Cosmetic Dentistry 28.02.2011
Ästhetik nur für "Gutbetuchte"? Vollkeramische Restauration nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten
Technische Meisterleistungen haben oft eine Vorgeschichte, die an den prospektiven Chancen völlig vorbeigehen. So basierte die Aussage „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung“, geäußert von Kaiser Wilhelm II. beim Anblick des ersten Automobils, auf einer gigantischen Fehleinschätzung. Mehr Weitblick zeigten die Initiatoren, die am 19. September 1985 in Zürich das erste Inlay mit Computerunterstützung aus Feldspatkeramik (Vita Mark I) fertigten, denn sie vertrauten der optoelektronischen Messkamera, der Konstruktionssoftware, der Keramik als Restaurationswerkstoff und der Adhäsivtechnik. Aber niemand ahnte damals, dass in den nachfolgenden 23 Jahren kumulativ über 28 Millionen Restaurationen mit Computerunterstützung aus Keramik weltweit ausgeschliffen und eingegliedert werden.
Mit dieser Benchmark ist für die metallgetragene Rekonstruktion ein ernst zu nehmender Wettbewerber für Kons und Prothetik entstanden. War diese Entwicklung getragen vom Anspruch des Patienten nach metallfreien, ästhetisch höherwertigen und biokompatiblen Versorgungen, haben es Werkstoffwissenschaft, Keramikhersteller, Zahnärzte und Dentallabore verstanden, die vielfältigen Materialeigenschaften der inzwischen entwickelten Keramiken mit speziell abgestimmten Fertigungsverfahren und mit geeigneten Indikationen zu verbinden. Pressfähige und CAM-schleifbare Silikatkeramiken eröffneten die Option, Inlays, Onlays, Teilkronen, FZ-Kronen und Veneers mit ausgezeichneten ästhetischen Eigenschaften einzugliedern – beim Chairside-Einsatz sogar provisorienfrei in einer Sitzung. Die Einführung der Gerüstkeramiken aus Aluminiumoxid und Zirkonoxid ermöglichte, Kronen- und Brückengerüste für Seitenzahn-Rekonstruktionen aus industriell präfabrizierten Materialien herzustellen. Zusammen mit der Verblendkeramik ließen sich alle Register ziehen, damit Versorgungen mit Gerüstkeramiken aus ästhetischer Sicht einen Spitzenplatz einnehmen.
Triebfeder auf der technologischen Seite – der computergestützten Fertigung – war, dass in den 90er-Jahren die Leistung der Mikroprozessoren deutlich gesteigert werden konnte; CCD-Videochips und Scanner lernten Zahnformen „lesen“ und Präparationsgrenzen dedektieren, Software für rekonstruktive Versorgungen wurden perfektioniert, die Zahndatenbank bot eine Fülle von Vorschlägen, um eine Kaufläche „nach dem Vorbild der Natur“ zu reproduzieren. Daraus entstanden leistungsfähige CAD/ CAM-Systeme für Praxis und ZT-Labor sowie für Fräszentren als zahntechnische Dienstleister. Als „Futter“ für die Frässysteme qualifizierten sich die industriell gefertigten „Machinables“ aus Silikat-, Lithiumdisilikat-, Aluminiumoxid- und Zirkonoxidkeramik. Mit der CAD/CAM-Technik und den fräsbaren Keramiken war der Grundstein für die Nutzung in vielen Indikationsbereichen gelegt. Mit den neuen, groß dimensionierten Blocks aus Zirkonoxid lassen sich nun auch mehrgliedrige Brückengerüste herstellen, nach dem universitär-klinische Langzeituntersuchungen hohe Überlebensraten belegten.
Ästhetik und Wirtschaftlichkeit ist gefragt
Auf dem Feld der Kronen und Brücken im Seitenzahnbereich herrschte in ästhetischer Hinsicht jahrzehntelang Tristesse. Der Leitsatz „Ästhetik folgt der Funktion“ galt in dieser Reihenfolge lange Zeit in der Zahnheilkunde, deren Kautelen von einer sozialversicherten Kassenmentalität geprägt waren. Es ist noch nicht lange her, da stand der RVO-abhängige Patient finanziell ohne Kassenbeistand allein auf weiter Flur, wenn er sich zur Vermeidung von Metall mit Option auf Dunkelverfärbung statt für eine Amalgamfüllung für ein ästhetisches, biologisch kompatibles Keramikinlay entschieden hatte. Auch bei Kronen galt das restriktive Gesetz, dass nur VMK kassengeduldet war und metallblinkende Molaren unverblendet blieben. Nur Funktion wurde geboten. Ein Blick in die KZBV-Statistik zeigt auch heute noch, dass metallische Vollkronen mit 57 Prozent Versorgungsanteil dominieren. Möglicherweise fallen viele dieser Metallkronen unter den Kassenvorbehalt, dass sie im kaum einsehbaren Molarenbereich liegen und somit unverblendet „zumutbar sind“. Oder die verlangten Mehrkosten für die aufwendigen Keramikarbeiten wollen oder können viele Patienten nicht aufbringen.
Ästhetik und technische Innovation – in vielen Augen ein Widerspruch an sich. Allerdings ein Widerspruch, der keiner sein muss. Denn technische Innovation kann die Grundlage dafür sein, Ästhetik einer breiteren Basis von Patienten zugänglich zu machen. Ästhetische Leistungen in der Zahnheilkunde waren insbesondere von der manuellen Kunstfertigkeit der Zahntechniker geprägt. Mit dem Ziel, die Natur so genau wie möglich zu kopieren, wurden oftmals „dentale Kunstwerke“ geschaffen. Geprägt von diesem Nimbus, war eine tadellose Ästhetik in der Regel dem „gut betuchten“ Patienten vorbehalten.
Die Frage heute ist: Müssen Vollkeramikkronen unter dem Aspekt der Kosten wirklich ästhetische und technische High-End-Produkte sein? Offeriert nicht jeder Blick in die Schaufenster des Einzelhandels, dass wir unter verschiedenen Preislagen wählen können? Haben wir nicht inzwischen gelernt, dass Gutes nicht immer den Höchstpreis erfordert?
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Spielräume nutzen bietet Chancen
Die Zeiten haben sich geändert. Der Leitsatz lautet heute: „Ästhetik und Funktion – und das bitte wirtschaftlich.“ Die CAD/CAM-Technik hat Potenzial für Kosten sparende Abläufe freigelegt; zeitintensive Arbeitsschritte werden übersprungen oder reduziert. Ferner hat die Werkstoffwissenschaft Keramiken entwickelt, die lichttransmittierend eingestellt sind und damit eine einzigartige, natürliche Ästhetik im Zahnbild ermöglichen – sowie über hohe Festigkeiten verfügen und computergestützt rationell zu bearbeiten sind. Entscheidend ist hierbei, dass Zahnarzt und Zahntechniker mit Vollkeramik und Ästhetik differenzieren können. Doch was heißt „ästhetische Differenzierung“? Das heißt, dass Vollkeramik mehrere Optionen bietet, die ästhetische Wirkung mit unterschiedlichen Techniken und Lohnkosten erzielen (Abb. 1).
Abb. 1 (links): Der wirtschaftliche Weg zu Funktion und Ästhetik: CAD-Konstruktion für eine vollkeramische Frontzahnkrone. Foto: Sirona Abb. 2 (mitte): Gerüstfreie Krone aus Lithiumdisilikat, glasiert, keine Verblendung erforderlich. Foto: Brosch Abb. 3 (rechts): Bemalen der Keramikinnenseite von Veneers (internal shading). Foto: Wiedhahn.
Grundsätzlich sehen alle Keramikkronen gut aus – egal, wie sie hergestellt werden. Der Unterschied liegt im Arbeitsaufwand, der jedoch das ästhetische Finish beeinflusst. Damit bietet die Keramik größere Spielräume in ästhetischer und in wirtschaftlicher Hinsicht. Das Prinzip „Ästhetik nach Maß“ bietet die Möglichkeit, Kronen gerüstfrei und vollanatomisch auszuschleifen, die nach Politur oder Glasur gut aussehen und im Zahnbild fast unsichtbar sind (Abb. 2). Die Natürlichkeit der vollkeramischen Versorgung kann dadurch verstärkt werden, dass die Kronenoberfläche vor der Glasur mit Malfarben charakterisiert oder die Dentinfarbe im Kronenlumen individualisiert wird (internal shading, Abb. 3).
Diese Vorgänge sind deutlich weniger kostenaufwendig als die Farbkorrektur auf einer VMK-Krone, die immer mit dem Problem lebt, dass der Vakuumbrand auch die Passtoleranz einer hochgoldhaltigen Metallkrone beeinflusst. Unter ökonomischen Aspekten muss Vollkeramik auch nicht teurer als die metallgestützte Restauration sein. Ästhetisch hat die Keramik allemal die Nase vorn. Wichtig ist, dass die Leistung wirtschaftlich erbracht werden kann. Dies gibt dem Zahnarzt das Werkzeug in die Hand, ein nach Preis und ästhetischem Aufwand differenziertes Restaurationsangebot zu machen.
Abb. 4 CAD-Schleifvorschau einer Krone mit reduzierter Anatomie für die Verblendung. Foto: Sirona Abb. 5 Formreduziert ausgeschliffene Krone aus Lithiumdisilikatkeramik (e.max CAD LT). Foto: Brosch Abb. 6 Krone verblendet und individualisiert - ästhetisch und wirtschaftlicher als VMK. Foto: Brosch
Höhere Ansprüche an die Ästhetik erfüllt die Lithiumdisilikatkeramik-Krone, deren vollanatomische Form im Cut-Back-Verfahren um Schmelzschichtdicke zurückgeschliffen und aufbrennkeramisch verblendet wird (Abb. 4–6). Auch die neuen Überpressverfahren auf Gerüstkeramiken bieten voraussichtlich Potenzial für Kosteneinsparungen. Die Königsdisziplin jedoch ist und bleibt die Krone mit Oxidkeramikgerüst, die höckerunterstützt ausgeschliffen und verblendet, ästhetisch unübertroffen ist.
Dem Wunsch des Patienten, dass die Rehabilitation seiner Kaufunktion auch wirtschaftliche Bedingungen erfüllen und folglich „bezahlbar“ sein muss, kann die Vollkeramik mit ihren differenzierten Verfahren in vollem Umfang Rechnung tragen.
Durch die Nutzung des Prinzips „Ästhetik nach Maß“ kann einerseits der zu versorgende Defekt dauerhaft therapiert und andererseits das Erscheinungsbild des Patienten individuell im Rahmen seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten einbezogen werden. Summa summarum bietet Vollkeramik mit CAD/ CAM-Einsatz die Voraussetzung, dass ästhetische Rekonstruktionen nicht als Spezialität nur „gut betuchten Patienten“ vorbehalten bleiben, sondern als Standardversorgung nahezu jedem Patienten zugänglich werden – klinisch hochwertig und ohne Kompromisse. Mit der ästhetischen und preislichen Differenzierung kann der Zahnarzt die Bedürfnisse einer breiten Patientenschicht zu wirtschaftlichen Bedingungen erfüllen und zukünftige Anforderungen besser befriedigen.
Die Erfahrung zeigt, dass Patienten diese Vorgehensweise honorieren. Sie fühlen sich gut aufgehoben, dass sie klinisch gut beraten werden und auch Wahlmöglichkeiten haben.
Autoren: Manfred Kern, Dr. Wilhelm Schneider/Arbeitsgemeinschaft für Keramik in der Zahnheilkunde e.V.
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