurgie auszukommen.

Wieviel Attachment braucht der Mensch?

Anstelle von drei Monaten, wird nach einer Parodontaltherapie neuerdings sechs Monate bis zur Reevaluation gewartet. Dr. Clemens Walter, UZM Basel,präsentierte verschiedene Patientenfälle und zeigte anhand der einzelnen Defekte, wie sich die Parodontaltherapie mit ihren Materialien in den letzten Jahren entwickelt hat. Um die biologische Antwort abzuwarten, geht man zunächst immer konservativ vor, erst danach werden regenerative Methoden angewendet. Die Elimination der Infektion ist wichtiger als der Anteil des Restattachments.

Minimalinvasive Lückenversorgung

Um eine Lücke möglichst minimalinvasiv zu versorgen, geht man am besten mittels Kieferorthopädie, Teil-Veneers oder Veneers vor. Prof. Mutlu Özcan, ZZM Zürich, präsentierte zahlreiche Studien zu den Überlebensraten von Veneers. Zwischen 50 und 95% waren über einen Zeitraum von zehn Jahren gestreut zu beobachten – leider sind sie somit nicht wirklich vergleichbar.

Verglichen in einem Split-Mouth-Design kann noch nicht abschliessend gesagt werden, ob Komposit oder Keramik besser abschneidet. Die Studie dauert noch an,Keramik scheint jedoch besser vorn zu liegen. VMK's weisen mit 81 bis 100% Überlebensratenüber einen Zeitraum von zehn Jahren sehr gute Ergebnisse auf. Implantate haben eine Überlebensrate von 81 bis 93%. Zählt man aber alle assoziierten Komplikationen dazu, liegt man gemäss Prof. Özcan noch bei etwa 60%. Minimalinvasiv bedeutet, bei der Auswahl der Restauration den gesunden Menschenverstand zu benutzen, denn keine Restauration hält 100%.

Lohnt sich minimalinvasives Vorgehen finanziell?

Damit eine Behandlung auch ökonomisch sinnvoll ist, müssen sich Grenznutzen und Grenzkosten im Gleichgewicht befinden. Prof. Dr. Urs Brägger, ZMK Bern,präsentierte anhand verschiedener Studien, was sich überhaupt lohnt. Oftmals ist die Verwendung eines normalen Implantates mit Augmentation sinnvoller, als eine minimalinvasiv gesetztes durchmesserreduziertes Implantat, welches dann bricht.Prof. Brägger zeigte vielespannende Studien, wo auch die "quality of life" berücksichtigt wird, und es nicht nur um das rein klinische Ergebnis geht.

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