Digitale Zahnmedizin 16.09.2022

Präparation komplexer Kanalsysteme in Primär- und Sekundärtherapie



Präparation komplexer Kanalsysteme in Primär- und Sekundärtherapie

Foto: Dr. Philipp Eble

Einsatz eines martensitischen Feilensystems

Die chemomechanische Aufbereitung des Wurzelkanalsystems ist ein elementarer Bestandteil der endodontischen Therapie. Die mechanische Präparation dient dem Ziel, infiziertes Dentin zu entfernen und das Kanalsystem der Reinigung und Desinfektion durch Spülflüssigkeiten zugänglich zu machen. Der folgende Beitrag zeigt anhand von drei Fallbeispielen die systematische Aufbereitung komplexer Wurzelkanalsysteme.

Der Erfolg der endodontischen Therapie hängt maßgeblich von der vollständigen Reinigung des gesamten Wurzelkanalsystems ab. Die Präparation sollte hierbei immer an den Infektionsgrad des Endodonts angepasst sein. Starke oder abrupte Krümmungen, Kalzifikationen der Kanäle oder ähnliche anatomische Besonderheiten können die Herstellung eines adäquaten apikalen Durchmessers und Konus erschweren und stellen damit hohe Anforderungen an Feilensysteme. Die Wärmebehandlung endodontischer Nickel-Titan-Feilensysteme kann die Materialeigenschaften entscheidend verändern, um somit durch erhöhte Flexibilität und reduzierten Rückstelleffekt iatrogene Schäden zu vermeiden.

Fall 1: Primäre Behandlung eines ersten unteren Molaren mit Radix entomolaris

Eine 34-jährige Patientin wurde zur Weiterbehandlung des Zahns 36 an uns überwiesen. Nach Diagnosestellung einer irreversiblen Pulpitis durch den Hauszahnarzt erfolgte dort die initiale Schmerztherapie in Form der Kariesexkavation, Trepanation der Pulpenkammer, medikamentösen Einlage und adhäsiven Aufbaufüllung. Die Patientin stellte sich mit deutlich reduzierter Symptomatik in unserer Praxis vor.

Klinischer und röntgenologischer Befund

Zahn 36 wies zirkulär keine erhöhten Sondierungstiefen auf und war konservierend mit einer adhäsiven präendodontischen Aufbaufüllung versorgt. Das präoperativ angefertigte diagnostische Röntgenbild zeigte eine insuffiziente Amalgamfüllung im distalen Approximalraum. Die mesiale Wurzel wies eine periapikale Osteolyse auf (Abb. 1).

Therapie

Die endodontische Behandlung fand in einer Sitzung statt. Nach Anästhesie und Anlegen des Kofferdams erfolgte die Entfernung der provisorischen Füllung und die initiale intrakoronale Diagnostik. Mittels Micro-Opener konnten ein mesiobukkaler, mesiolingualer, distobukkaler und distolingualer Wurzelkanal sondiert werden. Die Ausarbeitung der primären Zugangskavität zur besseren Zugänglichkeit der Kanäle erfolgte mit Langschaft-Rosenbohrern. Anhand des präoperativen diagnostischen Röntgenbilds konnte die Länge der Wurzelkanäle vorläufig näherungsweise bestimmt werden. Die Kanäle wurden im weiteren Therapieverlauf kontinuierlich mit 6 % NaOCl gespült. Nach Ausarbeitung der Zugangskavität folgte die koronale Erweiterung der Wurzelkanäle mit EdgeEndo X7 Feilen (Henry Schein) der Größe 17.06. Die elektrometrische Bestimmung der Kanallänge mithilfe eines Apex Locators (Morita Root ZX Mini Apex Locator) wurde mit C-Piloten der Größe 8–10 durchgeführt. Nach Festlegung der Arbeitslänge wurde der Gleitpfad rotierend mit EdgeFile X7 der Größen 17.04 und 25.04 erweitert und final bis auf 30.04 aufbereitet (Abb. 4).Im Anschluss an die Aufbereitung erfolgte eine Spülung mit 17 % EDTA für 60 Sekunden je Kanal, gefolgt von der abschließenden schallaktivierten Spülung mit 6 % NaOCl für weitere 60 Sekunden je Kanal. Die Aufbereitung und die Passung der formkongruenten EdgeEndo X7 Guttaperchaspitzen wurde mithilfe einer Masterpoint-Aufnahme bestätigt (Abb. 5). Nach Trocknung der Kanäle und Zugangskavität mit Mikroabsaugung und Papierspitzen folgte die Obturation des Kanalsystems in warmvertikaler Kompaktionstechnik. Hierzu wurde ein hitzeresistenter biokeramischer Sealer verwendet (Abb. 2). Der anschließende Verschluss erfolgte mit einem Bulk-Fill-Flow-Composite (Abb. 5).

Fall 2: Primäre Behandlung eines oberen zweiten Molaren

Anamnese

Der 61-jährige Patient stellte sich nach Überweisung durch seinen Hauszahnarzt zur primären Wurzelkanalbehandlung an 27 vor. Der Zahn wurde vor ca. zwei Jahren überkront und der Patient war beschwerdefrei. Im Rahmen der röntgenologischen Kontrolle nach Wurzelspitzenresektion des Zahns 26 war eine apikale Aufhellung an Zahn 27 festgestellt worden.

Klinischer und röntgenologischer Befund

Zahn 27 wies eine suffiziente Restauration auf. Es waren keine erhöhten Sondierungstiefen tastbar und sowohl Kälte- als auch Perkussionstest waren negativ. An Zahn 27 wurde eine apikale Aufhellung im Sinne einer chronischen apikalen Parodontitis festgestellt (Abb. 6).

Therapie

Die primäre endodontische Behandlung des Zahns 27 wurde ebenfalls in einer Sitzung durchgeführt. Nach der Trepanation erfolgte die initiale intrakoronale Diagnostik und Darstellung der vier Kanalorifizien mithilfe langschaftiger Rosenbohrer. Zur koronalen Erweiterung der Kanäle wurde eine EdgeFile X7 der Größe 17.06 eingesetzt. Die Erstellung des Gleitpfads konnte rein mechanisch durchgeführt werden. Hierzu wurden EdgeFile X7 Feilen der Größen 17.04 und 17.06 in alternierender Weise bis zum Erreichen der näherungsweise röntgenologisch bestimmten vorläufigen Arbeitslänge eingesetzt. Nach elektrometrischer Bestimmung der Arbeitslänge mit C-Pilot Feilen der Größen 8 und 10 erfolgte die weitere Präparation mit EdgeFile X7 der Größen 20.06, 25.06 und 30.06. Die Kanäle wurden nach der finalen Aufbereitung für 60 Sekunden mit 17 % EDTA gespült. Die Abschlussspülung erfolgte schallaktiviert mit 6 % NaOCl. Eine Masterpoint-Aufnahme diente zur Verifizierung der Aufbereitung und der Passung der angepassten Guttaperchaspitzen (Abb. 7). Nach Trocknung mit Mikroabsaugung und Papierspitzen wurden alle Kanäle in warm-vertikaler Fülltechnik mit biokeramischem Sealer obturiert (Abb. 8). Auch in diesem Fall wurde für den adhäsiven Verschluss ein Bulk-Fill-Flow-Composite (Abb. 9) verwendet.

Fall 3: Revision eines oberen zweiten Molaren

Anamnese

Ein 54-jähriger Patient stellte sich mit akuten Beschwerden am Zahn 27 vor. Er war von seinem Hauszahnarzt zur Weiterbehandlung überwiesen worden, nachdem dieser, laut eigener Aussage, erfolglos nach einem zweiten mesiobukkalen Kanal gesucht hatte.

Klinischer und röntgenlogischer Befund

Zahn 27 wies eine provisorisch verschlossene Zugangskavität auf. Der Zahn reagierte positiv auf den Perkussionstest. Bei Palpation des Vestibulums war eine Druckdolenz im Bereich der mesiobukkalen Wurzel feststellbar.

Das präoperativ angefertigte Röntgenbild (Abb. 10) zeigte den bereits vom Vorbehandler trepanierten Zahn 27. Die Wurzelfüllung erschien inhomogen. Das Wurzelfüllmaterial im mesiobukkalen Kanal war über den röntgenologischen Apex hinaus extendiert. Zudem wurde eine periapikale Osteolyse der mesiobukkalen Wurzel festgestellt.

Therapie

Die Revisionsbehandlung erfolgte in zwei Sitzungen. Nach Anlegen des Kofferdams wurde die provisorische Füllung entfernt und die Zugangskavität gereinigt. Im Anschluss erfolgte die intrakoronale Diagnostik (Abb. 11). Es zeigte sich bakteriell besiedeltes Wurzelfüllmaterial im mesiobukkalen, distobukkalen und palatinalen Kanal. Das Orifizium des mesiobukkalen Kanals war in palatinaler Richtung erweitert. Die Entfernung eines mesialen Dentinüberhangs mit langschaftigen Rosenbohrern legte das weit nach palatinal verlagerte Orifizium des zweiten mesiobukkalen Kanals frei. Die Entfernung des Wurzelfüllmaterials erfolgte mithilfe von EdgeFile X7 Feilen der Größen 25.06 und 17.06 in Crown-down-Technik, um die Verschleppung von Keimen und bakteriell besiedeltem Wurzelfüllmaterial nach apikal zu reduzieren.

Die Erschließung und initiale Aufbereitung des zweiten mesiobukkalen Kanals wurde mithilfe der EdgeFile X7 Feilen der Größen 17.04 und 17.06 in alternierender Weise wie oben beschrieben durchgeführt. Nach elektrometrischer Bestimmung der Arbeitslänge aller Kanäle wurde die Präparation mit denselben Feilen auf voller Arbeitslänge fortgesetzt. Im ersten mesiobukkalen Kanal, distobukkal und palatinal, wurde die Aufbereitung mit EdgeFile X7 der Größe 40.06 abgeschlossen, während der zweite mesiobukkale Kanal bis 30.06 aufbereitet wurde (Abb. 12). Nach Abschluss der Präparation wurden die Kanäle getrocknet, Kalziumhydroxid auf volle Arbeitslänge eingebracht und der Zahn provisorisch mit einer adhäsiven Kompositfüllung verschlossen. Die Weiterbehandlung fand nach zwei Wochen bei Beschwerdefreiheit statt. Nach erneuter elektrometrischer Kontrolle der Arbeitslänge, Anfertigung einer Masterpoint-Aufnahme (Abb. 13) und schallaktivierter Abschlussspülung mit 17 % EDTA und 6 % NaOCl wurden die Kanäle in warm-vertikaler Fülltechnik mit biokeramischem Sealer gefüllt (Abb. 14). Der direkte adhäsive Verschluss der Zugänge erfolgte erneut mit einem Bulk-Fill-Flow-Composite (Abb. 15).

Diskussion

Die systematische Aufbereitung des Wurzelkanalsystems umfasst die Erschließung des Kanalsystems und Sicherung eines Gleitpfads sowie die konsekutive Erweiterung des Kanalsystems von koronal nach apikal. Minimalinvasive endodontische Konzepte stellen den Erhalt des koronalen perizervikalen Dentins in den Vordergrund. Eine rationale Herangehensweise an ein minimalinvasives endodontisches Vorgehen sollte jedoch neben dem reduzierten koronalen Substanzabtrag die ausreichende Präparation der apikalen Zone beinhalten. Sie soll den ausreichenden Kontakt mit Spülflüssigkeiten zur Gewebsauflösung und Desinfektion ermöglichen und deshalb in Größe und Konizität an den Infektionsgrad des Endodonts angepasst sein.

Ein von koronal nach apikal gerichtetes Vorgehen bietet hierbei den Vorteil erhöhter Taktilität und verringerter Belastung der Feile durch reduzierten Kontakt mit der Kanalwand. Zudem wird so gleichzeitig die Keimverschleppung nach apikal reduziert.

Neuere wärmebehandelte Feilensysteme mit reduziertem maximalem Durchmesser bieten aufgrund ihrer verbesserten Materialeigenschaften und Geometrie erhöhte Sicherheit und Effizienz. In der Praxis des Autors hat sich insbesondere bei schwer erschließbaren Kanalsystemen die initiale mechanische Gleitpfaderstellung mit EdgeFile X7 Feilen der Größen 17.04 und 17.06 bewährt. Diese werden hierzu im Wechsel verwendet. Nach koronaler Erweiterung mit der Größe 17.06 erfolgt der Wechsel zur Feile 17.04, die in kurzen pickenden Arbeitsbewegungen bis zum Erreichen der vorläufigen röntgenologisch bestimmten Arbeitslänge verwendet wird. Bei Widerstand wird die Feile 17.06 passiv auf die bisher erreichte Länge gebracht und ermöglicht danach das weitere Vordringen der 17.04. In vielen Fällen kann so auf eine zeitintensive manuelle Gleitpfaderstellung verzichtet werden. Die weitere Präparation erfolgt je nach anatomischer Situation, Infektionsgrad und geplanter Fülltechnik in Taper .04 oder .06. Der auf 1 mm reduzierte maximale Querschnitt der Feilen ermöglicht hierbei selbst bei Präparation großer apikaler Durchmesser die Substanzschonung des perizervikalen Dentins und bietet erhöhte Flexibilität in gekrümmten Wurzelkanälen.

In den vorliegenden Fällen konnten mithilfe eines einfachen Feilenprotokolls sowohl schwer erschließbare als auch multiplanar gekrümmte Wurzelkanäle sicher, effizient und rational minimalinvasiv aufbereitet werden.

Dieser Beitrag erschien in dem Endodontie Journal.

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