Implantologie 05.01.2017
Einteilige Implantatversorgung eines einseitigen Freiendfalls im Unterkiefer
Die Versorgung eines unilateralen Freiendfalls im Praxisalltag ist eine besondere Herausforderung für den Zahnarzt. In den unversorgten Bereichen kommt es längerfristig zu einer Knochendehiszenz, die Zähne des Gegenkiefers können elongieren, wodurch die weitere prothetische Versorgung wesentlich aufwendiger und schwieriger wird. Die verschiedenen herkömmlichen prothetischen und dabei ausnahmslos herausnehmbaren Versorgungen weisen jeweils Vor- wie Nachteile auf, wie z.B. mangelhafte Ästhetik oder nicht zufriedenstellende Funktion von einfachen Modellgüssen. Hier bietet sich die implantologische Versorgung mit einteiligen Implantaten (nature Implants) besonders auch für Einsteiger der Implantologie hervorragend an, da auch bei einer geringen vertikalen und horizontalen Dimension Implantationen leicht möglich sind und in der Regel auf Knochenaufbaumaßnahmen verzichtet werden kann. Das vorliegende Fallbeispiel soll dies anschaulich verdeutlichen.
Dem 54-jährigen Patienten (männlich, Nichtraucher) wurden die Zähne 36 und 37 in Lokalanästhesie extrahiert, da sie paradontal nicht mehr ausreichend stabil waren und der Patient über zunehmende Beschwerden in diesem Bereich geklagt hatte (Abb. 1). Die Wundversorgung erfolgte mit Gelastypt® (Sanofi-Aventis), um eine ordentliche Stabilisierung der Extraktionsalveole zu gewährleisten und damit die knöcherne Defektheilung zu minimieren. Wie bei den meisten Implantatsystemen sollte auch bei dem hier verwendeten ein halbes Jahr nach der Extraktion vergehen, damit der Knochen eine ausreichende Stabilität für das weitere Prozedere aufweist. Nach dem Beratungsgespräch, in dem auf der Grundlage eines OPGs das Implantatkonzept sowie die Behandlungsalternativen und Kosten besprochen wurden, entschied sich der Patient für die Versorgung mit Implantaten, da für ihn eine herausnehmbare Versorgung keine Alternative darstellte.
Präoperative Schritte
Mithilfe einer, auf einem Gipsmodell hergestellten Tiefziehfolie, wird eine Kugelmessaufnahme mit dem OPG durchgeführt, um die geeignete Implantatlänge zu bestimmen (Abb. 2). Die Tiefziehfolie kann intraoperativ auch als einfache Bohrschablone verwendet werden und gibt dem implantologischen Neuling eine gewisse Sicherheit. Für den erfahreneren Operateur dient sie in schwierigeren Fällen oft als Orientierungshilfe.
Nach der Festlegung der grundsätzlichen OP-Parameter erfolgt das Aufklärungsgespräch. Hierbei wird der Patient nochmals über die Vorgehensweise und vor allem über die Risiken aufgeklärt. Das Aufklärungsgespräch muss schriftlich dokumentiert sein und vom Patienten mit 24-stündiger Bedenkzeit unterschrieben werden.Die Prämedikation besteht aus der Verabreichung von 50 mg Prednisolon am Abend vor der OP und am Morgen der OP zur Schwellungsreduzierung, Antibiose zur Infektionsprophylaxe beginnend am Tag vor dem operativen Eingriff für drei Tage, der Gabe von Vitamin D3, um die Knochenregeneration zu unterstützen. Hinzu kommt noch die Verordnung von Chlorhexidin enthaltenden Spüllösungen für mindestens eine Woche, um die Keimbesiedelung in der Mundhöhle zu reduzieren. Ibuproprofen wird als Schmerzmittel rezeptiert, um eventuelle postoperative Beschwerden zu reduzieren.
Operation
Die Lokalanästhesie wird mit einer lingualen und bukkalen Injektion mit UDS 1:200.000 eingeleitet. Vor OP-Beginn darf der Patient mit einer Chlorhexidin-Mundspülung ausspülen. Ein Vorteil bei der Verwendung der einteiligen Implantate ist die im Allgemeinen als flapless bezeichnete Vorgehensweise: Es kann sofort ohne Freilegung der knöchernen Anteile im Operationsgebiet begonnen werden. Dies gewährleistet einmal die Reduzierung von Wundheilungsstörungen durch die ansonsten vorhandenen Nähte, er spart dem Patienten die oft als unangenehm empfundene Nahtentfernung und schafft für den Operateur ein übersichtliches, da blutarmes OP- Gebiet.
Die Pilotbohrung erfolgt mit dem gelben Dreikantbohrer, wobei die aufgebrachten Markierungen das Feststellen der erforderlichen Länge sehr erleichtert (Abb. 3). Durch die extreme Schärfe gelingt die Durchdringung der Kompakta in der Regel sehr leicht, sollte der Knochen eine hohe Festigkeit aufweisen, kann auch der beiliegende Spiralbohrer zur Anwendung kommen, um die Kompakta zu durchdringen. Auch ein spitzer Kieferkamm kann mit dem Spiralbohrer oder einem Rosenbohrer angekörnt werden. Die Bohrung wird mit 180 bis 200 Umdrehungen vorgenommen und kann aufgrund der niedrigen Drehzahl ohne Flüssigkeitskühlung erfolgen, eine Gefahr der Überhitzung der Knochenkavität und somit einer Knochennekrose besteht aufgrund der niedrigen Drehzahl nicht.
Aufgrund des optimierten Oberflächendesigns des Dreikantbohrers ist es nahezu unmöglich die Kompakta lingual oder bukkal zu durchstoßen, eine bidigitale Palpation während des Vorantreibens des Bohrstollens sollte auf keinen Fall unterlassen werden.Mittels der Sonde wird nach jedem Bohrschritt die Knochenkavität auf eventuelle Perforationen kontrolliert (Abb. 4). Nachfolgend wurde mithilfe des Knochenvorformers ein Bone Splittung sowie Bone Condensing vorgenommen, um die Struktur des Knochens an das Gewindedesign des Implantates anzupassen (Abb. 5). Das Eindrehen des Knochenvorformers geschieht mit dem Drehmomentschlüssel. Die Gewindeanteile sollten von der Schleimhaut abgedeckt sein, um eine optimale Bohrtiefe zu erreichen. Anschließend erfolgte erneut eine Sondenkontrolle.
Das einteilige Implantat wurde zunächst per Hand eingedreht. Nach Erreichen einer gewissen Stabilität kann die Einbringhilfe abgezogen werden. Das weitere Einbringen bis zum Erreichen der Primärstabilität bei mindestens 35 Ncm wurde mit dem Drehmomentschlüssel durchgeführt (Abb. 6). Es sollte darauf geachtet werden, dass die Gewindegänge möglichst subkrestal zum Liegen kommen. Das andere Implantat Regio 37 wurde nach gleicher Vorgehensweise inseriert (Abb. 7).
Nachfolgend wurde eine Röntgenkontrolle mittels OPG durchgeführt. Dabei lag der Fokus vor allem auf der Lage der Implantate zum Nervus mandibularis sowie Foramen mentalis. Auch die Implantattiefe im Knochen wurde dokumentiert (Abb. 8). Eventuelle Korrekturen (Nachdrehen) sind im Anschluss möglich. Gegebenenfalls werden diese Änderungen dann im OP-Protokoll festgehalten. Nach der OPG-Kontrolle erfolgte das Aufbringen und Anpassen der PEEK-Abformkappen sowie die anschließende geschlossene Abformung mit ImpregumTM (3M ESPE). Eine Schienung der Implantate mit Tetric EvoFlow (Ivoclar Vivadent) diente hierbei als Provisorium.
Um die Osseointegration nicht zu gefährden gilt es, Implantatbewegungen über 0,1 mm in den ersten acht bis zwölf Wochen nach der Operation zu vermeiden. Deshalb wurde der Patient dazu angehalten, in diesem Zeitraum ausschließlich weiche Kost zu sich zu nehmen.
Postoperative Schritte
Im dargelegten Fall fand – aufgrund der guten Primärstabilität – unmittelbar nach acht Wochen die Anprobe des Kronenblocks auf die Abutments der einteiligen Implantate statt. Anschließend wurden die Früh- und Bewegungskontakte beim Zahnersatz eingeschliffen, poliert und direkt eingeklebt (Abb. 9). Zur Periimplantitisprophylaxe wurde mit dem Patienten die Verwendung von Interdentalbürsten eingeübt sowie zahnärztliche Kontrollen, Zahnstein- bzw. Belagentfernung in einem Zwei-Monats-Rhythmus und eine professionelle Zahnreinigung mindestens einmal jährlich empfohlen. Vierzehn Tage später erfolgte eine weitere Höhen- und Endkontrolle der Implantatversorgung.
Fazit
Diverse empirische Studien sowie der eben beschriebene Fall zeigen, dass das einteilige Implantatsystem einige Vorteile gegenüber klassischen zweiteiligen Systemen besitzt. Zum einen ist die Ähnlichkeit der biologischen Breite von natürlichen Zähnen zu nennen1, genau wie die geringere krestale Knochverlustrate.2 Des Weiteren zeichnen sich einteilige Implantate durch die fehlende Mikrospaltproblematik3 und die Sofortversorgung- und Belastung von primärstabilen Implantaten bei geeigneter Indikationsstellung aus.4
Das kleine und übersichtliche Instrumentarium des einteiligen Implantatsystems von nature Implants sowie die einfach zu erlernende Anwendungsweise bei geringer Indikationseinschränkung, sind klar als weitere Vorteile gegenüber zweiteiligen Systemen zu nennen. Die Einteiligkeit eignet sich daher besonders für implantologische Neueinsteiger, weil Behandlungsabläufe verkürzt und Kosten reduziert werden. Die implantologische Versorgung des unilateralen Freiendfalls ist deshalb aus Patienten- und Anwendersicht sehr zu empfehlen.
Autor: Oliver Sehr
Literatur:
- Judgar et al. 2014/Hermann et al. 2001
- Caram et al. 2014
- Zipprich et al. 2007/Canullo et al. 2014
- Strub et al. 2012/Papspyridakos et al. 2014
Der Beitrag erschien erstmals in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis, Ausgabe 12/2016.