Implantologie 09.04.2015
All-on-4® bei reduziertem Knochenangebot im Oberkiefer
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Die Umsetzung des All-on-4-Konzepts im Oberkiefer nach dem Standardprotokoll stellt Mindestanforderungen in Hinblick auf Knochenquantität und -qualität im Front- und Prämolarengebiet. Dieser Artikel zeigt, dass durch genaue Diagnostik und Planung sowie durch die Anwendung modifizierter Vorgehensweisen auch bei reduziertem Knochenangebot eine Implantation und festsitzende Sofortversorgung mit dem All-on-4-Konzept nach dem MALO CLINIC Protokoll möglich ist.
Die zur Verfügung stehenden, retrospektiven Studien über fünf und mehr Jahre1–4 sowie das Literatur-Review5 zum Konzept zeigen eine langfristige Haltbarkeit der inserierten Implantate, die mit der bei einer herkömmlichen Vorgehensweise vergleichbar ist. Aufgrund seiner Vorteile in Hinblick auf Behandlungsdauer und der Vermeidung von Knochenaufbaumaßnahmen wird es von Patienten inzwischen zunehmend nachgefragt. Im Oberkiefer wird das Knochenangebot jedoch teilweise durch eine stark nach mesial ausgedehnte Kieferhöhle eingeschränkt, die Verankerung der distalen Implantate und somit die Anwendung des All-on-4-Konzeptes scheint dann nicht mehr möglich zu sein. Die zur Verfügung stehende Alternative besteht in der herkömmlichen Vorgehensweise mit Sinusbodenelevation, zweizeitiger Implantation und einem Versorgungszeitraum bis zu einem Jahr. Dies stellt allerdings sowohl einen zeitlichen als auch operativen und finanziellen Mehraufwand für den Patienten dar. In diesem Artikel wird ein diesbezüglicher Patientenfall beschrieben, bei dem durch eine genaue Diagnostik eine Vorgehensweise gemäß dem Standardprotokoll geplant werden konnte. Im Folgenden werden Modifikationen aufgezeigt, die durch Verwendung von Transsinus- sowie Zygoma-Implantaten bei minimalem Restknochen eine Sofortversorgung ermöglichen.
Standardprotokoll bei reduziertem Knochenangebot
Der Patient stellte sich mit dem Wunsch nach einer festsitzenden, implantatgetragenen Versorgung im Oberkiefer vor. Die Restbezahnung im Oberkiefer war nicht erhaltungswürdig. Eine mehrzeitige und langwierige Behandlung mit beidseitigem Sinuslift und Implantationen zu einem späteren Zeitpunkt, die ihm alio loco vorgeschlagen wurde, wollte er aus beruflichen Gründen vermeiden. Die Auswertung des OPT zeigte auf dem ersten Blick eine auf der rechten Seite sehr ausgeprägte Kieferhöhle, die sich mesial bis in den Bereich der Wurzelspitze des Zahnes 13 ausdehnte (Abb. 1). Berücksichtigt man das angegebene Mindestknochenvolumen (10 mm Knochenhöhe bei einer Mindestbreite von 5 mm in Regio 13–23, All-on-4-Dreieck) für die standardmäßige Vorgehensweise im Oberkiefer, so scheint eine Vorgehensweise nach dem All-on-4-Protokoll mit Platzierung eines angulierten Implantates im rechten Oberkiefer kaum möglich zu sein.
3-D-Diagnostik
Die Auswertung der DVT-Aufnahme (Abb. 2) zeigt jedoch eine ausreichende Knochenmenge distal an Zahn 13, sodass die Voraussetzung für eine Implantation mit ausreichender primärer Stabilität gegeben ist. Es ist zu erkennen, dass palatinal der Kieferhöhle in diesen Bereich eine ausreichende Knochenmenge vorliegt, und die Insertion eines nach mesial in Richtung der Eckzahnspitze geneigten Implantates möglich ist.
Intraoperatives Vorgehen
Nach Entfernung der Restbezahnung und Darstellung der knöchernen Situation sind bei geringem Restknochen weitere Maßnahmen zur Erreichung einer primären Stabilität und somit als Voraussetzung zur Sofortversorgung zu beachten (Abb. 3). Die Insertion der distalen Implantate sollte möglichst weit palatinal erfolgen. Dies ist zum einen wichtig, um bukkal vom Implantat eine möglichst dicke Knochenlamelle zu erhalten und eine Rezession zu vermeiden. Zum anderen breitet sich die Kieferhöhle meist im bukkalen Bereich weiter nach mesial aus als im palatinalen Bereich, sodass palatinal noch Knochen zur Verankerung gefunden werden kann, auch wenn auf dem OPT scheinbar – wie in diesem Fall – die Kieferhöhle bis unmittelbar an den Eckzahn reicht. Das All-on-4-Konzept beinhaltet die Entfernung der nicht erhaltungswürdigen Zähne und Implantation in einer Sitzung. Das bedeutet, dass die hinteren Implantate die ggf. vorhandenen Extraktionsalveolen kreuzen müssen. Wenn dies notwendig ist, sollte die Alveole im palatinalen Bereich gekreuzt werden, um die primäre Stabilität nicht zu gefährden. Dies wäre bei einer Fraktur der bukkalen Alveolenanteile möglich. Auf Abbildung 3 erkennt man den Verlauf des Implantates in Regio 13 durch die palatinale Wand der Alveole. Im Frontbereich kommt eine klare Kunststoffschablone als Hilfe zur Auswahl und eine Ausrichtung der Multi-Units zum Einsatz (Abb. 4). Diese Schablone wird – je nach Ausgangssituation – nach einem Situationsmodell, einer Zahnaufstellung oder als Duplikatprothese hergestellt. Ist es geplant, die Schneidekantenposition im Zuge der Versorgung aus ästhetischen Gründen zu verändern, sollte diese Schablone nach einer im Munde des Patienten kontrollierten Zahnaufstellung hergestellt werden. Es wird mithilfe dieser Schablone kontrolliert, ob sich die verlängerte Implantatachse der Implantate 12 und 22 palatinal von der Schneidekante der Frontzähne befindet. Ist dies nicht der Fall, werden – wie in diesem Fall – 17 Grad nach palatinal gewinkelte Multi-Unit Abutments aufgesetzt. Abbilldung 5 zeigt die postoperative Kontrollaufnahme, Abbildung 6 die eingesetzte Sofortversorgung. Die Implantate wurden so positioniert, dass sich eine gute Abstützungssituation ergab und darüber hinaus Freienden bei der Sofortversorgung vermieden wurden.
Transsinus-Implantate („High Skill“)
Bei weiter reduziertem Knochenangebot im Eckzahnbereich besteht die Möglichkeit einer Implantation durch den Sinus hindurch und Verankerung in der mesialen Nasenwand. Durch die Verankerung sowohl in der Kortikalis des Alveolarkammes als auch der Kortikalis der lateralen Nasenwand wird eine hohe primäre Stabilität erreicht, die eine festsitzende Sofortversorgung erlaubt. Wir setzen diese Vorgehensweise ein, um eine Zygoma-Implantation zu vermeiden. Die publizierten Ergebnisse6 zeigen hohe Erfolgsraten bei dieser Vorgehensweise. Als Voraussetzung sehen wir eine minimale Knochenhöhe im Durchtrittsbereich des Implantates zur Kieferhöhle von 3 mm als Voraussetzung an. Abbildungen 7 und 8 zeigen ein prä- und postoperatives Röntgenbild einer solchen Vorgehensweise. Abbildung 9 zeigt eine solche Vorgehensweise schematisch. Die technische Umsetzung dieser Methode ist jedoch schwierig und setzt einen erfahrenen Operateur voraus. Das Problem liegt insbesondere darin, dass nach der Präparation des Implantatlagers auf dem Kieferkamm und im Bereich der mesialen Nasenwand mit dem Implantat die Bohrung in der mesialen Wand der Kieferhöhle ohne Sicht „erfühlt“ werden muss.
Zygoma-Implantate
Falls auch diese Vorgehensweise nicht möglich ist, kann auf Zygoma-Implantate zurückgegriffen werden. Als Technik der Zygoma-Implantation kommt im Rahmen einer All-on-4-Versorgung nicht mehr die klassische Vorgehensweise nach Brånemark in Betracht, da hierbei der Austrittspunkt des Implantates weit palatinal zu liegen kommt und diese Positionierung für einen festsitzenden Zahnersatz aus hygienischen Gründen problematisch wäre. Bei der Technik nach Stella verläuft das Implantat teilweise außerhalb der Kieferhöhle, bei der von uns angewendeten Technik befindet sich nur die Spitze mit ca. ein Drittel der Implantatlänge vollständig im Knochen. Der restliche Bereich der von uns eigens für die Zygoma-Implantation entwickelten Prototypen befindet sich außerhalb des Knochens direkt unter der Schleimhaut und besitzt keine Gewindegänge. Diese Implantate erlauben auch eine weiter bukkal gelegene Verbindung zur Prothetik und somit bessere Voraussetzungen für festsitzenden Zahnersatz. Durch diese Implantate kann auch bei atrophiertem Oberkiefer eine hohe primäre Stabilität und somit eine Sofortversorgung erzielt werden. Die Zuverlässigkeit der Zygoma-Implantate ist durch verschiedene Studien untersucht worden. Wenn man als Alternative ein mehrzeitiges Vorgehen mit Sinuslift, Implantation und festsitzender Versorgung nach etwa einem Jahr betrachtet, so stellt die Sofortversorgung auf Zygoma-Implantaten eine Möglichkeit dar, die aus unserer Sicht im Zuge der Gesamtplanung als Alternative berücksichtigt werden sollte, da die zur Verfügung stehenden Studien hohe Implantatüberlebensraten dieser Implantate zeigen.7–17 Abbildung 10 zeigt eine Kontrollaufnahme einer festsitzenden Versorgung, die auf vier Zygoma-Implantaten verankert ist.
Implantatauswahl
Das NobelSpeedy-Implantat (Nobel-Speedy Groovy, Nobel Biocare, Schweiz) wurde für die Sofortversorgung nach dem MALO CLINIC Protokoll entwickelt. Das Prinzip dieses Implantates bei einer Implantation im Oberkiefer besteht darin, mit der Spitze des Implantates durch Perforation des Nasenbodens und Verankerung in der Kortikalis des Nasenbodens eine hohe primäre Stabilität zu erreichen, die eine Sofortversorgung mit festsitzendem Zahnersatz erlaubt (Abb. 9). Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass die Auswahl der Implantatlänge in der Operation erfolgen muss. Je nach den knöchernen Gegebenheiten können hierbei Implantatlängen von über 18 mm erforderlich werden. In einer von unseren Publikationen18 wird die Verwendung von Implantaten mit einer Länge von 20 bis 25 mm bei Patienten mit ungünstiger Knochenqualität beschrieben. Wie Patzelt5 in einem systematischen Review (4.804 Implantate und 1.201 Sofortversorgungen) der vorhandenen Literatur zeigen konnte, ist das Nobel-Speedy-Implantat der zurzeit im Rahmen der All-on-4-Versorgung am häufigsten untersuchte Implantattyp, gefolgt vom NobelActive- sowie dem MK-VI- und MK-III-Implantat. Das NobelSpeedy-Implantat zeigt somit in Zusammenhang mit dem All-on-4-Konzept die höchste Evidenz (Abb. 11). Das Nobel Active-Implantat zeigt ein vom NobelSpeedy-Implantat abweichendes, schneidendes Design. Dieses Design erreicht im Oberkiefer eine hohe primäre Stabilität auch ohne eine Verankerung in der nasalen Kortikalis. Bei den anderen untersuchten Implantattypen liegt eine vergleichsweise geringe Datenbasis vor. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten darüber hinaus keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Implantatüberlebensraten bei gerade und anguliert inserierten Implantaten.
Fazit
Das All-on-4-Konzept nach dem MALO CLINIC Protokoll besteht aus der Insertion von zumeist vier Implantaten und Sofortversorgung mit einer festsitzenden Brücke ohne augmentative Maßnahmen. Hierbei wird durch Modifikation der Vorgehensweise auf unterschiedliche Voraussetzungen in Hinblick auf Knochenqualität und -quantität reagiert. In der Hand eines erfahrenen Behandlers kann mit der Transsinus- und Zygoma-Technik das Konzept im Oberkiefer universell eingesetzt werden. Somit ist die Entscheidung zur Anwendung dieses Konzeptes weniger von der Knochensituation, als vielmehr von der Erfahrung des Behandlers und der Entscheidung des Patienten zur Herstellung einer festsitzenden Sofortversorgung abhängig.