Implantologie 11.02.2015
Piezochirurgie: Minimalinvasive präimplantologische Maßnahmen
share
Implantologie und Oralchirurgie nehmen einen immer höher werdenden Stellenwert in der modernen Zahnmedizin ein. Doch was bedeutet eine erfolgreich umgesetzte Implantattherapie? Wann fängt sie an? Wann hört sie auf? Eine Implantattherapie sollte als ein umfassendes Paket betrachtet werden – mit dem Ziel, dass der Patient seine Implantate und Suprakonstruktionen über einen langen Zeitraum funktionsgerecht im Mund behält. Sie sollte nicht nur gut geplant, vorbereitet und durchgeführt, sondern anschließend auch langfristig begleitet werden. Für eine erfolgreiche Implantattherapie sind daher auch tiefgreifende parodontologische Kenntnisse und prophylaktische Maßnahmen vor, während und nach der zahnmedizinischen Chirurgie unabdingbar. Auch der Einsatz der Piezochirurgie für präimplantologische bzw. augmentative Maßnahmen hat sich bewährt.
Ein Implantat stellt heutzutage eine fundierte Therapievariante mit Erfolgsraten von mehr als 90 Prozent dar. Damit ein Implantat möglichst lange erfolgreich bleibt, muss es kontinuierlich im Fokus behalten und kontrolliert werden – und zwar vom Behandler, von der Prophylaxehelferin und vom Patienten. Doch nicht nur die Nachsorge ist unabdingbar für den implantologischen Erfolg, auch die vorausschauende Implantatplanung und -vorsorge sollten gewissenhaft durchgeführt werden. Wenn das Implantat nicht an die prothetisch korrekte Position gesetzt wird, kann dies später zu erheblichen Problemen bei der Anfertigung der Suprakonstruktion führen.
Sicher und schonend: die Piezochirurgie
Wer implantiert, sollte also mindestens über ein prothetisches Grundverständnis verfügen. Erst dann kann ich beurteilen, ob das Knochenangebot für eine Implantation ausreicht oder ob augmentative Maßnahmen im atrophischen Kiefer notwendig sind. Ob zur Osteotomie, Osteoplastik, Sinusbodenelevation oder zur Knochenkammspaltung: Bei präimplantologischen bzw. begleitenden augmentativen Maßnahmen geht der Trend immer mehr zur Piezochirurgie. Dieses Verfahren wird immer dann gerne gewählt, wenn man im Knochen schneiden will und sich sensible Strukturen in der Nähe befinden. Da die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Ultraschallwellen im Knochen höher ist als im Weichteilgewebe, ergibt sich aufgrund der unterschiedlichen Absorptionsraten die Möglichkeit, bestimmtes Gewebe selektiv therapeutisch zu bearbeiten. So wird in der Piezochirurgie eine sehr präzise und schonende Schneidleistung im Knochen durch die Ultraschalltechnologie bewirkt – viel feiner und minimalinvasiver, als wenn man den Knochen mit einer Lindemannfräse abtragen würde. Ein weiterer Vorteil: Mithilfe der Piezochirurgie bekommt man ein sauberes und viel übersichtlicheres Operationsfeld als mit der herkömmlichen Methode. Denn die Schnitte im Hartgewebe sind nicht nur extrem dünn, durch die gleichzeitige Anregung der Blutkoagulation vermindern sie auch die Blutungsneigung; es blutet weniger, im besten Fall gar nicht. Trotz dieser Vorteile sollte der Behandler auch immer das Risiko und den Nutzen dieser modernen Behandlungsmethode abwägen; denn jede verlängerte OP-Zeit kann auch das Infektionsrisiko erhöhen. In den meisten Fällen bringt uns die Piezochirurgie jedoch eine größere Sicherheit, mehr Präzision und eine Vereinfachung der OP-Protokolle. Gerade wenn wir chirurgisch arbeiten, möchten wir doch so exakt und minimalinvasiv wie möglich vorgehen.
Präzise Schnittführung – komfortable Handhabung
Wir arbeiten seit einiger Zeit mit dem Piezotome Solo (Abb. 1) von Satelec (Acteon Group). Das Gerät ist für alle oralchirurgischen Stufenpräparationstechniken geeignet und mit der neuesten modulierten Ultraschall- und LED-Technologie sowie einem einfach zu bedienenden Touchscreen ausgestattet. Bei der Behandlung muss man das Gerät an sich gar nicht berühren, denn alle Schritte lassen sich bequem über den Multifunktionsfußschalter steuern. Für chirurgische Standardindikationen mit dem Piezotome Solo gibt es ein Instrumenten-Basis-Kit, das aus einer sechsteiligen Auswahl der bewährtesten Satelec-Spitzen besteht. Zudem gibt es für nahezu jede spezielle Indikation ganz bestimmte Instrumentensätze. Wenn wir z.B. eine chirurgische Kronenverlängerung durchführen möchten, benötigen wir ein spezielles Set; wenn wir eine Wurzelspitzenresektion vornehmen, brauchen wir ein anderes Sortiment. Wer hauptsächlich Knochenblöcke transplantieren will, greift zum Bone Surgery-Set mit kleinen Knochensägen, und für den externen Sinuslift sind die Aufsätze SL1 bis SL5 (Abb. 4 bis 8) geeignet. Zur einfacheren Handhabung sind die Spitzen jeweils in logischer Handlungsabfolge aufsteigend durchnummeriert. Da kann man kaum etwas verkehrt machen. Dennoch sollte sich jeder, der auf Piezochirurgie umsteigen möchte, am Anfang mit der Technologie, ihren Möglichkeiten, ihren Instrumenten, aber auch ihren Risiken auseinandersetzen. Für Einsteiger empfehlen sich Hands-on-Kurse an entsprechenden Tierpräparaten. Diese bieten wir beispielsweise an der Klinik an. Zudem besteht die Möglichkeit einer Hospitation, um das Erlernte gleich live am Patienten von erfahrenen Anwendern zu sehen. Die Homepage der Firma Acteon liefert dem Einsteiger wie dem erfahrenen Piezo-Anwender darüber hinaus viele hilfreiche Informationen mit detaillierten Beschreibungen und Anleitungen sowie diversen Videos im YouTube-Kanal.
Maximaler Strukturerhalt, besonders in heiklen Situationen
Nachdem sich die Piezo-Ultraschallanwendung sowohl in der Prophylaxe als auch in der Endodontie und in der Parodontologie einen festen Platz gesichert hat, vereinfacht sie zunehmend auch präimplantologische bzw. augmentative Maßnahmen. Sicherlich lässt sich ein Sinuslift oder eine Knochenblockentnahme auch ohne sie vornehmen; mit solch einem Hightech-Gerät erkaufe ich mir jedoch eine höhere Sicherheit im operativen Vorgehen. Das ist umso wichtiger, als wir immer wieder in schwierigen und heiklen Situationen, in denen Weichgewebe (wie z.B. Periost, Nervengewebe oder Kieferhöhlenschleimhaut) gefährdet ist, schneiden müssen. Der Zeitaufwand (beispielsweise durch das Wechseln der Aufsätze) ist zwar oft höher als mit der herkömmlichen Methode, doch ist das piezochirurgische Verfahren nicht vorrangig zur Zeitersparnis, sondern zum maximalen Strukturerhalt gedacht – ein wichtiger Aspekt auch im Rahmen der zunehmenden Gutachten und Klagen der Patienten bei Nervschädigungen. Kurz: Mithilfe von praktischen Übungen, z.B. durch einen Hands-on-Kurs, kann das chirurgische Handling des piezoelektrischen Ultraschalls trainiert werden und jedem implantologisch tätigen Zahnarzt die Arbeit erleichtern und die Knochenchirurgie sicherer machen. Dank der Piezochirurgie kann die periphere Knochenchirurgie rund ums Implantat durchgeführt werden, die finale Implantatbett-Präparation wird mit dem Kit des jeweiligen Implantatsystems durchgeführt. Wie schonend und sicher, aber auch einfach beispielsweise eine Zahnextraktion und eine Sinusbodenelevation mit dem Piezotome Solo gehen, verdeutlichen die beiden nachfolgenden klinischen Fälle.
Fall 1: Extraktion des Zahns 11
Eine Patientin hatte Probleme mit einem OK-Frontzahn, der trotz mehrerer Wurzelspitzenresektionen außer Haus keine Ruhe geben wollte. So musste der Zahn 11 letztlich doch entfernt werden. Aus unserer Erfahrung heraus ist es im Frontzahnbereich in der Regel günstiger, den Zahn zu entfernen und anschließend direkt durch ein Implantat zu ersetzen. Die Sofortimplantation hilft, das Weichgewebe an Ort und Stelle zu halten. Wenn nach einer Zahnextraktion abgewartet wird, bis das Ganze verheilt ist, und erst dann das Implantat gesetzt wird, hat sich das Zahnfleisch häufig sehr weit nach oben entwickelt. Dadurch kann es zu ästhetischen Einbußen kommen. Um das Weichgewebe bei der Zahnentfernung so gut wie möglich zu schonen und optimal minimalinvasiv vorzugehen, haben wir vorbereitend auf die Sofortimplantation das Piezotome Solo-Gerät verwendet (Abb. 2 und 3). Durch die schonende Durchtrennung der dentogingivalen Fasern mit den Spitzen aus dem Extraction-Kit konnte der Frontzahn so weit gelockert werden, dass er mit der Extraktionszange bequem entfernt werden konnte. Sowohl die Gingiva als auch die Nachbarzähne, zu denen stramme Approximalkontakte bestanden, wurden dabei geschont. Um in den unregelmäßigen PA-Spalt vorzudringen, kamen drei Aufsätze mit unterschiedlichen Abwinkelungen zum Einsatz. Das Piezotome Solo arbeitete sich dabei mit den Einstellungsstärken D1 und D2 spürbar selbstständig voran, wodurch sich auch die Gefahr einer möglichen Überhitzung reduzierte. Zwischendurch ermöglichte ein leichtes Luxieren des Zahns mit der Zange das weitere Vordringen in die Tiefe. Die chirurgische Schneidleistung mit dem piezoelektrischen Ultraschall war bei maximaler Schonung der Knochenund Weichgewebsstrukturen mikrometergenau, sodass wir im Anschluss an die OP direkt implantieren konnten. Da das Implantat schmaler war als das Knochenfach, haben wir den bukkalen Bereich mit künstlichem Knochenmaterial aufgepuffert, um einer Resorption vorzubeugen.
Fall 2: Sinusbodenelevation
Wie präzise das Ultraschallsystem Piezotome Solo in äußerst sensiblen Bereichen arbeitet, zeigt auch das zweite Beispiel. Gerade beim externen Sinuslift ist der Einsatz der Piezochirurgie von großem Vorteil. Demjenigen, der im Elevieren der Membran noch nicht so viel Übung hat, erleichtert das Gerät aufgrund seiner selektiven Schnittführung die Arbeit. Er investiert zwar mehr Zeit, aber er bekommt dafür eine viel höhere Sicherheit, dass die Membran nicht einreißt oder die antrale Arterie beschädigt wird. Die Formel „Hartgewebe wird geschnitten, Weichgewebe nicht“ ist für ihn dann so etwas wie ein zahnmedizinischer Airbag. Selbstverständlich profitiert auch der erfahrene Oralchirurg von der minimalinvasiven Behandlungsmethode, denn das Risiko, dass die hauchdünne Sinusmembran perforiert wird, reduziert sich auf ein absolutes Minimum. Eine Ruptur des Weichgewebes ist mit dem piezoelektrischen Ultraschall so gut wie unmöglich. Für die Sinusbodenelevation mit dem Piezotome gibt es von der Firma Acteon übrigens eine sehr gute Anleitung mit Empfehlungen zu den Intensitätsstufen der einzelnen Spitzen. Im vorliegenden Fall gelangen die Entfernung der Knochenkanten und die Elevation der Schneider’schen Membran mit den entsprechenden Ultraschallansätzen einfach und problemlos (Abb. 4 bis 8). Der SL1-Ansatz diente zur sicheren Präparation des lateralen Knochenfensters, ohne dass das umgebende Gewebe geschädigt wurde, während die Spitzen SL2 bis SL5 beim Lösen bzw. Elevieren der Schneider’schen Membran zum Einsatz kamen. Die Vibration der Ansätze verhinderte dabei eine Verletzung des Weichgewebes, da das Gewebe mitschwingt. Der Sinuslift wurde im stetigen Kontakt mit dem Knochenrand durchgeführt.