Endodontologie 01.03.2012

Kariesdiagnose mit System



Kariesdiagnose mit System

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse haben in den zurückliegenden Jahren das Verständnis zur Kariesentstehung und -vermeidung erheblich modifiziert. Das im vergangenen Jahr von der Fédération Dentaire Internationale (FDI) verabschiedete Kariesklassifikations- und -managementsystem stellt eine Grundlage dar, die zukünftig eine Interventionsplanung auf der Grundlage einer fein abgestuften Diagnostik unter Berücksichtigung der Kariesaktivität ermöglicht.

Karies gilt als multifaktorielle Erkrankung, die mit geeigneten Maßnahmen verhindert werden kann. Die Diagnose der Erkrankung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem „Aufspüren von Löchern“. Vielmehr ist die Erkrankung häufig bereits vorhanden, bevor es zur Kavität kommt. Das seit vielen Jahrzehnten bekannte (und bis heute oft praktizierte) Kariesklassifikationssystem beruhte auf ­einer banalen Ja/Nein-Entscheidung (Kavität/keine Kavität), die einen mehr oder weniger unreflektierten ­Therapieentscheid nach sich zog (Abb. 1; siehe A). Dieser sogenannte WHO-Standard wird nach wie vor auch in Reihenuntersuchungen (zum Beispiel der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege, DAJ) verwendet und erfasst freiliegendes Dentin oder kariös unterminierten Schmelz mit demineralisierten Kavitätenrändern. Aus heutiger Sicht sind jedoch differenzierte Abstufungen erforderlich, die auch die Erfassung von Initialläsionen und die Berücksichtigung der Kariesaktivität zulassen. Es gilt heute als anerkannt, dass initiale Demineralisationen (sogenannte white spot lesions) remineralisierbar sind; um in diesen Fällen eine Kavitation oder gar eine restaurative Therapie zu vermeiden, ist jedoch die frühzeitige Diagnose unabdingbar. Im Jahre 2002 wurde zunächst das International Caries Detection and Assessment System (ICDAS) (Abb. 1; siehe B) vorgestellt, dass zwischenzeitlich als ICDAS-II modifiziert wurde. Die visuelle Kariesdiagnose auf Grundlage dieses Systems lässt zukünftig klinische Studien und (mit Einschränkungen) epidemiologische Erhebungen zu; gleichzeitig ist jedoch auch die Anwendung in der zahnärztlichen Praxis möglich.

Grundsätzliche Überlegungen

Das ICDAS-II verwendet unterschiedliche Codes (Code 0 bis Code 6; Abb. 1; siehe C) für die kariösen Veränderungen an Okklusal- und Glattflächen sowie an Wurzeloberflächen und Restaurationsrändern. Nach der Zahnreinigung werden die Läsionen bei feuchter und trockener Oberfläche befundet.

ICDAS-II Codes

Code 0: Der Code 0 beschreibt eine gesunde Fläche (nicht sichtbare kariöse Veränderung) am mit dem Luftstrom für fünf Sekunden getrockneten Zahn. Hierzu zählen auch nicht-kariöse Veränderungen wie Abrasionen, Erosionen, Hypoplasien oder fluorotische Veränderungen.
Code 1: Dieser Code bezieht sich auf frühzeitige Veränderungen, die erst nach ausreichender Trocknung des Zahnes sichtbar werden. In der Regel handelt es sich dabei um weißliche (seltener um opake oder bräunliche) Verfärbungen.
Code 2: Unter Code 2 versteht man deutlich sichtbare initiale Veränderungen der Oberfläche, die bereits am noch feuchten (gleichzeitig aber auch am mit dem Luftstrom getrockneten) Zahn als kreidig erscheinende Demineralisationen erkennbar sind.
Code 3: Der Code 3 beschreibt die sichtbar demineralisierte Oberfläche, die bereits durch Rauigkeiten gekennzeichnet ist; die unterbrochene Kontinuität kann vorsichtig mit einer WHO-Sonde getastet werden. Bei diesem Code liegt das Dentin noch nicht frei. Die Codes 1 bis 3 beschreiben also die auf den Schmelz begrenzte Läsion.
Code 4: Ist die Karies bereits in das Dentin fortgeschritten und schimmert das kariöse Dentin durch den noch vorhandenen Schmelzmantel, liegt Code 4 vor. Die Codes 1 bis 4 nach ICDAS-II entsprechen der WHO-Definition „gesund“ (siehe Abb.1).
Code 5: Der Code 5 beschreibt die sichtbare Kavitätenbildung mit infolge Schmelzverlustes entblößtem Dentin, das mit der WHO-Sonde ertastet werden kann.
Code 6: Hierbei handelt es sich um eine bereits großflächige Kavitätenbildung, bei der das Dentin deutlich sichtbar ist; die Pulpa kann bereits entzündet sein. Die Codes 5 und 6 nach ICDAS-II entsprechen der WHO-Definition „kariös“ (siehe Abb. 1).

Kariesaktivität

Insbesondere die initialen Kariesstadien müssen nicht zwingend invasiv therapiert werden, sondern können im Sinne eines Kariesmonitorings beobachtet und ­präventiv begleitet werden, um unter Umständen eine Arretierung zu erreichen. Hierfür eignet sich die zu­sätzliche Unterscheidung in aktive (+) und passive (-) ­Läsionen. Auf diese Weise kann ggf. auch der Erfolg von präventiven Maßnahmen überprüft werden (Abb. 1; siehe C).
Das von der FDI verabschiedete Kariesklassifikations- und -managementsystem lässt darüber hinaus weitere Angaben zu, die direkten Bezug zur Prognose des Zahnes haben.

PUFA

P/p beschreibt die pulpale Beteiligung (eröffnete Pulpa; kariöse Zerstörung der klinischen Krone; Wurzelreste); „P“ bezieht sich auf bleibende Zähne, während mit „p“ Milchzähne bezeichnet werden. Mit U/u werden Ulzerationen beschrieben, die auf traumatische Verletzungen durch scharfkantige oder dislozierte Zahnteile/Wurzelreste zurückzuführen sind. F/f beschreibt Fistelgänge (mit oder ohne Pusabgang), die von Zähnen mit pulpaler Beteiligung ausgehen. Letztlich wird durch A/a dokumentiert, dass ein Abszess vorliegt, der von einem Zahn mit entzündlicher Beteiligung der Pulpa ausgeht.

DMF-T

Ergänzt wird das Schema durch den etablierten DMF-T-Index, der kariöse (D), fehlende (M) und wegen Karies gefüllte (F) Zähne erfasst. Befunde im Milchgebiss werden wiederum als dmf-t angegeben.

Fazit

Die hier vorgestellte Kariesklassifikation berücksichtigt das Stadium, die Aktivität und die Größe der Läsion, unabhängig von der diagnostizierten Primär- oder Sekundärkaries. Gleichzeitig wird mit dieser Klassifikation der Therapieentscheid hinsichtlich präventiver Maßnahmen, reinem Monitoring und/oder restaurativer Therapie ermöglicht. Die bisherige Versorgung wird erfasst, und der Behandlungsbedarf wird ermittelt. Damit eignet sich dieses System sowohl für groß angelegte epi­demiologische Studien als auch für die zahnärztliche ­Praxis. Um den Patienten umfassend betreuen zu können, empfiehlt sich daher aus heutiger Sicht die vollständige Etablierung dieses Systems in die Praxisroutine. Erleichtert wird die Implementierung dieses Systems durch eine Online-Plattform (http://icdas.smile-on.com), die eine vollständige Übersicht zur Thematik und kostenlose Übungsmodule bietet.

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